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Obergabelhorn-Südwand

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Margarete Wunsch

Mit 2 Bildern ( 152,153Basel ) Auf der Dorfstrasse in Zermatt werden eifrig Pläne geschmiedet, ist doch der Himmel plötzlich so blau und die Sonne so leuchtend geworden. Noch hängt mein Sinn an der Monte Rosa-Lysskamm-Castor-Pollux-Überschreitung, aber mein Kamerad hat sein Herz an eine Südwand verloren; um sie mit Theodor Perrens Hilfe zu erobern, wartet er schon seit 14 Tagen auf günstige Verhältnisse. Wohl wissen wir beide, dass Theo vor allem mich führen wird -aber Ernsts Ferien sind morgen zu Ende. Nie vergesse ich den zagen Hoffnungsschimmer in seinen Augen und den bittenden Kinderblick. Da könnt'ich nicht mehr widerstehen - man hat ja nicht ein Herz von Stein: Ich gehe mit in die Südwand! Zwei Augen strahlen, denn ein heisser Wunsch ist in letzter Minute in Erfüllung gegangen.

So starten wir denn Sonntagnachmittag nach Staffelalp. Wunderbar führt der Weg an der Seite des Zmuttbachs durch prächtigen Arvenwald. Gar bald ist das Motto für unsere Tour gefunden: « Jeder Schritt ein Genuss. » Wir haben genau das Richtige getroffen. Freudig überrascht mich Staffelalp. Ich bin für Hüttenzauber und Einsamkeit. Hotelbetrieb und gesetzte Höflichkeit liebe ich nicht. Welch Glück! Staffelalp ist ein kleines Gasthaus mit rauchgeschwärzter Küche, zwei Stunden hinter jeder Zivilisation.

Herrlich mundet das Nachtessen, und nach dem Fendant geht 's unverzüglich zu Bett. Ich schlafe einen herrlichen Schlaf, bis morgens 2 Uhr der Berggeist in Theos Gestalt an die Türe klopft.

Heissa!

Kurz nach 3 Uhr treten wir hinaus in die Nacht. Hell beleuchtet der Mond das Matterhorn, das sich breit und wuchtig mit seiner eisigen Flanke erhebt, und ein sternbesäter Himmel wölbt sich über uns, wie wir über den Zmuttbach dem Arbentale zustreben.

Ich bin wie im Traum. Durch das Dunkel der Nacht stäubt stürzendes Wasser. Feuchter Moos- und Grasboden federt weich unter den Vibram, und der sternenfunkelnde Himmel ist von Gipfeln und Graten begrenzt. Leicht und fein schlagen hinter uns schlanke Zweige zusammen, kniehohes Gras bewegt sich im Rhythmus unserer Schritte. Bald werden die Laternen gelöscht, und wir steigen durch das Arbental über die Moräne zum Arbengletscher. Wir gehen noch immer ohne Seil, und meine Vibram machen mich auf Eis und Hartschnee etwas zaghaft. Alexander kommt zu mir. Hand in Hand schreiten wir quer durch den weissen Hang.

In grauer Morgendämmerung durchklettern wir einen Felssporn und gewinnen dann über ein steiles Schneeband den Einstieg in die Wand. Schon ist die Sonne aufgegangen. Rot und Gold liegt über den Gipfeln, unsagbar schön. Auf einer Platte halten wir ausgiebig Rast und deponieren dort alles entbehrliche Gepäck.

Und nun: Hinein in die Wand! Senkrecht zur Höhe! Es ist die schwierigste Kletterei, an die ich mich erinnere. Das Gestein ist fest und sicher - dem Kletterer schlägt eine Sonntags-stunde. Alles ist senkrecht, oft leicht überhängend. Mehr als einmal glaube ich, Lex zurufen zu müssen: « Hebe, guet hebe - i ha kai Griff! » - als ob sein wachsames Vaterauge nicht auf Schritt und Tritt sorgend auf mir ruhte. Nach dem ersten Wanddrittel stehen wir vor einer steilen Kante. Theodor wehrt sich als erster. Er klebt eng angepresst an der Wand und sucht mit tastenden Händen die kleinsten Angriffspunkte, ruhig und sicher. Ihm folgt Alexander Taugwalder. Noch nie habe ich einen Menschen so klettern sehen. Nichts sieht man von Kraftaufwand, er besticht weder durch Schwung noch Eleganz, jede Bewegung ist einfach und selbstverständlich, als gäbe es eben gerade nichts Natürlicheres. Schon steht er ruhig oben und beschäftigt sich wortlos mit der Sicherung für mein Nachkommen. Schon hat er wieder einen Überhang gemeistert, an dem ich mich vergeblich mühe, dann aber eine Traverse nach links entdecke, um durch einen engen Riss und eine glatte Platte die Höhe zu gewinnen.

