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Geheimnisvolle und bezaubernde Welt der Flechten

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bezaubernde Welt der Flechten

Nicole Lachat, La Chaux-de-Fonds

Eine perfekte Symbiose Tatsächlich sind diese seltsamen Gewächse das Ergebnis einer engen Verbindung zwischen einer Alge und einem Pilz.B.is zum Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Flechten in den Pflanzenbüchern unter die Moose eingereiht. Und erst 1869 hat Schwendener nachgewiesen, dass es sich bei den Flechten nicht um einen einzigen Organismus handelt, sondern um zwei verschiedene, in enger Verbindung lebende Organismen. Eine solche Verbindung nennt man Symbiose. Die beiden Partner einer solchen symbiotischen Vereinigung haben in ihrem gemeinsamen Leben verschiedene Aufgaben.

Die zu einer Flechte gehörigen Pilze kommen in der Natur praktisch nicht allein, also ohne an eine Alge gebunden zu sein, vor. Sie bilden den Hauptteil des Thallus, des Flech-tenkörpers, der aus dem Myzel besteht, einem Netz von Pilzfäden oder Hyphen. Sie entwickeln in Reproduktionsorganen Sporen. Die meisten der flechtenbildenden Algen dagegen können auch unabhängig leben, und sie bilden niemals Organe für die geschlechtliche Ve-mehrung. Sie pflanzen sich vegetativ, also durch Teilung fort. Oft bilden sie nur einen kleinen Teil des Thallus.

Der Pilz überwiegt, und er wird für die Klassifizierung der Flechten benutzt.

Warum die Verbindung?

Man betrachtet eine Symbiose im allgemeinen als eine der Ernährung dienende Verbindung zweier Organismen, in der beide Partner Vorteile finden. Hier bietet der Pilz der Alge Schutz gegen Austrocknung und zu starkes Licht, ebenso eine stützende Unterlage und Mineralsalze. Die Alge ernährt die Gemeinschaft. Sie wandelt mit Hilfe der Sonnenenergie die Mineralsalze und den Kohlenstoff der Cladonia rangiferina, die Rentierflechte, mit rasenbilden-dem Thallus

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I*?..* ,'* .1* Luft in zur Bildung von organischer Masse dienenden Zucker um ( durch Photosynthese ). Der Pilz entnimmt dann der Alge diesen Zucker, und zwar mit Haustorien, Saugfäden, die sich an die Zelle heften oder manchmal sogar in sie eindringen.

Dieses gemeinschaftliche Leben kann sich jedoch als prekär erweisen. Führt man nämlich dem Pilz künstliche Nahrung zu, so wird er sich nicht mehr um die Alge kümmern und sie ersticken. Ebenso wird die Alge die Verbindung aufgeben, wenn die Licht-, Wasser- und Mineralsalzverhältnisse für sie günstig sind.

Fortpflanzung Bei den Flechten bestehen zwei Arten der Fortpflanzung:

a ) Eine geschlechtliche Fortpflanzung: Der Pilz bildet becherförmige Reproduktionsor-gane, in denen sich Sporen befinden, die vom Wind verbreitet werden und, wenn sie günstige Verhältnisse antreffen, keimen. Ist eine passende Alge vorhanden, entsteht eine neue Flechte.

b ) Eine ungeschlechtliche Fortpflanzung, bei der beide Partner zusammen neue Flechten schaffen. Die entwickelt feine keimartige Gebilde, die sich ablösen und vom Wind fortgetragen werden. Am neuen Ort entstehen daraus vollständige Flechten.

Eine erstaunliche Form von Leben Flechten haben eine lange Lebensdauer. Strauchförmige Thalli, wie bei der Gattung Cladonia, werden mindestens zehn Jahre alt, Krustenthalli ( eng mit der Unterlage verbundene, mit ihr ein Ganzes bildende Flechten ) können dagegen hundert Jahre erreichen oder sogar überschreiten. Man hat geschätzt, dass einige Vertreter der Gattungen Rhizocarpon und Lecidea in den Alpen zwischen 1300 und 7600 und auf Grönland zwischen 1000 und 4000 Jahre alt sind. Es ist also offensichtlich, dass solche Organismen sehr langsam wachsen, in einer Grössenordnung von 0,5 mm pro Jahr.

