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Hochgebirgsphotographie im 19. Jahrhundert

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Von Erich Stenger.

« Für den Reisenden, für den Naturforscher wird der Apparat des Herrn Daguerre zu einem fortwährenden und unerlässlichen Gebrauch dienen. Er wird ihnen erlauben, ihre Erinnerungen ohne Zuziehung fremder Hände zu fixieren. Jeder Autor wird in Zukunft den geographischen Teil seiner Werke auf diese Art zusammensetzen; indem er sich einige Augenblicke vor dem kompliziertesten Monument, vor der ausgebreitetsten Landschaft aufhält, wird er auf der Stelle ein wahrhaftes Faksimile erhalten. » So wurde bereits am 15. Juni 1839 in der Kammer der Deputierten in Paris vorausschauend berichtet, noch ehe die Allgemeinheit Kenntnis von den Einzelheiten des neuentdeckten photographischen Verfahrens hatte. Und als dieses bald darauf in seiner ganzen Ausführungsform überall bekanntgeworden war, da diente es zuerst zur Aufnahme von Gebäuden und Landschaften, und erst langsam entstand die Porträtphotographie.

Auch Arago hatte am 3. Juli 1839 in seinem grossen Bericht über Dα-guerres Erfindung auf den wissenschaftlichen Nutzen der auf Reisen erhaltenen Photographien hingewiesen: « Man begreift leicht, welche Hilfe die Erfindung des Herrn Dagliene den Reisenden wird gewähren können... Um die Millionen und aber Millionen Hieroglyphen zu kopieren, welche die grossen Monumente von Theben, Memphis, Karnak usw. sogar äusserlich bedecken, würde eine lange Reihe von Jahren und würden Legionen von Zeichnern erforderlich sein. Mittels des Daguerreotyps vermöchte ein einziger Mensch diese unendliche Arbeit zu gutem Ende zu führen... die photographischen Abbilder werden an Treue alle Werke der geschicktesten Maler übertreffen. » Der erste photographierende Reisende dürfte der Schlachtenmaler Horace Vernet ( 1789—1863 ) gewesen sein; denn er photographierte bereits im November 1839 gemeinsam mit dem Maler und Verleger Adolphe Goupil ( 1806 bis 1893 ) in Malta und Smyrna und lieferte im Jahre 1840 eine Aufnahme von Beyrut für das illustrierte Reisewerk « Excursions Daguerriennes », das neben andern auch Drucke von geätzten Daguerreotypplatten enthielt.

In der Frühzeit der Photographie war die Ausübung der Lichtbildnerei stets an die Dunkelkammer gebunden. Man kannte keine haltbaren, lichtempfindlichen Schichten, die man mitnehmen, an beliebiger Stelle und zu beliebiger Zeit belichten und erst nach der Rückkehr zu Hause entwickeln konnte. Wenn auch schon bald nach der Erfindung der Daguerreotypie die Belichtungszeiten auf ein fast erträgliches Mass gesunken waren, so war doch das Photographieren noch lange nicht leicht ausführbar. Auch die Einführung der Kollodiumemulsion um das Jahr 1850 änderte noch nichts an der Tatsache, dass alle photographischen Negativarbeiten ( mit Ausnahme weniger Versuche mit trockenen Schichten ) an die photographische Dunkelkammer gefesselt waren, in welcher man die lichtempfindliche Negativschicht unmittelbar vor der Aufnahme präparieren und unmittelbar nach der Aufnahme entwickeln und fixieren musste. Bei Atelieraufnahmen war diese Bedingung nicht schwer zu erfüllen. Aber wie erging es dem Photographen, der Landschaftsaufnahmen machen wollte, dem Reisenden, der die Photographie zu Studienzwecken auszuüben gedachte?

Die Daguerreotypisten wagten sich im allgemeinen noch nicht allzuweit aus ihrem Bau; wenn auch einzelne Daguerreotypien aus fremden Ländern sich erhalten haben, so setzte doch erst die Reisephotographie in grösserem Umfang ein, als man Kollodiumnegative herstellte. Blanquart-Evrard in Lille gab mit Hilfe der verbesserten Talbotypie, dem ersten Verfahren zur Erzeugung von Papierbildern, bereits im Jahre 1852 ein photographisch illustriertes Reisewerk über Ägypten, Nubien, Palästina und Syrien heraus.

