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Norwegische Landschaft

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Werner Hecht

( Basel, Sektion Bern ) Mit 5 Bildern ( 116—120 ) T.

In der Nordsee hatte der Wind weisse Schaumfetzen zur Kommandobrücke heraufgewirbelt. Mit einer schweren Fracht belgischer Eisenträger drückte sich die « Columba » tief in die Wellen. Überraschend war auf einmal die Küste vor uns gestanden, eine niedrige, dunkle Gebirgskette, die sich fern im Regen verlor.

Seit Tagen schon schwimmt der kleine Vierzehnhunderttonnenfrachter der norwegischen Küste entlang. Durch ein Gewirr zahlloser Klippen steuert der Lotse das Schiff. So weit man sieht, tauchen flache, leicht gerundete Felsenbuckel aus dem Wasser, nackter, grauer Granit. Aber nur selten und gedämpft dringt der Wellenschlag in langen Schwingungen durch die Schar der Klippen an den stillen Küstenstreifen. Langsam hebt sich der Dampfer, sinkt hinab ins Wellental und bohrt seinen Bug bis über die Ankerkette ins aufschäumende Wasser. Die « Columba » ist leichter geworden in den letzten Tagen. Bei Stavanger hat man das Eisen ausgeladen. Dort wollen sie eine Brücke damit bauen. Jetzt liegt Bergen hinter uns, und weiter nach Norden geht die Fahrt. Heute sollen wir Aalesund, übermorgen Kristian-sund anlaufen.

In stumpfem Grau liegt die Wasserfläche. Der Regen gibt dem Meer einen samtenen Schimmer und hüllt die Landschaft in ruhige Schattentöne. Höher und höher, je weiter wir fahren, ragt das Land empor. Kahle Wände steigen steil aus der See, riesige Kegelstümpfe oder langgestreckte, senkrecht abgebrochene Blöcke. In einfachen, grossen Linien bietet sich die Silhouette der norwegischen Küste. Wir fahren unter dem Rand der skandinavischen Felsenplatte, der unabsehbaren Hochebene, die sich öd und menschenleer bis ans Nordkap dehnt, noch viele Tagereisen weit.

Hier und dort auf einigen grossem Inseln stehen roh gezimmerte Hütten. Ruderboote sind aufs Trockene gezogen. Einzelne Fischerfamilien leben in dieser Einsamkeit. In den hellen Nächten begegnen wir den Männern, wie sie, in ihren Booten zu kleinen Flottillen vereint, ihre Netze legen.

In scharfem Bogen windet sich die « Columba » durch das enge Fahrwasser. Dort auf der Insel, vom Ufer bis hinauf in die grünen Hänge, drängen sich bunte Häuser. Ein Motorboot faucht uns entgegen. Die Matrosen reissen die Segeltuchblachen von den Luken. Schon stehen die Wintschmaschinen unter Dampf. Aalesund. Der Umschlag kann beginnen.

II.

Ein Dutzend niedrige Hütten, die Dächer mit Gras bewachsen, steht nebeneinander in der ebenen Wiese. Das ist die Alp. Sie heisst Bödalsäter, nach dem Geschlecht der Bödal, welches das Tal besiedelte und dessen Nachkommen noch heute auf diesem Boden leben.

NORWEGISCHE LANDSCHAFT Sanft senkt sich das Tal zum Loensee hinab. Auf beiden Seiten ragen die Wände tausend Meter hoch auf zum Hochland, zum Fjell. Leuchtend grüne, saftige Grasbänder durchziehen die Felsen. Und bis zum Firn hinauf blühen üppige Berganemonen, wuchern buntfarbene, weiche Moospolster im Gestein. Hinter dem Säter endet das Tal. Rings steigen die Hänge empor. Lichtes Birkengehölz umsäumt ihren Fuss. Doch der Baumwuchs reicht nicht weit hinauf. In 600 Meter Höhe, wenig über dem Talgrund, liegt die Baumgrenze. Die letzten knorrigen Birken kriechen mühsam am Boden hin und wehren sich gegen das Wetter. Breit rauschen die Bäche, in zahlreiche Verästelungen aufgelöst, über die glatten Felsen. Ein Gletscher fliesst vom Jostedalsbrä ins Tal herab bis in die Nähe der Hütten. Das blanke Eis strahlt in klarem Blau. Drüben am Gegenhang zeichnen sich mächtige Eistürme gegen den Himmel ab. Dort oben liegen die Gletscher des Skaalenfjells, die bei klarer Luft bis weit nach Norden sichtbar sind.

Junge Pferde tummeln sich um die Alphütten, hellbraune, muntere Tiere mit kurzen, struppigen Mähnen. Sie bäumen sich auf, schlagen aus und verfolgen einander in wildem Spiel über die Wiesen.

