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Piz Bernina-Nordostflanke

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Karl Schneider.

An der Berninapassstrasse sassen wir, dort wo das staunende Auge mit einem Blick alles das erfassen kann, was über dem Morteratschgletscher sich aufschwingt in die verschwenderische Bläue des Engadinerhimmels. Wer könnte das ganz unwahrscheinlich schöne Bild beschreiben? Der wundervolle Bergkranz da drüben, der grell beleuchtet in der frühen Nachmittagssonne lag, nahm unser ganzes Fühlen und Denken in Anspruch, und ich merkte erst reichlich spät, dass der Kreuzungspunkt einiger Ameisenverkehrsstrassen kein angenehmer Sitzplatz ist.

Dem höchsten Gipfel uns gegenüber galt das besondere Interesse. Schon vor Jahresfrist, als wir wieder einmal in die Berninawelt kamen, tauchte der Gedanke auf, der Nordostwand des Piz Bernina einen direkten Durchstieg abzutrotzen. Nun hockten wir hier, und das Fernglas tastete immer und immer wieder diese eisgepanzerte, mächtige Wand ab. Die obere Wandflucht würde uns wohl keine allzugrossen Schwierigkeiten entgegenstellen; ganz unmöglich ist die keinesfalls. Dagegen sieht das mittlere Stück gar nicht einladend aus, denn ein bedrückend hoher, eisbeladener Wandgürtel liegt mit Überhängen reich gesegnet protzig dazwischen. Links davon, gegen Sass dell Pos zu, wäre es eher möglich durchzukommen, doch hat das dann wegen der Ostgratnähe mit einem direkten Anstieg nichts mehr zu tun. Ebenfalls sinnlos wäre es, rechts hinten unter dem Biancograt anzusteigen. Also gilt nur die Mitte, und diese mussten wir in ihrer nächsten Nähe genauer studieren.

So berieten wir hin und her, erwogen dies und jenes, ohne uns eingestehen zu wollen, dass während der letzten Feststellungen unsere Zuversicht bedenklich gesunken war. Doch das stand fest — wir wollten es auf den Versuch ankommen lassen.

Vorerst war jedoch daran nicht zu denken, denn hoher Neuschnee lag an den Flanken der Berge. So zogen wir denn an diesem Abend noch, die geliebten Sommerski unter dem Arm, hinauf durchs herrliche Rosegtal zur Coazhütte.

Der andere Tag — Pfingstmontag war 's — sah uns auf dem Piz Roseg. Und drüben hinter dem Scerscen freute sich der Piz Bernina einer ungestörten Einsamkeit. Geduld, verehrter alter Herr, in deinem weissen Bart, den du zur Bovalhütte hinunterhängst, wirst du bald ein paar « Flöhe » finden — verlass'dich drauf.

Vier Wochen später, am 21. Juni 1931, kamen wir, mein Freund Franz und ich, wieder nach Pontresina. 9 Tage standen uns zur Verfügung, und in dieser Zeit sollte der langgehegte Wunsch, der so heftig in meinem Kopf herumspukte und meine Träume belebte, in Erfüllung gehen — wenn Wetter und Glück zu uns hielten. An uns selbst sollte es wahrlich nicht fehlen.

- ,v.-v... rPIZ BERNINA-NORDOSTFLANKE.

Unser Aufstieg.

« Unheilbar gesund », wie wir uns fühlten, waren wir voll Spannkraft und bissigem Willen zur Tat.

Nachdem die Stallsorgen für unseren treuen « Benzinesel » überwunden waren, nahmen wir wieder die schweren Selbstversorgersäcke auf, klemmten Sommerski und Stöcke unter den Arm und zogen in der Abenddämmerung hinaus aus dem teuren Hoteldorf. Wir kümmerten uns wenig um die Bemerkungen, die spazierstöckelnde Sommerfrischlinge über uns machten: für uns war ihre parfümierte Meinung ganz unwichtig. Viel wichtiger schien uns für die Nacht ein anständiger Biwakplatz, denn mit unserer Last noch zur Boval- hütte zu gehen, war nach der vorausgegangenen Tagesleistung reichlich überflüssig. Unweit ausserhalb der letzten Häuser bereiteten wir neben der Passstrasse unser Nachtlager. Inzwischen war es dunkel geworden. Der Primuskocher summte sein monotones Lied, und über uns blinkten die Sterne. Hin und wieder huschte mit glotzenden Scheinwerfern ein Auto vorbei, uns in der Stille zurücklassend. Biwak an der Landstrasse. Landstrassenromantik —-wildes, freies Leben—-wie kenne ich dich, wie sitzt du mir noch in der Seele. Die knisternde Hülle des Zeltsackes nahm uns auf. Klar und leuchtend stand der Mond über dem Palü.

Trotzdem wir vor Tagesgrauen schon den Weg zur Hütte unter die Füsse nahmen, kann ich nicht sagen, dass wir es eilig gehabt hätten. Durchaus nicht. Entgegen unserer sonstigen Gewohnheit sollte diesmal richtig gebummelt werden. Wir taten darin auch unser Möglichstes und vollbrachten eine Glanzleistung. Als die Sonne im Mittag stand, betraten wir die Clubistenküche der Bovalhütte.

