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Glück gehabt!

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

R. Hopf, Thun

VOM REGEN IN DIE TRAUFE Es war auf einer Herbstweide. Ringsum grasende Kühe und friedliche Stille. Mit wachsendem Interesse sah ich eine Kuh, die etwas zwischen den Hörnern trug. Neugierig näherte ich mich und sah ein Holzbrett, auf dem etwas geschrieben stand. Ich konnte aber erst auf etwa einen Meter Abstand die mit ungelenken Buchstaben geschriebene Botschaft lesen: « Achtung bösartig ». Auge in Auge stand ich der Kuh gegenüber; blöde blickte sie mich an, und ich hatte begreiflicherweise Eile, diskret die nötige Distanz zwischen sie und mich zu bringen.

Gemächlich wanderte ich, dieser Gefahr entronnen, unterhalb der Wiese dem Fluss entlang. In diesen waldigen und felsigen Flussbegrenzun- gen gab es wenigstens keine bösartigen Kühe. Hoch oben waren Holzfäller am Werk. Man hörte immer wieder die kreischenden Motorsägen, gefolgt vom Krachen fallender Bäume. Doch plötzlich änderte sich das: Das dumpfe Krachen wollte nicht mehr aufhören und vermischte sich mit dem scharfen Aufschlagen von Steinen. Mein Blick nach oben liess mich entsetzt eine Lawine von Holzwerk und Steinen erkennen - direkt über mir! So schnell es die glatten, runden und grossen Steine erlaubten, suchte ich der Gefahrenzone zu entfliehen... Es gelang. Dicht hinter mir klatschten Steine, Erde und Holz in das hoch aufspritzende Wasser. Wieder einmal Glück gehabt! Die Rippenfraktur, die ich mir bei meinen Ret-tungssprüngen durch einen Sturz zuzog, nahm ich gerne in Kauf.

PRIVELDACRAPPA Anstrengende Adhäsionsarbeit am Bergeller Granit und die dort zuweilen unvermeidlichen Moränenwanderungen hatten müde gemacht. Ein Tag Erholung würde nicht schaden. Vorerst sass ich allerdings noch mit meinem Begleiter auf der Punta Albigna und bewunderte, wie man so zu sagen pflegt, die hehre Bergwelt. Tief unten lockte das graugrüne Wasser des Albignasees zur Abkühlung, denn es herrschte eine brütende Hitze, und der Wunsch nach einer Schluchtbegehung mit rauschenden Wassern und Schatten stieg in mir auf.

Über einige Hindernisse, wie Wegmauern, Gartenzäune und Verbauungen, fanden wir am andern Tage den Eingang zu der unbekannten Schlucht. Auf einem Holztäfelchen hiess es da: Privel da crappa. « Das könnte Steinschlag heissen », meinte mein Begleiter und war nicht zu bewegen, weiter in die Schlucht einzudringen, während ich, gegen mein besseres Gefühl, Privel da crappa mit « Steinbruch » übersetzte. So ging ich allein weiter, ohne grössere Schwierigkeiten, da das Bachbett fast trocken war. Immer höher und höher wuchsen die brüchigen Seitenwände. Es wurde immer dunkler und stiller. Nur gelegentliches Tropfen von Wasser war zu hören, und eine einzelne von der Sonne farbenprächtig beschienene Lärche weit, weit oben erinnerte an den prächtigen Tag. Die spärlichen Fussspuren verloren sich. Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich mehr und mehr und bewog mich zur Umkehr. Auf einem grossen Stein inmitten eines kleinen Schuttkegels verpflegte ich mich hastig, um dann schleunigst den Rückweg anzutreten. Kaum war ich einige Meter gegangen, da krachte es hinter mir. Eine Steinsalve platzte genau auf den Stein, auf dem ich einige Sekunden vorher gesessen hatte. Ich rannte, wie von Häschern verfolgt, aus der Schlucht und fühlte mich erst wieder sicher, als das Täfelchen mit der Aufschrift « Privel da crappa » hinter mir war. Also doch « Steinschlag »!

DER ERRATISCHE BLOCK Er war vom Wanderweg aus neben Tannenstämmen hindurch in dichtem Walde zu erblicken und lockte zu näherer Betrachtung. So querte ich, meinen Weg verlassend, über weichen Waldboden zu ihm hin. Es war ein etwa 8 Meter hoher Granitblock, auf allen Seiten fast senkrecht bis überhängend. In meiner Phantasie sah ich, wie er vor Jahrtausenden langsam auf riesigem Eisstrom hieher getragen und abgelagert wurde in einer harmonischen, unverdorbenen Umwelt, deren Stille vom gelegentlichen Brüllen der Urtiere gestört werden mochte.

Oben auf dem Granitblock musste sich ein dreieckiges Plateau befinden - soweit es von unten zu beurteilen war -, bewachsen mit kleinem Gesträuch und einem abgestorbenen, aber kräftigen Baum, der schief hinaushing und mit viel Wurzelwerk über die Kante hinausdrängte. An einem seiner Äste hing ein zerschlissenes Tuch, deutlich mit einem Knopf angebunden. Also war schon jemand droben gewesen, aber wie hinaufgekommen? Entlang eines kleinen Risses, in den ich mit Mühe zwei Haken einschlagen konnte, kam ich kaum drei Meter hoch, musste dann aber wieder kehrtmachen, da weiter oben kein Haken mehr halten wollte. Also musste ich die Aufstiegs-methode ändern. Nach einigen Versuchen gelang es mir, eine mit einem Stein beschwerte Schnur über den Block zu werfen. Leider kam er auf der andern Seite nicht herunter, sondern pendelte hoch oben an der Schnur. Alle Wellenbewegungen die ich auslöste, halfen nichts; ich musste ihn zurückziehen. Aber merkwürdigerweise ging das auch nicht. Als ich immer mehr mein Gewicht zum Zuge gab, riss schlussendlich auch noch die Schnur. Ich fiel auf den Rücken - und auf der andern Seite flog der Stein mit glatt durchge-scheuerter Reepschnur zu Boden.

Nun kam als weitere Hilfe, dem abweisenden Gesellen beizukommen, der Baum in Betracht. Schon beim ersten Versuche gelang es, den Stein an der Schnur darüberzuwerfen und ein Seil nachzuziehen. Aber war er auch genügend fest? Es schien so, da auch ein kräftiger Zug am Seil den Baum nicht ins Wanken brachte.

Mittels Klemmknoten begann ich den Aufstieg; doch als ich mich kaum einen Meter hoch über dem Erdboden befand, liess ein Nachgeben des Seiles Schlimmes befürchten. Erdschollen und Steinchen kamen auf mich zu und kündigten schlechte Verankerung des Wurzelwerkes an. Plötzlich krachte es, und alles kam ins Gleiten. Durch Klemmknoten und Fussschlingen am Seil festgehalten, konnte ich nicht entfliehen und sah mich schon, vom Baum und seinen Wurzeln getroffen, am Boden liegen. Doch es geschah ein Wunder: Der nach aussen und abwärts kippende Baum traf haargenau auf eine nahe Tanne, konnte nicht weiter fallen, sondern verklemmte sich so, dass auch der ganze Wurzelkuchen haltmachte. Unendlich erleichtert und dankbar konnte ich mich vom Seil lösen und die Erde, die mir in reichlichem Masse in den Kragen gedrungen war, ausschütteln.

Unerhörtes Glück gehabt!

Dieser Eremit wollte scheinbar seine Ruhe haben, und ich hatte keine Lust mehr, sie zu stören...

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