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Mittaghorn und Gletscherhorn

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Lieber Freund!

Deiner Bitte, Dir meine Mittaghorn-Gletscherhornfahrt zu erzählen, will ich gerne nachkommen. Bedenke aber, dass sie im Jahre 1925 ausgeführt worden ist und nach fünf Jahren vielleicht nicht mehr dem nämlichen Interesse begegnet! Wie ich letzten Sonntag im Stechelberg von Führern aus Lauterbrunnen, Mürren und Obersteinberg erfahren habe, ist das Mittaghorn sehr wahrscheinlich seit meiner Bergfahrt über die Nordwestseite nicht mehr begangen worden.

Im Anstiege zum Schwarzmönch im Spätsommer 1923, gemeinsam mit Walter Amstutz und Führer Karl Feuz aus Mürren, auf dem wunderschönen Weglein dem « unteren Gemsboden » zu, hatte ich eine einzigartig gute Gelegenheit, die vom hintersten Lauterbrunnental gegen die Ebnefluh, das Mittaghorn und das Grosshorn aufsteigenden Gräte und Wände zu studieren. Über die Begehbarkeit derselben wusste ich damals, wie übrigens auch meine beiden Kameraden, noch sehr wenig. Von der Nordwestflanke des Mittaghorns glaubten Feuz und Amstutz aber zu wissen, « dass sie gemacht sei », von wem aber... unbekannt. Feuz konnte sich aus seinen Bubenjahren nur noch an einen Träger in Lauterbrunnen erinnern, der gegen die 80er Jahre hin einer Mittaghornpartie Biwakzeug hinter den Schmadrirück gebracht hatte. Sicher gewann ich im Anstieg zum Schwarzmönch damals die Überzeugung, dass die Nordwestflanke des Mittaghorns ohne allzu grosse Schwierigkeiten zu machen sei.

Ich empfehle Dir übrigens einen Schwarzmönchbummel sehr. Das würde Dir, als häufiger Gast von Wengen, ganz entschieden zusagen. Weisst Du, das ist eine von jenen kleinen Fahrten, bei denen man so ganz für sich allein sein kann, ohne auf Schritt und Tritt einem Wesen aus der Niederung zu begegnen. Gitzi und Gemsen sind dort Deine Gesellschafter. Der Blick vom Gipfel ins Giessengebiet, ins Trümmieten- und Lauterbrunnental ist herrlich, und die Querung über Wildwang und die Strählplatten zur Bärenfluh bietet an Tiefblicken und hübschen Felspartien selten Schönes, * Einen knappen Bericht der englischen Partie Bullock, der es im Jahre 1908 gelang, das Mittaghorn von der Nordwestseite her zu besteigen, findest Du im S.A.C.J.ahrbuch 1908. Bullocks Weg deckt sich im obern Teil keineswegs mit dem des Erstbesteigers Heinrich Dübi. Wenn ich recht orientiert bin, so ist es übrigens auch Willy Richardet gelungen, die Nordwestflanke des Mittaghorns zu bezwingen. Von 1875 bis 1880 kämpfte Dübi für diese Mittaghornfahrt, und es schwebt über seinen Versuchen und seinen Erfolgen der Zauber der Leidenschaft einer Erstbesteigung. « Das Jahr 1880 endlich sollte meine lange Sehnsucht stillen und meine Bemühungen mit dem vollsten Erfolge krönen », sagt Dübi und schliesst seinen Bericht mit den Worten: « Mit welchen Gefühlen ich aber am folgenden Morgen eine lakonische Depesche — Mittaghorn is done. All well —auf die nächste Station sandte, das zu schildern will ich nicht unternehmen. » Das schlechte Wetter des Sommers 1925 zwang mich immer und immer wieder zum Warten, nicht nur wegen der Witterungsverhältnisse für den Tag des Aufstieges selbst, sondern ganz besonders wegen des starken Neuschnees. Bei Neuschnee konnte und durfte die Tur vernünftigerweise nicht unternommen werden. So gingen dem Besuche des Mittaghorns die Besteigungen anderer Gipfel voraus, bis ich den Aufbruch auf Sonntag, den 16. August, beschloss.

