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Ostern auf Zuort

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Eugen Wenzel

Mit I Bild ( 54 ) und 2 SkizzenZürich ) Zuhinterst des Val Sinestra, dort wo sich das Haupttal gabelt, liegt auf einem von Tannenwald umgebenen Wiesenplan der Hof Zuort. Es ist der gegebene Ort, um ein paar ruhige Tage zu verbringen, und da sich in seinem Einzugsgebiet einige namhafte Berge befinden, wählten wir ihn als Standquartier für Ostern 1950.

Schon auf der Durchreise durchs Albulatal und Engadin waren wir vom warmen Licht, das sonnigen Apriltagen eigen ist, in die rechte österliche Stimmung versetzt worden, und in Schuls hatte uns Hermann Frei gutes Wetter und grosse Erlebnisse verheissen. Von einem Auto hatten wir uns über Remüs und Manas fahrend an die Schneegrenze in der Val Sinestra führen lassen und waren in anderthalbstündigem Anmarsch noch am gleichen Tag in die stille Einsamkeit von Zuort gelangt.

Auf weisen Vorschlag von Curt Meyer und um bei einem später etwa eintreffenden Wetterumschlag nichts bereuen zu müssen, packen wir gleich am nächsten Morgen den höchsten Gipfel des Gebietes an, den Muttler. Die Nacht ist noch nicht gänzlich aus den Wäldern gewichen, da haben wir das gastliche Haus schon verlassen und rutschen über hartgefrorene Flächen dem Eingang des Val Chöglias zu. Wenige hundert Meter nördlich von Zuort überschreiten wir die Brücke und wenden uns sofort ostwärts, um über die offenen Hänge von S. Peder anzusteigen. Der bewaldete Einschnitt des Val Griosch kann im Winter nicht benützt werden. Sobald man jedoch den Wald hinter sich gelassen hat, ist es ein leichtes, im Südabhang dieses Seitentales eine gleichmässig ansteigende Spur anzulegen und ohne Überraschungen in die oberste Mulde zu gelangen. Im Südwestabhang des Muttlervorgipfels müssen ein paar Kehren eingelegt werden, um die beträchtliche Höhendifferenz zu überwinden. Etwas oberhalb der Fuorcla Maisas erreichen wir den Westgrat.

Der bisher zurückgelegte Weg verspricht eine lohnende Abfahrt. Noch vielversprechender sieht das gerade nach Norden verlaufende Val Maisas aus, an dessen Ausgang wir die Häuser von Samnaun erblicken. Dem steilen Westhang des Muttiers nicht trauend, bleiben wir auf dem Grat, welcher uns leider schon bald zum Skidepot zwingt. Bevor wir uns zu Fuss weiter machen, lassen wir das grossartige Bild des Piz Tschütta oder Stammerspitz auf uns einwirken. So wie die schlanke Felspyramide von hier aus gesehen zum Himmel ragt, könnte einem die Lust an ihrer Winterbesteigung vergehen. Doch ist gerade sie es, die nach unseren Plänen das Hauptereignis dieser Ostern werden soll.

Etwas enttäuscht nehmen wir jetzt den langen Muttlersüdwestgrat unter die Fusse. An den sauber gefegten Gratstellen kommen wir schneller voran als an jenen, wo wir knietief durch angeblasene Wächten stampfen müssen. Nach der Überschreitung des Vorgipfels wird es besser und nach knapp fünfstündigem Aufstieg betreten wir bei schönstem Wetter die Kuppe des Muttiers.

Erwartungsgemäss ist die Aussicht dieses freistehenden Unterengadiner Riesen sehr ausgedehnt und gibt uns Gelegenheit, die Bündnerberge wieder unter einem andern Winkel kennen zu lernen. Den prächtigen Tag geniessend, wird die Gipfelrast heute über mehr als zwei Stunden ausgedehnt.

