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Sonntagsausflüge von der Gescheneralp

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von O. Seelig, jun. ( Section Uto ).

Nicht Jeder vom S.A.C. ist in der glücklichen Lage, seiner Bergleidenschaft einige Tage oder gar Wochen hintereinander fröhnen zu können. Ein großer Theil, zu denen auch Schreiber dieses gehört, kann eben nie Ferien machen — Berufspflichten gehen vor — und muß seine Excursionen auf Sonntage richten, denen dann hie und da ein Montag oder Samstag oder, wenn 's ganz gut geht, gar beide angehängt werden können. So ist man in seiner Auswahl der zu erforschenden Gebiete ziemlich beschränkt. Graubünden, Berneroberland oder gar Wallis, diese Sehnsuchtsziele eines jeden Clubisten, sind leider zu weit oder heute noch zu langsam zu erreichen. Das Interesse, das man jedem neuen Bahnbau und jeder Verkehrsverbesserung entgegenbringt, ist oft ziemlich egoistischer Natur, und so sehr man oft vom volkswirthschaftlichen Standpunkt aus manchen 6 neuen Bahnbau bekämpfen müßte, so sehr heißt man ihn vom touristischen aus willkommen.

Für uns Zürcher war unter genannten Umständen lange Zeit das Wäggithal und später das schöne Glarnerland das eigentliche Operationsfeld. Seit Eröffnung der Gotthardbahn nun sind uns aber neue, herrliche Gebiete erschlossen; was läßt sich da nicht Alles in 24 Stunden machen! Das Maderanertal und die ganze Gotthardgruppe stehen Einem offen, und theilweise wie bequem: Man setzt sich Abends 9 Uhr in den Mailänder Zug, kann, wenn 's gut geht, noch ein Stündchen schlafen und kommt nach 12 Uhr schon mitten im Gebirge an. Natürlich geht 's nun gleich los und so zwischen 7 und 11 Uhr kommt man gewöhnlich auf seinem Auserkorenen an. Der Abstieg, besonders in seinen letzten Theilen, hat dann allerdings meist in beschleunigtem Tempo zu geschehen, aber Abends nach 9 Uhr sitzt man wieder wohlig bei seinen Penaten. So habe ich Bristenstock, Windgälle, Oberalpstock, Pizzo centrale, Lochberg etc. besuchen können, Ausflüge, zu denen man früher wohl drei Tage bedurfte. Daß man übrigens, nach Schluß der Saison, dann keiner Schweningerkur bedürftig ist, brauche ich wohl nicht speciell zu versichern!

Längst schon hatte mich das Gebiet der Gescheneralp zum Besuche gereizt und beim Durchlesen der Jahrbücher des S.A.C. wurde es mir nur immer noch interessanter. Seit den Sechszigerjahren, als namentlich die Herren Lindt von Bern und Hoffmann-Burckhardt von Basel ( s. Jahrbuch II, III und V des

S.A.C. ) dasselbe mit dem Triftgebiet erforschten, ist es nur wenig mehr besucht worden, ja in den letzten Jahren beinahe in Vergessenheit gerathen — und das mit Unrecht. Nicht gleich eine andere Gegend bietet dem Reisenden eine so großartig wilde Hochgebirgsnatur und ist relativ so leicht zugänglich wie diese. Allerdings darf der auf der Gescheneralp Weilende keine großen Ansprüche an Comfort und Luxus mitbringen. Die früher bestandene Kaplanei ist aufgehoben und die Wirthschaft in dem nebenanstehenden Häuschen ist äußerst primitiv. Doch sind die Leute freundlich und reinlich und die Rechnungen erstaunlich billig. Im II. Band des Jahrbuches schildert Herr Lindt trefflich die Gescheneralp, deren Bewohner und Treiben, und seine Schilderung paßt auch heute noch vollkommen.

Das erste Mal kam ich auf die Gescheneralp am 17. Juli 1887, in einer schwülen Gewitternacht, die mich den Weg oft kaum erkennen ließ. Der anbrechende Tag zeigte mir die Dammakette in ihrer ganzen Großartigkeit und entzückte mich so, daß ich in dortiger Gegend von nun an beinahe Stammgast wurde! Die Berge hüllten sich jedoch bald in einen tief herabreichenden Nebelschleier, und so begnügte ich mich, allein wie ich war, den kürzesten Uebergang nach Realp, über die Alpligenlücke, kennen zu lernen. Dank der trefflichen Karte fand ich mich auch im Nebel gut zurecht und war schon Mittags 12 Uhr 30 Minuten in Realp.

Acht Tage später wanderte ich wieder, diesmal aber mit meinem Freund und Clubgenossen Aug. Näf,, in sternenheller Nacht der Alp zu. Man rechnet von Gesehenen stark 3 Stunden. Der Nachtzug hatte uns um IV2 Uhr in Gesehenen ausgeladen, aber erst um 5];2 Uhr kamen wir auf der Alp an. So ein Nachtmarsch ohne vorangegangenen Schlaf läßt regelmäßig bei Tagesanbruch eine gewisse Reaction aufkommen und trotz aller Energie kann oft während einiger Zeit die Schlafsucht kaum unterdrückt werden. So hatten auch wir uns unterwegs ein Stündchen in 's Gras gelegt, bis beginnendes Frostgefühl uns ermunterte! Treffliche Dienste leistet in solchen Fällen, um jedes Schlafgefühl zu bannen, das Essen eines recht sauren Apfels; ob dies physiologisch zu begründen ist, weiß ich nicht; aber Thatsache ist es.