Nachdem uns ein « kurzes aber einfaches Mahl » angenehm beansprucht hatte, suchten wir die Nähe unseres Problems auf. Am. Fusse des Piz Morteratsch sitzend, beobachteten wir die mächtige Wand. Und das, was wir da sahen und hörten, war nicht immer verlockend und erfreulich. In kurzen Abständen, an verschiedenen Ecken schoss stürzendes Eis zur Tiefe; spritzend und stäubend beim Aufschlag, erfüllte es die Luft mit donnerndem Getöse. Steine zerschellten knallend an ihresgleichen. Dann wieder unterbricht nur glucksendes Schmelzwasser die heilige Stille — für Minuten nur, und der Tanz begann von vorne. Das alles konnte aber unser Mütchen nicht kühlen. Ganz im Gegenteil, ich wollte unbedingt die kommende Nacht noch einsteigen; meine Tatkraft schrie förmlich nach Sturm. Franz, der ältere von uns beiden, war bedächtiger, er hatte seine eigene Ungeduld so weit in der Gewalt, dass für mich sogar noch eine wohlmeinende, diesbezügliche Lehre abfiel. Also wurde der nächste Tag für die endgültige Erkundung bestimmt. Und das war gut so. Nicht eben sehr früh war anderntags das steile, aus der Nordwand kommende, arg zerschrammte Eisfeld erreicht. Stöcke und « Hölzer » hinterlegt, Seil und Steigeisen angebracht und dann los. Die Zunge ist hier stellenweise sehr geneigt, und wenn ich schnell einmal, zur Unterstützung der scharf beanspruchten Fussknöchel, eine kleine Kerbe in den Hang schwindeln wollte, so war es Franz, der von unten herauf « irgendetwas sagte».Und dann ging 's auch so.Einige kleinere Spalten wurden bald abgelöst von grossen, die ganze Breite durchziehenden Schlünden, deren einer durch keine Brücke mit dem andern Ufer in Verbindung stand. Obwohl wir noch nicht sehr hoch waren und drüben an der rechten Begrenzungswand dieses Eiskessels das Gelände gangbarer aussah, wollte keiner umkehren. Es fand sich auch bei nochmaliger Betrachtung in der sperrenden Spalte eine Schwäche, in Form eines weniger tiefen Grundes, aus welchem ein breites Band zur gegenüberliegenden Seite anstieg. Wir hackten uns also hinunter, ich trat von einem Gesimse aus auf den tief erliegenden « Grund»das sichernde Seil war augenblicklich in Tätigkeit getreten, so dass ich drüben den Pickel einrammen konnte, bevor ich weiter an Tiefe gewann. Über uns hing grinsend und zur Eile mahnend ein tropfender Wulst herein. Das Band barg keine weitere Überraschung, und im Nu war der trügerische Schlund wieder mit sich allein. Jenseits angelangt, war es uns klar, dass derartige Sachen, in dunkler Nacht bei Lampenschein ausgeführt, unangenehm und zeitraubend werden können. Es musste sich da schon ein anderer Einstieg finden lassen. Das Suchen wollten wir dann während des Abstieges besorgen. Vorerst galt es, die Durchstiegsmöglichkeit des Eiswalles über uns näher zu untersuchen. Die nun folgenden Spalten hemmten unser Fortkommen nicht, denn breite, zuverlässige Brücken überspannten ihre gähnenden Mäuler. Aber dann kam etwas weniger Gemütliches. Ein weiterer, unheimlich tiefer Spalt, dessen gegenüberliegender Rand den anderen beträchtlich überragte, tat sich vor uns auf. Die beiden Ränder nicht direkt verbindend, zog sich von unserem Ufer ein feiner Bogen zu einem Sockel in der jenseitigen, lotrechten Spaltenwand, welche sich rechts des Sockels gutmütig zu einer flachen Mulde formte. Der schmale Steg nun, der sichtlich unter dem Einfluss der prallen Mittagssonne stand, verlief diagonal zu den Spaltenrändern und verlängerte dadurch die peinliche Strecke, die wir hinter uns bringen mussten. Die « Sprosse » war nur einen Fuss breit und in der Mitte ebenso « stark ». Da ich ziemlich bestimmt damit rechnete, durchzubrechen, zog ich die Seilschlinge fester, knöpfte die Taschen zu, und dann — Frechheit steh'mir bei. Franz sicherte und dirigierte meinen Gang von links her. Unter mir das schmale, trügerische Band, links und rechts schwarzer, bodenloser Schlund, schob ich sachte, immer bedacht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, Fuss vor Fuss. Wie lange doch 5 Meter sein können. Endlich den Sockel erreicht, brachte mich ein kleiner Spreizschritt nach rechts in die rettende Mulde. Das konnte ja eine feine « Nachtwanderung »werden.Nachdem auch der Gefährte sich herübergeschwindelt hatte, war der weitere Weg ohne Schwierigkeiten. Höher gekommen, hielten wir Ausschau. Ich wollte meinem Freund gerade die Vorzüge einer eiserfüllten Rinne ins rechte Licht setzen, als sich eine Ladung Eis, aus dem oberen Wandgürtel kommend, tosend in dieselbe ergoss. Scheinbar war es doch das beste, den abweisenden 350 m hohen Eiswulst anzugehen, es fragte sich nur, wo man dort überhaupt angreifen kann und ob kein Bergschrund den Einstieg verwehrt. Indessen wir höher strebten, stellten wir besorgt Betrachtungen über die Nebelfetzen an, die zuerst droben am Gipfel und am Piz Bianco herumstrolchten, schliesslich aber auch über den Ostgrat in die Wand hereinfuhren. Die hatten 's zu eilig, um harmlos zu sein.Im Süden stand verdächtig dunkles Gewölk und bestätigte unsere düsteren Ahnungen. Bald verdunkelte die Landschaft, und kalte Windstösse fielen uns an. Vom Gipfel war nichts mehr zu sehen, bleigraue Nebelmassen hüllten ihn ein und drohten, auch die unteren Wandpartien zu verschleiern. So gut es die Neigung des Hanges zuliess, beschleunigten wir unser ohnehin forsches Tempo, um bald einen über uns befindlichen Lawinenkegel zu erreichen, von welchem das Gelände gut zu übersehen war. Es zeigte sich, dass keinerlei Hindernisse den Zugang verwehrten, da alles von Schnee und Eismassen zugeschüttet war. Das genügte uns. Die ersten schweren Tropfen fielen. Dadurch zu höchster Eile getrieben, gelangten wir bald wieder an die gefürchtete « Verbindungs-sprosse » und schlichen mit gemischten Gefühlen über dieses zweifelhafte Gebilde.