Wer ausserhalb des Hauses arbeiten wollte, der musste eine Dunkelkammer irgendwelcher Bauart nebst ihrem gesamten, für die Negativherstel-lung notwendigen Inhalt mit sich führen. Im Juli 1868 zog Professor Dr. H. Krippendorf in Aarau mit einem Kinderwagengestell aus, auf welchem er ein flaches Deckbrett zur Aufnahme eines alle Utensilien bergenden Kastens befestigt hatte 1 ). Das Dunkelzelt stellte er her, indem er über die auf dem Stativ befestigte Kamera einen Mantel von dickem wollenen Zeug genügender Weite warf, der ringsum « wenigstens eine Elle » den Boden bedeckte. In diesem innerhalb der Stativbeine geschaffenen « überflüssig grossen Räume » erledigte er die Arbeiten an seinen lichtempfindlichen Schichten. Die bessere Ausführung eines zu photographischen Zwecken umgebauten Kinderwagens hatte ein Jahr vorher bereits C. Alfred Garret in West Chester, Pa ., angegeben ( Abb. 1 ). « Die Zeichnung stellt das Zelt offen und zum Gebrauch fertig dar 2 ). » Auch wie der Liebhaberphotograph jener Zeiten aussah, ist erfreulicherweise im Bilde erhalten geblieben; er hatte schwer zu tragen am Apparat, Stativ, Dunkelzelt und dessen vollständiger Ausrüstung. Man gab sich auch damals schon Mühe, alles nett, klein und handlich ineinanderzuschachteln, und man sieht den beigegebenen Bildern an, dass in der Rückentraglast des Lichtbildners recht viel enthalten war 1 ).

Abb. 2 zeigt den « Amateur » unterwegs, und Abb. 3 lässt erkennen, wie seine Rückenlast bei der photographischen Arbeit verwendet wurde. Diese Bilder stammen aus dem Jahre 1863.

Dass diese, heute kaum mehr vorstellbare Schwierigkeit sich ins Ausserordentliche steigerte, wenn es galt, Hochgebirgsaufnahmen grossen Formates zu machen, ist durch die Gelände- und Temperaturunterschiede leicht erklärbar. Der Zweck meiner Ausführungen ist, anhand zeitgenössischer Urteile und Schilderungen auf die bewundernswerten Leistungen der Photographen jener Zeit hinzuweisen, die es wagten, mit der Kamera das Hochgebirge anzugreifen.

Frühe Hinweise auf zielbewusste Gebirgsphotographie verdanken wir dem Franzosen Ernest Lacan 2 ), der im Jahre 1856 eine ausführliche Schilderung des photographischen Könnens jener Zeit gab; so berichtete er über photographierende Reisende in fernen Ländern und beschrieb auch das aufsehenerregende « Panorama des Mont Blanc », welches der französische Photograph Martens geschaffen hatte 3 ). Aus 14 Teilaufnahmen, die er am Fusse der Mont Blanc-Kette, in Flégère ( 1877 m ) gemacht hatte, setzte er das grosse Bild zusammen, dem man damals einen bleibenden Wert zusprach: « Nichts ist bewundernswerter und grossartiger als dieses Panorama. Kein Stein ist vergessen, kein Eisblock ist der sorgsamen Hand des Künstlers entschlüpft. Indem man diese gute Arbeit prüft, ist es unmöglich, zu verkennen, dass die Photographie allein die Mittel geben konnte, eine solches Ergebnis zu erhalten. » In jener Zeit, etwa um das Jahr 1854, hatte der Franzose Baldus ein Panorama von 130 Zentimeter Länge des Mont Dore hergestellt, des höchsten Teils des französischen Zentralmassivs 4 ); dieses Panorama wird das « Meisterstück derartiger Photographie » genannt.

Nach Äusserungen, die auf Hermann Krone, den bekannten und verdienstvollen Dresdener Lichtbildner, zurückgehen, arbeitete der Genannte im Jahre 1857 in den Felsgebieten der Sächsischen Schweiz und stellte Aufnahmen in der Grösse von 32 x 40 cm her 5 ).

Ein für jene frühe Zeit wirklich grosszügiges Unternehmen, dem der wohldurchdachte Plan der Photographierung der ganzen europäischen Zentralalpen zu wissenschaftlichen Zwecken zugrunde lag, setzte im Jahre 1859 ein.

