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Hawaii — wo Feuer und Wasser sich vereinen

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Stefan Pfander, Bern

Spektakulärer Ausbruch des von 1983 bis 1986 besonders aktiven Kilauea-Kraters Pu'u O'o. Nach 15stündiger Eruptions-tätigkeit erreichte die Lavafontäne eine Höhe von 300 m.

Hawaii - ein Vulkanismus und Plattentektonik - ein Überblick Vulkane an der Erdoberfläche sind der Ausdruck gewaltiger Ereignisse und Bewegungen im Erdinnern. Sie stehen in engem Zusammenhang mit dem Werden und Vergehen unserer Ozeane und Kontinente, heute als bezeichnet und ursprünglich basierend auf der Theorie der ( Kontinentaldrift ) Alfred Wegeners ( 1880-1930 ). Nach den heutigen Erkenntnissen der Geologie besteht der äusserste Teil unseres Planeten, die Erdschale ( Lithosphäre ), aus einem Dutzend unterschiedlich grosser, starrer krustaler Platten, die unter dem Einfluss der ( durch unterschiedliche Temperaturen bedingten ) Umwälzungen auf einem plastischen, aber meist festen oberen Erdmantel in ständiger Bewegung gehalten werden. Dort, wo die Erdkruste häufig zerbricht ( Grabenzonen ) und wo die Platten an-einanderstossen und zum Teil in den Mantel absinken ( Subduktionszonen ), reihen sich die meisten Vulkane auf.

Hawaiis besondere Lage Hawaii bildet eine Ausnahme: Positioniert auf dem 156. Längen- und dem 20. nördlichen Breitengrad, liegen die Inseln relativ zentral auf der pazifischen Platte. Die Ha-waii-Inseln bilden lediglich den sichtbaren südlichsten Punkt einer über 6000 Kilometer langen Kette von versunkenen Vulkanen, die sich bis vor den Graben von Kamtschatka ( Sibirien ) erstreckt, wo die pazifische ozeanische Platte unter den eurasischen Kontinent in den oberen Mantel absinkt. Die Umwälzungen ( Konvektionsströme ) im plastischen Erdmantel erzeugen unter dem heutigen Hawaii ungeheure Wärmeenergien. Durch lokal stark erhöhte Temperaturen von über 1500 Grad Celsius beginnt der festere obere Erdmantel, in Tiefen zwischen 50 bis 100 Kilometern, teilweise aufzuschmelzen. Das dabei entstehende Magma, leichter als das umgebende Mantelgestein, kann bis an die Basis der pazifischen ozeanischen Lithosphäre aufsteigen. Aber erst Brüche in der kalten und starren Kruste ermöglichen einen Aufstieg des Magmas an die Oberfläche. Alle Hawaii-Eilande sind in schöner Reihenfolge über dieser heissen Zone im Erdmantel entstanden. Die Feuerspeier auf Big Island sind deshalb bekannt als Hot-Spot-Vulkane.

Entstehung und Untergang der Vulkaninseln Hawaiis Die pazifische Platte verschiebt sich jährlich rund 10 Zentimeter in nordwestlicher Richtung, befördert also damit die heutigen Inseln langsam aus dem Einflussbereich des Hot Spot, der unter der pazifischen Platte stationär bleibt. Die Erosion bringt die Inseln mit den erloschenen Vulkanen auf ihrer Drift nach Nordwesten nach etlichen Millionen Jahren wieder zum Verschwinden. Gleichzeitig aber entstehen über dem Hot Spot am Meeresboden neue Vulkane und später Inseln. 30 Kilometer südöstlich von Big Island ist bereits die nächste Inselgeburt angesagt: Bis 900 Meter unter den Meeresspiegel hat sich das jüngste Hot-Spot-Kind emporgearbeitet. Wann aus den Fluten tauchen wird, vermag heute niemand zu sagen. Die Schätzungen reichen von ein paar hundert bis zu ein paar tausend Jahren.

Querschnitt durch die Ostflanke des Mauna Kilauea mit ihrer Bruchzone. Die vulkanische Aktivität verlagert sich zunehmend gegen Osten ( rechts ).

Hawaii, Vulkaninseln im Zentrum der Pazifischen Platte Das vulkanische Zentrum Im Einfluss des Hot Spot steht heute auf Hawaii vor allem noch Big Island. Zwei Viertausender dominieren die Insel: der Mauna Kea ( 4139 m ) und der Mauna Loa ( 4103 m ). Vom Meeresgrund gemessen, sind die beiden Schildvulkane die höchsten Erhebungen der Welt. Dazu kommt, dass die Wurzeln dieser Feuerspeier mehr als 10 Kilometer tief in den Erdmantel hineinreichen.

