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Piz d'Eia. Eine Winterbesteigung

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Eine Winterbesteigung.

Von Eugen Wenzel.

Wenn die armen Stadtmenschen im Unterland wochenlang jeden Morgen vergeblich zum Himmel aufschauen und immer das gleich undurchdringliche Grau feststellen müssen, wenn sie seit Tagen jene nebelfeuchte Dezember-luft einatmen, die zum Husten reizt und frieren macht, dann bricht sich eines Tages gewiss bei allen die Sehnsucht Bahn nach Sonnenschein und Schnee. Sie ahnen es, über dem Nebeldach verschwendet die Sonne ihre wärmenden Strahlen, sie stellen sich auch jene trockenkalte Bergluft vor, welche die Nasenflügel zusammenklebt, und sie träumen von gleissendem Schnee, der jetzt in den höheren Regionen liegen muss. Wenn dann die Feiertage endlich da sind, kann sie nichts mehr halten, sie müssen in die Berge fahren.

So erging es auch uns. Wir haben heute morgen mit dem Schnellzug die Stadt verlassen. Am Walensee fuhren wir zum Nebel hinaus, und in Chur schauten wir zu einem tiefblauen Himmel empor. Von Filisur aus folgten wir zuerst dem steil ansteigenden Abkürzungspfad und weiter oben dem Alpsträsschen, auf welchem wir die erste Spur dieses Winters talauf zogen. Und jetzt haben wir die uns so lieb gewordene Elahütte erreicht und werden uns freudig bewusst, in diesem stadtfernen Hochtälchen ein Dach gefunden zu haben, unter welchem wir uns so heimisch wie zu Hause fühlen können. Die gewichtigen Rucksäcke werden auf die Holzbank niedergelassen. Aus einem mit Eisendraht umspannten Holzbündel werden ein paar von den schönsten Lärchenscheitern herausgezogen, mit kräftigen Schnitten des Sackmessers zu hübschen « Spriessen » zugerichtet, und von den Ofenlöchern heben wir die schweren Eisendeckel, die mit dem Anschlag des Feuerhakens helltönend erklingen. Töne, welche unser Innerstes berühren und uns mit einem warmen Gefühl des Vertraut- und des Geborgenseins durchdringen. Wir sind vor die Hütte getreten, haben mit der grossen Kelle weisse Kugeln aus dem gesetzten Schnee gestochen und den Wassereimer damit gefüllt. Wenige Minuten später knistert ein lustiges Feuer, und wir schauen sinnend zu, wie das körnige Weiss zusammenschmilzt und zu gewöhnlichem Teewasser wird.

Die letzte Sonnenstunde des Nachmittags wird dazu benutzt, gegen den Bot Rodond hinauf in der Talmulde anzusteigen, von wo aus die gesamte Nordwestflanke des Piz d' Ela überblickt werden kann. Den Westgrat, über welchen wir eigentlich ansteigen wollten, müssen wir ganz aufgeben. Dort oben muss in den letzten Tagen ein eisiger Wind Schneewolken herumgejagt haben, denn selbst die senkrechten Felspartien sind weiss angeworfen und sehen ganz unmöglich aus. Aber da weiter links drüben, wo von der Gratscharte P. 2930 m ein breites Couloir abfällt, da müsste es sicher gehen. Zwar liegt auch dort gewaltig viel Schnee auf den Bändern, aber wenn er einigermassen gesetzt ist, dann muss man sich dort hinaufarbeiten können. 0b der Tag lang genug sein wird, um bis zum Gipfel vorstossen zu können, bleibt eine offene Frage. Wir rechnen aus, dass wir bis um 2 Uhr ansteigen dürfen und um diese Zeit umkehren müssen, welche Stelle wir auch erreicht haben mögen. Ziemlich zuversichtlich richten wir unsere Bretter talwärts und schlängeln uns um hervorstehende Blöcke zur Hütte hinab. So ist es wieder mit dem Schnee: zum Skifahren zuwenig, zum Klettern zuviel. Und wenn wir jetzt den Blick hinauf zur dunkel und leblos gewordenen Wand richten, dann ist im Grunde gar nicht mehr soviel Zuversicht übrig geblieben. Wir sind froh, in die warme Hütte eintreten zu können, aber auch dort gelingt es uns trotz emsiger Beschäftigung nicht ganz, ein beklemmendes Gefühl loszuwerden, das die Gemüter umschattet. Zudem erinnern wir uns gerade jetzt daran, dass heute Weihnachtsabend ist. Wir sehen im Geiste geschmückte Tannenbäume und Kerzenlichter, und die Akkorde... Stille Nacht... klingen deutlich in unserem Ohr. Da liegen Nüsse und Rosinen vor uns auf dem Tisch. Wir trinken Punsch dazu — und kauen — und schweigen. Ja, es ist eine stille Nacht. Es ist noch dunkel, wie wir am Morgen die Hütte verlassen. In ungleich-massigem Gelände legen wir eine etwas unordentliche Spur an und bereuen fast, die Laterne als entbehrlichen Ballast zurückgelassen zu haben. Es ist ein richtiges Nachtwandeln. Man schiebt noch etwas schläfrig den einen Ski vor den andern und schrickt zusammen, weil man plötzlich ins Leere zu fahren glaubt. Vorsichtig tappt man in eine Mulde hinab, wähnt sich nun auf flachem Boden und gibt den Beinen wieder regelmässigen Takt. Aber gerade dann, wenn man es nicht ahnt, steckt die Skispitze plötzlich im tiefen Schnee fest, und man merkt, dass man an einer Böschung angerannt ist. All diesen kleinen Ärgernissen gelingt es schliesslich, uns wachzukriegen. Mit dem beginnenden Tag stehen wir frisch und kampflustig als kleine Menschen vor dem grossen Problem.