Nach dem zweiten Wanddrittel wird ein horizontales Band nach rechts gequert und dann direkt in die Fallinie zum Gipfel aufgestiegen. Schon beim Fendant auf Staffelalp haben mir die listigen Waluser vom saftigsten Brocken kurz unter dem Gipfel erzählt und mit saddisti-schem Blick etwas von Überhang und baumeln lassen eingeflochten. Doch zu ihrem Leidwesen bin ich für Führer-Schauergeschichten ein ungläubiger Thomas.

Langsam arbeiten wir uns durch die Wand. Die Schwierigkeiten wachsen ständig und steigern sich in den letzten 100 m nach Prophezeiung. Da wartet unser ein Kamin - freu dich KletterherzBis zur Mitte komme ich auf überraschend gute Weise, dann drängt mich ein eingeklemmter Block weit hinaus: « Hebe! i ha kai Griff! » Mit Knie und Ellbogen und allen mir zum Streit geschenkten Waffen kämpfe ich mich heldenhaft empor, erwische nach etlichen Hilferufen einen Griff, und die Stelle ist besiegt. Im zweiten Teil des Kamins leisten wenige, aber gute Griffe vorzügliche Dienste. Rasch gewinne ich an Höhe, zu Alexanders Stolz und Freude. Aus dem Felsenriss steige ich ins strahlende Licht auf den Gipfel. « Ich gratuliere », spricht Lex.

Blauer Himmel wölbt sich über die Bergwelt, bis in die fernste Ferne reiht sich Gipfel an Gipfel. Unbeschreiblicher Glanz fliesst in leuchtenden Strömen über eisgepanzerte Wände und verschneite Grate. Ein glücklicher Blick gleitet über Matterhorn und Dent d' Hérens - gilt diesen Bergen und ihren Graten doch meine grosse Sehnsucht. Die Walliser Riesen stehen im Kreise, wild und trotzig. Auch das Berner Oberland grüsst mit seinen Gipfeln, und Italiens Bergwelt lockt. Ein Nebelmeer von seltener Schönheit verbirgt die Täler.

Wir schütteln uns die Hände, beklopfen die Schultern, essen, trinken und sind glücklich wie reich beschenkte Kinder. In Sachen Appetit schlage ich den Rekord: Wurst, Käse, Brot, Biscuits, Schokolade, Äpfel, Birnen, und Alexander schält sogar aus schonenden Hüllen saftige Trauben. Das ist der Vorteil schwieriger Kletterei: das Warten auf die andern an jeder heiklen Stelle schenkt ungezählte Ruhepausen, so kommt man frisch auf den Gipfel. Auch Theodors Rucksack entpuppt sich als Obstladen, fürstlich geht es zu. Alexander steht mit Liebe und Ausdauer unter der Gipfelwächte und sammelt das Schmelzwasser tropfenweise, mich mit eisgekühltem Zitronenwasser zu verwöhnen.

Mit leeren Säcken starten wir nach glücklichen 1V£ Stunden zum Abstieg über den Arbengrat, der gar manche prächtige Kletterstelle birgt. Wie ist es schön, im festen Gestein wie auf Flügeln zur Tiefe zu gleiten. Ich fühle mich vogelleicht und gemesse unter Alexanders Obhut die Kamine, Platten und Türme. Unter dem grossen Gendarm öffnet sich der Blick in die Südwand, und Lex empfiehlt mir meinen Photoapparat - es sei hier die letzte Chance. So stelle ich mich denn vor und zurück, soweit es der Grat erlaubt, und habe eine Zielerei ohne Ende. Plötzlich hören wir verzweifelte Rufe. Theodor und Ernst stehen schreckensbleich auf dem Grat. Unser langes Verweilen hatte in ihnen bange Ahnungen geweckt. Nach einer kleinen Erholungspause queren wir glücklich vereint durch die Wand zu unserem Sackdepot.

Dann geht 's in froher Fahrt den Gletscher hinunter, über den Kamm der Moräne und durch das grüne Gras dem Zmuttbach nach zur Tiefe.

Was ist auch Ernst in die Beine gefahren? Was hat er vom Obergabelhorn für Schätze mitlaufen lassenHöchste Freude und tiefstes Glück. Er springt wie ein Junge und hat doch erst mit Bekennermut seine 52 Jahre eingestanden. « Oh, ich will nur in Zmutt den Fendant bestellen! » So springen wir denn auf dem kleinen steinigen Weglein mitten ins Herz von Zmutt. Dort fliesst aus grünen Hälsen bernsteinfarbiger Fendant. Jedes hat einen halben Liter zu konsumieren: das Glas ex auf Schmollis.

Puhh, wenn ich nur schon stünde! Im hohlen Kreuz und unseres Sieges würdig, defilieren wir in Zermatt, dies sei zum allgemeinen Lob gesagt. Aber am Tisch beim Nachtessen packt mich bleierne Müdigkeit. Den Suppenlöffel lege ich schwer beiseite, stehe mit letzter Kraft, kämpfe mich durch den Gang zur Zimmertür, ersteige das Bett und schlafe einen fürstlichen Schlaf.

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