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Höhlenstock-Westgrat

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Erste Begehung.

Von Offo Gerecht

SzZrf.Zürich ).

Der Höhlenstock, 2908 m ü. M., im Windgällenmassiv war bis jetzt noch einer der wenigen Berge, die nur einen Aufstieg auf ihren Gipfel haben ( Varianten ausgeschlossen ). Wohl war es Felix Tarin und Otto Künzel im August 1935 gelungen, den Höhlenstock Westgrat im Abstieg durch wiederholtes Abseilen zu überwinden. Doch einen Aufstieg über diesen stotzigen Grat hielt Felix Tarin 1 ), seinerzeit einer der besten Kenner des Windgällen-gebietes, für unmöglich ( siehe « Die Alpen » Juli 1937 ). Im Jahre 1938 schaute ich mir den Grat von der Höhlenlücke aus näher an und gewann den Eindruck, dass der Aufschwung doch erkletterbar sein sollte. Aber erst 1941 hatte ich wieder Zeit und Gelegenheit, mich mit diesem Problem zu befassen.

Zum zweitenmal innerhalb 10 Tagen streben wir am 26. Juli 1941 in zügigem Tempo der Windgällenhütte zu. Trotz unserer schweren Rucksäcke, die die nötigen Utensilien für eine schwere Felsfahrt enthalten, sind wir vom Bahnhof Amsteg aus in 2 Stunden 55 Minuten in der Hütte. Wir haben scheinbar auch diesmal kein Glück mit dem Wetter, es ist genau gleich wie vor acht Tagen; ein Gewitter jagt das andere, die schlussendlich in einen Landregen ausarten. Typisch für diesen Sommer! Wir hoffen nun auf eine Föhnaufheiterung und gehen beizeiten schlafen. Vater Epp, der Hüttenwart, soll uns um 3.30 Uhr wecken. Er hält es aber in seiner Fürsorge bei dem dichten Nebel erst um 4.30 Uhr für nötig. Als wir kurz nach 5 Uhr in den Bergmorgen hinaustreten, lagert über dem Maderanertal eine dicke Nebeldecke, darüber hinaus ist es aber klar. Der Föhn hat aufgeräumt. Wie lange wird er jedoch Meister bleiben? Einige Partien, die auf die Grosse Windgälle wollen, sind schon fort. Wir bummeln gemächlich ihren Spuren nach, sind trotz der Aufheiterung immer noch Skeptiker, denn für unser Unternehmen brauchen wir, soll es gelingen, trockenen Fels.

Auf dem Stäfelgletscher, in der Höhe des tiefen Einschnittes zwischen Höhlenstock und Stäfelstock, von Felix Tarin die Höhlenlücke getauft, verlassen wir die Spur der Windgällenbesteiger und halten gegen die Felsen des Stäfelstocks zu. Nach Überwinden des Bergschrundes lassen wir einen Rucksack mit den Bergschuhen in einer Nische am Fusse des Stäfelstocks und queren über Bänder bis auf den letzten Ausläufer des Stäfelstock-Ostgrates. Wir müssen uns zuerst an den schlechten, verwitterten Fels gewöhnen und schleichen vorsichtig über den nassen Fels. Ein Bild grossartiger Wildheit überrascht uns auf dem Grat. Einladend sieht es zwar nicht aus, regenschwer hängen die Wolken in der Nordwand und schlecken an den Bergflanken empor, doch es ist Leben darin, und hin und wieder gibt es ein Loch im wogenden Meer. Durch diese Lücken sehen wir 1500 Meter unter uns die Hütten der Brunnialp wie « Zündholzdruckli ».

25 Meter über der Höhlenlücke sitzen wir lange Zeit und schauen dem für uns allerdings nicht gerade ermunternden Schauspiel der Wolken zu. Es wird kalt, und die Zeit drängt zur Entscheidung. Wir wollen es trotz der nasskalten Felsen versuchen und seilen in die Höhlenlücke hinunter.

Mit nicht allzu grosser Begeisterung beginne ich um 9 Uhr an der senkrechten Kante emporzuklettern. Die Glieder sind steif, die Finger klamm, sie vermögen noch nicht die Lust am Klettern zu empfinden oder sogar den Kontakt zwischen Mensch und Fels zu schaffen, der zum Glücklichsein, zum vollständigen Aufgehen in der freiwillig gestellten Aufgabe führt. Doch der Appetit kommt, in diesem Falle mit dem Klettern. Schon die erste schwere Stelle, ein wahrer Leckerbissen für Adhäsionskletterer. Es ist das, was wir brauchen, der Trieb nach oben, ohne den jede schwere Kletterstelle ein Krampf wäre.