Von der Fuorcla Prievlusa sinkt eine Felsrippe, deren Wand den untersten Teil unserer Route begrenzt, zum Morteratschgletscher ab. Diese überschritten wir. Nach links absteigend erreichten wir leicht eine geröllbesäte Eiszunge und über diese ohne Schwierigkeit den sicheren Firn. Somit war es uns gelungen, für den kommenden Angriff einen Einstieg zu finden, welcher es ermöglicht, von der Seite her in den Schoss der Nordwand zu kommen, ohne dass man durch zeitraubende Spaltenmanöver aufgehalten wird. Allerdings lag die « feine » Brücke nicht im Bereich dieser Erleichterung. Doch wäre es im Notfalle vielleicht möglich, nahe den Plattenwänden der Rippe durchzukommen.

Das Wetter hatte vollkommen umgeschlagen. Der herzerquickende Sonnenschein des Morgens war einem trostlosen Grau gewichen. Droben jagte der Wind aufgeregte Wolkenfetzen vor sich her, fauchte heulend über die Grate, stürmte die Wände entlang und bohrte sich winselnd in ihre Falten. Nasser Schnee mischte sich in den Regen, während wir der Hütte zustrebten.

Später sassen wir, unser Stümpli rauchend, vor der Türe; der Regen hatte aufgehört, und die Berge zeigten sich im Neuschneekleid. Mit dem zufällig anwesenden, bekannten Pontresiner Führer Kaspar Grass ins Gespräch gekommen, erfuhren wir, dass die Gipfelwand im Jahre 1911 von ihm schon durchstiegen worden war. Christian Klucker hat dieselbe zum Piz Bianco hin erstiegen, nachdem er vorher durch eine steile Eisrinne Sass dell Pos erreicht hatte.

Trotzdem unsere Hoffnung, die kommende Nacht einsteigen zu können, mit dem Barometer sank, gingen wir doch sehr früh auf die Strohsäcke. Wir mögen noch nicht lange geschlafen haben, da weckte uns grollender Donner, helle Blitze durchschnitten die Dämmerung, und auf das Blechdach der Hütte trommelte heftiger Regen. « Bloss ein Gewitter—soll sich nur richtig ausgiessen », sagten wir und drehten uns auf die andere Seite. Ja, soll sich nur ausgiessen! Um y.,12 sollten wir aufstehen, aber es goss immer noch.Um 12 Uhr regnete es nur noch. Gegen 1 Uhr hatte der Regen aufgehört — es goss wieder. Ich möchte nicht behauptest,'1 Öass es Gebete waren, die uns da über die Lippen kamen.

Ein strahlend schöner Morgen löste die regnerische Nacht ab. Die weite Glocke des Himmels war blankgefegt. Nur einige silbernschimmernde Wölkchen gondelten friedlich über dem Camprena, als wäre nichts gewesen. Wir aber, die wir doch sonst keine schöne Stunde ungenützt liessen, faulenzten auf einem grünen Fleckchen Erde, unweit der stillen Hütte. Nicht, dass wir keinen Auftrieb gehabt hätten, im Gegenteil, dieser war sogar sehr gross, und wir hatten Mühe, ihn in den Hintergrund zu drängen. « Man muss geizen mit diesem mächtigen Trieb zur Höhe, man darf ihn, wenn man Grosses vor hat, nicht durch andere kleinere Bergfahrten beeinträchtigen », sagten wir uns. Die Kräfte zusammenhalten, alles auf das Eine, das Grosse I konzentrieren — und dann mit fiebernder Ungeduld hinauf, dem gesteckten Ziel entgegen. Glücklich und zuversichtlich, voll Hoffnung für den kommenden Tag, sangen wir unsere Berglieder — still für uns, denn schön singen können wir nicht, aber dafür laut und — lang, wenn 's sein muss.