Bei den ersten Felsen stossen wir die Ski in den Schnee, vertauschen die Skischuhe mit den Genagelten und seilen uns an. Dann steigen wir über die Schneehalde im breiten Couloir an, welches von P. 2930 m abfällt und die einzige Angriffsstelle bietet. Der Schnee liegt klaftertief. Und wie pulvrig er ist! Manchmal sinken wir bis zu den Hüften ein und haben Mühe, vorwärts zu kommen. Stückweise wühlen wir uns auf allen Vieren weiter, bis der Fuss wieder auf festen Grund stösst. Abwechslung bieten nur die Felsstufen, auf denen es immer ein wenig rascher vorangeht. Aber dann ist wieder eine neue Schneehalde anzupacken. Es scheint, wir kommen gar nicht so recht vom Fleck. Doch die Zacken des Uglixergrates sind schon ziemlich grösser geworden, also kann es nicht mehr soweit zur Grathöhe sein. Die Zeit, die wir für dieses Wandstück eingesetzt haben, ist zwar längst überschritten. Wir geben schon die zweite Stunde dazu. Wenn wir an den langen Weg bis zum Gipfel denken, so ist die Rechnung bald gemacht. Verzichten! Zum Grat hinauf müssen wir es aber unbedingt bringen. Der Schnee liegt hier schon etwas dünner. Wir queren nach rechts hinüber und erreichen eine Felsrippe, auf der es nun plötzlich sehr rasch vorwärts geht.

PIZ D' ELA.

Während des Kletterns über die nächsten Felsstufen kommen wir derart ins Feuer, dass wir ganz übersehen, wie wir die Höhe der Scharte P. 2930 m unter uns gelassen haben. Wie wir es dann innewerden, bleiben wir überrascht stehen und bewundern die grotesken Gendarme des Uglixergrates. Direkt über uns bäumt sich der Grat zur senkrechten Bastion auf, ein Bollwerk, das fast uneinnehmbar erscheint. Aber wir kennen ja seine Schwächen. Da ist zum Beispiel diese Verschneidung. Dank des weit überhängenden Felsdaches ist sie fast schneefrei. Das muss gehen wie im Sommer. Der schmalen Felsleisten wegen ist es vielleicht ratsamer, wir ziehen die Handschuhe aus. Nun schiebe ich mich von Tritt zu Tritt an der senkrechten WESTGÌPFEL HAUPT&iPFEL PIZ SPABLCTSCHA PI2 d' u&l'ix HZ tfELA.33 MM.

NORDWEST FLANKE.

Mauer empor bis zur Nische unter dem Felsdach. Dort lasse ich nachfolgen. Dann queren wir auf einer luftigen Leiste zum freien Grat hinaus, klettern auf mageren Tritten gerade hinauf und erreichen über eine trügerische Schneewehe einen sichern Stand. Und jetzt ist die Bastion gefallen.

