Prof. Dr. Max Gmür: Schweizerische Bauernmarken und Holzurkunden | Club Alpin Suisse CAS
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Prof. Dr. Max Gmür: Schweizerische Bauernmarken und Holzurkunden

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Da der gelehrte Verfasser in der Einleitung zu diesem ( 77.} Heft der von ihm herausgegebenen „ Abhandlungen zum schweizerischen Recht " und im Text wiederholt Bezug nimmt auf die Monographien Stehlers über Visperterminen, das Goms, das Lötschental und Außerberg, von denen drei als Beilagen zu den Jahrbüchern XXXVI, XXXVIII, XLIX des S.A.C. 1901, 1903 und 1914 erschienen sind, und ebenso als Hauptquelle die Untersuchungen Rütimeyers im Band XX des Schweize- rischen Archivs für Volkskunde, 1916, nennt, auf deren Wichtigkeit auch für Alpinisten ich in Jahrbuch LI, pag. 252 — 254, aufmerksam gemacht habe, so wird man es nicht für Papierverschwendung halten dürfen, wenn ich auch der Studie unseres Klubgenossen Gmür, welche ähnliche Gegenstände von volkswirtschaftlichen und rechtshistorischen Gesichtspunkten aus betrachtet, einige Worte widme. Um das Resultat gleich vorweg zu nehmen, sei mit des Verfassers eigenen Worten gesagt, „ daß es wohl unter den im Leben der Gegenwart verwendeten Rechtseinrichtungen kaum andere gibt, die eine so alte Vergangenheit aufzuweisen haben — und daß diese starke Erhaltungskraft und die auffallende Verwandtschaft zwischen den Formen der Neuzeit und solchen, die Tausende und Zehntausende von Jahren zurückliegen, den Marken und Kerbhölzern einen eigenartigen, beinahe geheimnisvollen Reiz verleiht ". Ich darf bei meinen Lesern wohl nach dem, was sie in diesem Jahrbuch gelegentlich zu sehen bekamen, einige Vertrautheit mit den verschiedenen Formen von Hausmarken, Hauszeichen, Vieh- und Holzzeichen, Ohrmarken, Kerbhölzern und Tesseln und deren Gebrauch speziell in der Alpwirtschaft voraussetzen, aber das entscheidend Zusammenfassende und eine gültige Erklärung dieser Dinge und ihres inneren Zusammenhangs finden sie erst bei Gmür. Seine Abhandlung stützt sich auf eine während langer Jahre mit viel Mühe und Kosten zusammengebrachte Sammlung von Marken und Kerbhölzern, die in der Schweiz nicht ihresgleichen hat und alle Landesteile umfaßt. Auch für das Auge sichtbar gemacht wird dieser Reichtum in den 33 Tafeln, welche dem Texte ( 160 Seiten ) beigegeben sind. Der Text selber gibt in durchaus leslicher Form wissenschaftlichen Aufschluß über die wirtschaftliche, dogmatische und rechtshistorische Bedeutung der schweizerischen Bauernmarken und Holzurkunden, die eine ganz eigenartige Stellung einnehmen und noch nicht systematisch bearbeitet waren, weder von Volkswirtschaftslehrern noch von Juristen. Es ist natürlich hier nicht der Ort, auf die Fülle von Neuem, das wir lernen, einzutreten; ich beschränke mich auf wenige charakterisierende Sätze. Wenn Gmür im Titel von „ Bauernmarken " spricht, so macht er doch wiederholt darauf aufmerksam, daß diese Dinge in der Schweiz im wesentlichen nur der alpinen Wirtschaft dienen und im flachen Vorland, wenn sie da existierten, worauf die frühmittelalterlichen Gesetzessammlungen deuten, längst außer Übung gekommen sind. Im Gebirge aber und besonders in den dem Verkehr entrückten Tälern, wie Lötschen, Goms, Eifisch usw., sind sie noch heute lebendig und an andern ähnlichen Orten, wie das St. Antöniental im Prätigau, vor noch nicht langer Zeit dem modernen Schrifttum und wohl auch dem Grenzverkehr erlegen. Dem letzteren, welcher auch der Naturalwirtschaft — der besten Freundin der Holzurkunden — stracks zuwiderläuft, möchte ich es zuschreiben, daß im Zermatter- und besonders im Saastal diese Dinge bis auf geringe Spuren ausgestorben scheinen. Ich habe mir aber vorgenommen, diesen Resten dort künftig mehr nachzugehen, als ich dies bisher getan habe. Auffällig ist das hohe Alter dieser Institutionen und ihr zähes Leben. Was das erstere betrifft, so wird darauf aufmerksam gemacht, daß die primitiven Zahl-zeichen I, V, X,., welche den „ Bauernzahlen " zugrunde liegen, schon den paläolithischen Renntierjägern, auf Knochen eingeritzt, zu Rechnungszweck'en dienten, wie sie dies noch vor kurzem in durchaus logisch weiter entwickelten Hieroglyphen auf den Stialas da latg des Tavetsch und auf den Alpnutzungs-Abrechnungshölzern des Goms und in Lötschen