Als Führer begleiteten mich mein alter Bergfreund Karl Feuz aus Murren und aus Lauterbrunnen der Wildhüter Peter v. Allmen. Wir nächtigten auf der obern Steinbergalp, und es ist klar, dass wir von dort aus, im Angesichte der Mittaghornwände, den Weg nochmals gründlich ins Auge fassten. Ich teilte mir die Nordwestflanke des Berges in drei Abschnitte ein und merkte mir an genau auf gleicher Höhe liegenden Punkten des Seiten-geländes möglichst genau deren Grenzen, von der Voraussetzung ausgehend, dass einmal im Grate selbst ohnedies der jeweilige Standort nur schwer bestimmbar sein dürfte. Die Ausführung sollte dieser Auffassung recht geben. Mit grösseren Schwierigkeiten rechneten wir nur im dritten und obersten Abschnitte, während die Obersteinberger v. Allmen umgekehrt den Einstieg vom Schmadrigletscher her als schwierig und das obere Stück als leichter erachteten.

Bei klarer, kalter Sternennacht brachen wir am 17. August morgens 2 Uhr von der Obersteinbergalp auf und folgten dem Wege zum Oberhornsee bis über den Tschingelbach. Dann liessen wir ihn rechts liegen und suchten möglichst direkt die nordöstlich vom See gelegene Hütte zu erreichen. Diese Hütte ist zu solcher Zeit nicht so leicht zu finden, und wir waren froh, dass wir zur Überschreitung des Oberhornbaches eine Notbrücke vorfanden. Zwischen Oberhornalp und Schmadrigletscher liegt eine mühsame Strecke! Man steigt in südöstlicher Richtung zuerst über Geröll- und Schutthalden und wird durch die Grösse der Blöcke und durch fortwährendes Auf- und Abwärtssteigen sehr aufgehalten. Dann quert man, immer in südöstlicher Richtung, die untersten Zungen des Breithorngletschers, um dann die hohe Moräne am Fusse des nordwestlichen Ausläufers des Grosshorns zu übersteigen und den Schmadribrunnen zu erreichen.

Erinnerst Du Dich an den « Schmadribrunnen »? Wir haben vor Jahren von Mürren aus über ihn gesprochen und ihn « bespiegelt ». Ein herrliches Plätzchen: eine kleine, fast gänzlich ebene Stelle zwischen den beiden grossen Moränen, die die nördlichen Ausläufer des Grosshornnordwestgrates bilden. Du hast auf diesem Plätzchen das Gefühl, Dich auf einer Insel zu befinden, auf einer herrlich grünen Oase mit einem selten schönen Quell, der eine reiche Pflanzenwelt nährt. Auf Schritt und Tritt erkennst Du, dass hier ein ausgesucht schöner Ätzplatz für Gemsen bestellt ist.

Wir überstiegen bei Tagesanbruch die östliche Moräne dort, wo sie in den Nordwestgrat des Grosshorns übergeht, und standen punkt 5 Uhr auf dem Schmadrigletscher. Trotzdem die Luftlinie Oberhornalp bis Einstiegstelle Schmadrigletscher nur etwa 1800 m misst und ein Höhenabstand von nur 300 m zu überwinden ist, brauchten wir zwei Stunden. Dunkle Nacht und das grobe Gerölle verlangsamten den Gang ausserordentlich.

Unsere Einstiegstelle in den Schmadrigletscher fiel zufällig zusammen mit dem Beginn einer Gemsspur, die ich tags zuvor als solche nicht erkannt und mich ordentlich in die Schwünge gebracht hatte in der Meinung, es könnten unsere Pläne abgelauscht worden und eine andere Partie uns zuvorgekommen sein. Anstatt nun aber diese Gemsspur nach Südosten zu verfolgen, versuchten wir, den Gletscher in ziemlich genau östlicher Richtung zu überschreiten, hoffend, so möglichst rasch an den Schmadrirück zu gelangen. Wir täuschten uns. Kreuz- und Querspalten und eine fabelhafte Zerrissenheit und Verschrobenheit des Gletschers zwangen uns immer mehr nach Südosten, und bald erkannten wir, dass die Gemsen den besten Weg zur Querung des Schmadrigletschers und zur Erreichung des Schmadrirücks ganz richtig herausgefunden hatten. Während wir so dem Schmadrirück und dem Fusse des Mittaghorngrates zustrebten, tummelten sich auf dem Schmadrirück Dutzende von Gemsen, und ihr Benehmen und ihre Aufmerksamkeit bewiesen uns, wie selten ein menschliches Wesen in diese Gegend gelangt. Nachdem wir dem südlichen Fusse des Schmadrirücks etwa eine halbe Stunde gefolgt, erreichten wir zirka 7 Uhr die im Gletscher fussende Wurzel unseres Westgrates, bei 3000 m.