Zudem sind Flechten in der Lage, in extremen Lebensräumen zu bestehen. In der Antarktis und auf Hochgebirgsgletschern besiedeln sie schneefreie Felsen, auf denen keine andere Pflanze leben kann. Ebenso kommen Auf Kalkfelsen wachsende Krustenflechten mit weissem oder schwarzem Thallus sie in der Wüste vor, im Watt und sogar unter Wasser.

Flechten ertragen solche Lebensbedingungen, weil sie sehr schnell zu einem verlangsamten Lebensrhythmus übergehen können, bei dem Atmung und Photosynthese zurückgehen und die Flechte austrocknet. In diesem speziellen Zustand sind Flechten dann in der Lage, extreme Temperaturen zwischen -196°C und +100°Czu überleben, während die normalerweise ertragenen Temperaturen zwischen -20°Cund +70°C liegen.

Krustenflechten, die sich auf trockenen Felsen entwickeln, können mehrere Monate in völlig ausgetrocknetem Zustand überleben. Morgentau oder Luftfeuchtigkeit genügen ihnen für die wenigen Stunden der Photosynthese, die zur Produktion der während des Tages verbrauchten Nahrungsstoffe notwendig sind.

Verschiedene Verwendungsmöglichkeiten der Flechten Flechten werden nur selten vom Menschen genossen, einige sind jedoch essbar. Verschiedene Arten von Umbilicaria dienen den kanadischen Trappern als Nahrung. In den nordischen Ländern liefern Flechten der Gattung Cetraria ( vor allem Cetraria islandica ) em zum Brotbacken geeignetes Mehl. In diesen Gebieten sind die Flechten jedoch unerlässlich für die Ernährung des pflanzenfressenden Grosswilds ( Wildren [Karibu], Elch, Moschusochse ). Die Tiere ernähren sich entweder von Strauchflechten, die an Bäumen wachsen, oder, in nördlicheren Gebieten, von rasenbil-denden Thalli, vor allem von der Rentierflechte Cladonia rangiferina.

Das langsame Wachstum der Gattung Cladonia ( einige Millimeter pro Jahr ) hat eine auch nur langsame Erneuerung der Weideflächen zur Folge. Es dauert annähernd vierzig Jahre, bis sich die Flechtendecke wieder gebildet hat!

Einige wenige Flechten sind toxisch. Früher benutzte man in Skandinavien Letharia vulpina, die auf Lärchen wächst, und Cetraria pinastri als Gift gegen Wölfe. Die Thalli dieser Flechten enthalten Substanzen, die zu einer Atemhemmung, dann zum Ersticken führen.

Mit dem Atomzeitalter sind die Flechten für die Tierwelt gefährlich geworden. Sie speichern die atomaren Niederschläge ( zum Beispiel nach Tschernobyl ) und verseuchen dadurch die Rentiere. Das radioaktiv gewordene Fleisch schadet Eskimos und Lappen, die sich davon ernähren. So ist in Schweden die Radioaktivität des Fleisches von Rentieren 300 mal so hoch wie das von Rindfleisch aus dem Süden des Landes!

Die wirtschaftliche Verwertung von Flechten ist im Lauf der Jahre zurückgegangen. In der Vergangenheit spielten sie eine bedeutende Rolle in der Färberei. Heute werden auf Zwei dicht übereinanderliegende Flechten auf einer Baumrinde diese Weise nur noch sehr kostbare Wollstoffe gefärbt oder Wollen, die von Handwe-bern verarbeitet werden.

Ebenso ist ihre Verwendung als Heilmittel nicht mehr bedeutend. Früher setzte man Lobaria pulmonaria gegen Lungenkrankheiten ein, von Peltigera canina glaubte man, sie könne Tollwut heilen. Allein ( Isländisch Moos> ( Cetraria islandica ) wird heute noch zur Herstellung von Hustensirup und Hustenbonbons benutzt. Ausserdem finden noch immer einige Flechten in der Parfümherstellung Verwendung.

Die Flechten des Hochgebirges Flechten kommen in allen Teilen der Welt und auch in den Alpen vor. H. B. de Saussure hat zwei verschiedene Arten auf dem Gipfel des Montblanc entdeckt, und der Botaniker Vaccari konnte am Monte Rosa, zwischen 3461 und 4634 Metern Höhe, 57 verschiedene Arten zählen. Auf der Dufourspitze, auf 4630 Metern, gibt es zwölf Arten und Varietäten. Im Schweizer Nationalpark wurden 220 Arten katalogisiert.