Der tätigste Vulkan der Insel und mitunter der weltweit aktivste Feuerspeier ist der 1227 m hohe Mauna Kilauea. Von den jüngsten Eruptionen betroffen ist der südöstliche Inselteil, vor allem die Küstengegend bei Kalapana. Die Menge der seit 1983 ausgeflossenen Lava wird auf mehr als anderthalb Kubikkilometer beziffert. Mit diesem Gesteins-volumen liesse sich die Chinesische Mauer fünfmal bauen.

Big Island, die südlichste Hawaii-Insel und zur Zeit auch die einzige mit aktivem Vulkanismus Über dem Hot Spot unter Hawaii entstehen seit 0O Hawall-Inuln rund 60 Millionen Jahren laufend neue Vulkane.

Aktiver Mauna Kilauea Feuergöttin Pele heizt ihrem Hausberg Mauna Kilauea ein - variantenreich und ausdauernd wie noch nie. Seit 1983 ist Hawaiis potentester Vulkan nicht mehr zur Ruhe gekommen. Auf Big Island, dem südlichsten Eiland des Archipels, bahnen sich Lavaströme ihren Weg durch den Regenwald, begraben Strassen unter sich und raffen die Küsten-siedlung Kalapana stückweise dahin. Das Bild, das sich an der Ostflanke des Feuer-speiers bietet, mutet an wie der Rückfall ins Chaos. Der Vulkan bringt indes nicht nur Verheerung über die Insel: Tag für Tag und praktisch ununterbrochen seit fünf Jahren verfrachtet der überquellende Berg Tonnen flüssigen Gesteins ins Meer und lässt dabei neues Land entstehen.

Vorherige Doppelseite: Die bei Kalapana seit 1986 praktisch ununterbrochen ins Meer fliessende Lava lässt ständig neues Land entstehen.

Begegnung mit Joe Joe hiess der Mann, der mich von einem erkalteten Lavastrom auf eine der lädierten Strassen von Royal Gardens hinabsteigen sah. Mein schweisstreibender Besuch beim Gluthaufen, der einen halben Kilometer weiter bergwärts seine Höllenhitze verströmte, war für ihn unverständliche Selbstquälerei. Joe war misstrauisch. Und der Grund seines stechenden Blickes war mir klar. Der Kilauea ist Banngebiet der Feuergöttin Pele. Störungen durch Eindringlinge stossen nicht nur ihr, sondern auch der einheimischen Bevölkerung sauer auf. Ich hielt Joe beschwichtigend einen kleinen Fotoabzug hin. Er beugte sich über das Zelluloidstückchen, nahm sich Zeit nachzudenken und urteilte: -Schildern nahm sich der heruntergekommene Bretterbau wenig gastfreundlich aus.

Startphase eines Fontä-nenausbruchs am Pu'u O'o. Über der Krateröffnung hat sich ein Dom aus kochender Lava gebildet.

liess mich Joe sein Credo wissen:

fahne, die sich nachts über der vernichtend ankriechenden Lava rötet, und empfand stille Bewunderung für Joes Fähigkeit, die Dinge so gelassen zu sehen. Eine Weile später trat Joe wieder ins Freie, wünschte

Zehn Monate später: Hilflos suche ich mit dem Fernglas von der Küstenstrasse aus das Gebiet an der mittleren Ostflanke des Kilauea ab. Bis auf klägliche Reste einstiger Zivilisation ist alles mit frischem Basalt übergössen. Nur noch der Name auf der revi-sionsbedürftigen Landkarte und wenige aus dem Lavapflaster aufragende Strassen- und Verkehrstafeln dokumentieren, dass es diese Reissbrettsiedlung einmal gegeben hat. Die Häuser: fast alle weg, in Feuer aufgegangen. Und Joe, der Lebenskünstler? Vertrieben aus seinem kleinen Paradiesunversündigt>, wie er vielleicht sagen würde. Aber trotzdem gottgewollt.

Ein Blick ins « Innenleben des Mauna Kilauea Wer, weiter östlich bei Kalapana, an der Küste wohnte, verliert seinen Anspruch auf Meeranstoss. Denn der Berg lässt die Lava so ergiebig in den Pazifik fliessen, dass dabei neues Land entsteht.

Blick durch ein auf einen im Untergrund dahinfliessenden Lavastrom.

