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Pilier de la Tour

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Roland Ravanel, Argentière

Wir steigen bei strömendem Regen zum Lac Blanc auf! Um so warmherziger ist dafür dort oben der Empfang, und wir schlafen noch wie Murmeltiere, als Ginette uns aus dem Schlafe rüttelt. Fünf Uhr — und grossartiges Wetter! Alles Gestein ist mit Rauhreif überzogen, so dass wir mit Mühe und Not den Col des Dards in den Aiguilles Rouges erreichen, wo wir uns ein paar Minuten von den ersten Sonnenstrahlen liebkosen lassen; doch ein eiskalter Wind treibt uns allsogleich in die Flucht, und wir balancieren über das Glatteis der schattigen Combe de la Balme. Dort ist jeder Stein spiegelglatt - ein Eisfeld, auf das wir keinen Fuss zu setzen wagen. Sogar über einen leichten Moränenhang hinunter müssen wir auf allen vieren krabbeln.

Auf einer rötlichen Platte machen wir eine kurze Rast und betrachten die von der Sonne gestreiften Pfeiler: drei, als seitliche Begrenzung und Stütze der Belvedere-Südwestwand.

Wir wählen den charakteristischsten aus, den mittleren und höchsten, in seinem oberen Teil mit einem schwarzen Turm befestigten. Also nehmen wir ihn unter die Lupe: eine mit Gras bewachsene Spalte, die zu einem Dach führt; ein etwas flacherer Mittelteil und schliesslich der Gipfel: der Turm und das oberste Bollwerk. Wieviel Zeit werden wir benötigen? Er hat nämlich ein ganz beträchtliches Ausmass, dieser Pfeiler! Ein Gefühl der Ehrfurcht, der Unsicherheit und gleichzeitig der Lust, mit Angst gemischt, befällt uns. Wird es uns gelingen? Die Saison geht zu Ende; es ist September, und der Bergsommer will gekrönt sein!

Der Pilier de la Tour steht vor uns.

Man isst noch eine Kleinigkeit, rappelt sich auf, macht die Ausrüstung bereit.

Und schon in diesem ersten Riss Schwierigkeitsgrad V; klamme Finger, Nägel... vorwärts!

Das kann ja gut werden! Erst nach vierzig Metern, von denen zehn gemeinsam erklettert wurden, gelange ich ans Ende einer mit Glatteis polierten Platte und erreiche ein Band. Guter Stand. Hugues schliesst auf. Auch er findet die Länge hart; aber oben angekommen, freuen wir uns darüber. Die zweite Seillänge vollzieht sich in der Längsachse desselben Risses; ich mache halt, mitten in der Wand, links von einem Felssplitter. Wir entfernen alle losen Blöcke, die den Weg versperren, und setzen unsern Aufstieg in Rissen und Verschneidungen bis zur « Nase » fort, dann zu ihrer Linken, um wieder in den Verlauf des Pfeilers zu gelangen, wo endlich die Sonne unsere Gemüter erwärmt. Dieser Teil ist leicht, angenehm, und wir rücken schnell, mit grossen Seillängen im III. und IV. Schwierigkeitsgrad zum Fuss des Turmes vor.

Das Geröllfeld senkt sich immer tiefer unter unsern Schritten, glatte und gewölbte Platten treten dazwischen und unterstreichen noch das Gefühl der Leere. Gemsen haben den zerschrundeten Glacier de la Floria überquert und in stotzigen Hängen ihre Spuren hinterlassen. Ein Schneehuhnpärchen lärmt über unsern Köpfen in einem steilen, mit Schneeflecken gesprenkelten Couloir. Zweifellos stammt dieser Schnee von gestern abend.

Nun aber Schluss mit der Träumerei! Wir müssen den Turm rechts umgehen und kommen in eine sehr ausgesetzte Scharte zwischen dem Turm und dem letzten Aufschwung.

