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Oberhornsee

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Zu den Baumgartnerschen Aquarellbildern.

Hinten im Lauterbrunnenthal erschließt sich ein Stück alpiner Schönheit, von der die wenigsten Besucher des Berner Oberlandes eine Ahnung haben. Wer nach Lauterbrunnen kommt und allenfalls außer dem Staubbach dem Trümletenfall einen Besuch gemacht hat, wendet sich in der Eegel entweder links zur Wengernalp oder rechts nach Murren, beides weltberühmte Schönheiten, die ein anständiger Mensch gesehen haben muß und zu denen sich 's so bequem per Zahn oder per Seil hinaufrollt.

Wir möchten auch beileibe niemand abraten, diese lohnenden Seitensprünge auszuführen. Nur scheint uns, wer gesunde Beine und einen freien Tag hat, sollte vorerst geradeaus marschieren und den Thalabschluß einer kleinen Durchsicht unterziehen. Es wird ihn nicht reuen. Die erste Strecke auf dem Sträßchen " zwischen den Abstürzen des Schwarzen Mönchs, des Fußes der Jungfrau, zur Linken und den senkrechten Wänden, über welchen Murren liegt, zur Rechten legt man am besten in einem Einspänner zurück. In dreiviertel Stunden ist man in Stechelberg, wo der ebene Boden und der Fahrweg aufhören und die Fußwanderung beginnt. Ein freundliches, grünes Thal umfängt uns. Eng schmiegt es sich an den Fuß des Felswalls, von dem die Gletscher herabhängen und Eiswände von unnahbarer Wildheit aufsteigen. Seltsam nimmt sich in diesem weltabgelegenen Thälchen ein Hünenhafter Turm aus, der in seiner äußeren Form an den Eiffelturm en miniature erinnert. Es ein verlassener Hochofen, der aus dem Anfang dieses Jahrhunderts stammt, als hier ein bescheidenes Bergwerk betrieben wurde.

Unser Weg verläßt den die Thalsohle durcheilenden Bach und zieht sich rechts durch Wald ziemlich steil bergan. Wir kommen über die Waldgrenze in den hellen Sonnenschein, der auf dem Tau der Alpengräser funkelt. Drüben über dem dunkeln Tannengrün des Thales rauscht über die noch im Schatten liegende Felswand breit und hoch in mächtigem Sprung der gletschergeborene Schmadribach majestätisch hernieder. Besucher der Schynigen Platte werden sich erinnern, ein Stück dieses Wasserfalls aus weiter Ferne gesehen zu haben. Dort erschien er wie ein weißer Strich in dem großen Gemälde, hier aus der Nähe wie ein springender Löwe mit flatternder Mähne.

Vom malerischen Standpunkt aus betrachtet, ist dieser Ort wohl der reizvollste des heutigen Tages. Die unerschöpflich herabwallenden Fluten reden eine gewaltige Sprache, und nur schwer reißt man sich endlich los von dem ergreifenden Schauspiel.

Der Obere Steinberg heißt der Alpboden, auf dem wir uns jetzt befinden. Findige und unternehmungslustige Oberländer haben hier zwei allerdings bescheidene Wirtshäuser gebaut, kaum 10 Minuten voneinander entfernt, indem sie sich mit Recht sagten, daß eigentlich niemand, der ïiach Lauterbrunnen kommt, diesen Einblick in die Großartigkeit des Hochgebirges versäumen sollte. Nach einem kurzen Imbiß setzen wir unsern Weg fort, der uns in einer Stunde zum Oberhornsee, dem Ziel unserer Wanderung, führen soll. Der Charakter der Gegend wird rauher. Das Grün weicht zurück vor den Farben grau und weiß. Wo Schnee und Eis haften können, haben sie ihr Reich aufgeschlagen, das Reich des frostig blitzenden Winters, oben starr und scheinbar leblos, wenn nicht von Zeit zu Zeit ein Krachen verriete, daß auch'hier die Sonne arbeitet, unten alles voller Leben, ein Rinnen, Fließen, Strömen, Rauschen ohne Ende. Zurückblickend nach dem Lauterbrunnenthal, hat man die Jungfrau gerade vor sich, aber in völlig veränderter, nicht wiederzu-erkennender Gestalt — ein grauer, nahezu schneeloser Felskoloß, der aber doch auch im Sommer, wie man aus dem Aquarell des Herrn Baumgartner sieht, hin und wieder den Touristen die Freude macht, aus dem grauen Wolkenvorhange plötzlich in schneeweißem Gewände hervorzutreten. Für gewöhnlich sieht man im Hochsommer aber fast nur in dem Couloir Schnee, welches sich an der Jungfrau zum Rotthalsattel hinaufzieht, eine unheimliche Mahnung an die Lawinen, welche hier ins Rotthal hinab fegen und darauf hinweisen, daß man besser thut, den von hier aus deutlich erkennbaren „ neuen Wegu draußen über die Felsen zu nehmen« An die Jungfrau reiht sich jene vergletscherte Bergkette, deren Anblick einen der Hauptreize Murrens ausmacht: Gletscherhorn, Ebenefluh, Mittag-Und Großhorn, die schöngewölbte Kuppe des Breithorns und, zwischen letzteren zwei eingebuchtet, der leuchtende Firn des Schmadrijoches. Das innerste Thal ende wird bezeichnet durch das auf dem zweiteil Aquarell von Herrn Baumgartner dargestellte Tschingelhorn, seltsam geformt, mit vorgelagertem Felskopf. Zu seinen Füßen lugt der weit zurückgetretene Tschingelgletscher über den Felsrand hervor, die Richtung anzeigend, wo wir nach Kandersteg gelangen können. Die ganze Nordseite des Oberen Steinberg ist durch eine senkrechte graue Mauer, den Tschingelgrat, abgeschlossen.