Photos Stefan Pfander Den Gipfelbereich des 1243 Meter hohen Mauna Kilauea bildet eine ovale Caldera, in der ein fumarolengesäumtes Kraterloch namens Halemaumau gähnt. Ein Kilometer Durchmesser und 150 Meter Tiefe, das sind die grosszügigen Abmessungen dieses Schmelztiegels. Er wird von Ausflüglern täglich ein paar tausend Mal bewundert, bestaunt und bespöttelt. , liess auf der Plattform des Observatoriums eine Stimme verlauten. Wenn hier aber etwas zurückgelassen wird, sind es in Bananenblätter gewickelte Opfergaben. Denn der Legende nach ist der Halemaumau Wohnsitz von Feuergöttin Pele. Nicht selten stehen Flaschen am Kraterrand oder irgendwo an der erstarrten Front junger Lavaströme: Peles Schwäche für Gin gilt als erwiesen.

Ihre Entscheide fasst die Überirdische in der Unterwelt. Vier Kilometer unter dem Ha-lemaumau-Krater orteten die Wissenschaftler eine Magmakammer, die aus fünfzig Kilometern Tiefe gespeist wird. Fällig ist die Eruption, sobald die Aufnahmekapazität dieser Magmakammer erschöpft ist. Der Überdruck bläht den Berg auf, lässt die der Vulkanologen aufjucken, verursacht Beben in kürzeren Zeitfolgen als üblich und reisst im Berginnern wie an der Oberfläche Spalten auf.

Das Magma wird zunächst durch den Zen-tralschacht unter die Caldera gepresst. Statt irgendwo in Gipfelnähe auszubrechen, lässt es sich oft in eine horizontale Bruchzone abdrängen und quillt oder schiesst -je nach Konstellation - dann dort aus dem Boden, wo der Berg den entfesselten Tiefenkräften am wenigsten Widerstand leistet.

Seit der Kilauea permanent tätig ist, erlebt der Ausflugstourismus aus Honolulu, der Hauptstadt der Schwesterinsel Oahu, Hochkonjunktur. Und mit etwas Glück lässt sich das Naturschauspiel ins Meer fliessender Lava aus nächster Distanz miterleben. Kala-panas Black Sand Beach hat als besondere Sehenswürdigkeit ausgedient. Nun haben Dank des ausnahmsweise sehr tiefen Pegels des Lavasees wird sein unterirdischer Abfluss sichtbar.

sich die Besucher vervielfacht, um sich hier vom Kampf der urkräftig aufeinanderdon-nernden Elemente Feuer und Wasser berauschen zu lassen. Entlang der neuen Küste gibt es bereits wieder kleine Strände aus feinstem Lavasand. Sie entstehen, wenn Lava in kleineren Mengen ins Meerfliesst, schockartig abkühlt und in kleinste Körner zerfällt.

Unterwegs zum Kilauea Ungezähmte Natur Ich bin mit der Idee angereist, die östliche Bruchzone von der Kilauea-Caldera bis hinunter ans Meer abermals abzuschreiten. Abermals? Das hört sich nach Reprise an. Ist aber keine. Reprisen mag es im Kino geben, nicht aber an einem Vulkan. Am Kilauea ist die Landschaft in einem schnellen Umbruch, hin- und hergerissen zwischen Vernichtung und Geburt.

Ein Vulkan ist mehr als ein Stück unzähm-bare Natur. Auf einem Vulkan vom festen Boden der Wirklichkeit zu sprechen, ist eine Lüge. Alles ist spürbar in Bewegung und sichtbar in Veränderung. Das Wechselspiel des Werdens und Vergehens vollzieht sich hier wie in einem Zeitraffer. Wo Pele ihrem Temperament die Zügel schiessen lässt, wird Schöpfung zum Ritual - der Welt zum Gedeih, der Welt zum Verderb.

Jane> Von Hilo, der Insel-Hauptstadt, fahre ich in südwestlicher Richtung. Mein Ziel: der Volcanoes National Park. Unterwegs steigt per Durch Entgasung sowie Abkühlung an der Oberfläche bilden sich Löcher ( Windows ) in den Tunnels ( Tubes ), durch die sich die glutflüssige Lava wälzt.

Anhalter ein zerzaustes Frauenzimmer zu.

Auf uns stürzen warme Regenschwälle nieder. Im gebrochenen Licht wölben sich Regenbogen. Meine Begleiterin hält den Zeitpunkt für gekommen, mir anzuvertrauen:

( Hawaii ist der Altar der Schöpfung ). Jane fühlt sich verstanden, als ich mein Hochgefühl verbalisiere: ( Der nächste Ort muss wohl Eden heissen ).