Gegen Mittag schoben sich düstere Wolkenwände vor Sonne und Fröhlichkeit, die Berge verloren ihren Glanz, und ein regenfeuchtes Lüftchen hatte uns bald in das schützende Haus getrieben. Gute Aussichten für unsere Pläne! Dafür sank das Barometer langsam aber zuverlässig. Wir drückten uns in der Hütte herum, und die Kauwerkzeuge waren beinahe unablässig in Bewegung. Auch abends keine Spur von Besserung. Einer öffnete plötzlich entschlossen das Fenster, und eine saftige Einladung in Form eines klassischen Zitats aus dem « Götz von Berlichingen » flog in den plätschernden Regen hinaus. Als ob das helfen könnte. Der andere Tag enttäuschte uns nicht, denn wir hatten von ihm nichts erwartet. In trüber Stimmung waren wir zutal gestiegen, um für kommende Wartetage Proviant zu holen. Kein Sonnenstrahl erhellte die erdrückende Schwermut der Landschaft. Die Berge staken tief herunter in nässendem Nebel, und eine ungeheure Melancholie breitete sich über alles. Abends, als wir wieder zur Hütte gestiegen waren, kam Bewegung in die trägen Wolkenmassen, Gipfel und Grate wurden für kurze Zeit frei, und als später gar die Abendsonne durchdrang, da machte unsere, mit viel Optimismus gewürzte Hoffnung einen zaghaften Sprung, welchem jedoch das Barometer keinen Wert beilegte. Es sprang nicht mit. Einerlei, unsere Geduld war zu Ende.Vier Tage trieben wir uns nun schon hier oben herum, ohne den sehr freundlichen Hüttenbewirtschaftern bewiesen zu haben, dass wir keine « Jochfinken » sind. Wird das Wetter wie es will, wir wollten hier unten nicht versauern, wollten dem Locken der Höhe nicht länger standhalten, hinauf zog es uns mit Macht.

Durch massig tiefen Neuschnee spurten wir anderntags hinauf zur Bellavista. Unsere kühnsten Erwartungen bezüglich des Wetters waren übertroffen worden, denn nur ganz kurze Zeit wurden wir gezwungen, Nebel zu spalten. Verhältnismässig schnell war der Gipfel erreicht. In einer unermesslichen Flut blendenden Lichtes versank die im Neuschneegewande prangende Bergwelt. Freundlichweisse Wolken segelten durch das helle Blau des Himmels und belebten mit ihren Schatten die unberührten Flächen der Gletscher. Benommen von der gewaltigen, unfassbaren Schönheit, irrten Augen und Seele durch den Raum und bemühten sich vergebens, alles in sich aufzunehmen.

Die Hände um die Skistöcke gefaltet, stand ich andächtig in der tiefen Einsamkeit und spähte mi tunter hinüber nach Westen, wo die heiss umworbene Wand sich zur Höhe schwang. Erwartungsvolle Spannung erfüllte mein übervolles Herz mit der leisen Freude der Vorahnung. Gebieterisch und ungeduldig meldete sich der heisse Wille zur Tat.MorgenMorgenJetzt hielt es mich nicht mehr länger auf dem schmalen Gipfel, hinunter musste ich zum Freund, der an der Fuorcla Bellavista sich die Sonne auf den iïtMïi-jAit^yiâi^ :. !. ?...w,*kv_:,^ii^jÄka&iÄu,j:..i Pelz brennen liess. Schnell sassen die flinken Hölzer an den Füssen, und hinein ging 's in die steile Nordflanke. Übermütig zogen sich die gewagten Schwünge bis fast an den grossen Abbruch, und dann schoss die Spur hinaus zum Grat, um jenseits hinabzustäuben bis dorthin, wo Franz mich erwartete.Vereint stoben wir nun in vielen Schwüngen hinab zur flimmenden Tiefe. Zum Schauen liessen wir uns nicht viel Zeit, rasen wollten wir, um uns endlich einmal ein wenig austoben zu können; lange genug hatten wir ein beschauliches Dasein geführt. In « sündhaft » kurzer Zeit war denn auch der Morteratschgletscher erreicht. Erst unter der Hütte bemerkten wir zu unserem Bedauern, dass wir uns durch diese Abfahrt in den Mittelpunkt allgemeinen Interesses gerückt hatten. Da standen eine Menge Pontresiner Sommergäste, welche die Bovalhütte ausflugsweise besucht hatten, mit gezückten Ferngläsern und Photoapparaten oben und warteten, wie eine Herde Reporter auf bedauernswerte Opfer wartet. Wir kamen uns vor wie seltenes Getier, das hinter Gittern der menschlichen Neugierde ausgeUefert ist, ohne sich dagegen wehren zu können. Lächerlich — aber die Leute hatten wohl noch keine Abfahrt gesehenSo schnell wir uns auch zurückzogen, konnte es doch nicht verhindert werden, dass eine furchtbar naive Fragerei begann, die aber nur so lange dauerte, bis die wissbegierigen Herrschaften begriffen hatten, dass uns an ihrer Bewunderung nicht viel gelegen war; worauf wir ungestört die Vorbereitungen für die kommende Bergfahrt treffen konnten.

Es war später Nachmittag, als wir unsere Strohsäcke bezogen, ohne aber auch nur eine Spur von Schlaf zu finden; in keiner Lage wollte er sich einstellen, der Gedanke an das Kommende hielt uns die Augen hell. Kostbare Stunden vergingen noch, bis draussen vor dem offenen Fenster ein prachtvoller Abend zur Neige ging. Seltener durchschnitt das schrille Pfeifen der Murmeltiere die tiefe Stille. Da drang aus einem Berg hüllender Decken eine wohlbekannte Stimme in den Abendfrieden: « Du, ich hätt'scho'wieder Hunger. » —Ein Hemdzipfel huschte hinaus, eine Tür knarrte, und bald waren es Butterbrote, die unsere grösste Aufmerksamkeit beanspruchten.