Nach kurzem Halt und Imbiss begann die Arbeit im ersten Abschnitte des Grates. Entgegen der Vermutung unserer Gastgeber vom Obersteinberg fanden wir beim Einstieg keinerlei Schwierigkeiten, mussten aber bald erkennen, dass der Fels bedeutend schlechter war, als wir angenommen hatten. Nicht nur das bekannte Kalkband ist loser, bröckelnder Stein, sondern auch die Stellen unter und über demselben. Dass die Flanke in ihrem Relief viel tiefer ist als männiglich in der Ansicht en face annimmt, brauche ich Dir nicht näher auszuführen. Aber die Tiefe dieses Reliefs hat die Unbestimm-barkeit der Höhe zur Folge. Du hast Mühe, Dich zurechtzufinden, die Höhe zu bestimmen, die Grenzen der Dir vorher gesteckten Abschnitte festzulegen, und ein Gefühl des Verlorenseins wird wach.

Die senkrechte Felswand zu Beginn des zweiten Abschnittes — er ist im Bilde leicht erkennbar — liessen wir rechts liegen. Der Aufstieg verlangsamte sich, weil noch recht viel Eis und sehr harter Schnee lag. Wir verloren trotz trefflicher Steigeisen kostbare halbe Stunden mit Hackarbeit und hatten ordentlich mit der Kälte zu kämpfen.

Gleich zu Beginn des dritten Abschnittes erheben sich die senkrechten Felstürme, die sowohl Dübi als auch Bullock die hauptsächlichste Schwierigkeit bereitet hatten. In der Tat sind sie ein ernstliches Hindernis, und der Überblick am Fusse dieser Türme ist völlig mangelhaft, und ich begreife sehr wohl, dass Dübi stark nach rechts bis auf das Firnfeld querte, « das steil wie ein Turmdach nach dem Joche hinaufzieht ». Weniger verständlich ist der Ausweg, den die englische Partie Bullock im Jahre 1908 durch « schwierige Traversen nach links ( Norden ) gefunden hatte ».

Nach sorgfältiger Erkundung aller Möglichkeiten gelang uns auch in diesem letzten Abschnitte der ziemlich direkte Anstieg. Während bis dahin mit eisiger Kälte eine unheimliche Ruhe des Berges verbunden gewesen war, begann nun die Sonne allmählich über den Kamm zu rücken und mehr und mehr vom Grosshorn her die obersten Teile der Nordwesthänge zu bestrahlen. Und je weiter die Sonne und ihre Wärme vorrückten, desto unruhiger wurde der Berg und crescendo begann der Lärm der fallenden Steine. Es ist ein eigentümlicher Wechsel, dieser Wechsel der Temperatur und des Lichtes und dieser Wechsel von Ruhe zu Lärm und Gefahr. Aber trotz dem oft recht ungemütlichen Steinhagel hätten wir die Sonne nicht mehr gerne gemisst. Nach Querung eines besonders unruhigen Couloirs gewannen wir um 1 Uhr den Westgipfel des Mittaghorns. Und selten sind mir die Worte unseres Dichters Conrad Ferdinand Meyer so wahr vorgekommen wie in diesem Augenblicke:

« Ich sah den Kampf. Was sagest du, Mein reines Firnelicht, dazu, Du grosses, stilles Leuchten? » Ich weiss, dass Du Dich auch für die Marschzeiten sehr interessierst. Nun denn, es waren lange Zeiten. Bis Gratbeginn 51/4, für den Westgrat 5 1/4 für einen Halt eine halbe, zusammen also 11 Stunden! Sicher ist, dass man bei guten Verhältnissen und insbesondere vom Obersteinberg bis zum Gratbeginn bei genauerer Kenntnis des Gletschers Ersparnisse erzielen kann.

