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Pizzo della Pecora über die Südostwand

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 1 BildVon Hans Ritter.

Der 18. September 1936 verspricht nach einer heftigen Schlechtwetterperiode endlich wieder einen prächtigen Tag. In fieberhafter Eile werden die letzten Anordnungen getroffen, denn heute gilt es, die Pecora-Südostwand zu erstürmen, die sich von der Montagna di Campo gegen das Basodinomassiv erhebt. Mein Freund E. Steinmann, der leider seine Kletterfinken zu Hause gelassen, ohne die das Wagnis unmöglich ist, muss verzichten, alles mitzumachen. Er darf dafür meiner Kletterei von oben zusehen. Sein Weg führt über die verlassene Alp Zotto und über die Moränen am Fusse des Basodinogletschers bis in den kleinen Sattel, der westlich am Fusse der Pecora liegt. Hier musste ich, wenn alles normal verlief, heraufkommen, und dann erst konnten wir miteinander gehen.

Bald sind die letzten Turisten, die ich als Wart der Basodinohütte zu betreuen hatte, verabschiedet. In grossen Sprüngen eile ich endlich talwärts der Montagna di Campo zu. Die guten Leute daselbst sind natürlich nicht wenig erstaunt, als sie vernehmen, dass ich nun doch mein lange gehegtes Vorhaben ausführen will. Wer aber dem Banne einer durch Leidenschaft entstandenen Idee verfallen ist, dem ist nicht mehr zu helfen. Ich beruhige sie, indem ich ihnen versichere, dass ich unter Umständen natürlich auch den Rückzug antreten würde, wenn ich auf unüberwindliche Hindernisse stossen sollte.

Von gar vielen Glückwünschen begleitet, strebe ich über Weiden und Geröllhalden dem Einstiege zu, der sich nach meinem Ermessen 50 m rechts von dem Lawinenkegel befindet, der am Fusse der eigentlichen Rinne liegt, die ich benützen will.

Zuerst geht es in griffigem Fels aufwärts, auch über Rasenbänder, wo ich mich reichlich mit Grasbüscheltechnik behelfen muss. Trotz vorheriger genauer Erkundung mit dem Glas muss ich öfters gut überlegen, wo der richtige Aufstieg zu wagen ist. Nach ungefähr dem ersten Drittel gelange ich endlich in den Canalone, der nun die grösste Schwierigkeit bildet. Ich ent- schliesse mich rasch, einem senkrechten Riss zu folgen, der den horizontal geschichteten Fels von oben bis unten durchzieht, aber durch das viele Regenwetter in ein kleines Bächlein verwandelt ist. Da heisst es doppelt aufpassen, auf diesem glitschigen Fels sich den nur spärlichen Griffen anzuvertrauen.

Sobald ich im trockenen Gestein wieder einige Griffe erspähe, verlasse ich schleunigst die Rinne, um mich bei einigen Meter « trockenen » Aufstiegs zu erholen. Bald aber muss ich wieder mit der Rinne vorlieb nehmen. Man wird mir leicht nachfühlen können, dass es mir den Mut arg abkühlte, wenn ich, die Hände in einem Spalt eingeklemmt, sozusagen hing und mir das Wasser dem Arm nach in die Schulterhöhle, dann liebkosend dem Leib entlang in die Schuhe lief.

Drohende Wolken schwimmen über die verdüsterten Gipfel daher und treiben mich zu höchster Eile an. Glücklicherweise ist der letzte Teil nicht mehr so anstrengend, so dass ich mit der Akrobatik schneller fertig werde.Von unten erschallen zu meiner Aufmunterung ununterbrochen Jauchzer der Sennen, die mich durch ihre Gläser nicht aus den Augen gelassen haben. Da ich besondern Wert darauf legte, ohne jede technische Hilfsmittel auszukommen, so hätte es mir auch fehlgehen können, wäre der Aufstieg weiter oben versperrt und also unmöglich gewesen, da an ein Zurück ohne Seil nicht zu denken war. Das letzte Stück bis in den Sattel, wo mich mein Freund erwartet, bietet noch allerhand Schwierigkeiten, doch die bewusste Nähe eines Menschen spornt mich doppelt an, und angeregt mit ihm konver-sierend nehme ich die letzten Hindernisse wie im Flug.

So, jetzt werden rasch die obersten 80 Meter mit Hilfe des von meinem Freunde mitgebrachten Seiles über den noch unberührten Westgrat in Angriff genommen. Bis jetzt war er nur durch einige Gemsjäger bestiegen worden, und zwar, indem sie von der Moräne aus den Ostgrat querten, wo sie ein Grasband erklommen, das direkt zum Gipfel führt. Von ihnen wurde auch der weithin sichtbare und verlockende Steinmann aufgerichtet. Der Westgrat bietet auch dem verwöhntesten Klettererherzen Genugtuung, rechts die senkrechte Wand nach der Alpe Campo, links der Absturz zur Moräne.

Oben angelangt werden wir von unten durch lebhaftes Tücherschwenken begrüsst. Leider macht es uns der Wind unmöglich, die Eroberung ein wenig zu geniessen.

Beim Abstieg über den Westgrat werden wir vom Wind arg zerzaust und mit aller Gewalt in den Griffen gerüttelt, so dass die Hände vor Kälte fast erstarren. Wenn man sich in solcher kritischer Situation nicht mit aller Energie beherrschen kann, ist man natürlich erledigt. Wieder im Sattel unten beim Einstieg angelangt, können wir bald erwarmen. Bequem ist nun der Heimweg über die Moräne und die Alpe Zotto der Basodinohütte zu.

Sollte in der Nordschweiz nicht mehr genügend Raum sein, um sich in den Felsen auszutoben, so können sich Rekordbrecher hier in diesem Bergsteigerparadies noch manchen Zahn ausbeissen.

Die Alpen — 1937 — Les Alpes.29

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