Im Reiche des Spannort und der Krönte. | Club Alpin Suisse CAS
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Im Reiche des Spannort und der Krönte.

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7 Uhr. Echte Hochweltfrische empfängt uns gleich an der Tür. Wilde Lüfte schweifen, Nebel treiben. Es ist etwas Unbestimmbares über uns... Ruhig liegt in dunkler Hut der Obersee, rührende Wehmut zieht darüber.

Bald kreischen und klingeln Eisbeile im Gefels ob der Kröntenhütte, und es blockt bisweilen unterm Fuss das los geschichtete Gestein. Es ist ein frischer Gang, und statt der Sonne treffen wir wachsenden Neuschnee. Das Pfaden wird mühsam. Eine Höhe um die andere steigt vor uns auf, sinkt wieder zurück und begräbt andere in sich.

Weit tut sich endlich das Firnfeld auf. Eine mächtige Wallung möchte ich es nennen, eine sichtbare Klarheit und Höhe der Begeisterung unserer Seele, unseres erhöhten Bewusstseins, mitten in der erregten Bewegung des Lebens auf der Höhe der Läuterung vom Unvergänglichen überrascht. Die aufbäumenden Leidenschaften, Trotz und Widerstand sind in ihrem Wider-streite gebunden, umfangen von einem schönen Todesfrieden eines schönen Strebens, dem doch das Leben nicht entflohen zu sein scheint, von einem schönen Scheiden und Aufgeben alles Niedern, wie eine grosse Güte, ein grosses Verzeihen, gerundet und ausgeglichen, ein Eindruck wie der Anblick der Schönheit in glänzendem, schneeweissem Marmor. Eine stille Grosse. Hügel und Raine und Mulden und Wannen und Wangen und Grübchen und Wälle, alles übergössen von blendender Reine.

Ein Halbmeter Neuschnee verhüllt die Gefahren mit lose aufgelegtem Tuch. Behutsam steigen wir in drei Abteilungen aufwärts, abwechselnd im ermüdenden Vortreten der Stufen. Ein jäher, bissiger Köter, der scharfe Hüter des Todesreichs und des Sarkophags, fährt uns mit seiner rauhen Schnauze an, und beizender Hauch, den uns ein peitschenschwingender Bändiger zutreibt, zwingt uns zur Vermummung, die Hände in Handschuhe und tief in die Taschen. Ein ungastlicher, heimtückischer Geselle, der Firn-vogt. Und wir eine wortscheue, zugeknöpfte Rotte, Schmugglern nicht unähnlich.

Wolken und Winde jagen mit ruheloser Heftigkeit, und wir nähern uns dem weiss übertünchten Getürm des Spannort. Wahrhaftig, der Name ist treffend. Eine wahre Spannung liegt im Aufbau dieses Kolosses. Etwas Dramatisches. Wie ein ruhender, schwarzer Löwe mit weissem Kopf und Mähne und Rist kauert er da. Ein Spukhaftes, Unnahbares, Unfassbares ist in ihm und gibt ihm dämonische Gewalt und einen Schein innerlich ruhender Lebendigkeit und Geistigkeit. Trotzig krallt sich Glied an Glied, wie zum Sprunge bereit, in den weissen Firnschnee, und auf dem Haupte hockt ihm der Adler, und über ihm schwingt ein gewaltiger Geier die rauschenden Schwingen. Da zieht es herauf wie Löwengebrüll, dass die Sinne zu Eis erstarren. Mit wirbelndem Sturmgebraus ein holbeinischer Totentanz... Die Berggeister im hälen Lauf in schwingenden luftigen Lacken, mit Freund Hein an der Spitze, in den Hüften sich wiegend und überneigend und mit markdurchdringendem Gelächter die Nebelfrauen drehend. Da oben muss eine Hochzeit sein! Hui! wie fegen sie die Säle rein, wie wilde, fliegende Wetter. Staubwolken wirbeln auf und füllen das hohe Gewölbe. Wendel-treppen fahren zischend in die Höhe, breiten ihre Spiralen aus und stürzen wieder ein, und der Tänzerschwarm zerstiebt, die Szene wechselt. Und heimtückisch überfallen sie uns, hüllen uns ein und geissein uns Stirn und Wangen. Verrammelt ist uns das Tor, und durch die Ritzen blecken schneidende, scharfe Eiszähne ein drohendes Grinsen. Doch bis an den Klopfer treten wir heran, doch wir rühren ihn nicht. Auf unsern Stirnen steht mit einemmal geschrieben: Verzicht! Denn vereist und beinah unzugänglich und unter hohen Gefahren in grimmiger Kälte trutzt uns das Tor und widersteht. Der Zutritt ist uns verwehrt.