Indes: Der nächste Ort ist auf Glenwood getauft. Wenn nicht Dunst oder Regenfronten die Sicht behindern, ist von hier aus ein dampfender Vulkankegel erkennbar: der Pu'u O'o. In acht Kilometern Entfernung markiert er das Gebiet auf der Kilauea-Ostflanke, auf das sich die Eruptionen der letzten acht Jahre konzentriert haben. Jane erzählt mir von einem Trampelpfad, der ab Glenwood ins Gelände führt. Sie skizziert den Weg auf der beschlagenen Windschutzscheibe. Weil diese Gegend zu den feuchteren der Insel gehört, gedeiht hier auch das verbotene Marihuana gut und -für Insider besonders relevant - ohne aufwendige Pflege.

Die Pflanzen werden oft in den Regenwald eingestreut und bleiben in seinem Schutz vom Helikopter unentdeckt. Die Polizei rückt dem Gewerbe zwar hartnäckig zu Leibe, kleinen Fischen aber stellt sie weniger nach. Die meisten, die auf dem Pfad verkehren, sind kleine Fische. Sie kennen sich untereinander. Lässt sich ein unbekanntes Gesicht blicken, kann allerdings gefährliche Nervosität entstehen. Per Knopfdruck setze ich die Autokli-maanlage in Betrieb, sehe Janes Trail von der Frontscheibe schwinden. Ich habe andere Routenpläne.

Sperrgebiet - Besuch auf eigene Verantwortung Diverse Postkarten beschreiben die aktive mittlere Kilauea-Ostflanke als ( inaccessible ). Das wird für Postkartenbezüger im allgemeinen gelten. Pele ist jedoch keine unnahbare Göttin. Wer sich ihrem Banngebiet nähert, muss aber den Beweis seiner Würde liefern. Was auch immer zu diesem Beweis gehören mag, ich darf verraten, dass er ohne Entbehrungen und Strapazen nicht zu erbringen ist. Ein guter Teil der Kilauea-Ostflanke ist Na-tionalpark-Territorium. Das Eruptionsgebiet liegt ausserhalb der Parkgrenze. Es lässt sich vom Napau-Krater unter erschwerten Bedingungen erreichen. Nur: Die Gegend östlich vom Napau-Krater ist zum Sperrgebiet erklärt worden. Keine Instanz findet sich, die für eine Traversierung der Sperrzone eine offizielle Bewilligung erteilt. Auch der administrative Leiter des Vulkanobservatoriums lässt sich trotz des guten Einvernehmens auf keine Verbindlichkeiten ein: An der Kilauea-Ostflanke gelten eigene Gesetze. Wer dort hingeht, muss es selber verantworten können.

Auf Erkundungsflug Heute schnalle ich die Gurten an, fliege mit David Okita die Route ab, die ich zu Fuss begehen will. Unter uns klafft die östliche Bruchzone des Schildvulkans. Mir graust. Verbrannte, entlaubte Wälder, zerborstene Lavaschächte, viele Meter tief, Verwerfungen, Schlackenkrater. Das Bild, das sich uns bietet, ist urweltlich, roh und chaotisch auf den ersten Blick, faszinierend aber auf den zweiten. Denn schon ist frisches Grün auszumachen, wo vor ein paar Jahren die letzten Aschenregen niedergingen.

David dirigiert seinen Helikopter über den Pu'u-O'o-Krater. Die Fontänenausbrüche haben ihn zu einem tiefen, trichterförmigen Loch ausgeweitet, in dessen Schlund man die Lava brodeln sieht. Drei Kilometerweiter meerwärts wird es heiss in unserer Kabine. Davids Libelle steht in der Luft still. Ich versuche, ein paar Aufnahmen vom Lavapond, einem löffeiförmigen Lavasee, in die Kamera zu kriegen, breche aber ab, weil die enormen Hitzewellen keine akzeptable Bildschärfe zulassen.

Vom Rekognoszierungsflug mit David habe ich mir das nötige Selbstvertrauen versprochen, um meinen Marsch anzutreten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Zweifel überkommen mich. Und alte Fragen stellen sich von neuem: Ist es nicht verwegen, das Vorhaben alleine durchzuführen? Vermag ich der Macht, die die Wirklichkeit auf mich ausüben wird, psychisch standzuhalten? Wird der Regen meinen Wasserbedarf wirklich sicherstellen? Wird mein Denken klar bleiben, wenn der Boden unter meinen Schuhen glüht?

Urtümliche Vulkanlandschaft Zum Mauna Ulu In einem improvisierten Unterstand, dicht am Rande einer schroffen Kratersenke, habe ich die Nacht zugebracht. Ich atme den Geruch, der aus der jungen Erde strömt. Langsam lösen sich Farben, Blattformen aus dem dunkeln Einheitsgrau heraus. Aus einem Busch schlage ich mir einen Wanderstab. Zeit für mich, aufzubrechen.