Der alte Bödal, ein hochgewachsener, grauhaariger Bauer mit massigem Schädel, erklärt uns vor seiner Hütte die Namen, die er selber den Bergen und Gletschern ringsum gegeben hat. Diese Namen sollen, wie er stolz mitteilt, in die neue, in Ausarbeitung begriffene Karte von Norwegen aufgenommen werden. Der alte Bauer erzählt von dem grossen Bergsturz drunten am Loensee, der vor einigen Jahren den See zum Überlaufen gebracht und eine Häusergruppe samt Menschen und Tieren vernichtet hatte. Deutlich erkennen wir jenseits des Sees am Berg die helle Abbruchstelle. Leichte Dämmerung zieht das Tal herauf. Es ist schon spät in der Nacht.

III.

Fünf Stunden hat der Aufstieg gedauert. Jetzt ist der Gipfel erreicht. Erst führte der Pfad aus dem Talkessel über bunte Matten an stäubenden Wasserfällen vorbei aufs Fjell hinauf. In schwacher Neigung stieg der Firn zum Gipfel an. Vor dem Gipfelaufbau mussten wir in die steile Westflanke ausweichen, um zum Einstieg zu gelangen. Tief unter uns, inmitten fast senkrechter Wände, lag ein tiefblauer See. Eisschollen trieben auf dem Wasser. Die letzten 200 Meter brachten einfache Kletterei in zerklüftetem Fels. Doch es galt, gut aufzupassen. Man merkte es dem lockeren Gestein an, dass der Gipfel nicht oft bestiegen wurde. Grosse Blöcke neigten sich, wenn man sie betrat, langsam vornüber und stürzten, kaum dass man Zeit hatte, sich einen vertrauenswürdigeren Platz zu suchen, polternd ins Tal. Ich wunderte mich ein wenig über den Burschen aus der Sägerei am See, meinen Führer, der, sobald wir unterm Gipfelaufbau angelangt waren, sofort losgeseilt hatte. Später habe ich beobachten können, dass die Auffassung in Norwegen recht verbreitet ist, die Seilsicherung sei nur im Eis berechtigt, wo die Gefahr oft unsichtbar bleibe. Im Fels dagegen, wo man die Schwierigkeiten leichter abschätzen könne, solle jeder die Folgen seines Verhaltens allein tragen.

Nun stehen wir auf dem Lodalskapa, dem einzigen Punkt in weiter Runde, der sich als eigentlicher Gipfel über das gleichförmige Hochland erhebt. Strahlender Himmel über uns. Weit unten liegen die winzigen Hütten von Bödalsäter im frischen Grün. Nach der anderen Seite windet sich ein breiter zerschrundeter Gletscher ins schattige Jostedal. Im Nordwesten ziehen sich die scharfen Bergketten von Sunnmöre hin. Fast verschwimmen die letzten Ausläufer im Dunst. Dort über Wolken leuchten zackige Nadeln und Gräte. Es sind die Berge von Jotunheimen, Galdhöpig und Glittertind, die Berge mit den klingenden Namen, mit Hotels, Bergbahnen und Führertarifen. Ich sehe sie nur von weitem, mit meinem Begleiter allein, in endlos weiter Landschaft. Und plötzlich überkommt mich beglückend das Bewusstsein der Einsamkeit in unberührter, ewiger Natur. Dort im Süden weitet sich in reinem, blendendem Weiss die Eiswüste des Jostedalsbrä. Das suchende Auge findet keine Schranke. In leisen schattenlosen Wellen flimmert die Ebene im grenzenlosen Raum.

Dieses gewaltige, eisgepanzerte Hochland, das sich zum kalten Blau des Himmels hinaufzuschwingen scheint, trägt das letzte grosse Inlandeis Europas. Ein Rest eiszeitlicher Landschaft. Es ist, als ob die strahlende Öde den Blick nicht losliesse. Ein seltsam verlockender und zugleich beklemmender Reiz geht von dieser Landschaft aus, wie vom Meer, wie von allem unfassbar Grossen.

IV.

Wolken jagen über das Fjell. Drunten im Fjord liegt die Wasserfläche glatt wie Glas. Unbeweglich spiegeln sich die dunklen Felsen. Dort, wo die Bucht enger wird, wo die Wände sich wie Kulissen voreinander schieben und die Durchfahrt zu versperren scheinen, dort hindurch geht der Weg aufs offene Meer. Er ist Hunderte von Kilometern lang.

Jeden Tag kommt der kleine Dampfer von Fresvik am Sognefjord in diesen Nebenarm und kehrt wieder zurück zum Anschluss auf das Postschiff nach Bergen. Von den einzelnen Gehöften rudern die Bauern ans Schiff heran. Der Dampfer verlangsamt die Fahrt. Milchkannen werden eilig an Bord geschafft, die Post ins Boot hinabgereicht. Die Fahrt geht weiter. Wenn die Sirene ertönt, strömen in Aurland und Flam die Menschen am Lande-steg zusammen. Die Ankunft des kleinen schwarzen Dampfers ist immer ein Ereignis für die Fjordbewohner.