Es war schon Mitternacht, als wir uns mit einiger Anstrengung aus den so wohlig warmen Decken schälten. Kurz darauf traten wir fröstelnd in die dunkle, sternklare Nacht hinaus. Es wurden keine Worte verloren während wir, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, über die Moräne des Morteratschgletschers stolperten. Bald war die steile Eiszunge, die von der Fuorcla Prievlusa herabhängt und den Einstieg vermittelt, erreicht ( 2610 m ). Beim Schein einer Kerze wurden die « Zehnzacker » unter die Sohlen geschnallt und das 40-m-Seil, welches zum Teil eingerollt blieb, trat für die Dauer eines Tages in Verwendung.

Zuerst gerade aufwärtssteigend und dann nach links querend, gelangten wir an die Gratrippe, welche wir übersteigen mussten. Nach einigem Suchen, das, nach vorhergegangenem vergeblichen Intermezzo mit der erloschenen Laterne, von keinerlei Beleuchtung unterstützt war, fanden wir den Durchschlupf und betraten das jenseitige, steile Firnfeld.

Die tiefe Finsternis hatte inzwischen einem fahlen Grau Platz gemacht, so dass man unschwer die nächste Umgebung erkennen konnte. Als die Spalte vor uns lag, über welche die diagonale Firnsprosse — an deren Bestehen wir schon längst nicht mehr glaubten — führen sollte, sahen wir wohl den Sockel in der gegenüberliegenden Spaltenwand, aber nichts, was uns über den schwarzen, bodenlosen Schlund hätte bringen können. Alsdann zurück, hinaus unter die Plattenwände der vorher überschrittenen Gratrippe und dort versucht, durchzukommen. Ohne viel zu reden, klettert Franz, von oben gesichert, in ein nachtschwarzes Loch hinab und sucht eine schrägliegende Eisplatte zu erreichen, deren Kamm sich steil zum jenseitigen Rand aufschwingt. Kaum hatte er die Platte betreten, da durchschnitt ein scharfer Knall die Grabesstille. Einige Herzschläge lang lauschten wir noch, aber als keine weitere Mahnung an unser Ohr drang, arbeitete sich der Gefährte an ihrer Kante hoch, hinaus in die fortschreitende Dämmerung. Schnell stand ich bei ihm drüben, und dann zogen wir gemeinsam hinauf der drohenden Steilstufe entgegen.

Über chaotisch durcheinander geworfene Serakreste, die einmal stolz den riesenhaften Eiswulst zierten, kamen wir an ihn selbst heran ( 2950 m ). Unsere Absicht war nun, zunächst unter einem unglaublich weit ausladenden Balkon gerade aufwärts anzusteigen, nach rechts auszuweichen, um von dort aus, durch seine fast senkrechte Flanke, ihn selbst zu betreten.

Inzwischen war es 4 Uhr geworden. Die Sterne verblassten im Licht der kommenden Sonne. Berge, Gipfel und Grate hoben sich allmählich schärfer aus dem blassen Duft des erwachenden Tages. Noch trug kein wärmender Strahl den oberen, mehr nach Nordosten gewendeten Wandteil, noch'war alles tot, bald aberes keine Zeit zu verlieren.

Die erste Seillänge bis unter dem Balkon gehen wir noch zusammen. Dann quert der Freund rechts hinaus in die abschreckend steile Eismauer und hackt sich dort ruhig zur Höhe. Es geht sehr langsam, denn die Wand verlangt nicht nur sichere Tritte für die Füsse, sondern auch Griffe für die Hände. Zur Sicherung haben wir zwar einige 20—25 cm lange Eishaken bei uns, doch sollte von diesen Dingern erst im äusserten Notfalle Gebrauch gemacht werden. Sie können bei schweren Eisgängen ganz hervorragende Sicherungs-dienste tun, werden aber bedauerlicherweise oft schon bei geringfügigen Schwierigkeiten gebraucht — missbraucht.

Ohne Aufregung schlägt der kurzstielige Eishammer — ein Spezial-werkzeug für Kletterei im Eis — Tritte und Griffe. In kaltem Pulverschnee, der die Bänder der Wand bedeckt, stehend, gebe ich geizig das Seil aus. Direkt über mir « klebt » der Freund. Ich kann ihn nicht ständig beobachten, so sehr muss der Kopf in den Nacken gelegt werden. Nur fliegende Eisstücke melden mir — oft unangenehm — den Fortschritt der Arbeit. Das Seil ist ganz ausgegeben, bis ich nachkommen kann. Unter ausgiebiger Benützung der Griffe und manchmal auch des Seilzuges schiebe und ziehe ich mich höher. Vollkommen falsch ist es nämlich, wenn man in derartigen Gefechtslagen die Unterstützung des Seiles ausschlägt, nur um dem Ehrgefühl keinen Abbruch zu tun. Wenn es um den Erfolg einer Sache geht, muss die Befriedigung von Ehrgeiz und Eitelkeit der eigenen Person in den Hintergrund treten. Jede Minute ist kostbar. Wir mussten den Wandgürtel so schnell als nur irgend möglich unter uns bringen; es könnte uns sonst übel ergehen, wenn die hochstehende Sonne in die obere Wand sticht. So Verschiedenes über .uns ist sturzbereit, und die mächtigen Eisklötze und Lawinen unter uns bezeugen stumm aber eindrucksvoll die Richtigkeit dieser Befürchtungen.