An Nahrung trage ich nur das Nötigste mit. Das Wasser deckt meinen Flüssigkeits-vorrat für zwei sparsame Tage. Unterwegs will ich aber sechs Tage sein. Als im Westen der Tag heraufdämmert, habe ich den Mauna Ulu erreicht. Aus der Vogelperspektive ist er ein wenig eminenter Pickel auf dem breitgeschulterten Panzer des Kilauea.

Seine leichte Zugänglichkeit über die von hier nur ca. einen Kilometer entfernte ( Chain of Craters Road> hat dem schmauchenden Schlot vor fünfzehn Jahren reichlich Besucher beschert. Aus nächster Nähe klickten Tausende von Kameras, wenn Pele am ( growing mountain ) Dampf abliess.

Der Wind weht verlässlich aus Nordosten, fährt mir stürmisch in die Seite, als ich im Zickzackkurs die südliche Mauna-Ulu-Flanke anpeile. Wolken treiben auf mich zu und beginnen, sich ihrer feuchten Last zu entledigen. Den ersten Tropfen folgt ein heftiger Regenguss. Das niederklatschende Nass vermag aber nicht das kleinste Rinnsal zu bilden. Der poröse Berg schluckt alles auf und lässt in Kraternähe wieder einen Teil als Dampf entweichen.

Die Lava der Mauna-Ulu-Eruptionen war meist vom dünnflüssigen Pahoehoe-Typ. Sie hat sich zu Stricken gedreht, zu skurrilen Formen gewunden. Vegetation ist spärlich schon wieder vorhanden. Was sich hier ansiedeln will, erlebt noch Zeiten schwerer Anfechtung. Als erste Boten haben sich aber bereits genügsame Farne aus windgeschützten Spalten erhoben.

Für Momente fällt der Regen nur tropfenweise. Unvermittelt flutet Sonnenlicht durch eine Wolkenöffnung. Ein Regenbogen spannt sich zwischen Himmel und Erde. Als ich mich um die eigene Achse drehe, hat sich auf dem nassen Gestein ein gleissender Lichtteppich ausgebreitet. Die Zeit reicht nur zu wenigen Aufnahmen. Das Wolkenloch hat sich rasch wieder geschlossen, der Zauber ist auf einen Lidschlag vorbei.

Chaotische Welt des Pu'u O'o Noch liegen über 30 Kilometer vor mir. Auf Pahoehoe-Lava zu marschieren, bedeutet komfortables Vorwärtskommen. Mein Stock schlägt in Schrittdistanz vor mir auf. Die Resonanz im Basaltgestein gibt mir Aufschluss darüber, ob sich einsturzgefährdete Hohlräume unter mir befinden.

Es ist wie ein Szenenschnitt in einem futuristischen Film, als ich den Napau-Krater erreiche: Da steht er und fordert Respekt, der Vulkankegel Pu'u O'o. Aus der Taufe gehoben haben ihn über vierzig spektakuläre Fon-täneneruptionen. Wo seine schwefelge-krönte Kuppe in den Himmel ragt, ist das Gelände 250 Meter höher als vor Beginn der Ausbruch-Serie. Westlich des Kraters wurden die Aschen kilometerweit abgeregnet und liegen nun gebietweise mehrere Meter hoch. Lavafragmente unterschiedlicher Grösse hängen, Waben ähnlich, in den Bäumen oder knirschen glasig unter den Sohlen.

Keine zehn Minuten vom Krater entfernt schlage ich mein improvisiertes Camp auf. Ich lege mich halbnackt auf eine kleine Schaumstoffmatte, die im Rucksackinnern als Polster für meine Fotoausrüstung dient. Wind zerrt an meinem Zelt. Zu seiner Verankerung grabe ich ein paar grosse Lavabrocken aus. Der Boden fühlt sich an wie ein Heizkörper. Trotzdem mache ich die Zeltöffnung dicht: Schwefelig brennt die Luft in meinen Lungen. Mein Atem wird kürzer.

Am Fusse des Pu'u-O'o-Kraters erlebe ich die Welt als das, was sie ist: als eine Bau-grube, in der saniert, eliminiert und experimentiert wird. Baumskelette, die hinter dampfenden Grabhügeln aus Vulkanasche schicksalergeben aufragen, bezeugen und beklagen es: Auch die mittlere Ostflanke war grossflächig bewaldet, ehe der Feuerberg hier Anfang 1983 zu neuer Aktivität ansetzte.

