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Marmolata di Rocca-Südwand

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Max Niedermann

Mit 1 Bild ( 158Rüti-Zürich ) Es ist ein eiskalter, aber wolkenloser Sommermorgen. Unter uns liegt das Contrinhaus, das wir vor einer halben Stunde verlassen haben, vor uns, in der Rote des Morgens, die gewaltige Felsmauer der Marmolata. Gestern waren wir von der Coldaihütte im Civettagebiet mit dem Motorrad in rascher Fahrt ins Tal von Alleghe und von dort im Schneegestöber über den Pordoipass nach Canazei gefahren; um dann mit Zentnersäcken auf dem Rücken zum Contrinhaus hinauf zu steigen.

Heute wollen wir uns in dieser grossartigen Gegend umsehen, der Falierhütte auf der andern Seite des Passo Ombretta einen Besuch abstatten und den Einstieg des Soldaweges durch die Südwestwand der Marmolata ( Punta Penia ) suchen. Da viel Neuschnee in den Wänden liegt, ist ans Klettern nicht zu denken...

Der Passo Ombretta liegt zwischen der Cima Ombretta und den gewaltigen Aufschwüngen des Marmolata-Südpfeilers. Überall finden wir noch Überreste aus dem Dolomiten-krieg 1914-18: Stacheldrahtverhaue, halbverschüttete Schützengräben, teilweise eingedrückte Unterstände. Aber auch in Felsen gehauene Festungswerke, Waffenstände und Kasematten in solidem und intaktem Zustand sind zu sehen. Alles beredte Zeugen eines von beiden Gegnern erbittert geführten, harten Gebirgskrieges.

Die Marmolata besteht aus zwei Gipfeln, der Punta Penia und der Punta di Rocca. Vom Passo Ombretta steigt der Marmolata-Südpfeiler mit dem Stösserweg ( Schwierigkeitsgrad 6 ) zur Punta Penia. Links davon erhebt sich die Südwestwand derPuntaPenia ( 3342 m ) mit dem Soldaweg ( Grad 6+ ). Unmittelbar rechts des Passo liegt die klassische Südwandroute ( Grad 4 ). Rechts von Pass und Südpfeiler zieht sich die gewaltige Felsenflucht der Marmolata-Südwand, 700 bis 800 m hoch, zirka 2 km lang gegen Osten. Die höchste Erhebung dieser gigantischen Mauer ist die Punta di Rocca, auch Marmolata di Rocca genannt, mit dem Vinatzer-Castiglione-Weg ( Grad 6 + ).

Die Szenerie ist grossartig. Im Südosten steigt die Riesenwand der Civetta wie ein Zauberschloss aus dem brodelnden Nebel in den tiefblauen Himmel hinein. Nochmals suchen wir die Himmelsleitern in den Civettafelsen, erinnern uns an die kühnen Pfade der Torre Venezia, an den Sollederweg durch die 1100 m hohe Civetta-Nordwestwand. Nochmals denken wir zurück an unsere 5. Begehung der Nordwestwand des Pan di Zucchero und an die 13. der Torre di Valgrande, einer sogenannten « oberen Sechser-Wand ».

Eine Stunde schon suchen wir, mein Freund und Seilgefährte Wisi Fleischmann und ich, den Einstieg des Soldaweges. Doch nirgends will der Fels im entferntesten mit der Beschreibung übereinstimmen. Selbst die wildeste Phantasie hilft uns nichts dabei.

Die Beschreibung habe ich von einem guten Freund und Kameraden erhalten, der sie aus dem « Alpinisme »übersetzt hat. Mir kommt der Gedanke, dass dieser vielleicht die Südwestwand der Penia mit der Südwand der di Rocca verwechselt habe? Der Hüttenwart der Falierhütte wird sicherlich einen Klubführer besitzen. Auf der Falierhütte lasse ich mir von Wisi die Beschreibungen der betreffenden Einstiege aus dem italienischen Klubführer ins Deutsche übersetzen: meine Vermutung erweist sich dabei als richtig. So werden wir halt die Südwand der Marmolata di Rocca an Stelle der Südwestwand der Marmolata Penia durchsteigen! Beide sind ja « Grad 6, obere Grenze », nach dem Dolomitenführer. Nur ist der Vinatzer-Weg bedeutend länger. Die Wand wurde im Jahre 1936 von den Italienern Vinatzer und Castiglione erstmals durchstiegen und weist bis jetzt 4 Begehungen auf, alle mit Biwaks in der Wand. Im Fahrtenbuch der Hütte lesen wir die Eintragungen der Viertbegeher Jean Couzy und Scoffier, Paris: « Biwak auf dem grossen Band. Reine Kletterzeit 22 Vi Stunden. Angetroffene Haken 24, dazu 2 eigene Haken stecken gelassen. » - Nach meiner Berechnung brauchte man für die ganze 800 m hohe Wand zirka 120 Stück, also wären noch etwa 95 zu schlagen und dazu in Schwierigkeiten, die an der obern Grenze des Möglichen liegen...