Nachdem wir uns auf der Alp an der ausgezeichneten Milch gelabt hatten, brachen wir 6 Uhr 30 Minuten auf, wandten uns links dem Wintergletscher und, immer auf dessen östlicher Seite uns haltend, der Winterlücke zu. Die Gletscher sind dort übrigens allem Anschein nach und im Vergleich mit der Karte ( Bl. 398 der top. Karte ) gewaltig zurückgegangen, am meisten wohl eben der Wintergletscher. Doch auch beim Kehlengletscher ist ein starkes Zurückweichen sehr deutlich bemerkbar, was auch mit den Angaben der Bewohner übereinstimmt.

Am Fuß der Lücke angelangt, machten wir kurze Käst. Die Winterlücke bildet die Einsattlung zwischen Winterstock und Lochberg und ist unschwierig, doch ziemlich mühsam zu überschreiten. Im Frühsommer, wenn noch genügend Schnee liegt, mag der Aufstieg vom Gletscher zur Lücke angenehmer sein; wir mußten, namentlich das letzte Stück, den Pickel ziemlich gebrauchen, da der Schnee stellenweise zu Eis geworden war und ein Ausgleiten prompte Rück-beförderung auf den Wintergletscher versprach. Als ich einige Wochen später auf dem Winterstock stand, war die Strecke vom Gletscher zur Lücke beinahe ganz ausgeapert und wäre leicht zu begehen gewesen. Die Höhe der Lücke ( 2880 m ) erreichten wir um 10 Uhr 45 M. ;. nach dreiviertelstündiger Rast erkletterten wir über den Grat noch den westlichen Gipfel des Lochbergs ( 3088 m ), wo wir durch eine wundervolle Aussicht für alle Mühe entschädigt wurden. Sehr instructiv gestaltete sich der Ausblick auf den Dammafirn, der hier in seiner ganzen Ausdehnung überblickt werden konnte. Hier beschlossen wir auch den Besuch des Dammastockes, dessen ganze Kette gar verlockend vor unseren Augen lag. Auch dem Galenstock winkten wir zu: imposant schaute er über den Winterstock zu uns herüber, uns seine prächtigen Abstürze, gekrönt mit enormen Gwächten, zeigend. Von der Lücke aus schwingt sich, wild zerrissen und mit drohenden Gensdarmen besetzt, der Grat zum Winterstock hinauf, und weiter zum Gletschhorn und Tiefenstock sich ziehend, bietet er dem Kletterfreund ideale Partien dar. 900 Meter unter uns liegt der Wintergletscher. Welcher Contrast zwischen den beiden Thälern, dem Gesehener- und dem Urserenthal! Hier ein wildes, halbverschüttetes, rings von Gletschern eingefaßtes Hochgebirgsthal, dort ein lachendes, mit freundlichen Dörfern geschmücktes Gefilde, dem nur der Baumwuchs mangelt.

Wir wurden sonntäglich gestimmt und hätten gern noch Stunden lang da oben verweilt, aber die Zeit drängte. 12 Uhr 30 M. stiegen wir wieder zur Lücke ab, uriterwegs emsig Krystalle suchend. Wir fanden auch noch einige Stücke, die ganze Gegend ist ungemein reich daran; doch ist sie von „ Strahlern " schon zu sehr abgesucht, als daß man ohne größere Anstrengung noch Hübsches erbeuten könnte. Einige Wochen später hatte ich am Winterstock mehr Glück!

Erst 1 Uhr 50 M. verließen wir die Höhe der Winterlücke, auf der sich inzwischen eine sommerliche Hitze entwickelt hatte. Das erste Stück von der Lücke nach dem „ Loch " zu fällt sehr steil ab und gibt Gelegenheit zu einigen hübschen, aber unschwierigen Klettereien; selbst kleinere Rutschpartien lassen sich noch ausführen, und als wir tiefer unten noch Colonien von Murmelthieren antrafen und, am linken Ufer des Lochbachs nach Realp absteigend, auch noch die prächtigsten „ Männertreu " pflücken konnten, waren wir von dieser kleinen Tour befriedigt, wie noch selten von einer. In Realp, das wir Mittags 3 Uhr 30 M. erreichten, lächelte uns zudem noch das Glück, gleich einen Retourwagen nach Gesehenen zu bekommen, so daß wir noch in aller Bequemlichkeit den letzten Zug erlangen konnten.

Die nächste Samstagnacht ( 30./31. Juli ) fand uns wieder auf dem Wege nach der Gescheneralp! Diesmal aber nicht führerlos, sondern in Begleitung von Joseph Zgraggen, dem bekannten, tüchtigen, jungen Führer von Amsteg, mit dem'ich schon öfters gegangen war. Um 11 Uhr 40 M. von Gesehenen aufgebrochen, erreichten wir um 2 Uhr 50 M. die Alp, woselbst wir uns den obligaten Milchkaffee machen ließen. Als die junge Wirthin uns denselben nach ungefähr halbstündiger Herstellungszeit credenzen wollte, erschrak sie beim Eintritt in die Gaststube nicht wenig: da lagen alle Drei wie todt! Einer auf der einzigen, schmalen Holzbank längs der Wand, die andern Zwei auf dem blanken Boden hingestreckt, und schliefen so fest, daß sie einzeln geweckt werden mußten. Doch bald waren wir wieder munter und um 3 Uhr 50 M. wurde abmarschirt, denn heute galt es dem berüchtigten Dammapaß.