Kleinere Beben erschüttern den Berg immer wieder. Das begünstigt die Revegeta-tion, weil die Aschen - einer Sanduhr gleich - in Hohlräume absickern und so windgeschützte Trichter bilden, die sich neukeimen-den Pflanzen als ideale Starthilfe anbieten. Vegetation ist auffälligerweise oft am ersten an Plätzen zu sehen, wo noch permanent Wärme aufströmt und aus der feuchten Luft feinen Wasserstaub kondensiert. Besonders résistent sind die Farnbäume. Sie können sich oft sogar dann erhalten, wenn Lava sie gänzlich umflossen und die Hitze sie rundum verkohlt hat. Sie konzentrieren ihre letzte Lebenskraft auf jenen einen Trieb, der im Schutz des wasserhaltigen Stamminnern überlebt hat und sich hoffnungsfroh zu entrollen beginnt.

Bäume entlang einer Eruptionsspalte hat der Vulkan in dampfende Kamine verwandelt.

Auffällig auch: Keine zwei Kilometer westlich des Pu'u-O'o-Kraters hat die grüne Rückeroberung üppig eingesetzt, während im näheren Einzugsgebiet des Kraters noch alles in totaler Leblosigkeit verharrt. Doch der Radius dieser schrumpft mit jedem Tag.

Ein Schritt in die Vergangenheit - sechs Jahre zuvor Wie aus einer andern Welt mutet die Landschaft mit Lavabäumen monumentaler Grösse an, die ich am dritten Tag auf meinem Weg entlang der Kilauea-Bruchzone quere. Wo das Stück Regenwald war, in dessen Schutz mein Freund Bruno Blum und Robert, Vietnam-Veteran aus Montana, vor sechs Jahren unser Camp aufgeschlagen hatten, lässt sich nicht mehr ermitteln. Ich habe es mit einer stark veränderten Topographie zu tun.

Meine Erinnerung streift einen gemeinsam erlebten Fontänenausbruch. Von unserem Versteck aus hatte ich mich in Kraternähe begeben, als der Pu'u O'o vor meinen Augen ausbrach. Zunächst bildete sich über dem Krater ein Lavadom. Immer wuchtiger warf der Tiegel seine Schmelze aus. Der Boden vibrierte, vom Krater her kam ein furchterregendes Fauchen: Walpurgisnacht war angesagt. Der im heissen Gestein versickernde Regen verwandelte sich in bodennahe Dampfschwaden, die sich -von den glühenden Lavafontänen gespenstisch beleuchtet — in den zu bizarren Formen erstarrten Laven früherer Ausbrüche verloren. Nach fünfzehn Stunden, die tiefliegenden Wolken hatten ihre Belagerung aufgegeben, enthüllte sich eine 300 Meter hohe Feuerlanze, die uns aus einem halben Kilometer Entfernung den Schweiss aus den Poren trieb.

Im Bann des Lavasees Die spektakulären Pu'u-O'o-Zeiten sind Vergangenheit. Seit Mitte 1986 blutet der Kilauea drei Meilen östlich, wo das Magma unter geringerem Druck und ohne grosse Fon-tänenbildung aus dem Berg fliessen kann.

Diesen neuen Krater- mein heutiges Ziel -nennen die Forscher oder ( Lavasee ). Der Lavapond empfängt pro Sekunde rund vier Kubikmeter Magma aus dem Erdinnern. Abhängig davon, wieviel dünnflüssige Lava der meist unsichtbare Ab- Sogenannte < Lavabäume ). Dies sind von Lava umflossene Baumstämme, an denen das flüssige Gestein etwas erkaltete und sich derart verhärtete, dass nach dem Verglühen des Holzes meist eine Basalt-röhre übrigbleibt.

An der Kilauea-Ost-flanke, im Hintergrund der Pu'u O'o. Blick auf den Lavapond ( Lavasee ), der sich im Luftkontakt mit einer etwas festeren, bleiartig wirkenden Schicht überzieht.

Fumarolentätigkeit entlang einer früheren Eruptionsspalte fluss aufnehmen kann, sinkt oder steigt der Pegel im Lavasee. Gelegentlich quillt das Feuerbad über und baut so den Krater weiter auf.

Um den Lavapond zu erreichen, muss ich drei Meilen A'a-Lava traversieren. A'a-Lava -allein der Name darf als Warnung gelten - ist Basaltgestein übelster Sorte. In flüssigem Zustand wälzt es sich wie ein Haufen Koks voran, erkaltet ist es kantig, brüchig - und messerscharf. Wer auf A'a-Lava stolpert und fällt, ist gut beraten, eine grosse Notapotheke mitzutragen. Ich habe mir für diese Tour Spezialschuhe besorgt und die wenigen Nahtstellen dick verleimt. Mit zwei Stöcken balanciere ich mich vorwärts.