Aimé Civiale, der bereits in den Jahren 1857 und 1858 in den Pyrenäen Vorversuche angestellt hatte 1 ), schilderte in einem Bericht 2 ) an die Pariser Akademie der Wissenschaften im Frühjahr 1860 unter Vorlage eines Bilder-albums die Ergebnisse seiner photographischen Exkursionen in das Berner Oberland aus dem Jahre 1859. Er bediente sich einer tragbaren Kamera grosser Festigkeit und eines Objektivs mit einer Brennweite von 72 cm ( später 55 cm ), die erzeugten Bilder waren bis zu 27x37 cm gross. Er erzeugte Papiernegative bei einer Belichtungszeit von 17—19 Minuten im Juli und August. Seine Kamera war um ihre Achse drehbar eingerichtet, so dass Civiale auch Panoramen herstellen konnte. Den Ort seiner Aufnahmen bestimmte er genau nach Lage und Höhe, um die Bilder der Wissenschaft dienstbar machen zu können. Civiale legte Panoramen vor, die er vom Faulhorn ( 2684 m ), Siedelhorn ( 2768 m ), von Grindelwald und der Wengernalp ( 1877 ) aus aufgenommen hatte; auch viele Einzelbilder von Grindelwald, Grimselstrasse, Handeckfällen und dem Rhonegletscher hatte er gemacht, Aufnahmen von gut zugänglichen Punkten aus. Ein Jahr später legte der gleiche Photograph drei Panoramen aus dem Mont Blanc-Gebiet vor, die in Flöhen 1908, 1950 und 2130 m aufgenommen und aus je 6—10 Einzelaufnahmen zusammengesetzt waren. Im folgenden Jahre sandte Civiale seine photographischen Ergebnisse aus dem Sommer 1861 an die Akademie; neben zahlreichen Einzelbildern enthielt die Sammlung vier Panoramen aus dem Mont Blanc- und Monte Rosa-Gebiet, von welchen das eine aus 12 Einzelaufnahmen bestand, zwei der Rundbilder waren in einer Höhe von 2707 m, die beiden anderen in einer solchen von 2962 bzw. 3136 m gewonnen worden. Wiederum ein Jahr später wurden der Akademie weitere Hochgebirgsaufnahmen vorgelegt, die Civiale zur « Erweiterung der Kenntnisse über die Geologie und physikalische Geographie der Alpen » angefertigt hatte. Wir können uns über diese und die in der Folgezeit vorgelegten Bilder kurz fassen, denn inzwischen wurde Civiale in seinen Leistungen als photographierender Hochturist weit übertroffen. Der höchste, beim Photographieren im Jahre 1862 von Civiale erreichte Standpunkt war der Gipfel des Eggishorns mit 2941 m; zehn Aufnahmen bildeten aneinandergereiht ein Panorama von 267 Grad; ein anderes des gleichen Jahres gab mit 14 Bildern einen lückenlosen Rundblick wieder. Im Jahre 1863 waren vier grosse Panoramen entstanden, die den ganzen Horizont umfassten; der höchste Gipfel, auf welchem damals der photographische Apparat aufgestellt wurde, war der Piz Languard im Engadin mit einer Höhe von 3266 m; das war die grösste, von dem Photographen Civiale erreichte Höhe. Im Jahre 1864 stellte er in Tirol und in den Salzburger Bergen drei grosse Panoramen her; die höchste erreichte Höhe war 2663 m. Das folgende Jahr brachte als 7. Reihe fünf Panoramen der Schweiz, darunter ein Rundbild aus 2936 m Höhe. Das photographische Werk des A. Civiale fand in einem von mehreren Akademiemitgliedern erstatteten ausführlichen Berichte besondere Anerkennung und Dank « für den wissenschaftlichen Geist, welcher den Autor so sicher und unentwegt geleitet hat ».

In den folgenden Jahren 1 ) legte Civiale der Akademie die Ergebnisse seiner 8., 9. und 10. Sommerarbeiten vor, im ganzen neun grosse und drei kleine Panoramen. Er schloss seinen letzten Bericht mit dem Hinweis, dass seine Arbeit 10 Jahre lang ( 1859—1868 ) ohne Unterbrechung gedauert und der geographischen Physik und Geologie gegolten habe. In dieser Zeit waren 41 Panoramen entstanden; eine kritische Würdigung der geleisteten wissenschaftlichen Arbeit findet sich nochmals wesentlich später an der gleichen Stelle der Einzelveröffentlichungen 2 ), nachdem Civiale in seinem Buche seine Erfahrungen und Ergebnisse zusammengestellt hatte 3 ).