Die Kette der Winterberge, die das Triftgebiet von dem der Gescheneralp scheidet, fällt, so zahm sie sich nach Westen in den Trift- und Rhonefirn hin absenkt, ebenso furchtbar steil nach Osten in den Dammafirn ab. Riesige, imposante Felswände von meist 400-500 m Höhe stürzen, oft nur wenig von der Senkrechten abweichend, in die Gletscher ab, als weiteres Annäherungshinderniß der ganzen Länge nach einen weithin sichtbaren Bergschrund aufweisend. Nur an wenigen Stellen ziehen sich von der Höhe schmale, entsetzlich steile Schnee- oder Eiskehlen hinunter, die aber oben, wie auch sämmtliche Felswände, mit gewaltigen, theils bis weit in den Spätsommer hinein, theils das ganze Jahr hindurch haltenden Gwächten gekrönt und abgeschlossen sind. Die einzige Ausnahme hievon, wo sich vielleicht ein reiner Gletscherübergang bewerkstelligen ließe, ist die Stelle zwischen Weißnollen ( 3433 m ) und Eggstock ( 3550 m ), ungefähr in der Gegend von Punkt 3547 m.

Man würde dorthin gelangen, vom Kehlengletscher, ungefähr von Punkt 2163 m aufsteigend. Doch ist der Gletscher dort, namentlich in seinen oberen Partien, so steil und so verschrundet, und sind die ihn einschließenden Felswände von solcher Unnahbarkeit, daß auch dort ein wirklicher Paß nicht wohl zu finden sein wird. Immerhin kommt es auf einen Versuch an und ich hoffe, nächstes Jahr darüber berichten zu können.

Das Triftgebiet gehörte zum ersterwählten Clubgebiet des jungen 8. A. C. und varde in den Sechszigerjahren vielfach durchstreift. Schon in den Vierzigerjahren fanden die Erstlingsbesteigungen des Sustenhorns und Galenstocks statt und in den Jahren 1864—1868 wurden die meisten Gipfel des Gebiets von den Pionnieren des S.A.C. erobert, und es blieben ihrer nur noch wenige, die ihre Jungfräulichkeit bewahrt hatten. Vielfach wurde versucht, einen practicabeln Paß über die Kette der Winterberge aufzufinden, aber von der Winterlücke an bis zur Thierberglimmi verdient keiner der gemachten Uebergänge von Rechtswegen den Namen eines Passes. Es sind Alles mehr oder weniger halsbrecherische Kletterpartien, die, einmal gemacht, vom gleichen Touristen wohl kaum wiederholt werden. Meistens wird derselbe, oben oder unten angelangt, hoch aufathmen und froh sein, die Passage hinter sich zu haben!

Herr A. Hoffmann-Burckhardt von Basel war der Erste, der die Kette überschritt; von der Trifthütte herkommend, nahm er den Abstieg über die Felsen südlich vom Dammastock ( am 15. Juli 1865, mit den Sonntagsausflüge von der Gescheneralp.89* Führern Weißenfluh und Lauener, s. Jahrbuch III des S.A.C. ). In umgekehrter Richtung ( am 1. Aug^ 1867 mit Lauener und einem Urner Träger, s. Jahrbuch V des S.A.C. ) von der Gescheneralp über Winter- und Dammagletscher nach dem Tiefenstock zu aufsteigend, passirte er den von ihm getauften Dammapaß. Beide Passagen schildert er in drastischer Weise als äußerst mißliche. Mr. Jacomb vom A. C. machte den Uebergang vom Dammafirn zum Tiefengletscher ( mit Tännler am 6. August 1864 ), wahrscheinlich in der Nähe des Tiefenstocks, es ist aus seiner Notiz nichts Näheres ersichtlich. Herr Hauser von der Section Tödi ging mit den beiden Eimern von der Gescheneralp nach der Furka ( am 13. August 1864 ), wohl nur über die Alpligen- oder Winterlücke, da darüber nichts zu erfahren ist. Herr Häberlin aus Frankfurt, der in den damaligen Jahren so manchen unserer Hochgipfel als erster Besteiger betrat, traversirte die. Kette vom Kehlengletscher zum Triftgletscher über das von ihm so benannte Maasplankjoch ( mit den beiden Weißenfluh, am 26. August 1868, s. Jahrbuch V des S.A.C. ), auf welche Tour ich später zurückkommen werde. Die Herren Moore und Walker endlich machten ( an 27. Juni 1870 ) den Uebergang vom Dammafirn zum Rhonegletscher durch ein Couloir südlich vom Rhonestock, das sie „ Winterjoch " benannten; als „ Paß " können sie dasselbe ebenfalls nicht empfehlen, sondern legen ihm das Prädicat „ lebensgefährlich " bei.

Damit wäre die Aufzählung der von jenen Jahren bekannt gewordenen directen Uebergänge erschöpft SOC. Seelig.

und es ist denselben wenig mehr hinzuzufügen. Oefters wurden allerdings die leichteren indirecten Passagen über die Thierberglimmi und die Snsten-limnii, den Tiefensattel, die Winterlücke und die Alpligenlücke gemacht, doch fallen diese hier nicht in Betracht.

Das Gebiet scheint seit jenen Jahren wenig clubistischen Besuch mehr erbalten zu haben, Berneroberland, Wallis und Graubünden bildeten seither immer die „ great attraction " für alle Hochclubisten. Wahrscheinlich werden die Berge der Trift zu niedrig und zahm sein für die Elite der Bergsteiger! Mir steht hierüber kein Urtheil zu, da ich die anderen Gebiete nur aus den Büchern und vom Hörensagen kenne. Trotz eifrigstem Nachforschen, sowohl in der gesammten einschlägigen Literatur, als bei den Bewohnern der Gescheneralp etc., ist mir nur noch ein einziger Üebergang bekannt geworden. Es betrifft dies die von Hrn. Geißler ( D. u. Oe. A. V. ) am 27. Juli 1883 unter Führung unseres Zgragg"en und eines Gamma von Gesehenen ausgeführte Ueberschreitung des Dammastocks, von der Gescheneralp nach dem Rhonegletscher zur Furka. Jedoch haben dieselben damals wegen zu gefährlicher Schneeverhältnisse nicht den eigentlichen Dammapaß, sondern ein Couloir, etwas nördlich vom Gipfel des Dammastocks, überschritten, das aber ebenfalls große Schwierigkeiten geboten haben und ziemlich steinschlägig gewesen sein soll.

