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Mont Blanc im Winter

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Eine Längsüberschreitung. Von Karl Wien.

Den Mont Blanc im Winter mit Ski zu ersteigen oder zu überschreiten, ist wohl eines der schönsten und dankbarsten Ziele eines winterlichen Bergsteigers. Auch wir — meine Freunde Joachim Leupold, Walter Hofmeier und ich — waren diesem lockenden Ziele folgend am 2. April 1927 nach Chamonix gekommen. Es schneite bei unserer Ankunft. Es hatte überhaupt seit Mitte Februar mit Ausnahme von vier schönen Tagen Ende März fast immer geschneit, und wir hatten keinerlei Anlass, zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit anders werden könnte.

Wir wollten den Mont Blanc erstmalig in seiner Längsrichtung vom Col du Midi zum Col du Dome überschreiten. Als Stützpunkt hatten wir die Requinhütte, am Fuss der Dent du Requin ausersehen, die, wenn auch 700 Meter tiefer gelegen als die kleine Winterhütte am Col du Geant, doch vor dieser voraus hat, dass sie sich, ziemlich neu und behaglich, für eine längere Wartezeit vorzüglich eignet und auch jederzeit einen Rückzug ins Tal erlaubt.

Am 4. April stiegen wir bei leidlichem Wetter von Les Tines zum Mer de Glace hinauf. Dieser Aufstieg ist mit Ski sicher dem über Montanvert bei weitem vorzuziehen, weil man weder den doch immer etwas lawinengefährlichen Anstieg der Bahn entlang noch den vielleicht ebenso unangenehmen Abstieg zum Gletscher hat. Der Weg über das Mer de Glace und den unteren Géantgletscher ist grossartig und hat, besonders auf Leupold und mich, die wir zum erstenmal in das Mont Blanc-Gebiet kamen, einen gewaltigen Eindruck gemacht. In grossem Bogen von links her unter dem Gletscherbruch, der den unteren Géantgletscher vom oberen trennt, erreichten wir am Nachmittag die Requinhütte. Sie ist vor einem Jahr eröffnet worden, kann aber, besonders weil sie ganz ohne Brennholz ist, den Vergleich mit einer Schweizer Clubhütte nicht aushalten. Das Wetter war am Nachmittag schon schlecht geworden, am nächsten Tag war Schneetreiben, und als es am zweiten nicht besser geworden war, fuhren wir am dritten, um wieder etwas Abwechslung in unser Belagererdasein zu bringen, nach Chamonix ab. Das Leben im Tal konnte uns aber doch nicht so fesseln, dass wir nicht, als das Wetter sich am 9. April wieder schön anliess, vorgezogen hätten, uns wieder näher an unser eigentliches Ziel heranzubegeben. Aber es kam wie bei unserm ersten Anlauf: Wir fuhren bei strahlendem Wetter nach Les Tines, stiegen zum Mer de Glace hinauf, das Wetter wurde schlecht, wir kamen in die Hütte, es schneite den nächsten Tag. Da beschloss Hofmeier, nicht mehr länger zu warten, sondern mit einer bekannten Partie abzufahren. Er verschwand im Nebel, und wir blieben zurück, entschlossen, uns noch nicht so schnell geschlagen zu geben.

Unser Studium des Wetters im Mont Blanc-Gebiet hatte inzwischen so grosse Fortschritte gemacht, dass wir schon am Abend mit Sicherheit schönes Wetter für den nächsten Tag prophezeien konnten. Und als es am andern Morgen wirklich strahlend war, verliessen wir siegesgewiss um 6 Uhr die Hütte.