In der Aufstiegsspur, teilweise aber auch mit kleinem Vorteil im Firnhang der Nordflanke absteigend, kommen wir um 2 Uhr zum Skilager zurück. Wie schon am Morgen gibt uns der Anblick des Stammerspitz noch eine Weile Gesprächsstoff. Dann geben wir uns ungehemmt dem Genuss der Abfahrt hin. Im obersten Hang werden ein paar Telemarkzöpfe « geflochten », um dann in langen Schussfahrten die weiten Hänge des Val Griosch zu durchziehen. Selbst in den Waldpartien kann im etwas schwer gewordenen Schnee noch geschwungen werden, und nur zu bald sind wir wieder im Tal zurück. Auf der windgeschützten Veranda wird uns Tee aufgetragen, indessen Felle und Socken an der Sonne trocknen.

Wenn man in den Gasthöfen meistens seine liebe Not hat, in früher Morgenstunde fortzukommen, so müssen wir von Zuort das Gegenteil sagen. Pünktlich wird uns der Morgenkaffee auf den Tisch gestellt, und fast auf die Minute genau, wie am Vortag, werden wir mit den besten Wünschen auf die Reise geschickt.

Vom Stammerspitz,oder mit seinem romanischen Namen Piz Tschütta, wissen wir bereits so viel, dass er nicht leicht zu besteigen sein wird und uns am Gipfelstock eine harte Arbeit erwartet. Dagegen ist uns bekannt, dass Hermann Frei den Gipfel schon im April 1914 bezwungen hat, und so ziehen wir frohgemut in die Val Chöglias hinein. Auf mancherlei Hindernisse gefasst, sind wir überrascht, wie wenig Lawinenkegel zu überschreiten sind. Einen Aufstieg durchs Val Bolchèras, der uns in direktester Linie zum Gipfelstock führen würde, ziehen wir nicht in Erwägung, da uns der zwar etwas weitere, aber gewiss angenehmere Weg durchs Val Roz und über die Fuorcla dals Chamins sicherer erscheint.

Am Eingang des Val Roz überraschen wir einen Fuchs im ungleichen Zweikampf mit einem Murmeltier. Obschon er bei unserem Erscheinen vom bereits arg zugerichteten Beutetier ablässt und in flinken Sprüngen entflieht, ist das Murmeltier nicht mehr zu retten. Wir können nichts Besseres tun als seinem Leiden mit einem Pickelschlag ein Ende bereiten.

Der Graben des Val Roz wird bald zu eng und seine Hänge zu glatt, als dass man dort noch mit Freude vorwärts käme. Es bleibt uns nichts anderes übrig als unter beträchtlichem Kräfteaufwand rechts auszubrechen und über glasharte Steilhänge gerade hinauf einen Ausweg zu suchen. Nach Überwindung einer anstrengenden Stufe kommen wir auf einer Terrasse in besseren Schnee. Jetzt können wir ostwärts ansteigend wieder eine gute Spur ziehen. Curt hat sich den « Krampf » erspart und ist im Talboden früher auf Pulverschnee gestossen und gesellt sich in der obersten Mulde wieder zu uns.

Während wir unentwegt ostwärts ansteigen, können wir ein Rudel von über 20 Gemsen beobachten, das in langer Einerkolonne dem Grat zu unserer Rechten zustrebt. Es ist ein herrlicher Anblick, wie rasch und sicher diese Grattiere ohne Ski im tiefen Schnee fortkommen. Wir selbst schrauben uns OSTERN AUF ZUORT

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etwas schwerfälliger in die Höhe und erreichen lange nach ihnen den Gratrücken der Fuorcla dals Chamins. Obschon eine Rast fällig wäre, drängt es uns, auch noch Punkt 2925 m zu überschreiten, um endlich unseren Berg vor Augen zu haben. Und wie es dann so weit ist und wir dem Gipfel gegenüberstehen, verschlägt es uns fast den Atem.