Nur ungern verlassen wir den paradiesisch schönen Platz der Falierhütte und bummeln wieder zurück über den Ombrettasattel hinunter ins Contrinhaus. Auch der Bergwanderer kommt in dieser majestätischen Bergwelt voll auf seine Rechnung. Uns Kletterern wird vielfach vorgeworfen, dass wir nur den Sport sehen und nur mit Schwierigkeitsgraden rechnen. Und doch ist gerade uns das Klettern mehr als nur Sport. Es ist Bergsteigen, ein Teil unseres Lebensinhaltes, der lebensnotwendige Ausgleich zur alltäglichen Berufsarbeit. Dies treibt uns in die schwierigsten und gefährlichsten Wände, die Freude an der Natur, die Freude am Aussergewöhnlichen, die Freude am Kampf, die Freude an guter Kameradschaft. Wir sind Individualisten, wir hassen die Masse.

Der Wecker rasselt, es ist 2 Uhr früh. Während ich mich noch im Bett recke, hat Wisi schon den Benzinkocher in Betrieb gesetzt. Nach kurzer Mahlzeit schleichen wir durch das schlafende Haus in die frische Nachtluft hinaus. Über uns wölbt sich ein herrlicher Sternenhimmel. Die Berge ringsum sind wie riesige schwarze Kulissen. Langsam beginnen sich die Bergspitzen rot zu färben, die Nacht muss dem anbrechenden Tage weichen. Die Felsenburg des Langkofels über dem Sellapass erscheint wie ein richtiger Gluthaufen.

Auf der andern Seite des Passo Ombretta: Aus dem Tal von Alleghe beginnen die Nebel zu steigen. Die Civetta ist von Wolken eingehüllt, die sich immer weiter ausbreiten und Stück für Stück des blassblauen Himmels verschlingen. Die Wetterlage erscheint nicht gerade günstig für eine Biwaktour. Doch unser junger, kämpferischer Optimismus gewinnt die Oberhand über alle Bedenken!

Dichter Nebel hüllt uns ein, wie wir drunten am Einstieg der Marmolata di Rocca-Südwand stehen. Diese Wand ist 800 m hoch und gliedert sich in drei Teile. Der erste ist fast durchwegs überhängend, zirka 250 m hoch, und weist die grössten Schwierigkeiten auf. Der mittlere Teil ist im ganzen etwas weniger steil und hat die Form einer grossen Verschneidung, die innen schluchtartig wird. Diese mittlere Partie ist zirka 200 m hoch. Der letzte Aufschwung ist steil und absolut glatt. Man weicht deshalb zu deren Durchsteigung auf einem grossen Querbande nach rechts aus und steigt dann durch verschiedene Couloirs zum Gipfel.

Wir binden uns an die zwei 40-m-Perlonseile, verteilen die zirka 30 Haken, über 20 Karabiner sowie die 4 Trittschlingen.

