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Pumori - 30 Jahre nach der Erstbesteigung

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Norbert Joos, Chur ( GR )

Pumori von Osten Das wiederaufgebaute Kloster von Tengpoche Nachdem zwischen 1951 und 1961 breits 4 Expeditionen erfolglos versucht hatten, die aussergewöhnlich formschöne, aber auch alpinistisch schwierige Pyramide des 7165 m hohen Himalayaberges Pumori zu besteigen, stand nach hartem Kampf am 17. Mai 1962 der deutsche Expeditionsleiter Gerhard Lenser mit seinen beiden Schweizer Kollegen Ernst Forrer und Ueli Hürlemann erstmals auf dem Gipfel. Drei Jahrzehnte später führte der Bündner Himalayabergsteiger Norbert Joos im Herbst 1992 eine Bergsteigergruppe mit 10 Teilnehmern ins Solo-Khumbu-Gebiet ( Nepal ). Zur selben Zeit befand sich auch eine fünfköpfige Westschweizer Gruppe unter der Leitung von Olivier Roduit am Pumori. Zum 30jährigen Jubiläum bestiegen die beiden Teams den sturmumtosten Gipfel, der sich damit für einmal fest in Schweizer Händen befand.

Schwesterberg des Mount Everest Der Pumori steht nur 10 km westlich des höchsten Berges der Erde, des Sagarmatha - Göttinmutter -, wie die Nepalesen ihn nennen, der bei uns Westlichen aber eher unter dem Namen Mount Everest bekannt ist. Die Erstbegeher haben den Pumori mit einem Kristall verglichen, der die graue Oberfläche der Erde schmückt. Genaugenommen heisst Pumo und Ri , also Pumo-Ri, die kleine Schwester des grossen Everest; denn nach ihm scheint sich alles im oberen Khumbu-Tal zu orientieren. Doch die Bezeichnung Kristallberg gibt den Eindruck des Betrachters immer noch am besten wieder.

1987 sah ich den leuchtenden Berg zum ersten Mal, und ich wusste sofort, dass irgendwann der Wunsch zum Erlebnis Pumori in mir erwachen wird. Im Herbst 1992 ist dieser langgehegte Wunsch dann in Erfüllung gegangen.

Zum Pumori Wir verlassen die Schweiz am 4. Oktober 1992 und landen am 5. Oktober mit unserer lOköpfigen Mannschaft in Nepals Hauptstadt Kathmandu. Allein der Besuch des kulturell interessanten gleichnamigen Tales sollte als wichtiger Programmpunkt zu jeder Reise nach Nepal gehören. Diese wie eine Erinnerung an vergangene Zeiten wirkende Region dürfte aber kein Ziel für eilige Europäer sein, denn ihre von Mythen durchwirkte und gleichzeitig an Widersprüchen reiche Atmosphäre kann nur auf sich einwirken lassen, wer sich viel Zeit nimmt.

Zwei Tage später fliegen wir gemeinsam weiter zum berühmt-berüchtigten Flugplatz von Lukla, einer kurzen, mit Grasstoppeln besetzten Piste an einem steilen Hang. Lukla Das Yak, der beste Hochträger liegt bereits auf 2700 m und dient als Ausgangspunkt, um über das obere Khumbu-Tal zum Pumori zu gelangen. Sofort nehmen wir mit unseren 70 Trägern den 5tägigen Anmarsch in Angriff.

In Namche-Bazar, dem bekannten Sherpa-Hauptort, bleiben wir einen Tag zur Akklimatisation, wandern nach Khumjung, der grössten Sherpasiedlung im Tal, und statten dem Everest-View-Hotel einen Besuch ab. Hier geniessen wir das sich vor unseren Augen öffnende einmalige Panorama mit den Eis-kolossen Tramserku ( 6608 m ), Kang-Taiga ( 6809 m ), der wunderschönen Ama-Dablam ( 6828 m ), die wir letztes Jahr besteigen konnten, und der gewaltigen Wandflucht, die vom Lhotse ( 8511 m ) bis zum Nuptse ( 7861 m ) reicht. Dahinter zeigt sich noch der unter diesem Blickwinkel klein wirkende höchste Berg der Welt, der Sagarmatha oder Mount Everest.