Ich bin sprachlos. Wo und wie soll 's da weitergehen? Hugues hat den Photoapparat schussbereit. In freier Kletterei suche ich einen Durchgang rechter Hand - und kehre schleunigst wieder zum Ausgangspunkt zurück. Ich unternehme einen direkten Versuch, setze einen Nagel, zwei Nägel - und steige unverrichteterdinge wieder ab... Etwas tiefer unten auf der linken Seite... Pendelschwung... ich erwische etwas Griffähnliches in einer Lage, die sich der Horizontalen nähert, will einfach nicht locker-lassen; aber es geht nicht, und wiederum muss ich kehrtmachen, nachdem ich einen schlechten Nagel gesetzt habe. Es wäre doch zu schade, wenn es uns nicht gelingen sollte, wären doch nur noch drei oder vier Seillängen zu meistern, aber... Ich versuch 's noch mal, indem ich drei Meter über unserm Standplatz, unter einem Felssplitter, einen sogenannten « extraplat » anbringe, hänge einen Steigbügel ein, auf den ich aber nicht zu treten wage, und setze einen von mir als « piton des grandes occasions » bezeichneten Haken in ein gelbliches Loch - er steckt nur ein paar Millimeter tief. Wenigstens ein künstlicher Handgriff! Dann geschwind weiter oben links einen Haken mit einem Abseilring -und endlich einen würdigen Haken nach einem sehr exponierten Schritt; er lässt sich gut eintreiben, während sich gleichzeitig der erstere mit dem Abseilring, der als « Kabine » am Seil dient, löst! Der letzte Haken aber sitzt, und Hugues wird ihn steckenlassen, denn sie ist kein Kinderspiel, diese gelbe Platte, die an falbe, in der Sonne trocknende Lärchenbretter erinnert.

Ich verlasse die Platte und befinde mich am Fuss einer Verschneidung, wo ich einen zünftigen Winkelhaken setze! Meine Laune verbessert sich angesichts der Schwierigkeit, und trotz der extremen Steilheit dieser Stelle und der Müdigkeit, sie sich bei den letzten fünfzehn Metern eingestellt hat, überwinde ich diese Verschneidung in sportlicher Manier, in freier Kletterei, ohne einen Haken einzuschlagen, und gelange auf ein grasbewachsenes Bändchen, wo zwei Haken die Freude, in der Nähe des Gipfels zu sein, verkünden. Zudem bestätigt ein Holzkeil den Standplatz. Auch Hugues ist nun soweit.

Ich muss allerdings feststellen, dass der erste Nagel ganz von selbst herauskommt und der dritte auch gleich nachgibt. Was den vierten betrifft: den lässt man stecken. Hugues findet die Verschneidung, die ihn zu mir herüberführt, kostspielig. Es ist auch eine interessante und direkte Führe. Bereits zehn Seillängen - oft über 35 Meter - liegen hinter uns.

Ein Haken links und eine weitere Verschneidung ermöglichen uns den Abstieg zum breiten, flachen, mir bisher unbekannten Grat zwischen der Pointe Favre und der Kalkhaube des Belvédère. Im übrigen ist es mehr als eine gewöhnliche Gipfelhaube: ein richtiger Steilaufschwung, der sich über dem die Südwand durchquerenden Schneeband erhebt. Diesem Band folgen wir nun. Die Schneehühner flattern davon, um sich fünfzig Meter weiter entfernt niederzulassen. Nebel fällt ein. Es schneit! Alles ist glitschig. Allenthalben Feuchtigkeit. Man hat das Gefühl, sich in einem gewaltigen Gebirge zu befinden. Nach etwa zwanzig Minuten quert man unter einer bizarr geformten Scharte. Alles tropft, Wasserschleier huschen über die schwärzlichen, gelbgesprenkelten Schieferplatten an dieser Stelle, die ganz an die Eigerwand erinnert! Wie eindrucksvollWir machen weiter. Nach einer halbstündigen « Kriecherei » glaube ich die Normalroute zu entdecken, und wir steigen über schnee- und eisgepanzerte Platten ab. Eine Kluft scheint uns zu verschlingen... in Wirklichkeit ist es nur eine Täuschung. Vom Nebel eingehüllt, geht 's wieder aufwärts, immer noch entlang dem Fuss des Kalkaufschwungs. Zwanzig Zentimeter Neuschnee!

Dann endlich die Arête des Dards; man seilt sich los, rennt, gleitet über den Firn, stösst die Hüttentür auf, stillt den Durst, lacht, nimmt den Flégère-Weg unter die Füsse, steigt in die Kabine, die ins Grüne schwebt, zu den Blumen.

Der Pilier de la Tour liegt hinter uns - und gehört uns.

1Besteigung des Pilier de la Tour 2Am Pilier de la Tour Photos Roland Ravanel, Argentière

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