Es hatte zwei Nächte und einen Tag ohne Wind geschneit, der Schnee war sehr tief, ganz locker und sehr anstrengend zum Spuren, im steilen Bruch versanken wir bis zum Knie, und oben auf der Hochfläche, wo wir uns besseren Schnee erhofft hatten, war es auch nicht anders. So schafften wir uns nur langsam in grossem Bogen unter den wilden Ostabstürzen des Tacul vorbei zum Col du Midi hinauf. Nach kurzer Rast begannen wir den steilen 100 Meter hohen Hang des Mont Blanc du Tacul hinaufzusteigen. Als wir uns wegen der Steilheit des Hangs nicht mehr recht trauten, mit Ski zu gehen, schnallten wir ab, versanken aber sofort bis zur Brust im Schnee. Mühsam kamen wir höher und waren froh, nach einiger Zeit, als der Hang sich ein Stück zurücklegte, wieder anschnallen zu können. Trotzdem ging es sehr langsam, und als wir erst um 3 Uhr auf der Schulter des Tacul standen, gab es für uns keine andere Möglichkeit, als nach einem kurzen Besuch auf dem Gipfel wieder zum Col du Midi und zur Requinhütte abzufahren. Dies geschah leider bei dichtem Nebel und Schneetreiben. Die Folge war natürlich, dass wir uns zwar mit viel Scharfsinn und Glück ohne Mühe durch den Bruch des Geantgletschers hindurchfanden, dann aber in der Dämmerung die Hütte nicht gleich finden konnten. Während es dunkel wurde, suchten wir noch einige Zeit nach ihr und mussten schliesslich von der Erfolglosigkeit unseres Beginnens überzeugt in stockdunkler Nacht, wie sich am andern Morgen herausstellte, 150 Meter neben der Hütte biwakieren.

Dieser erste vergebliche Versuch hatte selbstverständlich eine sehr nachteilige Wirkung auf unsere Stimmung. Aber als an den beiden nächsten Tagen das Wetter leidlich schön war, ein ordentlicher Sturm ging und den Schnee in riesigen Fahnen um die Gipfel der Dent du Geant und des Tacul wirbelte, bekamen wir doch wieder etwas Mut. Am 14. April, Gründonnerstag, war der Himmel klar. Wir verliessen gegen 4 Uhr die Hütte, fanden uns noch bei Dunkelheit und gut verblasenem Schnee ohne Schwierigkeiten durch den Bruch durch und kamen ohne besondere Anstrengung nach etwas mehr als drei Stunden zum Col du Midi. Und um 8 Uhr betraten wir den Taculhang, diesmal gleich die Ski auf dem Rücken. Wenn die Verhältnisse auch wesentlich besser waren als das erstemal, so war das Spuren für zwei Leute doch noch anstrengend genug und wurde durch die Last der Ski nicht erleichtert. Besonders Leupold mit seinen 2-Meter-20-Hickorys hatte wirklich ein ordentliches Gewicht zu tragen. Aber wir liessen uns schön Zeit und standen trotzdem noch vor 11 Uhr auf der Schulter des Mont Blanc du Tacul.

Ohne den Gipfel zu betreten, wandten wir uns gleich hinunter in die Mulde zwischen Tacul und Maudit. Dort rasteten wir, aber der starke Wind trieb uns bald weiter, so dass wir gegen 12 Uhr den steilen, dreihundert Meter hohen Hang zum Col du Mont Maudit betraten, das zweite grosse Fragezeichen unserer Unternehmung. Wir fanden ihn aber besser, als wir nach allem bisher Angetroffenen zu hoffen gewagt hatten. Der untere Bergschrund wurde mit Steigbaum überwunden. Dann kam ein ziemlich blank gewehtes Stück. Weiter oben, wo der Hang wieder steiler wurde, war der Schnee tief, das Emporkommen mühsam. Im Zickzack wurden zwei weitere Schründe überschritten, dann kam ein letzter steiler Eishang, und um 3 Uhr standen wir auf dem Col du Mont Maudit. Wir trollten uns gleich hinüber gegen den Col de la Brenva zu und am Grat, der nach rechts zum Col hinunter, nach links zum Gipfel des Mont Maudit hinauf führt, hielten wir Kriegsrat.