Zunächst schlage ich einen grossen Bogen um den Lavapond, um den Wind in meinen Rücken zu kriegen. Je näher ich dem Kraterrand komme, um so unsicherer werden meine Schritte. Das Vulkangestein ist aufgerissen wie spröder Wüstenboden. An der gegenüberliegenden Kraterwand sehe ich ununterbrochen Material abbröckeln. Rot glüht es zwischen den Spalten herauf.

Im Lavapond brodelt ein Feuersee aus Pahoehoe. Pegelstand: knappe vier Meter unter dem Kraterrand. Pahoehoe ist basaltische Lava und wegen des geringen Anteils Kieselsäure extrem dünnflüssig. Sie kann, je nach Gefälle, Fliessgeschwindigkeiten bis zu 60 Stundenkilometern erreichen. Ein anderes Merkmal dieser Schmelze: Sie erstarrt an der Oberfläche sehr rasch, fliesst darunter aber sauerstoffgeschützt weiter und baut auf diese Weise kilometerlange Tunnel, die sich in flachem Gelände auch deltaartig verästeln können. Der Abfluss im Lavapond ist nicht Schwefelablagerungen sind Zeichen vulkanischer Aktivitäten, die oft Jahrtausende überdauern können.

Aus einer Spalte gequol-lene Pahoehoe-Lava hat früher eingeäscherte Gebiete weitflächig überdeckt.

sichtbar. Offensichtlich ist die Fördermenge im Moment höher als das Aufnahmevermögen des unterirdischen Abflusses.

Nächtliche Begegnung Seltsame Geräusche lassen mich mitten in der Nacht hochschrecken. Darauf war ich nicht vorbereitet: Wildschweine. Das Kipuka war für sie der einzige Zufluchtsort. Kipukas sind lokale Erhöhungen, oft alte, überwucherte Vulkankegel, die - von der Lava gänzlich umflossen - zu Überlebens-Inseln geworden sind. Das Überleben der Tiere hängt von ihrer Fähigkeit ab, sich den Gegebenheiten eines stark verkleinerten Lebensraumes anzupassen. Das Grunzen neben meinem Zelt nimmt aggressivere Formen an, als im Zeltinnern meine Taschenlampe aufleuchtet. Nicht weniger aggressiv trommle ich mit meinem Buschmesser auf den Boden eines kleinen Kochtopfes. Nochmals unzufriedenes Grunzen, dann Blätterrascheln - und schliesslich wieder Stille. Die Schweine haben sich davongemacht.

Auf unsicherem Boden Entgasung und Abkühlung der Lava führen regelmässig zu Einbrüchen, die den Blick in die Lavatunnel freigeben. Man nennt sie . Nachts erkennt man sie als helle Lichtpunkte, was diesen Bruchstellen die zusätzliche Bezeichnung ( Skylights ) eingetragen hat. Ein solches Skylight erspähe ich in der neugeborenen Erde, als ich um drei Uhr morgens einen Kontrollblick nach draussen werfe.

Bei allen Unwägbarkeiten hat das Unterwegssein bei Nacht auch Vorteile: Ich taste Rasch wiederentste-hende Vegetation in einem abgestorbenen Waldgebiet mich vorsichtiger vorwärts, und das Auge nimmt das geringste Glühen im Boden wahr. Mir ist es einmal passiert, dass ich bei Tag extrem heisses Lavagestein überquerte. Als ich die Rückkehr antreten wollte, flössen an derselben Stelle grosse Mengen Lava aus und machten sie unpassierbar. Ich wartete den Einbruch der Dunkelheit ab und stellte fest, dass der ganze Boden auf einer riesigen Fläche glühte. Ich hatte mich auf einen aktiven Lavastrom begeben.

Nach einer halben Stunde habe ich das Skylight erreicht. Es ist über Nacht frisch entstanden und scheint sich noch zu vergrössern: Der junge Boden ächzt wie ein altes Haus. Ein Einsturz der Tunneldecke kann im Extremfall wie ein Rohrbruch wirken und den ganzen Abfluss lahmlegen. Die Lava staut sich dann zurück, quillt aus dem ver- 21 Kombination der beiden hier am meisten verbreiteten Lavatypen: Scharfkantige, brüchige A'a-Lava ( dunkle Partie in der Bildmitte ) wurde von der schnell und flächig sich ausbreitenden Pa-hoehoe-Lava umflossen.

stopften Tunnel heraus und muss sich einen neuen bauen.

Höllische Hitze schlägt mir entgegen. Ich zerknülle ein Objektiv-Reinigungspapier, lasse es vor meine Füsse fallen. Augenblicklich ist es vom Feuer verzehrt. Aus meinem Wanderstab züngeln Flammen. Die Schuhe verbreiten einen stechenden Geruch, und die Hose brennt mich dermassen, als dienten meine Beine als Bügelbrett. Auch meiner Leica mute ich Extremes zu. Die Kamera wird so heiss, dass sie sich nur noch mit Handschuhen oder über den Drahtauslöser bedienen lässt. Über dem Boden wabern Hitzewellen. Das Fotografieren ist unter solchen Bedingungen so schwierig, dass es ohne grossen Ausschuss gar nicht geht.