Wisi nimmt die erste Seillänge in Angriff. Diese beginnt mit einem roten, leicht überhängenden Kamin, der nach 40 m zu einer Nische führt. Bevor ich die zweite Seillänge beginne, muss ich mir die klammen Finger aufwärmen. Es ist eisigkalt im nasskalten Nebel. Nach der Beschreibung soll die zweite Seillänge eine der schwersten sein. Ein wenig hoch, dann in die linke Wand queren und in dieser hoch, heisst es. Aber wie? 17 Haken haben die Vorgänger hier geschlagen. Aber wo? An etlichen Stellen kann ich Hakenspuren erkennen, aber auch da dringt das Eisen höchstens ein bis zwei Zentimeter tief in den Felsen ein. So hat es keinen Wert, solche zu schlagen und Zeit und Kraft zu verlieren. Ich steige hoch, wie, ist mir heute noch ein Rätsel, 15 m hinauf, wo der Kamin auf der rechten Seite breiter wird, quere ich in diesen zurück. Noch ein kleiner Überhang, dann sind die 40 m Seil abgelaufen. Wisi kommt nach und übernimmt wieder die Führung, da wir abwechselnd vorangehen. Er steigt einige Meter im Innern des Kamins hoch, dann 25 m in der linken Wand bis zu einer Plattform, von hier nach rechts in einen äusserst schweren, überhängenden Riss, diesen hinauf zu einem sehr dürftigen Standplatz. Ich steige nach. An einem festen Haken hängend wechseln wir aneinander vorbei. Die vierte Seillänge zwingt mich über einen starken Überhang in einen Riss, der zu einer kleinen Grotte führt. Die fünfte Länge führt Wisi durch eine Verschneidung erst schräg links, dann direkt hoch, nach 40 m wieder zu einem schlechten Stand.

Die sechste Länge weist mich erst links in einen Riss, nach zehn Metern wieder nach rechts auf eine schmale Plattform unter einer dritten Verschneidung, welche die zweite Schlüsselstelle sein soll. In meiner Beschreibung steht: 6+-A:3-10H. A bedeutet: Haken schlagen äusserst schwer und ungünstig. Doch nur mittels solcher kommt man hier weiter! Die Verschneidung ist vollkommen glatt und überhängend wie der ganze Wandteil bis hierher. Von den zehn erwähnten Haken steckt kein einziger mehr. Mit Hilfe von Haken, die kaum mein Gewicht tragen, steige ich langsam höher. Manchmal habe ich kaum den nächsten Haken geschlagen, gibt der untere schon nach und fällt klingend ins Seil. Links ansteigend erreiche ich eine Nische unter gewaltigen Felsdächern und damit einen Standplatz. Höchste Zeit, denn die Perlonseile sind schon wieder auf grösste Dehnung gespannt.

Wisi übernimmt die siebente Seillänge. Erst muss er 10 m in überhängendem Gestein hochspreizen, traversiert dann nach links auf einer völlig glatten Platte, kämpft sich über eine brüchige, abdrängende Mauer hoch und kommt in eine Zone von leichterem Felsen. Der erste, überhängende Wandteil ist bezwungen!

Der Nebel ist mittlerweile gestiegen, schneller als wir. Tief unten sehen wir das Geröllkar, nicht aber den Einstieg, denn wir stehen hier oben wie auf einem Balkon.

Es ist Mittag, Zeit für eine kurze Rast und einen kleinen Imbiss, der uns allerdings ohne die Schneeflocken, die jetzt aus der grauen Nebeldecke fallen, besser gemundet hätte.

Wir stehen am Fusse des mittlern Wandteils. Wo führt der Weg durch? Trotz allem Hin-undherraten werden wir nicht gescheiter. Auch die Routenbeschreibung hilft uns nicht weiter. Immer wieder lese ich halblaut vor: « Sich begeben zum Couloir Zentral und emporsteigen längs einem leichten Riss 30 m unter die Überhänge. Erklettern einer Verschneidung, welche in einer Nische endet. » Im Couloir Zentral befinden wir uns. Aber welches ist der Riss? Der eine, rechts hoch-führend, scheint gangbar, führt aber auch aus der allgemeinen Richtung. Der andere, linke, ist eine Seillänge gut gangbar, wird dann zusehends schwerer und ist von glatten Überhängen überdacht, durch die aber ein feiner Riss sich hochzieht, der wahrscheinlich das Schlagen von Haken erlaubt. Wir entscheiden uns für diesen Riss.