Wir brachten daher unserer projectirten Tour ein nicht geringes Interesse entgegen, und als wir in der Morgendämmerung des 31. Juli von der Gescheneralp -dem Wintergletscher zuschritten, da schauten wir gar oft rechts an die steilen Abstürze des Dammastocks hinauf. Das Wetter war leider nicht ganz, wie wir es wünschten, Nebel hüllten abwechselnd die Winterberge ein und eine warme, föhnige Luft ließ uns schon in früher Morgenstunde die gehörig geladenen Rucksäcke doppelt schwer erscheinen und preßte uns manchen Schweißtropfen aus. Am rechten Ufer des Wintergletschers uns hinziehend, überschritten wir denselben circa bei Punkt 2160 und stiegen dann in dem schmalen Thälchen, das sich steil zwischen Moosstock und Dammafirn herabzieht, dem Bachbette nach aufwärts. Um 5 Uhr 40 M. begann Freund Näf Gelüste nach seiner Lyonerwurst zu verspüren, und so hielten wir Frühstücksrast. 6 Uhr 5 M. ging 's wieder aufwärts und steil hat man nun längs dem vom Moosstock nach Punkt 2952™ sich hinziehenden Grat zu steigen, theils auf Felsgeröll, theils auf den Ausläufern des Firns. 7 Uhr 20 M. betraten wir den Gletscher und banden uns an 's Seil. Anfangs ging 's gut, es lag nur wenig Schnee auf dem Firn, aber bald kamen wir auf tiefere Schichten und sanken nun bei jedem Tritt fußtief ein, so daß das Steigen recht anstrengend und mühsam wurde. Oberhalb Punkt 2952 m machten wir um 8 Uhr wieder Rast, zwischen zwei mächtigen Spalten. Leider hüllte Nebel die ganze Dammakette bis zum Firn herab ein und ließ nur hie und da für einen Moment uns einen Blick hinaufwerfen.

Zgraggen trug Bedenken wegen des Weitermarsches, er fürchtete Gewitter, die seiner Aussage nach in diesen krystallreichen Gegenden besonders gefährlich sein sollen. Wirklich hörten wir es auch einige Male donnern, doch wage ich nicht zu entscheiden, ob dies von Gewittern oder von Eisbrüchen, respective Steinschlägen herrührte. Wir wollten jedoch nichts von Umkehr wissen, nur theilten sich hier unsere Meinungen betreffs der einzuschlagenden Route. Den vor vier Jahren gemachten Weg wies Zgraggen ab, weil zu stark ausgeapert und daher zu steinschlägig, er bestand auf dem eigentlichen Paß, während ich eine directe Anstiegsroute nach dem Gipfel über die Felsen vorgezogen hätte. Doch war er wohl im Recht, der leidige Nebel verhinderte ein jedes genauere Recognosciren über die am leichtesten gangbare Felspartie und der Bergschrund wies jede Annäherung schroff ab. So brachen wir denn 8 Uhr 25 M. wieder auf, stiegen noch, uns zwischen den Spalten hin- und herwindend, ein gut Stück aufwärts und zogen uns dann links nach dem Eingang des Couloirs hin. Jedenfalls ist auch hier oben der Gletscher gegen früher sehr geschwunden, denn es zeigten sich verschiedene Felsrippen und Gratausläufer, die in der Karte nicht eingezeichnet sind, so daß wir ungefähr beim Buchstaben e des Wortes berg ( v. Winterberg ) schon einen stattlichen ersten Bergschrund zu überschreiten hatten, der uns einen kleinen Vorgeschmack des Bevorstehenden gab. Oberhalb dieses Schrundes, in einer Felsspalte der sich herabziehenden Gratrippe sah ich Prachtsexemplare von Rauchtopasen; es war denselben aber nicht beizukommen, man müßte denn schon extra des „ Strahlens " halber hingehen. 10 Uhr 30 Minuten standen wir am Eingange des Couloirs, ca. bei der Quote 3120 m. Daß wir bis hieher so lange Zeit gebrauchten, ist wohl weniger der Schwierigkeit der Passage zuzuschreiben, als dem Umstand, daß wir eben die Folgen einer schlaflosen Nacht spürten; die ab und zu scheinende Sonne entwickelte eine solch'stechende Hitze, daß wir alle Drei schläfrig wurden.