Mein Kamerad E. Meier, genannt Emeil, steht immer noch in der Höhlenlücke und bedient schlotternd unser Doppelseil. Am ersten Haken, der noch von unserem Versuch vor acht Tagen stammt, lasse ich ihn nachkommen. Jetzt kommt Bewegung in unsere Seilschaft. Emeil erhält Arbeit, denn hier beginnt der sechste Grad, d.h. es schaffen beide, wie mein Kamerad den sechsten Grad so treffend charakterisiert.

Unsere erste Aufgabe besteht darin, ein schmales, abschüssiges Band ca. 15 Meter über unsern Köpfen zu erreichen. Dazwischen sind vollständig senkrechte, glatte Platten mit Neigung zum Überhang.

Die Ausdrücke wie « vollständig glatt », « griff- und trittlos » oder « ohne Griff und Tritt » usw., denen man öfters in der alpinen Literatur begegnet, werden vielfach als Übertreibung bezeichnet. Denn logisch gedacht, irgend etwas, und sei es noch so klein, muss da sein, um dem Menschen Halt zu geben. Nur braucht der eine Bergsteiger grössere, bessere und näher beieinanderliegende Halte und Stützpunkte als zum Beispiel ein Kletterer des fünften und sechsten Grades, dem die winzigsten Unebenheiten genügen, um emporzuklimmen. Mit solchen und ähnlichen Superlativen möchte ich möglichst sparsam umgehen, und doch werde ich mich ohne sie nicht richtig ausdrücken können, d.h. ich würde der Tour nicht gerecht werden.

Emeil sichert, ich schleiche wie ein Dieb in der Nacht, die spärlichen Rauheiten im Fels ausnützend, einige Meter nach links, um einen wenige Millimeter breiten Riss zu erreichen. Es braucht einen Gleichgewichtskünstler, um hinüber zu kommen. Überhaupt sollte jeder gute Kletterer zuerst ein Beherrscher des Gleichgewichtes sein und erst dann sich auf seine Muskelkraft verlassen wollen. Ein, zwei Haken fahren misstönig, mit hohlem Klang in den Fels. Der Riss ist flach, meiner Sicherung darf ich nicht zuviel zutrauen. Mein ganzes Körpergewicht ruht jetzt nur auf der vordersten Zehen-partie meines linken Fusses. Die Stellung verstösst gegen die elementarsten Kletterregeln der drei Halte oder Stützpunkte. Das Bein beginnt leicht zu beben, ich muss es entlasten, um der « Nähmaschine » vorzubeugen, und beginne mich vorsichtig schräg nach rechts oben zu schieben. Das Umgehungsmanöver gelingt. Mit allen Kniffen habe ich das Ende der kaum wahrnehmbaren Leiste erreicht. Flach sind die Hände gegen den glatten Fels gepresst. Es ist überhängend, und zu meiner « Freude » zieht das Doppelseil mächtig nach unten. Mit den Zähnen und einer Hand wehre ich mich gegen diese Lockung der Tiefe.

Weiter oben kann ich einen guten Sicherungshaken placieren und Emeil nachnehmen. Unterwegs hat er die unbeliebte, aber doch für uns nötige Aufgabe, die Demontage des Zickzackweges zu erledigen. Von nun an wird der Fels griffiger, aber auch weniger solid, und ich muss wie auf Eiern empor-tanzen, um meinem Kameraden keinen harten Gruss zu schicken.

Kurz nach 10 Uhr glaubten wir das Schwierigste hinter uns. Wohl ist noch der Quergang in den Kamin, den Felix Tarin für den Aufstieg als absolut unmöglich bezeichnete, zu machen, doch wir finden die Querung von unten nach oben oder, besser gesagt, von rechts nach links leichter als umgekehrt, denn Tarin seilte den Kamin hinunter und querte im Abseilsitz, wobei ihn das Seil recht unangenehm in die Nordwand hinauszog.