Wisi macht sich auf den Weg. Ich folge nach, um, kaum bei meinem Kameraden angekommen, den Kopf an einem Überhang anzurennen. Weites Spreizen und ein Haken helfen mir darüber hoch - gleich darauf stosse ich den Schädel an einem zweiten, weit grössere Dach an. Der von unten gesichtete Riss erweist sich als stumpf, doch nur er kann uns weiterhelfen. Die Haken gehen kaum zwei Zentimeter in die Ritze. In den eingehängten Trittschlingen stehend, wage ich kaum zu atmen. Der kleinste Rutscher, die geringste falsche Bewegung würde den Haken ausreissen; ein Sturz in die Tiefe wäre die Folge. Es geht! Über dem bauchigen Monstrum beginnt ein körperbreiter Wasserriss, in den ich mich, aufatmend, hineinzwänge. Die Felsen sind hier etwas geneigt, dafür aber steinschlaggefährdet. Im oberen Wandteil ist wahrscheinlich eine starke Erwärmung eingetreten, denn unaufhörlich sausen Steine herunter und zersplittern auf den Kalkplatten beidseits des Spaltes, in dem ich kauere. Wisi kommt rasch nach, die Haken halten ihn kaum auf, kann er sie doch zum Teil von Hand herausreissen. Ich bin aufrichtig froh, dass wir weiterkommen, zeigt doch eine Narbe, wie früher einmal ein Steinsplitter mich mitten im Klettern traf. Der linke Riss, den wir begehen, zeigt sich fast als ein « Verhauer », wird aber eine direkte Aufstiegsvariante. Unsere Vorgänger haben alle den nach rechts führenden Riss gewählt, sind nach zirka 40 m links aus dem Riss und über eine 20 m hohe Felskante auf ein Pfeilerköpfchen geklettert und haben dann von dort zu unserm jetzigen Standort abgeseilt.

Das Couloir öffnet sich zu einer grossen Schlucht, die wir teils stemmend, teils spreizend und wieder an den Schluchtwänden kletternd durchsteigen. Nach sieben Seillängen erreichen wir so das grosse Querband. Dieses ist ein bis drei Meter breit und fast gänzlich von riesigen Überhängen überdacht. Ausgeebnete Plätze, von Steinmäuerchen umrahmt, sind Zeugen von früheren Biwaks. Für uns aber kommt ein Biwak nicht in Frage, sind wir doch erst mitten im Nachmittag. Eigentlich schade für die schönen Schlafplätze!

Auf dem Querband traversieren wir nach rechts, bis sich wieder eine Schlucht öffnet, die wir in leichter Kletterei überwinden. Sie verengt sich aber nach zirka 150 m zu einem Couloir, das gänzlich vereist ist. Über das Eis rieselt das Wasser.

Mir schwindet fast der Mut, wie ich mich darin hocharbeite und nach kurzer Zeit total durchnässt bin; noch mehr, als ich einsehen muss, dass ein Weiterkommen unmöglich ist, und es mich wieder zum Standplatz meines Gefährten zurückzwingt.

Das Couloir geht nicht, also versuchen wir den Pfeiler. Was dieser bringt, ist in dieser Nebelsuppe nicht vorauszusehen. Wisi kommt die erste Seillänge gut hoch. Die zweite Länge wird senkrecht und das Gestein brüchig. Einige Meter komme ich gut nach, aber dann verspüre ich den Krampf infolge der eisigen Nässe, die in meinen Kleidern liegt. Wisi, der trocken geblieben ist und sich gut fühlt, übernimmt meine Aufgabe und löst sie mit einigen wenigen Sicherungshaken in dem gefährlich-brüchigen Fels. Durch eine schneegefüllte kleine Schlucht erreichen wir einen Grat und alsdann, nach 13 V2 Stunden Kletterei, den Gipfel der Marmolata di Rocca. Vom böigen Abendwind umbraust, drücken wir uns die Hände.

Viel Zeit für den Abschied bleibt uns nicht mehr. Unter uns liegen vereiste Felsen, darunter der Gletscher, an dessen Ende ein Berghaus steht. An zwei Stellen versuchen wir den Abstieg. Unmöglich. Wir kennen die ganze nordseitige Abdachung nur nach der Karte. Weiter östlich, am obern Rande des Gletschers, nahe den Südabstürzen, ist auf dieser eine weitere Unterkunftshütte eingezeichnet. So streben wir dieser zu. Doch bald stossen wir auf Skispuren. Auf den Aufstiegsspuren des einsamen Skifahrers finden wir uns rasch und sicher hinunter. Im Eiltempo über steile Firnflanken rutschend, von Neuschneemulden wieder aufgehalten, immer den Schleifspuren folgend, abseits aller Spalten und Brüche, erreichen wir bald den untern Rand des Gletscherfeldes. Über geschliffene Platten und Moränenschutt stolpernd finden wir gerade noch bei Nachteinbruch das Berghaus. Es ist die Endstation des Ski- und Sesselliftes. Und gastfreundlich werden wir von den Bewohnern, der Familie Parmesani, aufgenommen.

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