Wie wir nun unten an unserem Couloir standen, lichtete sich plötzlich der Nebel und wir konnten dasselbe in seiner ganzen Gewaltigkeit bewundern. Daß es gerade sehr einladend aussah, kann ich nicht behaupten. In abschreckender Steilheit zog es sich hinauf, links und rechts von anscheinend ungangbaren Felswänden eingekleidet; durchziehende Nebelstreifen bewirkten die optische Täuschung, daß die Höhe noch viel gewaltiger erschien, als sie in Wirklichkeit ist — die Niveaudifferenz mag 400-450 m betragen. Die gerade in das Couloir hineinscheinende Sonne ließ die ganze Bahn in blendendem Glänze aufblitzen und lehrte uns, daß wir zu dieser Tageszeit niemals unsern Weg in dem Couloir selbst nehmen dürften. Abgesehen davon, daß, um auf dieser Eis-Straße emporzukommen, es vieler Stunden unausgesetzter Hackarbeit bedürfte, hingen auch oben mächtige Gwächten über, welche die Bahn vollständig beherrschten und beim Fallen alles darin Befindliche zerschmettern und begraben mußten. Mitten durch die Rinne kam ein kleiner Bach herabgerieselt, der -weit hinauf das darunter befindliche schwarze Eis erkennen ließ. Ein geValtiger Bergschrund trennte die-Felswand vom Gletscher, doch hatten von oben herabkommende Lawinenstürze und Eisbrüche vom Couloir aus eine zur Noth passirbare Brücke gebaut. Weit auf den Gletscher hinab lagen mächtige Eisklumpen und Lawinenreste fächerförmig ausgebreitet und zeigten, wie häufig die Rinne als Canal diente und wie-sehr Vorsicht, zumal bei dieser Tageszeit, von Nöthen sei. Zgraggen prüfte mit Kennerblick die Situation und machte uns aufmerksam, wie zu oberst über dem Couloir ein kleines Stück der Gwächte losgebrochen und hinuntergefallen sei, dorthin müßten wir steuern,, um durchzukommen. Es erwies sich nachher, wie recht er gehabt; nirgends anderswo wäre sonst eine Möglichkeit gewesen. Die linksseitige ( südliche ) Felswand taxirte er als ungangbar, während er die rechte Planke des Couloirs als unsere Aufstiegsroute bezeichnete; allerdings mußten wir, um zu dieser hin zu gelangen, ein gutes Stück in der Rinne selbst aufsteigen. Während wir noch berathschlagten, hatte sich wieder Alles in Nebel gehüllt und plötzlich hörten wir links, in dem Couloir nächst dem Rhonestock, das von dem unsrigen durch eine Felspartie getrennt war, ein mächtiges Donnern und Getöse,, und gleich darauf sahen wir wenige Hundert Fuß von uns entfernt eine Masse Felsstücke und Eisklötze auf den Gletscher hervorstürzen.

Es wurde uns unheimlich und Zgraggen hatte nicht nöthig, zu äußerster Eile zu mahnen, konnte doch in unserm Couloir jeden Augenblick eine ähnliche Ladung herabkommen! Die Brücke über den Sonntagsausflüge von der Gescheneralp.9& Schrund war bald überschritten und emsig hackte unser Führer aufwärts. Das steinharte Eis und die drängende Zeit erlaubten nicht, gute Stufen zu hauen, nur ein paar Schläge, um den Schuhrand einsetzen zu können, und weiter ging 's an die nächste. Wir Nachfolgenden besserten aus, obgleich ich constant gegen meinen Vormann Näf eiferte, dies zu lassen j als Unterster am Seil bekam ich, da wir einander so- zu sagen über den Köpfen standen, immer einen Hagel von Eissplittern auf den Kopf und in 's Gesicht und wagte schon gar nicht mehr aufzublicken. Dieses Aufblicken war aber auch nicht sonderlich trost-bringend! Wir standen mitten im Couloir auf kirch-dachjäh abschießender Eisbahn, circa 50 Meter unter uns sperrte der Bergschrund seinen gähnenden Rachen auf, über die Füße rieselte das eiskalte Thauwasser, links thürmte sich die unnahbare Wand auf und die erlösenden Felsen zur Rechten wollten uns nicht näher kommen. Hoch über uns stand dräuend die Gwächte vor, von der rechtsseitig ein hausgroßer Block sich schon halb gelöst hatte und sturzdrohend überhing — wir wagten nicht mehr, laut zu sprechen, und in fieberhafter Eile arbeitete der wackere Zgraggen mit seinem Pickel. Endlich biegt er rechts ein, arbeitet sich schräg aufwärts und ist in wenigen Schritten in Sicherheit, wir folgen ihm am straffen Seil so rasch als möglich und athmen alle Drei hoch auf, uns außer der Schußlinie zu wissen.

Es war 11 Uhr 15 Minuten, als wir in die Felsen gelangten, die aber nichts weniger als eine angenehme Kletterei abgaben. Meist plattenförmig aufrecht ge- 36G. Seelig.

schichtet, boten sie nur wenig Halt für Hand und Fuß und waren ungemein faul, so daß wir mit großer Vorsicht aufsteigen mußten. Zwischen den Platten lag Eis und Schnee, was die Schwierigkeit des Kletterns noch bedeutend erhöhte und uns verbot, das Seil abzulegen. Dies hinwiederum gab häufigen Anlaß zum gutgemeinten Austausch der größten Schmeicheleien, denn fortwährend war das Seil, wie es ja in den Felsen geht, dem Einen oder Andern hinderlich, und gewiß kam es Einem just im passendsten Moment zwischen die Beine, blieb irgendwo hängen oder verwickelte sich! Inzwischen verzog sich der Nebel, lichtete sich immer mehr und ließ uns vom Wetter wenigstens nichts mehr fürchten. Die aufregende Arbeit machte uns Hunger und Durst vergessen; « s wäre allerdings auch absolut keine Möglichkeit gewesen, während der ganzen Passage irgendwo zu rasten, um sich zu erfrischen, und wir waren froh, endlich auf den obersten Felskopf zu kommen, der uns erlaubte, wieder einmal frei zu stehen.

Wäre nun hier oben kein Gletscher, so wären wir jetzt auf der Höhe des Passes gewesen, so aber Tagte eine wohl wenigstens 12—15 m messende Firn-Schicht noch über uns hinweg und bot uns noch den schwierigsten Theil der Arbeit. Ich muß hier noch erwähnen, daß wunderbarer Weise, trotz der ungünstigen Tageszeit, während den 3 Stunden, die wir in und neben dem Couloir kletterten, kein nennenswerther Sturz in dasselbe erfolgte, während von den seitlichen Couloirs wir häufig das Getöse fallender Massen hörten; allerdings war Material, zum Fallen bereit, genug da und hätten wir es auch anders treffen können!