Aufnahmen besonderer Art, wie grossformatige Hochgebirgsaufnahmen, stellten die grössten Anforderungen an die Apparatur. Trotzdem Civiale Umfang und Gewicht seiner photographischen Ausrüstung möglichst beschränkte und die Apparate selbst den Arbeitsbedingungen anpasste und in einfachster Form vielseitig verwendbar machte, konnte er das Gesamtgewicht nicht unter 250 kg bringen, zu deren Beförderung 25 Menschen oder Maultiere nötig waren 4 ). Civiale, der Mitglied der Pariser photographischen Gesellschaft war, machte in der Märzsitzung des Jahres 1866 Mitteilung über sein zu den Gebirgspanoramen 5 ) als Negativmaterial verwendetes kollo-dioniertes Wachspapier; das mit einer Mischung aus vier Teilen Paraffin und einem Teil Jungfernwachs überzogene Papier jodierte er durch zweistündiges Eintauchen in 5 1/2 prozentige alkoholische Jodkaliumlösung. Nach dem Trocknen wurde das Papier entwachst, mit den vier Ecken auf eine Glasplatte geklebt und die Ränder mit Gelatine bestrichen, damit das Kollo-dium besser haftete. Nach dem Aufgiessen des Jodkollodions wurde das Blatt in 8prozentiges Silberbad getaucht, viermal gewaschen und nach dem Trocknen belichtet. Dem halbprozentigen Gallussäureentwickler setzte man ein wenig Silbernitrat zu. Nach dem Hervorrufen wurde gewaschen, in unter-schwefligsaurem Natron fixiert, gewaschen, getrocknet und erneut gewachst. Die Paraffinwachsbehandlung verdoppelte angeblich die Empfindlichkeit der Schicht.

Die persönlichen Leistungen Civiales wurden durch den französischen Photographen August Bisson weit übertroffen, der wohl als erster es unternahm, in der Eiswelt der Hochalpen photographische Aufnahmen zu machen. Er war der jüngere von zwei Brüdern, die ein angesehenes Atelier in Paris führten 6 ), und hatte bereits im Jahre 1860 den Versuch gemacht, den Mont Blanc photographisch zu bezwingen; schlechtes Wetter zwang ihn damals, an den Grands Mulets umzukehren 1 ); im folgenden Jahre gelang ihm der Versuch, den wir nach einer zeitgenössischen Schilderung 2 ) hier der Vergessenheit entreissen wollen. In Bisson haben wir wohl den ersten photographierenden Hochturisten zu sehen, dessen Leistungen um so höher einzuschätzen sind, als damals die eigentliche Alpinistik noch in der ersten Entwicklung stand. Die Schilderung lautet:

« Photographie auf dem Mont Blanc.

Am Morgen des 22. Juli 1861 kam Herr Bisson zu Chamouny am Fusse des Mont Blanc an. Da das Wetter günstig schien, wurde die Ersteigung beschlossen. Die ganze Menge von Reisenden, welche dieser Sommer nach Chamouny gezogen hatte, samt den biederen Bewohnern dieses Dörfchens, welche nur sechs Monate im Jahre zu leben scheinen, versammelten sich, als der unerschrockene Photograph mit seinem Führer August Balmat, dem würdigen Nachkommen dessen, der den ersten Fuss auf den Gipfel des Mont Blanc gesetzt, und mit fünfundzwanzig Trägern, welche die Kameras, Platten, Chemikalien usw. abwechselnd tragen mussten, abreiste. Dann folgte das Abschiednehmen, das Händeschütteln, die Warnungen und Vorsichts-anratungen, das Erfolgwünschen usw., und im Augenblicke der Abreise wurde ein Kanonensalutschuss abgefeuert. Das Echo flog von Gipfel zu Gipfel, der Ton wurde schwächer und schwächer, bis er sich in der Entfernung verlor, als wollte er die Reisenden vor der Länge ihrer Reise warnen und ihren Mut anfeuern.

Abends 9 Uhr kam man an den Grands Mulets, der ersten Station, an, von wo aus Herr Bisson früher nicht hatte weiter vordringen können, An dieser Stelle wurde ein bengalisches Feuer als Signal angezündet, dem man von Chamouny aus durch Salven einer Miniaturartillerie antwortete.

Nachdem die Reisenden einige Stunden Ruhe gesucht hatten, wurden sie durch das Geräusch des Windes aufgeweckt, der tüchtig umherblies. Balmat wurde hierdurch aus der Fassung gebracht und riet, die weitere Ersteigung noch zu verschieben. Nach Verlauf von einem Paar Stunden liess der WTind indessen nach, das Wetter klärte sich auf, und man beschloss, vorzurücken. Einander an den Händen haltend, wurde die Reise fortgesetzt.

Um 6 Uhr des Morgens erreichten sie das grosse Plateau. Das Wetter war ganz ausgezeichnet, so dass Herr Bisson schon daran dachte, von der klaren Atmosphäre Nutzen zu ziehen und einige Ansichten von den seltsamen grossartigen Umgebungen aufzunehmen, aber die Furcht, eine so vorteilhafte Gelegenheit zur Erreichung des Gipfels zu verlieren, von dem sie noch sechs Stunden entfernt waren, half ihm, der Versuchung zu widerstehen, und so erreichten sie denn bald die Petits Mulets.