Wortlos staunen wir die sich etwa 350 Meter hoch vor uns auftürmende Firnwand an und wissen nun, was für ein Stück Arbeit dort noch geleistet werden muss. Was uns in der obersten, felsigen Gipfelwand harrt, lässt sich nur ahnen. Gleichwohl finden wir nicht nur die Sprache wieder, wir kürzen sogar die Rast und wenden uns, die oberste Mulde der Val Bolscheras umfahrend, in einem Bogen der Nordflanke des imponierenden Berges zu.

Ohne langes Zaudern entschliessen wir uns für einen Direktanstieg. Im Schutz eines Felsblockes versorgen wir die Ski, bewehren uns mit Skistöcken und Pickel und steigen in die Firnwand ein. Es müssen sichere Schneeverhältnisse vorherrschen, bis man sich so einem Hang anvertrauen darf. Wie Fliegen an der Wand kommen wir uns vor, und der Boden scheint zusehends unter den Fussen zu versinken. Im letzten Drittel wird der Schnee härter. Curt arbeitet sich nach links auf eine Felsrippe hinaus, auf welcher wir besser voran kommen. Von den Skistöcken lassen wir den einen als entbehrlich hier zurück. Weiter oben queren wir in dem nun fast senkrecht anmutenden Firnhang wieder nach rechts und steigen gleich darauf in ein wenig ausgeprägtes Couloir ein, von dem wir aus allem, was darüber im Führer steht, nichts Gutes erwarten. Die aussergewöhnliche Gefährlichkeit besteht darin, dass die griffarmen und schlecht geschichteten Felsen teilweise von Eis überzogen sind. Die gegenseitige Hilfe ist nur noch gering, weil nirgends eine Seilsicherung anzubringen ist. Nachdem die ersten Seillängen gemeistert sind, streben wir wieder über besser gestufte Felsen dem Westgrat zu, der uns dann leichter und bald den Gipfel erreichen lässt. Von den 7% Aufstiegsstunden waren deren drei für die Bezwingung des Gipfelstocks verwendet worden.

Von ein paar Föhnstreifen abgesehen ist das Wetter gut geblieben. Wir bewundern ungefähr die gleiche Aussicht wie gestern am Muttler. Da wir uns heute auf einem spitzen Felsgipfel befinden und allseitig in tiefe Abgründe blicken, kommt uns die ganze Umgebung noch wilder vor. Sei es der Ausblick nach Süden in die bewalteten Talfurchen des Unterengadins oder nach Westen in die Firnenwelt der Suvretta, es sind Bilder von grosser Eindringlichkeit. Leider dürfen wir uns nicht lange aufhalten, und nach einer halben Stunde treten wir den Rückweg an.

Der Abgang durch die griffarme Felswand ist ein ernstes Unterfangen. Wir atmen alle drei erleichtert auf, wie wir den Firn betreten. Schon nach wenigen Schritten zeigt es sich, dass der Schnee inzwischen weicher geworden ist. Dieser Umstand verleitet uns, die Umgehung über die Felsrippe auszuschalten und direkt gerade hinunter abzusteigen. Bald darauf stossen wir auf die Aufstiegsspur, in welcher wir nun bedeutend rascher in den Firnkessel niedersteigen können. Beim Skilager angekommen müssen wir die verblüffende Feststellung machen, dass wir mit der uns so günstig erscheinenden Abkürzung prompt am Depot der Skistöcke vorbei gegangen waren. Wohl oder übel müssen wir uns entschliessen, den etwa 250 Meter betragenden Gipfelhang erneut zu besteigen. Mit bewunderungswürdiger Zähigkeit unterwirft sich Curt dieser Prüfung, um mir Gelegenheit zu geben, unterdessen am Gegenhang Aufnahmen zu machen. Während wir beide, jeder in anderer Richtung, emporsteigen, kann meine Frau als lachende Dritte in der Firnmulde die zu kurz geratene Gipfelrast nachholen. Das unliebsame Zwischenspiel kostet uns dank Curts Schneid nicht einmal eine Stunde.