Zwei selten schöne Stunden ruhten wir auf dem Westgipfel bei einer herrlich warmen Sonne. Kein Lüftchen wehte.

Der Ausblick vom Mittaghorn hat viel gemeinsam mit dem von der Jungfrau, besonders auf die Walliseralpen. Was ich aber als ganz schöne Besonderheit erwähnen möchte, das ist die Schau gegen das gewaltige Aletschhorn, gegen das ganze Mutthorn-Blümlisalpgebiet und vor allem der überwältigende Tiefblick in das Lauterbrunnental und auf dessen Westhänge. Auch ich zähle diejenigen Aussichten zu den dankbarsten und schönsten, die auf einer Panoramaseite Tiefblicke in grünes Vorgelände gestatten. Diese Tiefblicke in das freundliche Lauterbrunnental geben denn auch dem Aufstieg über den Westgrat in seiner ganzen Länge fortwährend einen besonderen Reiz.

Der Marsch über den Gipfelkamm zum Hauptgipfel dauerte eine Stunde. Wenn mir dieser Kamm in seinem westlichen Teile gemütlich und zahm erschien, so war er in seinem nordöstlichen Teile scharf und wild und verlangte vorsichtiges Hacken.

Der Aufenthalt auf dem Hauptgipfel versäumte uns nicht lange. Es war abendlich geworden, und meine beiden Begleiter drängten zum Weitermarsch. Wir warfen noch rasch einen Blick gegen das Ebnefluhjoch hin und gaben uns Rechenschaft darüber, wie sehr man im Tale oder selbst auf 2000 m oben die Höhenabstände eines Viertausendergratzuges unter- schätzt. Die scheinbar unbedeutende Gipfelpyramide des Mittaghorns erhebt sich etwa 150 m über dem Ebnefluhjoch und erinnerte mich lebhaft an eine Frage in Mürren, ob nicht der Kamm zwischen Lauitor und Schmadrijoch in einem Tage begangen werden könne. Auch von der teilweise sehr ausgesprochenen Schärfe dieses Gratzuges macht man sich im Tal und in Murren natürlich keinen Begriff.

Ebenso scharf wie der letzte Teil des Mittaghorngipfelgrates war an jenem Abend auch der vom Mittaghorn zum Anenjoch verlaufende Grat. Vom Anenjoch stiegen wir auf den Ebnefluhfirn hinunter und erreichten durch knietiefen Schnee abends 6 Uhr die Egon von Steiger-Hütte, wo uns der Hüttenwart vorerst mit etwas grossen und ungläubigen Augen, aber aufs freundlichste, empfing.

Noch lange stand ich an jenem Abend vor der Hütte, um die in West und Ost gleich schöne Wirkung eines herrlichen Sonnenunterganges in vollen Zügen zu geniessen. Kein Wölkchen stand am Himmel, und während das Finsteraarhorn noch im schönsten roten Lichte stand, versanken die Gründe des Lötschentales in dunkle Nacht. Vor genau acht Tagen hatte ich am Finsteraarhorn in Gewitter- und Schneesturm mit einem lieben Freunde recht bittere Augenblicke erlebt.

Unsere Pläne für den 18. August waren bei unserem Auszug aus Murren nicht festgelegt worden. Je nach Witterung und Bergverhältnissen sollte die Heimkehr durchs Lötschental oder übers Jungfraujoch erfolgen. Wenn immer möglich, wollten wir von der Ebnefluh aus gerne das Gletscherhorn überschreiten.

Das Gletscherhorn! Auch dessen Begehbarkeit war uns nicht näher bekannt. Wir kannten den Berg nur vom Ansehen. Aus dem « Hochgebirgsführer » wusste ich bloss, dass der Westgrat 1867, der Südostgrat 1893 und der Nordgrat 1897 gemacht worden waren.