Aber die mutige kleine Gesellschaft war kaum auf dieser Spitze angelangt, als sie ein furchtbarer Windstoss überfiel, der bald in einen Sturm ausartete, und eine Schneewolke hüllte die Gesellschaft in Dunkelheit, so dass sie nur mit Mühe eine sichere Stelle finden konnte.

Während Schlaf, der, wie man weiss, in diesen hohen Regionen tödlich ist, alle übrigen überkam, ersuchte Herr Bisson den Führer Balmat, das Zelt an dieser Stelle aufzuschlagen. Der Führer sah ihn mit unverhehltem Erstaunen an und rief aus: « Wünschen Sie Chamouny je wieder zu sehen? Wir haben gerade nur Zeit, mit Gottes Hilfe die Grands Mulets wieder zu erreichen, bald werden die Lawinen herunterkommen, und dieser Ort ist dann nicht mehr sicher. » Ihren Weg forttappend, denn man konnte keine zehn Schritt vor sich sehen, versuchte die Gesellschaft, ihre Fusstritte wieder zu finden, und aneinander geklammert stiegen sie einen Abhang von 45° hinunter. Etwas rascher als sie wünschten oder angenehm fanden, glitten sie dahin und kamen dann bald wieder an dem Punkte an, von wo sie des Morgens fortgezogen waren.

Die Lawinen begannen von allen Seiten mit schrecklichem Lärm herabzustürzen. Von den Leuten fehlte beim Aufrufen keiner; aber zwei Männer waren fast blind, drei andere konnten nicht mehr aushalten; Bisson und selbst Balmat hatten starkes Kopfweh. Nichtsdestoweniger wollten sie ihren festen Entschluss nicht aufgeben, sondern beschlossen, besseres Wetter zu erwarten; glücklicherweise brauchten sie nicht sehr lange darauf zu harren.

Als der Wind nachliess, wurde eine Beratschlagung gehalten und beschlossen, die Unfähigen nach Chamouny zurückzusenden und eine Verstärkung von sieben Mann kommen zu lassen. Dafür mussten die Zurückgebliebenen einen langen Halt an den Grands Mulets machen. Abends um 9 Uhr hörte man singende Stimmen; es war die Verstärkung aus Chamouny, die voller Lust und Mut sich näherte. Ihre Ankunft wurde mit Freude begrüsst. Der Abend wurde munter verbracht, und die gute Stimmung der ganzen Gesellschaft wieder angefacht. Um Mitternacht begann der Himmel sich aufzuklären und wurde durch die Strahlen des Vollmondes beleuchtet. Man gab das Signal zum Aufbruch. Morgens um 7 Uhr langte man wieder an den Petits Mulets an; um 8 war der Gipfel erstiegen. Sie wurden von Chamouny aus gesehen, denn sie hörten selbst in der Höhe die Echos ihrer Kanonen.

Aber es war noch nicht an der Zeit, Viktoria zu rufen, denn Herr Bisson hatte seine Schlacht noch nicht erfochten. Seine schwierigste Aufgabe war erst zu beginnen: es ist gewiss kein Kinderspiel, 16,000 Fuss über dem Meeresspiegel zu photographieren. Es war vorerst nötig, ein Zelt aufzuschlagen, in welchem die Platten präpariert werden müssen, ohne dass der Operateur vor Kälte oder Aufregung zittern durfte. Jetzt war die Schlafsucht allgemein geworden; alle anderen unterlagen, nur Balmat und selbst Bisson, trotz seiner zarten Konstitution, widerstanden ihr, packten die Bagage aus und stellten die Apparate auf. Das Zelt wurde aufgeschlagen, die Kamera auf das Stativ gesetzt, die Platte übergossen, empfindlich gemacht, belichtet und die Ansicht aufgenommen. Welche Ansicht! Was für ein Panorama! Als das Bild hervorgerufen war, war kein Wasser zur Hand, um es abzuspülen; man hatte darauf gerechnet, Schnee durch die Lampenwärme zu schmelzen; aber in dieser Atmosphäre brannten die Lampen nur mit sehr kleinen Flammen. Mitten in seiner Verzweiflung dachte der Photograph unwillkürlich an den Ausruf des Veteranen aus dem russischen Feldzuge: „ Das Feuer friert !" Ein Mann wurde an die Lampen gestellt, um sie am Brennen zu halten; er fiel in Schlaf. Er wurde durch einen anderen ersetzt, dem es ebenso erging. Endlich gelang es Herrn Bisson selbst, genug von diesem kostbaren Element zu bekommen. Er eilte nach seinem Zelt, in dessen Tür nur noch Balmat stand, und vollendete sein Negativ. Nun hätte er können Viktoria rufen. Aber nein. Nach einer Ruhe von zwei Stunden begann er seine Operationen von neuem, er wollte nicht ohne drei Bilder zurückkehren; es gelang ihm auch, sie zu erhalten: zwei waren gut, eins ziemlich gut.