Wieder vereint und jeder wieder mit beiden Skistöcken bewehrt, überschreiten wir nochmals den das Bolscherastälchen nördlich begrenzenden Gratrücken und fahren dann im Bereich der Aufstiegsspur in die Val Roz hinab. Der Fuchs hat, obgleich wir dies nicht erwarteten, in der Zwischenzeit das gerissene Murmeltier geholt und fortgetragen. Im hügeligen und von Lawinenzügen verstopften Graben der Val Chöglias kommt es zu keinen übermässigen Schussfahrten mehr. Erst das offene Gelände bei Zuort erlaubt uns mit Schwung am Hof vorzufahren.

Bei strahlendem Wetter nehmen wir am Morgen des Ostersonntags noch einmal den Weg in die Val Chöglias unter die Bretter. War uns doch gestern der Piz Montana aufgefallen, dessen nach Norden gerichtete Hänge gegen den Fimberpass günstiges Skigelände aufweisen. Im an sich schon mühsamen Aufstieg der Val da Storta gronda setzt uns auch noch die Sonne ordentlich zu, so dass wir nur langsam vorwärts kommen. Den Fimberpass rechts liegen lassend wenden wir uns im Bogen ostwärts gegen den Piz Motana, um uns durch eine prächtige Mulde den Gipfel zu erspuren. Der trockene Pulverschnee dieses Nordhanges wird uns zum Verhängnis. An den feucht gewordenen Fellen bilden sich solche Klumpen, dass wir uns ihrer nicht mehr erwehren können. Mir, als dem Meistbetroffenen, bleibt keine andere Wahl, als die Felle abzureissen und mit Klebwachs weiter zu steigen.

Österlicher Firnenglanz liegt über den Bergen. Auf der anderen Seite des Tales stehen die beiden Prachtgestalten des Muttiers und Stammer-spitzes, deren gelungene Besteigungen uns mächtig freuen. Südlich von uns zieht sich das bei Zuort ausmündende Val Laver dahin mit einem Skigelände, das nur in mehreren Tagen erforscht werden könnte. Wenn das Wetter hält, werden wir morgen auf der Heimfahrt den schönsten Skiberg dieses Tales, den Piz Tasna, kennen lernen. Nachdem wir eine Zeitlang dem Zug eines Gemsrudels zugesehen haben, treten wir die Abfahrt an und sind heute schon um 3 Uhr in Zuort zurück.

Auf der Terrasse ist uns noch eine Sonnenstunde beschieden, die wir damit ausfüllen, um mit den beiden blonden Töchterchen der Familie Jenal mit Ostereiern zu tütschen. Anschliessend werden wir beim Konzertdirigenten Mengelberg, dem Besitzer des Hofes Zuort, zu einem Besuch seines Hauses und der Kapelle geladen und staunen ob den reichen Kunstschätzen, die hier in der Waldeinsamkeit des Unterengadins verborgen sind. Zum Abendessen wird uns von Frau Jenal ein schmackhafter Gitzibraten aufgestellt, womit die Ostertage auch in dieser Hinsicht einen würdigen Abschluss finden.

Der vollständig bedeckte Himmel des Ostermontags lässt uns den Plan einer Tasnabesteigung fallen. Allerdings tauschen wir nichts Gleichwertiges dafür ein, denn die Ausfahrt durch die wilde Schlucht des Val Sinestra ist kein Vergnügen. Wenn wir uns auch vorstellen können, wie schön dieses Tal im Sommer sein muss, so sind wir doch froh, beim Kurhaus Val Sinestra auf die Fahrstrasse zu kommen. Lange bevor wir Sent erreichen, hört die Schneedecke auf, so dass wir den Endspurt zum Dorf im unvermeidlichen Fussmarsch zurücklegen müssen. Das schon bereitstehende Postauto entführt uns nach Schuls, wo wir in der gastlichen Obhut des Posthotels die Ostertage auf Zuort beschliessen.

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