Das Seil läuft nun links um eine Ecke, und bald dringt zu mir wie aus weiter Feme der Ruf: Nachkommen! Vor uns sehen wir nun einen tiefen Schrund. Der riesenhafte Balkon, auf dem wir standen, ist also schon durch diesen Spalt von der Wand getrennt und tut vielleicht morgen schon den grossen Sturz. Das erste Rätsel des Weiterweges harrt seiner Lösung. Der Spalt ist nicht so breit, dass man ihn nicht überspringen könnte. Doch was ist unter der Neuschneedecke der kleinen Mulde gegenüber? Ist dort GrundKeiner will den Sprung ins Ungewisse tun — es muss auch anders gehen. Wir verfolgen den Rand des Spaltes nach links, wo er sich als schmale Kante bald steil aufschwingt und sich später mit einem gesundaussehenden Pfeiler verbindet. Ein luftiger Gang ist es zwar, den wir da tun, aber er hat den Vorteil, uns nach drüben zu bringen. Franz überlässt nun mir das kurze Eisbeil. Ein kleines Stück geht es an sehr steil absinkender Wand empor und dann an ihr einige Meter nach rechts hinaus zu einer Kante, die wie der Bug eines Schiffes sich hinausschiebt ins Haltlose. Leises Unbehagen will über den Rücken ziehen. Nichts da — nur keine WeichheitenTritte für die Füsse, Griffe für die Hände schlagend, strebe ich der Ecke zu. Unten, oben, links und rechts — Luft, nichts als Luft, in unendlicher Fülle; nur vor meiner Nase steht eine glasige Schneide. Noch einige Meter auf der anderen Seite weiter, und die Wand legt sich zuvorkommend zurück. Während langsam das Seil einkommt, freue ich mich auf den Augenblick, in dem der Freund draussen an der Kante erscheinen muss. Endlich greift eine tastende Hand herüber, und ihr Besitzer folgt vorsichtig. Sekundenlang steht er dort, und sein dunkler Körper hebt sich scharf ab von dem flimmernden Glanz, der die gähnende Leere erfüllt.

Das nun folgende Stück bringt uns rasch höher. Eine lotrechte Wand stellt sich bald in den Weg. Auf einem ekelhaft abschüssigen Band ansteigend, queren wir nach links hinaus bis dorthin, wo eine kaum handbreite Leiste, die über uns nach rechts zieht, am leichtesten zu erreichen ist. Eine niedere, leicht überhängende Wandstelle ist es zunächst, die mir arg zu schaffen macht. Viermal greife ich sie an, und ebenso oft muss ich wieder auf das schmale Band zurückspringen.«Geh weg, lass'mi hin »! empfiehlt sich der Freund. Doch davon will mein Eifer nichts wissen, nochmal wird angegriffen.. Und endlich gelingt es mir, für die linke Hand ganz oben einen guten Griff zu schaffen. Die Rechte bohrt sich mit dem Eisbeil in der ersehnten Rampe ein Loch, der rechte Fuss steigt nochmal nach, und ich sehe über den Rand, indessen der Körper schwer nach aussen hängt. Sich ganz auf die rechte Hand verlassend, fährt die linke blitzschnell weit über den Rand in den Firn, ein Ruck, und ich liege verschnaufend auf dem Bauch, während die Füsse in der Luft baumeln.

Das Gesimse verjüngt sich rasch und ist nach 3 m nicht mehr als kaum handbreit. Ich bin schon ein Stück die senkrechte Mauer hinausgequert, will einen Eishaken, « nicht nur zur Sicherung » eintreiben — ja, Haken — die sind drunten beim Freund und nicht mehr erreichbar. Zurückgehen kann ich nicht, weil es mir unmöglich ist, mich umzudrehen, und an Aufseilen kann ebensowenig gedacht werden. Das kann ja fein werden, wenn mir der « Dampf » ausgeht. Jedenfalls eine harte Busse für den gedankenlosen Eifer.Die Leiste wird zeitweise so schmal, dass nur die Hälfte der Steigeisenzacken in Längsrichtung auf ihr Platz finden. Zu allem Überfluss bringen einige « Bäuche » eine wenig angenehme Abwechslung in die lotrechte Wand. Unendlich langsam komme ich vorwärts. An den in Brusthöhe geschlagenen Griffen zieht die im Ellbogen scharf gewinkelte Linke den nach aussen strebenden Körper herein, während die rechte Hand das Beil führen muss.

Trotzdem das Eis hier ziemlich gut ist, muss doch mit viel Gefühl vorgegangen werden, um die Griffe, von denen alles abhängt, zuverlässig zu gestalten. Denn wie aufregend es ist, wenn plötzlich so ein Ding ausbricht, das bekam ich bald zu fühlen. Eben ist wieder einer der vielen Griffe fertig, der Hammer fällt in die Schnur, die rechte Hand benützt den Griff, indessen sich der rechte Fuss vorsichtig weiterschiebt ., da durchfährt 's mich wie ein elektrischer Schlag — der linke Halt ist ausgebrochen — sofort dreht sich der Körper auswärts, doch die Linke ist schneller, instinktiv fährt sie in das Loch, das der rechte Handschuh noch frei lässt, und die Drehung bleibt unvollendet. Nur dem Umstand, dass die Haltepunkte nahe beieinander liegen und der rechte Griff der plötzlichen Überlastung standhielt, war es zu verdanken, dass der Körper nicht hinausflog ins « Griff- und Trittlose ». Mit Mühe unterdrücke ich ein leises Zittern — nur jetzt die Nerven nicht verlieren — durchhalten, nur einige Meter noch.