In Anbetracht des unsicheren Wetters, die Nebel wallten von Courmayeur herauf und strichen schon mit beängstigender Geschwindigkeit und Dichte um den Gipfel des noch immer 500 Meter über uns gelegenen Mont Blanc, und wegen der späten Stunde beschlossen wir, auf den Gipfel des Mont Maudit zu verzichten und gleich zum Col de la Brenva abzusteigen. Am Col warfen wir noch einen kurzen Blick hinunter nach Courmayeur und hinüber zum Peutereygrat, dann machten wir uns daran, die letzte Strecke zum Gipfel hinter uns zu bringen. Die steilen Hänge der Mur de la Cöte waren blank geweht, darüber kam Windharscht und dann der gleichmässig geneigte hartverblasene Gipfelgrat. Dem Umstand, dass wir nun schon seit 8 Uhr morgens unsere Ski spazieren trugen und doch auch eine ganze Menge Spurarbeit geleistet hatten, mag es wohl zuzuschreiben sein, dass wir nur sehr langsam vorwärts kamen und wirklich sehr froh waren, als wir schliesslich um 620 Uhr den Gipfel erreichten. Wir begannen sofort, zur Vallothütte abzusteigen.

Ein eigentümliches Brausen erfüllte die Luft, stellenweise steckten wir schon im Nebel, und eine schwarze Wolkenwand rückte bedrohlich und mit unheimlicher Geschwindigkeit von Westen heran. Kaum hatten wir das kurze Stück scharfen Grates zum Vorgipfel hinter uns, als uns ein wahnsinniger Sturm anfiel. Die Ski auf dem Rücken flatterten im Winde umher und drohten, allenfalls mit uns, davon zu fliegen. Wir brauchten unsere ganze Kraft, um gegen den Sturm anzukämpfen und uns hinunter-zuarbeiten, bis wir zwischen den Wänden der Vallothütte Schutz vor dem Sturm fanden. Der vordere Raum war etwa einen Meter hoch mit Schnee angefüllt, der hintere wenigstens nur dreissig Zentimeter, und als wir die obersten mit Schnee und Eis bedeckten Decken von dem Lager weggenommen hatten, erschien eine ganze Reihe halbwegs trockener Decken. Wir hüllten uns gut ein, kochten mit Meta und schliefen die Nacht recht wohl, während der Sturm um die Hütte tobte und durch alle Ritzen und Fugen den feinen Schneestaub hereinblies, so dass wir am andern Morgen ganz verschneit aussahen.

Wir schauten hinaus... Sturm, Schneesturm, kein Gedanke an Aufbruch. So blieben wir denn den Karfreitag in unseren Decken liegen. Die Nachforschungen, die wir an diesem Tag in der Hütte nach Spuren der vermissten Schweizer Barth und v. Allmen anstellten, blieben ergebnislos, wie wir überhaupt auf unsrer ganzen Fahrt nicht das Geringste angetroffen haben, was auf ihre Anwesenheit hätte schliessen lassen können. Am Karsamstagmorgen tobte zwar der Sturm mit unverminderter Gewalt, aber es war strahlend schön.

Wir brachen auf, kämpften uns die hundert Meter bis zum Col du Dôme hinunter, schnallten an und fuhren, bald windgeschützt, durch tiefen, stäubenden Pulverschnee in prachtvoller Abfahrt zu den Grands Mulets und zur Jonction hinunter. Die heikle Querung zum Pavillon de la Pierre Pointue Hess sich besser an, als wir erwartet hatten. Wir schnallten ein kurzes Stück ab und kamen dann ansteigend sicher hinüber. Es folgten noch 600 Meter herrliche Abfahrt auf freien Hängen im Pulver, dann viel Ärger in steilen Rinnen, Platten, Bächen, alten Lawinen und zum Schluss noch in steilem Wald bei morschem Schnee. Um 3 Uhr nachmittags trafen wir nach siebentägiger Abwesenheit wieder in Chamonix ein.

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