tun. Interessant war mir der Nachweis, der durch eine Wegfrohndiensttessel von Wiler geführt wird, daß „ im 17. Jahrhundert die Gemeinden Blatten, Wiler und Kippel mit der untersten Talgemeinde Ferden einen Vertrag abschlössen, wonach ihnen der Transport über den Lötschenpaß erlaubt wurde; dagegen mußten die Gemeinden die Miterhaltung des Talweges von Hohsteg bis Gop- penstein übernehmen ". Dieser Vertrag wirft ein seltsames Licht auf die Geschichte des „ Lötschenberges ", von welcher in diesem Jahrbuch wiederholt die Rede war ( siehe Bd. XXIX 329-331, XXXVI 301-303 mit Beilage, LI 223-224 ). Auch hat es mich gefreut, daß Professor Gmür meine im Jahrbuch XXXI 392 begründete Ablehnung der Hypothese A. K. Fischers über die „ Hunnen im Eifischtale " durch den Nachweis stützt, daß die Übereinstimmung von Hauszeichen mit der althunni-schen Schrift nicht beweiskräftig sein kann für die hunnische Abstammung der Anniviarden, weil „ die Kenntnis dieser elementaren Merkzeichen nicht des Aushlilfs-mittels der Entlehnung benötigt, sondern der gleichen geistigen Basis zuzurechnen ist, die die Urmenschheit bereits bei ihrer ersten Umfassung des Erdballs überall mit hingenommen hat " und im besonderen „ der homo alpinus, welcher laut Aussage verschiedener Anthropologen zu mindestens 80 °/o als Stammvater der heutigen Schweizer anzusehen ist, die Hausmarke jedenfalls bereits gekannt hat, lange bevor die Kelten oder gar die Germanen ins Land kamen ". Und man glaube nicht, daß solche Nachweise nur einen Kuriositätswert haben. Denn wenn es richtig ist, daß die in den Bauernmarken und Holzurkunden ausgeprägte wirtschaftliche, ethische und künstlerische Kultur in der Schweiz vom st. gallischen Rheintal durch Graubünden, Uri, Ober- und Unterwallis, mit Ausstrahlungen ins Tessin, Berner Oberland und in die Waadt, ununterbrochen durchgeht und damit Romanen, Deutschschweizer und Welsche unauflöslich bindet, daß sie ihre Hochburg im Wallis gerade da hat, wo die geringsten Einflüsse modernen Verkehrs und Erwerbslebens nachweisbar sind, und ihre künstlerische Blüte in geschnitzten Tesseln und zu ihrer Aufbewahrung dienenden Truhen am schönsten da entfaltet ( Saanen und Paysd'En-haut ), wo auch die Holzarchitektur am verzierten Bauernhaus ihre höchsten Triumphe feiert, so darf man wohl sagen, daß in diesen Dingen unsere nationale Einheit und Sonderart sich deutlich manifestiert und allen Respekt verdient. Denn so primitiv und „ rückständig " die Verwendung von Hauszeichen und Kerbhölzern aller Art zur Verurkundung von Kontrakten, Miet- und Tauschverträgen, Abrechnungen und Schuldscheinen auf den ersten Blick erscheinen mag, so gibt es doch zu denken, wenn Gmtlr ( S. 128-130 ) uns „ nach schriftlicher Darlegung eines intelligenten Bürgers von Wiler " die raffinierte dreifache Kontrolle schildert, wie durch „ Krapfenbund ", „ Beitessel " und Alpregister dafür gesorgt wird, daß bei der Alpbesetzung und Nutzung alles nach Recht und Fug zugeht, oder ( S. 121 ff. ), wie früher, ebenfalls im Lötschental, die gekerbten Alpscheiter mit den genau hineinpassenden Einlege-tesseln für die Kontrolle der Kuh- oder Wasserrechte funktionierten. Und was soll man vollends zu dem Nachweis von Gmür ( S. 154 ff. ) sagen, daß von den alten Rechtsamegenossenschaften unserer Bergbauern eine direkte Linie zu den modernen Aktiengesellschaften, von ihren Kerbhölzern zum Inhaberpapier führt, daß also „ Männer gerade der weltabgeschlossensten Bergtäler aus ihren Gewohnheiten und Lebensbedürfnissen heraus diese uns als höchstes juristisches Kunstmittel geltende Urkundsform in durchaus originärer Form bei sich eingeführt habenIch übergehe die vielen interessanten Analogien zwischen Kerbholz und Festuca, Losholz und Runenstab, .sowie die Deutungen von Beile, Taille, Teile usw., und schließe mit dem besten Dank an Prof. Gmür für seine ergötzliche Belehrung, die ich allen meinen Lesern gleichfalls wünsche.Redaktion.

Anschließend notiere ich, daß mir die „ Bürgerhauskommission " des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins im August 1917 mitgeteilt hat, es werde in ihrem Auftrag demnächst im Verlag von Orell Füßli ein neuer Band des Sammelwerkes: Das Bürgerhaus in der Schweiz, und zwar über das Berner Bürgerhaus, erscheinen. Gesehen habe ich ihn noch nicht.

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