12 Uhr 45 Minuten war es, als wir die obersten Felsen erreichten — uns zur Linken lag das Couloir, das in entsetzlicher Steilheit abstürzte und wie polirt aussah. Die oberste Firnschicht schnitt dasselbe beinahe senkrecht ab und wies uns unsern Weg. An dieser Stelle war die wohl 5-6 m Mächtigkeit zeigende und 3-6 m und mehr vorstehende Gwächte abgebrochen, und das zu unserem Heil, denn sonst wären wir überhaupt nicht hinaufgekommen, und an jener Stelle wieder absteigen zu müssen, hätte ich uns nicht wünschen mögen! Die Gwächte durchzuschlagen, wäre bei der Mächtigkeit und der Härte derselben — sie bestand nicht aus Schnee, sondern aus Firn — wohl nicht möglich gewesen, ganz abgesehen von der Gefahr, sie durch solch'große Erschütterung loszureißen und zum Fall zu bringen.

Unter der Gwächte war der Firn etwas ausgeschmolzen, so daß sich dort, wo er sich auf den Fels auflegte, gehen ließ. Zwischen unserem Standort aber und unserem Paßweg, der sich, wie schon gesagt, unmittelbar über dem Couloir befand, lag oder hing vielmehr der vorhin schon erwähnte, halb abgelöste enorme Firnblock, der ein weiteres zum Sturze bereites Stück der Gwächte darstellte. Oben ganz abgelöst, hing er weit über und schien jeden Moment losbrechen zu wollen. Vielleicht hat er noch Tage lang gehalten, jedenfalls aber sah er so schreckeneinflößend aus, daß wir uns einige Minuten besannen, bevor wir mit angehaltenem Athem darunter 7 herkrochen, unwillkürlich in Gedanken uns dabei ausmalend: wenn er jetzt losbräche!

Nun standen wir auf fußbreitem Firnstreifen über dem Couloir und blickten sehnsüchtig aufwärts. Hier hörte alle Dilettantenkunst auf und beschämt mußte ich mir eingestehen, daß, wenn man auch schon manche Tour führerlos gemacht hat, es doch Stellen gibt, die Einen lehren, wie weit man dem richtigen Führer noch in seiner Kunst nachsteht; einer Kunst, die nicht nur von Jugend an geübt, sondern auch wohl, wie Talente, angeboren sein muß! Mit großer Vorsicht gingen wir nun zu Werke. Zgraggen stieg noch circa 6 Meter aufwärts, ebnete mit dem Pickel den Platz, so daß drei stehen konnten, und half uns nach. Nun stellten wir uns so fest wie möglich hin, bohrten tiefe Löcher für die Hände, stießen die Pickel soweit möglich in die Firnwand und wickelten das Seil fest darum, dasselbe dem nun vorgehenden Zraggen nach Bedürfniß nachlassend. So war wenigstens die Möglichkeit gegeben, ihn, wenn er ausglitte, noch halten zu können, obgleich ich es nicht gern auf einen Versuch hätte ankommen lassen mögen. Es waren von jener Stelle aus noch wenigstens 6—7 Meter zu überwinden, um die uns die Firnwand, vollkommen senkrecht, noch überragte. Noch heute ist es mir ein Räthsel, wie Zgraggen sich da hinaufgearbeitet hat, und bewundere ich seine Leistung! Mit der rechten Hand sich in einem dafür gehackten Loch einklammernd, schlug er mit der linken die nächsten Löcher für Hand und Fuß schräg aufwärts und arbeitete sich so allmälich in die Höhe; das dauerte wohl eine volle Viertelstunde, eine Zeit, die uns eine Ewigkeit däuchte und uns Hände und Füße erstarren ließ. Krampfhaft klammerten wir uns in unsere Löcher und an unsere Pickel und konnten zwischen den Beinen auf den in grausiger Tiefe unter uns liegenden Dammafirn schauen; sehnsüchtig erwarteten wir Zgraggens Ruf. Endlich hörten wir ihn und nun folgte Freund Näf am Seil gezogen nach, und als der oben, kam ich, und ich muß bekennen, daß, trotz der Löcher, ich ohne Seil kaum hinaufgekommen wäre! Selbst der oberste Rand bot noch eine pikante Stelle. Da war der ganzen Länge nach, hart am Rand, ein wohl 60-80cm breiter Schrund, den wir nur auf dem Bauche rutschend überwinden konnten; das hatte auch Zgraggen noch zuletzt so zu schaffen gegeben. Aber nun standen wir tief aufathmend oben, ein unsagbares Dank- und Wonnegefühl durchströmte uns und warm drückten wir dem wackern Führer die Hand. Nun erst schauten wir um uns! Der Nebel hatte sich hier oben beinahe ganz verzogen, nur das Wallis lag verschleiert und an der Kette der Diechterhörner hingen noch einzelne Fetzen. Welche grandiose Ueberraschung, welch'gewaltige Rundschau öffnete sich da mit einem Schlage unseren trunkenen Blicken! Unmittelbar uns gegenüber liegen, für mich eine ganz neue Welt, die Riesen des Oberlandes in eigenartig imposanter Aufstellung, vorab das prächtige Finsteraarhorn, das wohl am meisten fesselt, und ringsum ein solches Heer von Gipfeln, daß sich das Auge in deren Zahl verliert.