Der nächste Tag bringt uns nach Tengpoche, wo das 1989 abgebrannte Kloster und religiöse Zentrum des Mahayana-Buddhis-mus durch die Unterstützung vieler ausländischer Institutionen weitgehend wieder aufgebaut ist. Als Standort des Klosters wurde ein traumhafter Platz gewählt, auf einer Wiese, umringt von Rhododendronbäumen, überragt von der majestätischen Spitze der Ama-Dablam. Wie gerne denke ich jetzt an unsern Erfolg zurück, der uns letztes Jahr auf diesen wundervollen Gipfel gebracht hat. Es fällt schwer, diesen einzigartig schönen Fleck zu verlassen. Drei Tage später erreichen wir über Pangpoche und Pheriche unser Basislager.

Im Basislager Am 12. Oktober erstellen wir unsere Zeltstadt auf 5316 m, wobei wir allerdings den Platz mit Kanadiern, Holländern und Amerikanern zu teilen haben. Leider gibt das Wetter nicht eben zu grossen Hoffnungen Anlass, und wenn ich nicht schon früher an dieser Stelle gestanden hätte, wüsste ich nicht einmal, wo überhaupt der Pumori sich erhebt. Die schlechten Witterungsverhältnisse, mit teils heftigen Schneefällen, haben schon zwei Gruppen ( Deutsche und Koreaner ) veranlasst, auf ihr Ziel zu verzichten und abzureisen. Trotzdem lassen wir uns nicht entmutigen. Am Mittwoch steigen wir alle bis auf Tiefblick am Eispfeiler unter dem Hochlager 5700 m auf und errichten am Beginn der klettertechnischen Schwierigkeiten der Südostwand ein Materialdepot. Wir planen, mit nur einem Hochlager auf ca. 6200 m den Pumori-Gipfel zu erreichen. Gespannt darauf, was uns bevorsteht, steige ich zunächst allein direkt zum vorgesehenen Standort für das Hochlager auf. Dabei geniesse ich meine gute Form und den abwechslungsreichen Anstieg, der durch die von den Sherpa-Füh-rern der holländischenGruppe angebrachten Fixseile wesentlich erleichtert wird. Andernfalls wäre diese Kletterstrecke zwischen steilen Eiscouloirs und überhängenden Eisgebilden sehr anspruchsvoll und kräfteraubend. Am Abend bin ich wieder zurück im Basislager, wo ich meinen Freunden über den weiteren Verlauf der Route Bericht erstatte.

Flug vom Hochlager Das Wetter hat sich mittlerweile stabilisiert, so dass nach zwei Ruhetagen die erste Gruppe zum Hochlager aufsteigen und das Biwakzelt einrichten kann. Peter und ich haben unseren Gleitschirm dabei. Nach einer ersten Nacht, die uns eine bessere Gewöhnung an die Höhe erlauben soll, wollen wir morgen einen Gleitflug zum Basislager wagen. Wir erleben das Schauspiel eines wundervollen Sonnenunterganges; die letzten Strahlen lassen den Everest, den Lhotse und seine Trabanten golden aufleuchten. Die mit minus 25°C kalte Nacht will nicht enden, dafür bringt uns der Morgen günstigen Aufwind für unser Flugvorhaben. Mit einigem Übermut meistern wir das Risiko, und zuerst Peter, dann ich schweben ins Leere hinaus. Der überaus genussreiche Flug in dieser einmaligen Szenerie der höchsten Gipfel entführt uns in eine für uns neuartige, geheimnisvolle Welt. Der Traum dauert allerdings nur eine Viertelstunde und wird mit der geglückten Landung oberhalb von Gorak-Shep auf ca. 5100 m abrupt unterbrochen. Aber Peter und ich sind um ein Abenteuer von höchster Erlebnisdichte reicher.

