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Schlote in die Unterwelt.

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Fritz Ineichen, Luzern

( Bilder j und 6 ) Wir besuchten die Twärenen hoch über dem Muotatal.Twärenen-Räui nennt die Karte das Gebiet, und der Name bezeichnet vortrefflich das ungastliche Aussehen dieser von Karren durchzogenen Berglandschaft. Aber ganz so ungastlich ist es hier, zwischen der Senke des Pragelpasses und dem Talgrund des Bisistales, auch wieder nicht: In den Steinwüsten gibt es kleine Matteninseln, grüne Bänder, Ziergärtlein des lieben Gottes, die voll von buntfarbigen Alpenblumen sind.

Die Twärenen ist der höchste Punkt der Silbernen, 2319 Meter über Meer, die imposanteste Karrenfläche der Schweiz, wenn nicht gar von ganz Europa. Wir hatten bei unserem Besuch Glück: Ein schöner Vorsommertag war uns beschieden, fröhliches Kuhglockengebimmel auf dem Pragel und auf der versteckten Alp Butzen, wo der Muotathaler Josef Betschart das letzte schützende Dach - Haus, Hütte und Gaden - und seine Herde hütet. Wenn eine Hütte weltabgeschieden und versteckt im Gelände liegt, so ist es Butzen, höchstens dass das auf der andern Seite der Karrenwelt gelegene Robutzli Butzen in dieser Hinsicht noch Konkurrenz macht.

Von Butzen stiegen wir über Karren, Schnee und wenige Landstreifen zum Steinmann an den Ochsenstrich hinauf. Immer mehr Karren und immer mehr seltsame Steingebilde hatten wir zu überschreiten. Unser Ziel lag bei der Obersten Twärenen, von wo wir querfeldein nach Süden, gegen Bödmeren, absteigen wollten. Sehr bald stiessen wir im Gelände auf kegelförmige Löcher, die unten mit Schnee oder Steinblöcken verstopft waren, aber alle in Spalten nach der Tiefe wiesen. Je mehr wir das Gelände auskundschafteten, um so mehr Löcher und Schächte entdeckten wir. Offensichtlich befanden wir uns hier bei den obersten Versickerungstrichtern und Schloten des Höllochs oder seiner noch unerforschten östlichen Ganglabyrinthe. Hier oder unten auf Bödmeren werden die Höhlenforscher wohl einmal aus der grössten Dunkelkammer der Welt wieder zum Licht emporsteigen.

WIE ENTSTANDEN SCHLOTE UND HÖHLEN-GÄNGE?

Wenn man die Randpartien der tiefen Schlote auf der Twärenen genauer betrachtet, so wird einem klar, dass diese tiefen Löcher mit den formschönen Kannelierungen, die an griechische Säulen erinnern, nur auf chemischem Wege entstanden sein können. Und es ist in der Tat so, dass hundert Liter Wasser etwa fünf Gramm von Kalkgestein auflösen und wegschwemmen. Hier im Raum Bödmeren—Twärenen—Silbernen ist das Wasser seit Millionen von Jahren an der Arbeit, so dass aus einst haarfeinen Kapillaren Risse, Schlote und Höhlengänge geworden sind. Höhlengänge im Hölloch von 20 Metern Breite und to Metern Höhe lassen erahnen, wie lange das Wasser am massiven Schrattenkalk gearbeitet hat. Das ganze mächtige Gebiet der Twärenen-Silber-nen misst wohl mehr als zwei Quadratkilometer. Wenn nun Jahr für Jahr pro Quadratmeter 2000 Liter Wasser als Niederschlag fallen, so werden rund 100000 Kilo Kalk pro Jahr aufgelöst und durch die Risse, Schlote und Höhlengänge dem Höllbach zugeführt und weggeschwemmt. Freilich muss man dabei die weniger kalklösende Wirkung von « weichem » Regenwasser in die Berechnung miteinbeziehen.

SELTSAME LANDSCHAFT Die Karrengebilde auf der Twärenen sind bei Nebelwetter eintönig, grau und langweilig, ja ein Greuel für den Wanderer, der ohne gute Kenntnisse und ohne Kompass kaum durchkommt. Das Gebiet an einem schönen Tag zu durchwandern aber ist höchst vergnüglich. Die Formen der Karren haben hundert verschiedene Gesichter. Man stösst auf Miniaturgebirge mit typischen Bergketten, mit U- und VrTälern. Die Gratzüge sind so genau ausgebildet, dass man bei einem von oben fotografisch aufgenommenen Bild nie zweifeln wird, einen richtigen Gebirgszug vor Augen zu haben.

Andere Partien des Geländes sind wie von einem neuzeitlichen Bildhauer geschaffen. Sie zeigen Löcher und Durch bruche; oft sind die Kanten am Gestein so scharf, dass man daran Brot schneiden könnte. Wieder andere Gebiete haben das Aussehen von riesenhaften Waschbrettern. Wer ein Auge für Formen hat, erkennt in den Gebilden alle nur möglichen und unmöglichen Dinge: Elefantenleiber, aufgeschichtete Turben-stöcklein, riesige Telefonapparate und menschliche Figuren kurz, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Im Gebiet, das wir durchstreiften, lagen in Mulden und Tälchen noch vier bis fünf Meter Schnee. Wir haben also nur einen Teil der imposanten Schlote zu Gesicht bekommen, da wir annehmen müssen, dass auch in diesen Senken noch welche vorhanden sind.

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