Mein Kamerad steigt ein paar Meter über mich, so dass ich den Seilzug etwas von oben verspüre. Griffe und Tritte sind vorhanden, doch alles ist lose, ich darf nur auf Druck klettern und muss äusserste Vorsicht walten lassen. Beim Einstieg in den Kamin sehe ich über mir einen grossen Block, der wie ein Pfeiler einen Teil der nördlichen Begrenzungswand des Kamins stützt. Die Massivität dieses Felsens sieht vertrauenerweckend aus, und doch — kaum habe ich das Gebilde erreicht, bricht der Bau zusammen und verschwindet. Erst weit, weit unten schlagen die Steine auf. Jetzt werde ich noch vorsichtiger und räume mit dem losen Zeug auf, bevor ich mich ihm anvertraue. Der senkrechte Kamin wird unterbrochen von einem steilen Schuttplatz, der nur mit Schnelligkeit überwunden werden kann. Weiter oben verengt sich der Kamin und lässt mir kaum noch Platz. Murksend und stemmend ohne jede Regel gelangen wir höher und erreichen einen wunderbaren Platz in der Nordwand unseres Berges. Grossartig, wild ist der Blick in die grösste Felsmauer der Alpen: Stäfelstock, Höhlenstock, Gwasmet, Pucher und bis hinüber zum Grossen Rüchen, eine einzige riesige Wand — dazu noch die Grosse Windgälle, die vom Stäfelstock verdeckt wird — und tief unten die grünen Matten und dunkeln Wälder der « Märchenwiese », der Brunnialp.

Ein Platz zum Verweilen, wir haben unsere Mittagsrast verdient und bleiben fast eine Stunde. Schüchtern hat sich unterdessen auch die Sonne hervorgewagt, und es wird schön warm.

Um 12 Uhr brechen wir auf und sind in einigen Minuten wieder auf der Gratkante. Was jetzt folgt, ist mittelschweres, schönes, freies Klettern, immer dem Grat folgend. Die Neigung nimmt ab, es wird stellenweise horizontal. Wir balancieren wie Seiltänzer über den schmalen, verwitterten First. Jugenderinnerungen tauchen auf, und ich sehe mich als kleinen Buben mit Vorliebe Brückengeländer, Gartenhäge und sogar Dachfirste als Gehsteige benützen.

In einer Scharte geht es plötzlich nicht mehr weiter, ein mächtiger Gendarm versperrt mir den Weg. Ihn zu erklettern kostet zu viel Zeit, und eine Umgehung in der plattigen Südwand sieht nicht einladend aus. Seit einiger Zeit hat sich auch das Wetter wieder verschlechtert, es regnet, und die Felsen werden nass und glitschig. Emeil, der jetzt den Vortritt nimmt, quert auf der Nordseite horizontal in einen Kamin und entschwindet bald meinen Blicken. Schnell läuft das Seil ab, die 35 Meter sind aus. Der Kamin ist gut griffig, auch ich bin bald wieder auf dem Grat. Gemeinsam kletternd steigen wir weiter. Kurz vor dem Westgipfel ist noch ein feingriffiges, schönes « Wandle », und dann stehen wir oben. Um einen ausgehauenen Block wird schnell abgeseilt, und mit ein paar Schritten sind wir auf dem Ostgipfel angelangt. Es ist 14 Uhr. Die erste Begehung des Höhlenstocks von Westen ist uns gelungen, und ich darf behaupten, es ist eine der schönsten und schwersten Felsfahrten im Urnerland, die sicher bald noch andere Liebhaber finden wird.

Trotz dem Regen bleiben wir einige Zeit oben und durchstöbern das mit spärlichen Eintragungen versehene Gipfelbuch. Erst als es kälter wird und das Wasser in Form von Schnee niederfällt, machen wir uns an den Abstieg über den Ostgrat. Dichter Nebel erschwert die Orientierung, ich sehe meinen Kameraden selten, nur den treuen Hanf, der zu ihm hinunterführt. Wir finden uns aus der Wand, müssen aber noch, patschnass, wie wir sind, unsere Schuhe und den Rucksack vom Einstieg holen. Doch selbst die Schneewaterei in Kletterfinken über den Stäfelgletscher kann unsere Freude und Begeisterung nicht eindämmen. Unten auf der Hütte gibt es trockene Kleider, etwas Warmes zum Essen und zum Trinken.

Um 20 Uhr sind wir wieder am Bahnhof in Amsteg, um ein schönes Erlebnis reicher.

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