Gipfelwärts Die folgenden Tage bereiten wir uns für den Gang zum Gipfel vor. Alle sind wir nun gut akklimatisiert. Am 20. Oktober steigen Martin, Peter und ich zum Hochlager auf. , so haben wir unseren Freunden im Basislager prophezeit, werden wir am Abend mit dem Gipfel im Sack wieder hier sein. ) Im Hochlager erfüllt uns die prächtige Abendstimmung mit bester Zuversicht, dass es uns gelingt, am nächsten Morgen die ersehnte Spitze unseres Kristallberges zu erobern. Die beiden Amerikaner Tom und Scott haben sich ebenfalls eingefunden, warten wie wir in Startposition, wollen aber bereits um 2 Uhr ihre enge Schlafbehausung in Richtung Gipfel verlassen. Wir hingegen beabsichtigen, nicht vor 5 Uhr aufzubrechen. Wir schätzen die Gefahr zu gross ein, in stockdunkler Nacht durch den Eisbruch zur Nordschulter aufzusteigen. Um 3.30 Uhr starte ich mit klammen Fingern den Gaskocher und allmählich rüsten wir uns zum Aufbruch. Um 5.30 Uhr sind wir mit Steigeisen und Eishammer bewehrt zum Aufbruch bereit. Alle sind wir voller Optimismus, denn ein wunderbarer Tag bricht an. Kurz über dem von Lawinen geschützten Lagerplatz beginnt die gefährliche Querung nach rechts, unterhalb gewaltiger Eisbrüche. Wir sind froh, diese äusserst gefährlichen 200 m rasch hinter uns zu bringen. Danach ziehen sich unerwartet steile Eisfelder bis zur Schulter hoch. Nach ca. 3 Stunden stehen wir alle drei auf 6550 m und geniessen die Aussicht auf das geheimnisvolle Tibet. Vor uns liegt jetzt die Gipfelwand, deren Steilheit uns ebenfalls überrascht. Noch 600 m Höhendifferenz gilt es zu überwinden. Mühsame Spurarbeit und die Steilstufen kosten uns viel Zeit, zudem wird die Luft immer dünner und das Atmen schwerer. Etwa 300 m unterhalb des Gipfels treffen wir auf die beiden Amerikaner Scott und Tom, die, von den Anstrengungen gezeichnet, unsere Anwesenheit zu schätzen wissen. Die restlichen Meter werden zur Kraftprobe. Knietiefer Schnee fordert uns den letzten Willen ab. Doch präzis um 12 Uhr stehen wir auf dem höchsten Punkt des Pumori, wobei uns der stürmische Wind allerdings beinahe wieder hinunterfegt. Nur mit Mühe können wir uns aufrecht halten und einige Fotos schiessen. Schneekörner peitschen stechend in unser Gesicht. Das tut unserer überschäumenden Freude aber keinen Abbruch, um so weniger als wir mit einer überwältigenden Rundsicht belohnt werden. Von den Eisriesen des Khumbu und Mondstimmung im Basislager Rolwaling schweifen unsere Augen ungehindert bis weit ins Tibet, wo sich das Gipfelmeer am Horizont verliert. Per Funk benachrichtige ich die Freunde im Basislager, die uns herzlich gratulieren. Der Abstieg geht im Eilzugstempo vor sich, bei den Steilstufen ist allerdings höchste Vorsicht geboten. Zwei Stunden danach sind wir im Hochlager und um 17 Uhr bereits wieder im Basislager.

In den nächsten Tagen versuchen sich auch unsere Kollegen am Pumori. Ernst ist der nächste. Er steigt in einer Gewaltstour direkt vom Basislager zum Gipfel, den er am 23. Oktober um 13 Uhr im Alleingang erreicht. Als fünftem und letztem unserer Zeh-ner-Equipe gelingt es Daniel, mit einem Franzosen und einem Sherpa am 25. Oktober den Pumori zu besteigen. Wir alle haben damit am Kristallberg Pumori ein unvergessliches Abenteuer erlebt, das uns auf allen Ebenen sowohl gefordert, als auch intensivstes Erleben geschenkt hat.

Erfreulicherweise erreichen auch noch unsere fünf Kollegen aus der Romandie unter Daniel Compte den Pumori über den Süd-west-Grat, wobei sie unsere Route im Abstieg benützen. Ob der Pumori von ihnen nun zum ersten Mal überschritten wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Abgesehen davon bin ich der Überzeugung, dass eine Traversierung im Rahmen einer Besteigung stets eine zusätzliche Bereicherung bringt.

Drei Jahrzehnte nach seiner Erstbesteigung hat sich damit nicht nur mein Wunsch erfüllt, die Spitze jenes kristallförmigen Berges zu erreichen, der Pumori genannt wird, sondern ebenso haben mehrere Kameraden aus unseren beiden Schweizerteams ihren Traum in Erfüllung gehen sehen.

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