Die Flechten bilden die letzte Vegetationsdecke an der Grenze zum Eis, sowohl an den Polen als auch in sehr grossen Höhen. Die Flora der subalpinen und alpinen Gebirge wird im wesentlichen von arktischen Flechten gebildet, darunter zahlreichen Arten von Cladonia, Cetraria, Umbilicarìa und auch Krustenflechten.

Oberhalb der Baumgrenze setzen sich die Flechten an den Felsen fest. Es handelt sich im wesentlichen um Krustenflechten, manchmal, auf stark bemoostem Gestein, auch um Blattflechten.

Kalkfelsen tragen vorwiegend Krustenflechten von überwiegend weisser, schwarzer und orangefarbener Tönung. Die seltenen Blattflechtenarten kommen nur dort vor, wo die Unterlage reich an Nitraten ist ( Physcia, Xanthoria ). Man kann Flechten mit weissem Thallus ( Aspicilia calcarea, Buellia epipolia ) auf gut belichtetem, trockenem und nitratarmem Boden ausmachen; Flechten mit schwarzem Thallus ( Placynthium nigrus, zahlreiche Vertreter von Collema, Verrucaria nigrescens ) auf mehr oder weniger feuchtem, spärlich belichtetem Kalk; Flechten mit gelbem oder orangefarbenem Thallus auf nitratreichem Kalk ( Ca-loplaca, Xanthoria, Candelariella ).

Die Flora der nicht-kalkhaltigen Felsen ist, verglichen mit derjenigen von Kalkgestein, verhältnismässig reicher an Blattflechtenarten. Hier herrschen die Farben Grau, Gelb, Grün, Kastanienbraun vor ( Parmelia prolixa, Parmelia conspersa, Parmelia saxatilis, Umbilicaria pustulata, ausserdem einige Krustenflechten wie Lecanora, Lecidea, Pertusaria, Rhizocarpon ).

Flechten - unabhängige Kunstwerke Aus dem französischsprachigen Teil, übersetzt von Roswitha Beyer, Bern Auf bemoosten Felsen herrschen stärker dem Wald zugeordnete Gattungen vor: Peltigera, Sphaerophorus. Die Felsen der Gebirgsbäche tragen vor allem Verrucaria und Derma-tocarpon.

Auf Felsen, die Vögeln als Aufsitzplätze dienen, und in ausgeprägten Nistgebieten entwickeln sich nitratfreundliche Flechten in direktem Kontakt mit dem Vogeldünger ( Candelariella, Caloplaca, Xanthoria ). Dadurch kann man zum Beispiel in bestimmten Regionen Grönlands an dem von weither sichtbaren, ausgeprägt orangefarbenen Ton der Felsen die Klippen ausmachen, in denen die Nonnen-gans nistet.

Im Hochgebirge gehören die häufigsten Flechten zu den Gattungen Cetraria und Cladonia.

Cetraria islandica, ( Isländisch Moos>, ist gemsfarben, die einzelnen Ästchen sind ungefähr 5 mm breit, mit starren Wimpern gesäumt und enden in Reproduktionsorganen. Cetraria nivalis bildet gelblichweisse, an den äusseren Enden gekrauste, dichte Kissen. Cladonia rangiferina, die Rentierflechte, ist grauweiss, besitzt einen kräftigen Hauptzweig, dessen Verzweigungen alle nach derselben Seite gerichtet und am Ende bräunlich sind.

Alectoria ochroleuca kommt häufig zusammen mit Alpenazaleen vor; sie ist gelblich und wächst in wirren kleinen Büscheln. Thamnolia vermicularis dagegen breitet die weissen wurmartigen Zweige direkt auf der Erde aus.

Flechten gehören untrennbar zu einer alpinen Landschaft. Sie geben ihr diesen unvergleichlichen kleinen ästhetischen Hauch, das Leuchten der Hochgebirgsvegetation. Üppig, in schillernden Tönen, sind sie überall, kriechen zwischen den Kräutern, bedecken und verhüllen den Fels. Sie verkörpern die ganze Poesie der Tundra, die, streng und melancholisch, plötzlich voll Leben strahlt und von der Thomas Hardy, der englische Schriftsteller, gesagt hat,

Im Jahrhundert der Seilbahnen und Lifte, des Heli-Skifahrens, der von Touristen, denen es an starken Gefühlen fehlt, überlaufenen Hochgebirgshütten sind die Flechten Botschafter einer Welt der Schönheit, die nur wahrnimmt, wer mit dem Herzen sieht.

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