Die Bagage wurde nun wieder zusammengepackt, die Schläfer erwachten nach einem tüchtigen Schütteln, und die Herabsteigung zu den Grands Mulets begann. Alle eilten nach Chamouny zurück. Als sie herabkamen, fanden sie das Dorf illuminiert, Feuerwerk wurde abgebrannt, jedermann erschien über-froh und glücklich, doch keiner mehr als Herr Bisson. » Die köstliche Schilderung der Expedition Bisson entspricht völlig der allgemeinen Einstellung jener Zeit und vermittelt uns einen Einblick in die längst vergessenen photographischen Schwierigkeiten und Mühen unserer Grossväter. Auf dem Rückwege wurden noch einige Aufnahmen gemacht, von welchen ich diejenige der Aiguille du Dru und der Aiguille Verte im Bilde ( Abb. 4 ) zeigen kann 1 ), wobei ich auf die Aufnahmegrösse von etwa 44 X 54 cm hinweisen möchte.

Zu den grossen Schwierigkeiten, als es galt, auf dem Mont Blanc-Gipfel die Negative fertigzustellen, gehörte die Beschaffung von Wasser. Bisson schmolz Schnee an einer kleinen Lampe. Auch spätere Reisende litten unter dieser Schwierigkeit; so riet Dr. T. Richard noch im Jahre 1878, dem Wassermangel im Hochgebirge durch Mittragen eines Stückes Eis abzuhelfen: « Wenn wir stundenweit herum keinen Tropfen Wasser antreffen können, wie sollen wir dann laborieren 2 ) ?"

Der Ruhm Bissons zeitigte bald ein ähnliches Unternehmen in den österreichischen Alpen 3 ). Mehrere Wissenschaftler und Mitglieder des österreichischen Alpenvereins, unter ihnen H. P. Grohmann als Veranlasser, stellten die Bedingungen zu einer photographischen Grossglocknerexpedition fest, die am 2. Juli 1863 Wien verliess. Der Photograph Jägermaier 4 ) hatte den Plan zu dieser Expedition ausgearbeitet als technischer Leiter und dem Landschaftsmaler Adolf Obermüllner, einem erprobten Berg- und Gletscherwanderer, die künstlerische Führung und die Auswahl der Aufnahmepunkte übertragen. Es galt, die Tauernkette und insbesondere die Grossglockner-gruppe photographisch zu erschliessen. Folgen wir der alten Schilderung 1 ):

« Schon am 4. Juli 1863 begannen in Wildbad Gastein die Arbeiten. Nachdem die beabsichtigten Aufnahmen gelungen waren, brach die kleine Karawane in militärischer Gliederung nach den höchsten Bergplateaus auf.

Der artistische Leiter bildete mit einem Führer die Avantgarde und hatte nebst der Bestimmung der Aufnahmepunkte noch die Verpflegung und Unterbringung der Kolonne zu besorgen; als Nachhut blieben einige Platten-putzer in Gastein zurück, welche die Nachschickung der nötigen Chemikalien und Utensilien zu besorgen hatten. Hart an den Gletschern des Goldberges und des Sonnenblicks, 7626 Fuss über dem Meere, waren bis zum 22. Juli die lohnendsten Punkte aufgenommen.