Zu allen diesen himmelanragenden Hochbauten der Schöpfung kommt nun noch der Bauschutt, die Stücke Erdrinde, die dem Einfluß der Jahrtausende nicht widerstehen konnten, von den hohen Zinnen herabstürzten auf die Gletscher und von diesen, die, wie die Gefangenen-transporte der Gufferlinien zeigen, eine sehr strenge Straßenpolizei machen, langsam, aber sicher hinausbefördert werden in die Thäler, wo sie mit ihrer grauen Farbe weniger stören, als auf dem ewigen Schnee.Von den liebenden Händen der unermüdlich schaffenden Mutter Natur aufgenommen, werden sie mit Vegetation aller Art geschmückt, von den bescheidenen rostbraunen Kryptogamen an, die, nicht dicker als ein Färb e n an strich, die Felsblöcke bunt färben, bis zu den dicken, grünen Polstern der Androsaceen und jener ganzen Blumenpracht, wie sie so zart und schön in Form und Farbe, so anspruchslos und lieblich auch der bestgepflegte Garten nicht hervorbringt. Und was für eine Tierwelt auf diesem Blütenflor, der für sie die Gefilde der Seligen bedeuten mag, ihç lustiges Spiel treibt! Das summt und brummt und flattert und schwebt von einem Kelch in den andern, Süßigkeiten sammelnd und Samen verbreitend, und wo die Insekten nicht für die Befruchtung genügen, hilft der Wind nach. Wie ein ununterbrochener Strom ziehen Myriaden von Silberfädchen, von ich weiß nicht welcher Pflanze stammend, über den Erdboden hin und finden, scheinbar ziellos im Sonnenschein tanzend, jedes das ihm zugewiesene Plätzchen.

So vergißt man ganz, daß man auf einer Trümmerwelt endloser Moräne wandert, und steht nach Überwindung einer letzten Steigung plötzlich am Ufer des Oberhornsees. Wer mit hoch gespannten Erwartungen kommt, mag etwas enttäuscht sein. Das Richtige wäre, wenn man vorher gar nichts von der Existenz des Sees wüßte und nun plötzlich inmitten dieser Fels- und Gletschereinsamkeit sich der klare Wasserspiegel vor einem aufthäte. Die Farbe ist ausgesprochen blaugrün und das Wasser dabei doch so klar, daß man überall den Grund mit vollkommener Deutlichkeit sieht. Und was für Bilder birgt das Seeli in seinem Innern! Wenn man ankommt, das Breit- und Tschingelhorn, und wenn man sein Ufer umkreist, so spiegelt es panoramaartig die ganze Hochgebirgswelt wieder, von der ich oben einen schwachen Begriff zu geben versucht habe. Über ihm die Wirklichkeit, in ihm der holde Schein. Man sehe sich Meister Baumgartners Aquarelle an. Die reden deutlicher, als alle Beschreibung.

Und nun, nachdem wir eine Stunde an des Wassers Rand gerastet, geschaut und geträumt haben — wohin weiter? In Fortsetzung des Weges, auf dem wir gekommen sind, kann der verehrte Leser über den Breithorngletscher und die Wetterlücke nach dem Lötschthal gehen, oder er wendet sich mehr rechts nach dem Tschingeltritt und zu der neuen Clubhütte am Petersgrat, von der aus er Besteigungen unternehmen oder nach dem Wallis oder ins Gasternthal absteigen mag. Heute ist es allerdings für diese Touren zu spät geworden; wir müßten auf dem Obern Steinberg übernachten und morgen in der Frühe aufbrechen. Der mehr und mehr sich entwölkende Himmel verheißt einen schönen Abend. Wie wäre es, wenn wir, kaum der Stadt entronnen, zunächst uns mit bescheideneren Ausflügen begnügten und einige Tage in Murren Station machten?

Gesagt — gethan! In langen Sätzen sind wir bald wieder auf dem Oberen Steinberg, anstatt aber von dort dem Thalweg nach Stechelberg zu folgen, bleiben wir lange auf einem nur ganz allmählich sich senkenden reizenden Alpenpfad, der uns in das Sefinenthal mit seinem stolzen Wasserfall und von da wieder aufwärts über Gimmlwald nach Murren führt. Ein Sonnenuntergang in Murren gehört zu dem Schönsten, was man in den Bergen erleben kann. Vom Wetterhorn und Eiger bis zum Gspaltenhorn, was für eine Kette kühner Gipfel und gewaltiger Gletscher! Geheimnisvoll wallen und schweben die Nebel an ihnen hin. Hier verhüllen sie einen Berg, dort lassen sie in schier unfaßlicher Höhe durch die grauen Schleier einen Felszahn oder eine Firnzinne golden oder rosig durchschimmern. Dunkelbau steigen die Schatten aus der Tiefe herauf, in immer tieferem Rot erglühen die nun ganz von Wolken befreiten Gletscher und wir empfinden fast etwas wie Sehnsucht nach dem Oberhornsee, dessen Spiegel in diesem Augenblick die ganze Farbenpracht des Alpenbildes zurückstrahlen muß.Entfernungen: Lauterbrunnen - Stechelberg ( Fuhrwerk ) 8U Stunden, Oberer Steinberg 2 Stunden, Oberhornsee 1 Stunde 5 Min., O. Steinberg 30 Minuten, Murren 3% Stunden.A. Franche ( Sektion Bern ).

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