Auf dem Schutt, den die Flüsse am Fusse der Steilwände in den Fjord hinausgetragen haben, drängen sich die Dörfer und Höfe. Jedes bewohnbare Fleckchen Erde ist besiedelt. Selbst an den steilen Grashalden, hoch über dem Fjord in den Wänden, klammern sich die Menschen fest. Leitern führen senkrecht ins Wasser hinab. Sie verbinden den Hof mit der Welt, mit dem kleinen schwarzen Dampfer.

Trotzdem diese Bauern und Fischer mit Zähigkeit dem feindlichen Boden viel Platz abringen, fährt man oft Stunde um Stunde durch die Windungen des Fjords, ohne auf menschliche Spuren zu stossen. Unaufhörlich wechseln die Bilder. Die Ufer treten zusammen, weiten sich, und neue Schluchten tun NORWEGISCHE LANDSCHAFT

I

sich auf. Aber nirgends bietet sich dem Siedler ein Stück Erde, auf dem er stehen könnte. Himmelhohe, abweisende Wände überall. Die Natur ist hier stärker als menschlicher Wille.

Ganz ruhig liegt der Fjord. Nur einige Tümmler tauchen von Zeit zu Zeit mit ihren schwarzen runden Leibern aus dem Wasser und holen mit vernehmlichem Schnaufen frische Luft. Und über den beiden Fischerkuttern, die bei Aurland vor Anker liegen, flattert aufgeregt ein Schwärm Möwen.

V.

Wenn man von Aurland tausend Meter hoch gestiegen ist, hat man die Hochebene erreicht. Einige Alphütten sind bis zu ihrem Rande vorgedrungen. Hier fängt die weglose Weite an. Langsam steigen wir an über welliges, nacktes Gestein. Unzählige kleine Teiche funkeln zwischen den monotonen Granitbuckeln. Auf sumpfigen Mooskissen blüht der Sonnentau. Unser Ziel ist der Blaskavl, mit seinen 1773 Metern die höchste Erhebung am Sognefjord.

Es ist nicht leicht, den Weg zu finden. Wohin man sich wendet, bietet das Gelände den selben Anblick. Ungegliederte, weglose Öde. Der Fjord hinter uns erlaubt eine ungefähre Orientierung. Wir stellen den Kompass ein und verlassen uns auf unser Glück. Nach guten sieben Marschstunden stehen wir auf einer flachen Felsenkuppe vor einem niedrigen Häufchen aufgeschichteter Steine. Haben wir den Gipfel des Blaskavl wirklich gefunden? Rechts und links erheben sich andere Felskuppen, und wir wagen nicht, zu entscheiden, welche die höchste ist.

Der Westwind pfeift über die Höhe und fegt graue Wolken ins Land hinein. Wir sind spät aufgebrochen, es ist schon Abend. Die Nacht wird kalt werden. Im Norden leuchtet ein langer weisser Streifen, der Jostedalsbrä. Wir rüsten uns zur Heimkehr. Mit Hilfe des Kompasses suchen wir die Aufstiegsroute wieder zu finden.

Graubraun, leblos, öd umgibt uns das Fjell. In den schattigen Mulden liegen Schneeflecken. In der Ferne, wo das Land wieder ansteigt, dehnt sich die Hardangervidda, von einem grossen Gletscher überdeckt. Über die Vidda führt die Eisenbahn von Bergen nach Oslo, hinunter durch stundenweite Tannenwälder in den grünen Süden.

Jetzt stehen wir wieder am Abbruch, wo der Fels jäh von der Höhe in den Fjord hinabstürzt. Wie ein Polyp, der mit langen Armen um sich tastet, greift die See ins Landesinnere. Ein schwarzer Punkt schwimmt auf der mattblauen Fläche, die den Grund des Felsspaltes füllt, der kleine Dampfer, der hinausstrebt in den Sognefjord. Lange hält das stille Wasser seine Spur zurück. Jenseits setzt sich das Hochland fort. Von einem Firnfeld schlängelt sich suchend ein Fluss, erreicht die Kante und stiebt hinunter in die Tiefe.

Hier an dieser Stelle umspannen wir mit einem Blick das Wesen der norwegischen Landschaft, die schnee- und eisbedeckte Ebene, den jähen Absturz, den dunkeln Fjord, der sich ins Land frisst. Ein Blick erfasst den Fluss von der Quelle unterm Gletscher bis zur Mündung ins Meer. Vom NORWEGISCHE LANDSCHAFT leblosen Fjell schauen wir auf die Siedlungen hinab, die drunten an der Küste kleben.

Der Wind hat sich gelegt. Tiefe Stille liegt über dem Lande. Wir halten ein in unserem Weg. Die Augen verlangen nach Ruhe, um die Grosse und Schönheit der Landschaft in sich aufzunehmen. Die Grosse der grenzenlosen Weite, die Schönheit der wilden, ungebändigten Natur.

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