Alle die bisher vollführten Aufnahmen müssen jedoch nur als die Einleitung zu dem eigentlichen Brennpunkte des ganzen Unternehmens, der Aufnahme der Glocknergruppe, angesehen werden. An dem vorgenannten Tage wurde zu diesem Ende der Übergang über die Pfandelscharte bewerkstelligt, und nach elfstündiger Wanderung das neue Hauptquartier, Heiligenblut, erreicht. So wie in Wildbad Gastein wurde auch hier nur kurze Rast genommen, die Präparate aus den Vorräten ergänzt und die nötigen Verabredungen wegen der Verproviantierung der Expedition getroffen. Schon am nächsten Morgen war die Kolonne wieder auf dem Wege; um Mittag war die Johanneshütte am Fusse des Pasterze erreicht. Am 2. August waren hier die Aufnahmen vollendet, und die Expedition verliess die Hütte, um sich in Heiligenblut zu der grossen Schlussarbeit, zur Aufnahme des Glockners selbst, zu rüsten. Am Morgen des 3. wurde mit der Verpackung der Utensilien begonnen, und gegen 11 Uhr vormittags zogen zwölf Träger mit hochbepackten Kraxen zur Leiterhütte voraus. Um 4 Uhr nachmittags folgte das Gros der Expedition nach, diesmal um fünf Glocknerführer und den Pfarrer von Heiligenblut vermehrt. Die Leiterhütte war von den Glocknerführern zum Nachtquartier erwählt worden. Der Abend wurde zur Verteilung und Verringerung des Gepäcks verwendet, sodann wurde zu kurzer Rast das Heulager aufgesucht, aber schon nach zwei Stunden weckte der Leiter der Glocknerbesteigung alle Reisenden zum Aufbruch. Eine Tasse heissen, schwarzen Kaffees ermunterte die Bergsteiger bald vollends, und um 11 Uhr nachts war alles marschbereit. Malerisch nahm sich der lange Zug im Mond-und Fackellicht aus, der, zweiundzwanzig Köpfe stark, dem Bergriesen Österreichs naherückte. An den Moränen des Leitergletschers wurde kurz Rast gehalten, und da hier das letzte Wasser zu finden, füllte man damit die Vorratsfässchen für die photographischen Zwecke. Der lang ansteigende Leitergletscher war gut zu begehen; binnen einer Stunde war in dem rasch heller werdenden Zwielicht die Scharte erstiegen.

Um 6 Uhr morgens war der ganze Train an der Adlersruhe ( 3464 m ) angelangt, wo der letzte Punkt erreicht war, an welchem die Aufstellung der Apparate möglich ist. Der wundervolle Morgen hielt alle in fröhlichster Stimmung, welche nur durch den eisigkalten Wind einigermassen beeinträchtigt wurde, der sich hier, in der Höhe von 11,000 Fuss, so empfindlich bemerkbar machte, dass noch um 7 1/2 Uhr morgens die präparierte Platte Herrn Jägermaier in der Hand gefror. Hier, auf der Adlersruhe, richtete sich das Hauptkorps der Photographen ein, der Maler, Herr Obermüllner, aber mit den Glocknerführern und acht entbehrlichen Trägern rüstete sich zur Besteigung der Spitze, um bei der Aufnahme des Glockners durch ihren Zug die Grössenverhältnisse genau vor Augen zu führen, und wirklich lässt sich in der Aufnahme, trotz der winzigen Verhältnisse der Figuren, der Führer Tausch Jörg an der mächtigen hohen Gestalt erkennen.

Die Manipalationen der auf der Adlersruhe Zurückgebliebenen konnten von der höchsten Spitze gut verfolgt werden. Die Aufnahmen gingen vortrefflich von statten, und schon gegen 10 Uhr morgens war Herr Obermüllner mit seinem Gefolge wieder bei den Apparaten auf der Adlersruhe angelangt. Um 1 Uhr nachmittags wurde der Rückweg angetreten und glücklich ausgeführt, so dass die Expedition um 8 Uhr abends wohlbehalten in Heiligenblut einrückte, woselbst sie mit Böllerschüssen und allem Festgepränge, wie es zu Ehren der Glocknersteiger üblich ist, empfangen wurde.

Diese Besteigung war für die mit den Apparaten beschäftigten Photographen unbeschreiblich anstrengend, wurde dafür aber von beinahe vollständigem Erfolge gekrönt. Somit war die mühevollste aller von der Expedition beabsichtigten Turen glücklich bestanden und die reichste Ausbeute der Motive gewonnen, von der Talidylle bis zum Eiskamm des Grossglockners.

Frühmorgens am 7. August nahm die kleine Karawane von Heiligenblut Abschied ( und es folgten dann noch Aufnahmen des Grossvenedigers ); mit dem Einzug in Kriml war der Zweck des Unternehmens, die Aufnahme der Tauernkette, erreicht. Die Apparate samt der Ausbeute der Platten wurden nach Wien geschafft.

Das Ergebnis der photographischen Gletscherfahrt ist ein höchst befriedigendes. Wer die Schwierigkeiten erwägt, welche sich solch einem Unternehmen entgegenstellen, wer einen Massstab dafür hat, was es heisst, die Ausführung aus Privatmitteln zu bestreiten, wer ferner die vielen Hindernisse in Betracht zieht, welche die Maschine dem künstlerisch gewählten Standpunkt entgegensetzt, wird gewiss dies vaterländische, in sich fest geschlossene Werk teilnahmsvoll beurteilen und den Leistungen unserer Photographen vollste Gerechtigkeit werden lassen. » Soviel von dem Bericht aus dem Jahre 1863, der noch durch die Angaben zu ergänzen ist, dass das mitgeführte « Laboratorium » eine Fläche von 4x5 Fuss bedeckte, mit Wachsleinwand überzogen war und 45 Pfund wog, natürlich ohne Inneneinrichtung. « Der Photograph steht mit dem Oberkörper im Innern des Laboratoriums mittels einer im Boden desselben angebrachten runden Öffnung, die jedoch durch einen Sack lichtdicht an seinem Leib angeschlossen wird 1 ). » Die Zahl der gewonnenen Alpenansichten betrug 84 Stück, sämtlich in einer Bildgrösse von 14x17 Zoll.