Die Sonne bestrahlte schon lange den oberen Teil der Wand, und nun fuhr die erste Lawine in nächster Nähe zur Tiefe. Ein kalter Hauch greift zu mir herüber — Herrgott—so ganz ohne Sicherung ist 's eine bitterböse Sache. Mit klammen Fingern unter Aufbietung allen Willens lege ich noch die letzten Meter zurück. Dann zieht ein seichter Riss, ein wenig von der Wand abstehend, gerade hinauf. In Brusthöhe finde ich einen schmalen Spalt, stecke den Fuss hinein und kann mich auf diese Weise notdürftig ausruhen, indessen Franz, schräg unter mir stehend, etwas von gefrorenen Zehen « erzählt ». Glaub'es wohl. Steht er doch schon volle 3/4 Stunden in gespannter Aufmerksamkeit dort drüben — eine lange Zeit für 18 m. Nun geht 's ein Stück gerade empor, und dann legt sich die Wand zurück — ich bin durch! Sofort wird bis fast über den Standort des Gefährten gequert, ein guter Stand gehackt, und gut gesichert kommt Franz über die blödsinnig anstrengende Strecke. Leichter geht es nun aufwärts; nur weiter oben ist noch eine Steilstufe zu überwinden, was wir aber ohne viel Umstände besorgen können, und dann öffnet sich vor uns eine grosse Mulde, die zu einer flachen Firnzone leitet.

Wir gehen noch im Schatten, und der Firn ist hart. Ein frischer Windstoss nimmt mir den Hut vom Kopf. Verblüfft muss ich dem Ausreisser zusehen, wie er ohne Eile den Hang hinabrutscht, um schliesslich im gähnenden Rachen einer Spalte zu verschwinden. Am Grand Combin hatte ich ihn einmal aus einer Spalte gefischt, und jetzt verkriecht er sich wieder im Leib der Bernina. Wäh- rend über diesen « Umzug » noch Witze gemacht werden, stehen wir vor einem kleinen eiszapfenbehangenen Überhang, der sich über den hochstehenden Rand einer Spalte beugt. Franz muss beim Versuch hinaufzukommen, feststellen, dass das ganze Zeug tieferweichter Firn ist. « Der Schrei nach der rettenden Schneeschaufel verhallt ungehört. » Was überhängt, wird weggeschlagen, ein regelrechter Graben in den steilen, knietiefen Firn gezogen, und bald steht der Freund in der Sonne.Vereint waten wir der Gipfelwand zu. Dort wo es wieder steiler wird, sinken wir oft bis zum Bauch ein. Um 11 Uhr erreichen wir den Bergschrund gerade dort, wo ein riesenhafter Trichter sich in die Flanke des Berges bohrt. Rechts von ihm baut sich eine 6 m hohe überwächtete Firnmauer auf, und unter dieser liegt der Bergschrund. Franz geht sogleich zum Angriff über. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel, die Stille des Morgens ist längst vorbei, Spalten ächzen, Eistürme bersten — der Tanz der Zerstörung ist im vollen Gange.

Der Freund ringt schwer mit der weichen, triefendnassen Masse, welche das schlechte Eis überzieht. Kein Haken will halten. Eine Stunde wühlt und wütet der Hammer nun schon über den düsteren Schlund, und noch ist die Wächte nicht überwunden. In unsicheren Stufen an gerader Wand stehend, versucht Franz vergebens, die Wächte zu durchbohren. Hier versagt unser « Spezialwerkzeug », wir müssen in diesem Fall reumütig zum Pickel zurückkehren. Stark abgekämpft kommt der Freund zurück. Die Reihe ist nun an mir. Die grossen, brüchigen Stufen bringen mich schnell unter den tropfenden Wulst. Des Pickels Stoss und Schwung befördert ihn allmählich in den lauernden Spalt unter mir. Äusserst vorsichtig schiebe ich mich hinauf, dann Arm und Pickelstiel rasch oben in den tiefen Firn gebohrt, und die Mauer liegt unter mir.

Wenn ich aber glaubte, dass es jetzt viel gemütlicher würde, so war das eine Täuschung. Wohl war die Neigung « nur noch » 60°, aber dafür ist der ganze Hang ein sulziges Geschiebe. Ich glaube alle Augenblicke, damit hin-unterzuschwimmen. Endlich sitzt die erste grosse Stufe in der Unterlage. Auf die Gefahr hin, mitgeschwemmt zu werden oder den ganzen Hang in Bewegung zu setzen, bringe ich den üblen Salat ins Rutschen. Rauschend schwimmt er über die Kante. Diese unschöne Arbeit wird noch einige Male wiederholt, bis es von unten tönt: Seil aus!