Du weisst übrigens aus eigener Erfahrung, wie selten sich die Jungfrau-jochführer, so naheliegend und lockend es auch für die Turisten wäre, ins Gebiet des Gletscherhorns hinüber begeben.

Gestützt auf die knappe Ausführung im Führer Coolidge-Dübi und die Angaben der Skikarte Lunn stellte ich mir die Begehung des West- und Nordgrates nicht allzu schwierig vor. Ich sagte mir insbesondere, dass die Begehung im Winter auf einer Skikarte wohl nicht vorgemerkt würde, wenn ernsthafte Schwierigkeiten damit verbunden wären. Auffallend war mir nur, dass von einer Besteigung des Gletscherhorns sozusagen nie die Rede war, Feuz in seiner wortkargen Weise die « Grätleni als rechte Sache » ansah und meine beiden Begleiter die Behauptung aufstellten, in diesem Jahre sei der Berg von den « Jochführern » überhaupt noch nie gemacht worden.

So wurde denn Dienstag, den 18. August, um 345 Uhr zum Aufbruche geblasen, Ziel: Ebnefluh-Gletscherhorn-Jungfraujoch. Das Wetter war ordentlich. Da die Morgenbeleuchtung uns aber nicht recht gefiel, sollte das Joch wenn immer möglich bis Mittag erreicht sein. Um 6 Uhr standen wir auf dem Gipfel der Ebnefluh. Aus einer schönen war eine auffallend farbige Morgenbeleuchtung geworden, und ein eisig kalter Westwind verunmöglichte hier den Aufenthalt. Wir stiegen rasch auf das Gletscherjoch ab. Da sich das Wetter nach Sonnenaufgang zusehends verschlimmerte und der kalte West schon drohende Wolken gegen den Jungfraugipfel jagte, erschien ein kurzer Gedankenaustausch nicht unangebracht. Der Wettersturz am Finsteraarhorn vor acht Tagen war mir noch in zu frischer Erinnerung. Bei Sturm und Schnee konnte eine Gletscherhornüberschreitung sehr wohl scheitern, weil man dort Wind und Wetter ganz besonders ausgesetzt ist. Meine beiden Begleiter beurteilten indessen die Wetterlage so, dass vor Mittag noch etwas gewagt werden dürfe. Feuz brachte die Entscheidung mit den kurzen Worten: « Wir mache 's! » Hätten wir nicht angepackt, so hätten wir in die Steigerhütte zurückkehren oder über den Kranzbergfirn oder den Jungfraufirn das Jungfraujoch erreichen müssen.

Um 630 Uhr verliessen wir das Gletscherjoch. Dem ersten steilen Schneehang folgt ein Sattel mit scharfer Gratgwächte, die uns bei dem starken Wind schon ordentlich zu tun gab. Dem Anstieg zum zweiten Absatz folgt die Überschreitung eines luftigen Schneegrätchens, das uns damals ganz besonders « luter » vorkam. Unsere Steigeisen genügten keineswegs, es musste lange gepickelt werden, und oft bereitete uns der Sturmwind mehr Mühe als das blanke Eis. Der erste grosse Felsturm wurde am Fusse umgangen. Ihm folgt das zweite Schneegrätchen, und nach einem zweiten steilen Turme beginnt die eigentliche Gipfelpartie im Fels. Die Kletterei war ungemein interessant, wurde uns aber durch Sturm und Kälte sowie Grateis recht ordentlich erschwert. Während der ganzen Strecke hast Du den gewaltigen, fast unheimlichen Tiefblick in den Rottalkessel, in den die Wände fast senkrecht abfallen.

Dass Ostgipfel und Westgipfel durch eine tiefe Scharte voneinander getrennt sind, wussten wir. Wir wussten aber nicht, dass das Verbindungsstück mindestens eine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Einen Augenblick wähnten wir, auf dem Ostgipfel zu sein, als das letzte mühsame Wändli des Westgipfels erklommen war, erkannten aber sehr rasch die noch zu leistende Arbeit bis zum greifbar nahen zweiten Gipfel. Trotz äusserst kaltem und starkem Wind ging alles gut vonstatten. Das Wetter war nicht besser geworden, aber die Art des Windes schien uns eine Gewähr dafür, dass es noch eine kurze Zeit « heben » dürfte. Wir standen 915 Uhr auf dem Ostgipfel, hatten also für den Westgrat vom Gletscherjoch aus 23/4 Stunden gebraucht.