Doch nun machte sich die Natur geltend; es war 1 Uhr 20 Minuten, als wir die Paßhöhe erreichten, und seit über 5 Stunden hatten wir nichts mehr genossen. Wir waren auch jetzt zu müde, um essen und trinken zu können, und legten uns einige Minuten der Länge nach in den Schnee. Derselbe war hier oben butterweich geworden, und als wir uns nun rechts dem Dammastock zu wandten, sanken wir mit jedem Schritt bis über die Kniee ein, ein Umstand, der uns von der Besteigung des Gipfels abgehalten hätte, wäre derselbe nicht in gar so verführerischer Nähe gelegen. Der letzte Gipfelaufbau lag aper vor uns, auf dem trockenen Felsen angelangt, entledigten wir uns des Seils und standen 2 Uhr 15 Minuten auf dem Dammastock ( 3633 m ), den wir mit lautem Hurrah begrüßten.

Beim Aufstieg hatten wir frische Spuren von Besteigern gefunden, und beinahe auf dem obersten Gipfel fanden wir die Werkzeuge und das Spreng-material von Strahlern, die da oben gehaust und heute wohl in der Clubhütte am Thältistock weilten. Wir hörten dann später, daß diese Clubhütte von solchen Besuchern allerdings in einen bösen Zustand versetzt worden sein soll, so daß ein reinlicher und etwas empfindlicher Mensch kaum mehr darin habe übernachten können. Wir machten uns indeß deren Werkzeug zu Nutzen und ich konnte einige hübsche Stücke von Rauchquarz erbeuten; wer Zeit und Mühe nicht scheut, wird gewiß immer noch Manches finden, offen liegt allerdings wenig mehr, man muß schon suchen und graben. Jetzt endlich wurde dem Magen zu seinem Rechte verholfen und ungeahnte Herrlich- keiten kamen aus den verschiedenen Rucksäcken zum Vorschein. Als ich zum Dessert noch Pflaumen, recht große, saftreiche, auspackte, da gab 's große Freude und beinahe mußte ich meinen Antheil mit dem Pickel vertheidigen!

Nun wurde auch die Aussicht nochmals eingehend genossen; gemüthlich ein Pfeifchen rauchend, saßen und lagen wir hemdärmlig da, die Temperatur von -f-12° C. erlaubte uns dies. Wie lange wir uns da um die Namen der verschiedenen Gipfel stritten, weiß ich nicht mehr genau, nur das, daß ich plötzlich durch einen unfreiwilligen Fußtritt meines über mir liegenden Genossen sehr unsanft geweckt wurde. Erschrocken, noch ganz schlaftrunken, springe ich auf und sehe nach der Uhr: schon 3 Uhr 50 Minuten! und wir noch auf dem Dammastock! Die Beiden schnarchen noch laut. Heb, hailoh, aufgestanden! Classisch sind die Gesichter, die Beide schneiden beim Erwachen, es glaubt sich natürlich Jeder irgendwo im Bett.

Zgraggen und ich recognosciren noch die nach dem Dammafirn abstürzenden Felswände und constatiren, so weit sich dieselben von oben verfolgen lassen, daß ein Abstieg direct vom Gipfel wahrscheinlich möglich; sofort wird aus dieser Beobachtung ein Plan für später geschmiedet. Nachdem wir die Daten unserer Besteigung in der Gipfelflasche deponirt haben, brechen wir 4 Uhr 5 M. auf und haben nun das Vergnügen, den Rhonefirn und -Gletscher in seiner ganzen Ausdehnung zu durchwandern, bei dem weichen Schnee ein ziem- liches Stück Arbeit. Der wunderbar schöne Abend und die großartige Umgebung lassen aber keinen Mißmuth aufkommen; 6 Uhr 45 Minuten lösen wir uns vom Seil, verlassen bald darauf den in seinen unteren Partien vollständig ausgeaperten Gletscher und spazieren sehr gemüthlich nach dem Furkahôtel hinauf, das wir erst 7 Uhr 45 Minuten erreichen.

Auf nächsten Tag hatten wir den Galenstock projectirt, als ich aber beim Abendessen meinen Freund sanft daran erinnerte, wurde er förmlich grob, und herzinnerlich froh, schloß ich mich seiner Meinung an, einmal auszuschlafen. Selbst Zgraggen hatte nichts dagegen, und als wir am nächsten Morgen nach 7 Uhr zum Fenster hinaus in 's Wallis schauten, da hatte es zu unserer großen Freude geregnet und sah ziemlich zweifelhaft aus, so daß wir uns mit gutem Gewissen sagen konnten, nichts versäumt zu haben. Aufsteigende sybaritische Gedanken betreffs Miethe eines Fuhrwerks nach Gesehenen wurden zum Glück durch die exorbitanten Forderungen sofort unterdrückt. 11 Uhr 15 Minuten wurde abmarschirt und mit dreiviertelstündigem Unterbruch im kleinen Hotel Tiefengletscher langten wir schon um 3 Uhr in Gesehenen an und saßen nach weiteren 3 Stunden in Zürich.

Acht Tage nachher wiederholten die Herren Emil Huber ( Section Uto ) und Dr. Frick von Zürich die gleiche oder eine ähnliche Tour über den Dammastock, unter Begleitung des Führers Gamma von Gesehenen, desselben, der vier Jahre zuvor mit Zgraggen den obenerwähnten Uebergang ausgeführt.

Als ausgezeichnete Bergsteiger haben sie die Tour nicht nur in kürzerer Zeit gemacht, sondern sind auch am gleichen Tage noch über das Nägelisgrätli zur Grimsel gegangen, gewiß eine respectable Leistung!