Ein neuer Hoffnungsstrahl durchzuckt uns, denn ein Blick auf die Uhr zeigt, dass der Westgipfel bei einigermassen günstigen Verhältnissen auf dem Grat doch noch erreicht werden könnte. Wir gönnen uns keine Rast. Ein paar Weihnachtsrosinen werden hervorgeholt und im Weitergehen gekaut. Der Sturmwind hat hier oben allerhand Arbeit geleistet. Stückweise ist der Grat bis auf den Felsen blankgescheuert, und wo noch Schnee haftet, ist er so windgepresst, dass wir ohne Mühe darüber hinwegtreten können. Eine kleine Scharte unterbricht unser Stürmen, aber gleich darauf können wir wieder auf dem Gletscherrücken weitereilen. Nun wissen wir, der Westgipfel ist uns sicher. Hier ist noch über ein schmales Felsgrätchen zu balancieren, und dann sind wir unversehens am letzten Aufschwung des langen Grates angelangt. Da eine kleine Umgehung nach rechts, dort die glatte Stufe mit den spärlichen Griffen, und zuletzt über trockene Felsen auf die breite Wächte des Westgipfels.

Nun sind es drei Dinge, die fast wortlos aufeinander folgen: erst prüfen wir kritischen Auges die Scharte, welche zwischen den Gipfeln liegt, dann wird nach der Zeit gesehen, und wir staunen, dass es erst 1 Uhr ist, und schliesslich haben wir uns mit einem kurzen Blick des Einverständnisses entschlossen, auch den letzten Sturm auf den Hauptgipfel einzuleiten. Wir steigen auf der Südseite des Kammes über ein abschüssiges Schneeband hinab, bis wir horizontal zur Scharte stehen. Der nun folgende Quergang auf der schmalen Felsleiste ist absolut schneefrei. Vorsichtig hangle ich hinüber bis zum wulstigen Block, der mich weit ins Leere drängt. Mit dem langen Arm fasse ich drüben den prächtigen Griff, den ich seit Jahren kenne und den ich, dem Händedruck eines alten Freundes vergleichbar, in dieser Situation unendlich wohltuend empfinde. Auf der andern Seite des Vorsprungs tripple ich auf der Fortsetzung der Felsleiste weiter, werfe schnell noch einen Blick in den weissen Rachen des « Eiscouloirs » hinab, um dann mit einem Klimmzug in die Scharte zu gelangen. Nun ziehe ich das Seil ein, und wenige Minuten später können wir das letzte Gratstück anpacken. Nach sieben und einer halben Stunde seit dem Verlassen der Hütte erreichen wir kurz darauf den Gipfel. Wir stehen bewegten Herzens auf der Kuppe des mächtigen Felsdomes, vielleicht des wuchtigsten und erhabensten im Albulagebiete. Unser Weihnachtswunsch ist in Erfüllung gegangen — schöner, reicher als wir es wohl geträumt hatten.

Da sitzen wir nun auf rauhem Dolomit, und das Auge eilt über verschneite Täler und Berge. 3340 Meter über Meer sind wir, aber um ein Mehrfaches davon noch von allen andern Menschen entfernt. Wir geniessen die Ruhe eines Ortes, der heute noch so ist wie vor tausend Jahren. Und wenn wir auch nur so lange verweilen können, bis wir unser Wurstbrot verzehrt haben, so ist doch etwas von der weihevollen Stätte auf uns übergegangen. Wir kehren wieder als ganz andere Menschen ins Tal zurück.

Abwärts helfen alle Heiligen. In den Felsen wissen wir vom Aufstieg her, wo Griffe und Tritte liegen, und die kraftraubenden Schneehalden werden halb rutschend, halb springend durcheilt. In rascher Folge wechseln die Bilder, und unversehens stehen wir unten bei unseren Ski. Im Steilhang reiht sich Bogen an Bogen, bis wir die Mulde am Bot Rodond erreicht haben. Hier haben wir nun auch Gelegenheit, unsere Zickzacks von heute morgen zu belächeln. Wie wir dann wieder zur Hütte zurückkehren, stellen wir fest, dass wir für den Abstieg gerade ein Drittel der Aufstiegszeit benötigten.

Und wenn ich jetzt noch niederschreiben wollte, wie uns zumute war, es bedürfte eines herrlich schneeweissen Papiers, einer himmelblauen Tinte und einer sonnegoldenen Feder dazu. Ja, das war ein Tag, wie es wenige gibt im Leben.

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