Von der Hitze gezeichnet Kurz nach Sonnenaufgang bin ich zurück in meinem Camp. In meinem Kopf hämmert und sticht es. Dass die Haare auf meinem Kopf angesengt sind, rieche ich. Im kleinen Taschenspiegel erkenne ich ein Gesicht, von dem ich enttäuscht bin, dass es mir gehört: Meine Haut brennt und ist krebsrot. Solchen Schaden vermag kein Sonnenbad anzurichten. Ich fühle mich scheusslich erschöpft und kraftlos. Bin ich Feuergöttin Pele zu nahe getreten?

Zum Glück bringt der Regen etwas Abkühlung. Das Vorzeit und der Poncho fangen das Nass auf. Vier Liter sind im Nu zusammen. Ich verkrieche mich im Zelt und trinke Tee, um den Flüssigkeitsverlust zu kompensieren.

Flüssiges Feuer Müdigkeit blockiert meine Glieder, ein Abstecher zum Lavapond kostet mich grosse Überwindung. Der Pegel im Lavasee ist zwar gesunken, der Abfluss aber noch nicht sichtbar. Dann geschieht Ungeheuerliches: Mir gegenüber kracht ein riesiges Stück Kraterwand in den Lavapond. Reflexartig ergreife ich die Flucht. Meterhohe Flutwellen bilden sich. Als sie an meiner Kraterseite aufschlagen, schwappt unter der silbernen Schutz-haut der Lava ein Feuervorhang weit über den Kraterrand hoch. Vor Schreck wie gelähmt, bemerke ich zunächst gar nicht, dass mein rechtes Bein stark blutet. In einen klei- nen Hohlraum bin ich eingebrochen und habe mir dabei das Knie aufgerissen. Schmerz fühle ich erst, als ich - zurück im Basis Camp - sehe, wie tief die Wunde klafft. Ich reinige sie mit dem Sackmesser und spüle sie mit abgekochtem Wasser aus. Übelkeit überkommt mich. Warum lässt Pele mich so leiden?

Ich disloziere in ein verwaistes Camp der Vulkanforscher, das auf dem höchsten Punkt des Kipuka steht. Mit kleinen Stoff-Wimpeln markiere ich den Pfad, damit ich mit meiner Taschenlampe auch nach Einbruch der Dunkelheit zurückfinde.

Ausflug ins Inferno Bei Dunkelheit, wenn der Qualm über dem Krater im Widerschein der Lava glüht, lässt sich die Situation im Lavapond verlässlicher interpretieren als tagsüber. Gegen Mitternacht sichte ich einen kleinen Lichtschweif. Er liegt exakt über der Stelle, wo ich den unterirdischen Abfluss vermute. Ich nehme an, dass die Strömung im Lavasee die oberflächlich erstarrte Lava vor der Fallkante in die

Der Lavapond speist jenes Labyrinth unterirdischer Kanäle, durch die das flüssige Basaltgestein, vor Abkühlung geschützt, das 12 Kilometer entfernte Küstengebiet von Kalapana erreicht. 200 Liegenschaften sind der Im Verlauf ihrer Abkühlung ( und damit auch ihrer Entgasung ) verliert die Lava stark an Volumen. Im Bild hat sich die Lavadecke grossflächig gesenkt, wobei sie durch die harte Basaltsäule eines aufgebrochen wurde.

Lava dieses Kraters in den letzten fünf Jahren zum Opfer gefallen. Die Behörden haben Kalapana zum Katastrophengebiet erklärt.

Die Erde lebt Am Abend stehe ich am Meer, am Endpunkt meiner ( tour d' évolutionerschöpft, am Ende mit meinen Kräften. Das Gestein unter meinen Fussen ist keine zwei Wochen alt. Die Lava zischt, das Meer faucht und dampft. Land entsteht vor meinen Augen. Eine Katastrophe? Ein ungerechtes Wort für ein Stück Weltgeburt.

Durch die Brandung werden die ins Meer geflossenen Lavaströme ständig wieder aufgebrochen und zerstört.

Blick auf die Erosionslandschaft des Waimea-Canyons auf der Insel Kauai. Diese nördlichste und älteste Insel des Ha-waii-Archipels hat sich im Lauf geologischer Zeiträume am weitesten vom Hot Spot und der damit verbundenen vulkanischen Aktivität entfernt.

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