Unwillkürlich erinnert die Schilderung jener photographischen Schwierigkeiten aus einer für uns schon weit zurückliegenden Zeit an die in den letzten Jahren unternommene Bezwingung des Mount Everest, bei welcher alle Phasen des Ansturms photographisch festgehalten worden sind. Und auch dieser höchste Erdenriese ist schon vor 66 Jahren photographisch angegriffen worden. In der Sitzung der photographischen Gesellschaft in Wien 1 ) am 2. Juni 1863 wurde mitgeteilt, « dass der berühmte Reisende Schlagintweit gegenwärtig nebst andern auch photographische Studien am Himalaya mache, und dass hiermit ein bedeutender Fortschritt in der photographischen Erdbeschreibung getan sei 2 ) ». Dass Schlagintweit wirklich Aufnahmen mitgebracht hat, die in Vergleich zu setzen wären mit denjenigen vom Mont Blanc und Grossglockner, erscheint mir unwahrscheinlich, auch aus dem Grunde, weil viel später, am 10. November 1886, eine Expedition auszog, « den Mount Everest, den höchsten Berg der Welt, zu photographieren ». Theodor Hoffmann berichtet über diese Reise nach Phalut, von wo aus man einen guten Blick auf den Bergriesen hatte 3 ). Er schreibt:

« Phalut liegt 3640 Meter über dem Meeresspiegel. Wir fanden, dass die geeignetste Zeit zum Photographieren des Everest diejenige kurz nach Sonnenaufgang ist, weil etwas später die breiten Schatten auf dem höhern Gipfel verschwinden und dann alles eine weisse Masse bildet. Wir waren also am andern Morgen lange vor Sonnenaufgang fertig, und, nachdem wir einen günstigen Platz hinsichtlich des Vordergrundes gewählt hatten, warteten wir, bis die Königin des Tages sich erhob und allmählich die Schneegipfel erleuchtete. Wir belichteten ungefähr acht Platten verschiedener Herkunft. Die Exposition betrug ein bis zwei Sekunden. Als Objektiv wurde ein einfaches Landschaftsobjektiv für das Format 31x27 cm benutzt, welches lange Brennweite besass und grosse Tiefen lieferte. Kurz nach unserer Rückkunft nach Dardschiling entwickelten wir die Platten und fanden, dass die besten Resultate mit orthochromatischen Platten erzielt worden waren. Die photographische Aufnahme des Everest, welche wir gefertigt haben, ist die einzige, welche existiert. » Diese ersten Everestaufnahmen waren bereits auf Trockenplatten hergestellt, wodurch die rein photographischen Schwierigkeiten dieser Expedition des Jahres 1886 auf ein kleines Mass gebracht worden waren. In jener Zeit finden sich auch noch andere, eingehende Beschreibungen photographischer Gebirgsexpeditionen; so schilderte z.B. der Reiseschriftsteller Richard Issler seine photographische Reise in Tiroler Überschwemmungs-gebiete zur Spätherbst- und Winterszeit des Jahres 1882. Auch hier wurde bereits mit Trockenplatten gearbeitet, und dennoch waren die durch die Örtlichkeit und Jahreszeit verursachten Schwierigkeiten sehr gross 4 ).

Es ist ein weiter Schritt von jenen primitiven Anfängen der Lichtbildkunst bis zur Gegenwart, weniger gross in der zeitlichen Spanne — denn die Photographie ist eine neuzeitliche Erfindungals in seiner technischen Auswirkung, in den Verbesserungen und in den Anwendungsmöglichkeiten der Photographie. Wer heute die Wunder des Hochgebirges in einem Sport-film gesehen, der kann sich kaum mehr zurückdenken in all die Schwierigkeiten, die zu meistern waren, als es galt, die ersten Hochgebirgsphotographien der Natur und der damals so spröden Lichtbildnerei abzuringen.

Anmerkung: Unsere photographierenden Leser seien nachdrücklich auf die prächtig illustrierte Monatschrift « Camera » ( Verlag C. J. Bucher in Luzern ) hingewiesen. Deren Redaktion ist uns für obenstehenden Beitrag sehr behilflich gewesen.

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