Kurze Rast auf Spannort- Joch. Die Nebel fliegen und flattern. Wild-schwarz braut es drüben sich auf aus siedenden Kesseln. Schwarze Gehörnte recken ihre Häupter, lauern empor und tauchen nieder und andere hüpfen hervor aus dem Schwalle, und es naht eine himmelfüllende Rotte, in Ge-schwaderlinie uns zu überfallen. Welten, Gebirge, phantastisch und ruhelos, steigen auf und versinken wieder, wie sie gekommen. Phantasien, Märchen, Träume...

Das war nun unsere aufgegebene Himmelfahrt. Ich besitze nicht das künstlerische Können eines Rubens, Rafael oder Murillo, sonst würde ich an die Seite ihrer himmelfahrenden Madonnen eine schneeig weisse Spannort-Madonna setzen: Eine Lichtgestalt, gen Himmel schwebend im Triumphe der sieghaft strebenden Idee aus sturmbewegter Bergeinsamkeit, Nebelwolken spaltend und Himmel aufreissend und nach Licht heischend wie das Sehnen aus der Seele nach dem Gipfel, zu vollendeter Überschau über alle Dinge zu unsern Füssen.

Rückkehr. Unsere Spuren sind beinah schon wieder verwischt und hübsch mit Zuckerstaub von den Wichtelmännchen ausgefüllt. Neben und vor uns fegt die Bergfee, uns in die Wangen krauend, den Schnee mit harschendem Klingeln dahin, grad wie etwa zur Fastnachtzeit eine Schar kleiner be-glöckelter und beröllter Maskenbuben neben einem Trupp Trappelinge daher-springt.

Allmählich erheitert sich der Himmel und lässt in seinem Zorne nach. Ferne Bergketten tauchen auf im Ost, leuchtend und schön, weisse Mädchen, die auf dem Hügel sitzen und singen und sich Kränze weisser Blumen in die goldenen Flechten winden. Der Sonne wohltätiger Strahl zerfliesst auf dem glatten Firn mit heiterer, lachender Pracht. Und über uns, welch ein Schauspiel! Dieser Wolkensaum, dahinter sich die Sonne verbirgt, in Regenbogenfarben, glutentropfend, funkelnd und prangend, ein herrlicher Baldachin, darunter wir wie in Weihrauch schreiten! Wie herrlich, wenn die Sonne in den frischen Schnee der Firne scheint! Hellaufgeräumt sind die Stuben, und durch die offenen Fenster herein flutet himmlisches Licht, freundlich und erheiternd wie eine junge Liebe. Und die Laue rieselt dem Berge sanft aus der Hand, ein Silberschweif fährt hinab aufs aufhorchende Firnfeld, Donner bricht in die Heiterkeit des Tages, doch nur leicht und spielend und von edler Art das Spiel. So mag ein Zorn verrollen und in uns verhauchen, wenn wir vor uns ein liebes Wesen, die Unschuld selbst mit ihrem lichten Blick, auftauchen sehen.

Mit dem Glüheisen fährt uns die Himmelskönigin über den Nacken. Doch nur für kurze Zeit. Bald umgeistern Nebel uns wieder, und die leuchtenden Firngewölbe sind versunken, und ein grünlich-glasiger Geist äugt aus jeder getretenen Stufe. Noch ein Blick zurück, ein tiefer Blick ins entschwindende Licht, in den sterbenden Glanz! Wir nahen der Hütte. Durch Nebel dringt der Jauchzer, und der Geist im Nebel antwortet zurück. Aus schwarzen Firn-schneelöchern brüllen die Bäche.

Wir sind wieder daheim! Noch leben wir im Geiste auf den Höhen über uns, wie wir immerdar sollen, und zehren in Frieden und innig nachträumendem Sehnen von den Gefühlen, die uns die Hochwelt im reinen Erlebnis schuf.

Das freie Leben des Hochweltgängers hat doch einen gar zu eigenen Reiz. Wie lieblich glöckelt, klingelt es ihn wach, wie läutet ihm die Welt, der frische Morgen, der freie Tag! Und welch ein Geläute in der Brust! Mit welch andern Stimmen in der Seele folgen wir hier dem Ruf, wie viel heller hören wir! Mit welcher Wonne, Freude, Lust gehorchen wir so rasch dem Ruf zu freiem Spiel! Ha, es zu fühlen und es sich zu sagen: heute bist du frei, hast dich allein, magst tun mit dir, was dir beliebt und frommt!