Etwas abseits vom Winde blieben wir nur 15 Minuten auf dem Gipfel. Es war uns bewusst, dass wir noch nicht alle Arbeit getan hatten. Zum Abstieg ins Lauitor standen uns zwei Möglichkeiten offen: entweder Abstieg direkt über den Nordgrat oder aber Abstieg über den ersten Teil des Südostgrates und von hier aus Traversierung auf den untern Teil des Nordgrates. In Anbetracht der immer schlechter werdenden Witterung und der schwierigen Arbeit im vereisten, sehr steilen Couloir der Nordseite und unter Würdigung der ungemein stark überwächteten First unterhalb desselben — ein Ausweichen in die Rottalseite erschien uns unerlässlich, weil auf der Südseite Abrutschgefahr bestand — entschlossen wir uns für die zweite Möglichkeit und verfolgten so ohne irgendwelche Mühe den Südostgrat bis zur ersten ausgesprochenen Lücke ( beim c des Wortes Gletscherhorn auf der Siegfriedkarte ). Von hier aus stiegen wir über den steilen Firn in nördlicher Richtung ab und fanden nicht unerhebliche Schwierigkeiten beim Überwinden des obern Bergschrundes.

Um 1130 Uhr standen wir im Lauitor, 3700 m, und nach einer ziemlich mühsamen Waterei über den stark zerrissenen unbenannten Gletscher zwischen Rottalhorn und Kranzberg um 115Uhr auf dem Jungfraujoch. Wir hatten Glück gehabt mit dem Wetter, denn bald nach Betreten des gastlichen Berghauses schneite es wie im tiefsten Winter.

Lieber Freund! Ich brauche Dir nicht zu sagen, dass ich voller Genugtuung und immer wieder mit grosser Freude an diese wohlgelungene Bergfahrt zurückdenke. Ich bin auch überzeugt, dass meine beiden Begleiter dies tun, wenn auch der gute Peter v. Allmen, der Wildhüter, aus Liebe zu seinen Gemsen nichts wissen will von einer Clubhütte beim Schmadribrunnen. Das Schmadrigebiet soll, wenn es nach Peter ginge, Gemsparadies bleiben, und der Schmadribrunnen, diese herrliche Oase im Gebiete der Gletscher und Felsen, soll Ätzplatz für seine Tiere und nicht Hüttenstätte für den Bergkraxler sein. Es ist sein Wildschutzrevier.

Dir aber, dem leidenschaftlichen Hochturisten, Dir, der Du nun in den letzten Jahren fast alles gemacht hast, was man von Wengen und Grindelwald aus machen kann, Dir möchte ich eine Mittaghornfahrt über den Westgrat voller Begeisterung empfehlen. Sie bietet ernstliche Schwierigkeiten und Gefahren nicht, setzt grössere Technik nicht voraus und wird Dich sicherlich, wenn Du die Fahrt bei guter Witterung unternimmst, mit grösster Genugtuung und Freude erfüllen. Und wer wie Du Turen hinter sich hat wie den Abstieg vom Jungfraujoch auf den Guggigletscher, wer wie Du die apern und « lutern Grätleni », Klettereien und etwelche Überraschungen liebt, der sollte die Gletscherhornüberschreitung nächsten Sommer schon ausführen. Und wenn Du mit Deinen Buben von Wengen aus Fahrten unternimmst, so vergiss nicht, mit ihnen den Schmadribrunnen zu besuchen, den schönen Schmadribrunnen.

Mein kurzer Bericht an Dich hat seinen Zweck erreicht, wenn es mir gelungen ist, in Dir und den Deinen, Euch treuen Auslandschweizern, ein wenig Sehnsucht nach einem der schönsten Teile unseres Berglandes geweckt zu haben.

Dein getreuer Bernhard Hammer.

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