Weiter oben legt sich die Wand noch ein wenig zurück, aber der lose aufliegende Schnee verurteilt uns zu endloser, mühseliger Hackerei. Wir wechseln ständig im Vorantritt, und kommen trotzdem nur langsam höher. Links neben uns durchpflügt ein tiefer Graben die Wand — die « Abfalltransport-rinne ». Sie erfüllt aber nicht restlos ihre Pflicht, denn so manch verirrter « Transport » fährt, in wohlbekannten Tönen, über unsere Köpfe hinweg zur Tiefe. Das Unheimliche daran ist, dass wir die heimtückischen Flieger nicht sehen können. Die Sonne steht mit der Weissglut ihres Lichtkreises gerade über dem Gipfel, und aus dem Hinterhalt dieses blendenden Strahlennetzes schiessen, oft in wildem Durcheinander, Eis- und Felstrümmer die Wand herab. Wehrlos, ohne jede Deckung, sind wir dem Zufall ausgeliefert. Neben uns unter dem Biancograt löste sich ein grosses Stück der Neuschneedecke und ergiesst sich donnernd in den Kessel, den wir im ersten Licht des Tages verlassen haben. Erst als die Sonne hinter dem Gipfel verschwindet und kühlender Schatten uns umgibt, erhören wir den knurrenden Magen und schalten erstmals einige Minuten Rast ein. Wir können nicht leugnen, dass uns durch die lange Essenspause schon ein bisschen sehr flau zumute ist. Das ist die Strafe, dass wir im Eifer die Nahrungsaufnahme immer wieder hinausgeschoben haben.

Schier endlos dehnt sich der Hang über uns. Der Fortschritt einer Seillänge ist kaum zu bemerken. « Wieviel Seillängen werden es noch sein? » « Ja, ungefähr neun »! Nach einiger Zeit die gleiche Frage. « Ja, mehr wie neun werden 's nimmer sein! » — ist die wenig zufriedenstellende Antwort. So manches Flüchlein begleitet den Schwung des Pickels — so mancher « Jubelruf » ertönt, wenn ein losgehackter Eisbrocken auf seinem Tanz in die Tiefe das « Dach » des Untenstehenden zu einer Zwischenlandung benützt hat —. Trotz allem reicht es immer noch zu Witzen, die wir vorzugsweise um alte Ritterrüstungen, Stahlhelme und Marmeladekübel flechten. Das schmerzhafte « Päng », das einem sonst bei hellichtem Tag so formvollendete Sterne vor Augen zaubert, müsste sich unter derartiger Blechverschalung viel lieblicher ausnehmen.Endlich kommen die Felsen in greifbare Nähe, und ich bin herzlich froh, denn während der letzten Seillängen verkrampften sich immer öfter die müden Finger um den Pickelstiel.

Ein herrlicher Tag will zur Neige gehen. In den grünen Tälern liegt schon der Schatten des Frühsommerabends, und ein Meer bläulichen Lichtes füllt den Raum zwischen Himmel und Erde. Leichte Wölkchen turnen am Bianco herum. Unter uns zieht ein grosser Vogel hinüber zum Piz Prievlus. Beneidenswertes Geschöpf — wie leicht schwebst du zur Höhe.Gut 150 m über uns liegt der Gipfel. Franz übernimmt nun die Führung. Von dem Punkt, an dem die Felsen erreicht wurden, queren wir ein Stück nach links und steigen dann gerade aufwärts. Wegen der teilweisen Vereisung und der grossen Brüchigkeit ist grösste Vorsicht notwendig. Aber im allgemeinen sind wir angenehm enttäuscht. Kurze Zeit stecken wir in einer Wolke, ohne aber dadurch irgendwie behindert zu sein. Unter dem Gipfel setzt die Rinne an, deren Fortsetzung die unter uns liegende Eisfläche durchreisst. Durch sie sind wir vom Ostgrat getrennt.

Die Wand, in der wir höher zu kommen suchen, ist gut gestuft und die Kletterei nicht schwer. Doch mancher Block entzieht sich dem Druck des haltsuchenden Fusses und poltert geräuschvoll in die steile Rinne. Zwei Seillängen unter dem höchsten Punkt erfordert eine steile, grifflose Platte noch einiges Können, vereiste Felsen folgen, und dann betreten wir zusammen den Gipfel. Einen Händedruck lang stehen wir dort, blicken erlöst und dankbaren Herzens über die düstere Wand, der wir entstiegen, und eilen dann über den unschwierigen Südgrat hinab zur Fuorcla Crast'agüzza. Der gute Mond, der besondere Freund aller Bergsteiger, erleuchtet hell und freundlich unseren Pfad. Das unendliche Heer der Sterne steht im dunklen Grund des Himmels, und weit unter uns wogt ein weisses Wolkenmeer. Die unfassbare Grosse dieser Bergnacht lässt uns alle leiblichen Bedürfnisse vergessen. Sind wir denn nicht von allen in der Tiefe weilenden Menschen bevorzugt, jetzt, wo wir, wie überirdisch, auf schmalem Eisgrat schreiten und gütige reine Nebel alles Menschliche, alles Unschöne verdecken!

Über Platten, die man sonst vorsichtig begeht, laufen wir hinunter. Was macht 's, dass dabei meine Erziehungsfläche einmal hart aufsitzt? Ich spüre es kaum.

Eine Stunde nach Verlassen des Gipfels öffnet sich die Türe der Capanna Marco e Rosa, und zwei glückliche Seelen betreten ihren vereisten Boden.

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