Es geht mir wie in der Schülerzeit. Ein Jauchzen nur im Herzen: Wiese, Rain, Wald und Vogelsang und alle Herrlichkeit, und ein hungriger Sinn, der alles fasst, nach allem greift, was er erhaschen kann, was da ist, was unsichtbar ahnend schweift und lebt und webt und in den Lüften über der Erde gaukelt und zwischen den Gräsern krabbelt und hastet, alles ein goldenes Leben! Auf lebt der Geist, der Geister bannt, beschwört und in sich zwingt, dass sie bei ihm und mit dem Herzen Busen an Busen zusammenwohnen und erzählen müssen von märchenhaft schönen, traulichen Dingen, singen wie der Vogel singt, zu jeder Zeit in jenem rätselhaften weiten, weiten Raum, den wir Seele nennen, der unser Speicher, unser Wissen, unser Bewusstsein von den Dingen ist. Bewusstes Sein! Bewusstes Ich! Bewusstes All! Was liegt darin so unerschöpflich viel! Welche Fülle! Welche Tiefe! Himmel und Hölle!

Laulich weht der Föhn. Die Sterne sind verschwunden, der volle Mond versunken; der Frühe frischer Hochweltmorgen lacht uns an. Blau grübelt der See und nagt an der Lippe. Wir steigen im Geröll. Manch würzig Kräutlein spriesst aus dem Gestein, oft so unscheinbar klein und vermag doch so viel, und war es nur der graue, wilde Wermut. An der Grenze des ewigen Schnees gibt der Boden noch Heilkraft, was er kann und mag. Hundert Jahre gibt er dir! Sei genügsam, heisst das Rezept. Und ist kostenlos. Doch der beste Arzt ist stets der eigene wache, vernünftige, verständige Sinn.

Schon stecken wir wieder im Schnee, seilen uns an, schlüpfen in die Schlingen. Und ein rauher Gux und kalter Föhnschmeiss schleudert uns Nadeln ins Gesicht und mäht mit dem peitschenden Schweif weisse Schwaden über die Spalten. Die junge Mannschaft macht verwunderte Augen, denn das ist keine Sommerbesteigung, sondern schon eine richtige Hochwinterfahrt — da reicht das Sommerkittelchen nicht mehr aus!

Nur selten wirft sich ein Glanz, ein Widerschein des Himmelslichtes an die Schneewände und Gipfel und Grate und Zacken und auf den Firn, geschweige über uns. Lange und breitgeschwänzte Schatten umschleichen uns, und unruhig gewordene Luftdämonen heulen umher, formen aus Nebel sonderbare Gebilde, die sie aus der Tiefe hinter den Scharten heraufziehen wie die Spinnerin den Flachs, geben ihnen Antlitz und Geist und zerschlagen, zerzausen und vertreiben sie wieder. Drauf huschen sie mit einem Klaps von der Höhe herab und, tief auf den Firn niedergeduckt, unsichtbare Eisläufer, sausen sie dahin, mit einer Schwade klingelnden, hüpfenden, spitzigen Eises vor sich her und hinunter, im Hui in die Tobel und Spalten. Dann ist wieder ein Weilchen Ruhe. Aber kaum nahen wir dem Gipfel, da saust uns eine volle Mahd dieser winzigen, bissigen Schneevögel ins Gesicht und benimmt uns schier den Atem.

Unter diesem Treiben erreichen wir allmählich den Gipfel, kriechen und zwängen uns durch den Schornstein empor, der einmal ausnahmsweise ein weisser ist. Fast verdutzt erheben wir uns aus kniender Beterstellung, heben das Auge und wagen aufatmend in die Weite zu schauen. Ich fühle mich aus Kluft und Enge und aus brustumschnürendem Rauchfang heraus auf freiem Dache, bin wieder Herr meiner freien Glieder.

Die Menschen schweigen. Nur die Lüfte sausen scharf und eisig... Weit, hoch, herrlich der Blick...

Abstieg. Nicht verlockend ist es, lange zu verweilen, ziehen doch einige es vor, lieber unten zu bleiben und im Windschatten an einer Handvoll Sonne sich massig zu wärmen.

Wir wagen den Teilensprung über das Geklüft, senken mit den unten in der Kehle Harrenden den Blick ins weisse Jenseitsgefild hinab... Wolken springen auf, jagen und vergehen. Tiefe Bläue ruht über dem Gewölk... Doch bald sind wir wieder mitten im Nebelrauchen, von Schatten umzingelt. Bäuchlings überqueren wir die verschleierten Wanderzüge der Gefahr, die Spalten, die plötzlich ihre Rachen auftun und nach uns schnappen. « Einer für alle, alle für einen » gilt es hier.

Mittag. Die Hütte ist wieder erreicht. Sie ist voller Leben. Denn durch die Krummholzbüsche faucht der Wind, Schauerliedchen fiedelnd, und auf den Höhen sind die Zerberusse losgelassen, die weissen Spannortlöwen brüllen, und es dunkelt ein. Die Sturmritter schweifen wieder umher und peitschen den See, wühlen den Nebel auf, und die Hexen und Hexenköche lassen ihr Gebräu überkochen, und wir sind umschlungen von Dämmerungen.

Doch die Pfeifchen glimmen und die Mundwinkel schmunzeln.

E. Lusser.

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