Nun hatte die Gescheneralp einige Wochen vor uns Ruhe — zwei Sonntage regnete es und die anderen zwei fanden uns das eine Mal auf dem Oberalpstock mit den Clubgenossen Schwamborn und Waldthausen, das andre Mal auf dem Hausstock-Ruchi, den wir führerlos, vom Durnachthal aufsteigend, zur neuen Clubhütte am Muttsee hin überschritten.

Erst Sonntag, der 4. Sept. traf mich wieder, diesmal allein mit J. Zgraggen, auf dem Wege zur Gescheneralp. Um 5 Uhr früh auf der Alp angelangt, rasteten wir bis 6 Uhr 30 M. und wandten uns dann rechts dem Kehlengletscher zu: heute sollte Häberlin's Maasplankjoch untersucht werden. Leider war das Wetter durchaus nicht günstig, was uns veranlaßte, unsern Plan, nach der Thälti-clubhütte zu gehen, dahin abzuändern, wenn möglich das Maasplankjoch hinauf und irgend einen andern practicabeln Paß wieder nach dem Kehlengletscher hinab zu steigen, um auf der Gescheneralp zu übernachten. Auf diese Weise konnten wir den größeren Theil unseres schweren Gepäcks zurücklassen und behielten immer noch genug, um allen Eventualitäten zu begegnen. Fatalerweise hüllte der Nebel die ganze Kette der Winterberge bis zur Höhe des Dammafirns ein und nur sehr selten gestattete ein plötzliches Lichterwerden einen raschen Orientirungsblick.

Ich hatte jedoch Häberlin's Beschreibung so deutlich im Köpfe, daß ich mich getraute, auch im Nebel zurecht zu kommen, jedenfalls wollten wir so weit wie möglich vorrücken. Den gewöhnlichen Weg nach dem Kehlenalpli verfolgend, das heuer nicht befahren wurde — um dahin zu gelangen, muß das Vieh über eine Stunde weit über den Kehlengletscher getrieben werdenerreichten wir das Ende des Gletschers 7 Uhr 50 M. Wir rasteten bis 8 Uhr 25 M., immer in der Hoffnung, unser heutiges Ziel nebelfrei zu erblicken, leider vergebens. So überschritten wir denn den Kehlengletscher, der in seinem untern Theil vollständig von Moränenschutt überdeckt ist und dessen Eis hier jetzt eigentlich weniger dem Kehlengletscher als dem sich vom Weiß-Nollen herabziehenden Firn angehört. Am besten sichtbar wird dies, wenn man die Sache aus der „ Vogelperspective " eines ziemlich erhöhten Standpunktes betrachtet. Da hört der Kehlengletscher ungefähr in der Gegend unterhalb der Kehlenalp auf, resp. wird vollkommen an die linksseitige Thalwand gequetscht, während der oben erwähnte Firn hier sich senkrecht zur Thalaxe fächerförmig ausbreitet und nun erst, vom Kehlengletscher scheinbar gedrückt, in rechtem Winkel wendet und kurze Strecke darauf sein Ende erreicht. Möglich, daß dieser Firn seit der Aufnahme des Blattes 398 gewachsen und der Kehlengletscher entsprechend zurückgegangen ist, jedenfalls ist der ganze Eisstrom um mehrere Hundert Meter zurückgeschmolzen und zeigt überhaupt, wenigstens auf der westlichen Thalseite, ein mit der Karte nicht mehr ganz übereinstimmendes Bild.

Nachdem wir den Kehlengletscher überquert, wandten wir uns den, gegenüber der Kehlenalp schroff aufsteigenden Felswänden zu; in der zweiten herabkommenden Runse kletterten wir empor und steuerten nun, über prächtige Wildheuplanken aufsteigend, dem Punkt 2708 m zu. Wir erreichten denselben 9 Uhr 55 Minuten und benutzten eine Rast bis 10 Uhr 15 Minuten theils zum Frühstücken, theils zur Berathung. Noch immer wollte der Nebel nicht weichen und so beschlossen wir, den Grat nach Häberlin's Angabe ( s. Band V v. Jahrbuch des S.A.C. ) so weit wie möglich zu verfolgen, um uns dann, wie Jener seinerzeit, rechts nach dem Joche zuzuwenden. Wie ich so die Karte betrachte, gewahre ich erst, daß darauf das Maasplankjoch falsch, nämlich südlich statt nördlich von Punkt 3357 m, eingezeichnet ist. Ganz abgesehen von Häberlin's deutlichen Angaben, die keinen Irrthum zulassen, kann das Joch nur an der tiefsten Stelle des Grates sich befinden und diese ist nördlich von Punkt 3357 m. Jedenfalls handelt es sich nur um einen Druckfehler, auf den ich mir aber erlaube aufmerksam zu machen. Die, wie Häberlin ganz richtig sagte, wahrscheinlich tiefste Gratstelle der ganzen Winterbergkette befindet sich nördlich von Punkt 3357 m, wo das Maasplankjoch eingezeichnet werden muß und von welcher Stelle aus der Grat dann ununterbrochen ansteigt bis zum Gipfelpunkt des Maasplankstocks. An der auf der Karte mit Maasplankjoch bezeichneten Stelle ist ein Uebergang absolut nicht zu bewerkstelligen, schon der Gletscher gestattet dort keine Annäherung an die Wand und diese selbst ist vollständig ungangbar, es gehörten denn „ Saugnäpfe " und „ Colopbonium " dazu

10 Uhr 15 M. brachen wir von Punkt 27O8 m auf und stiegen den nach Punkt 3357 m sich hinaufziehenden Grat empor. Im Aufsteigen ging mir die Sache mit dem falschen Maasplankjoch immer wieder durch den Kopf, und als sich an jener Gratstelle der Nebel lichtete, schlug ich Zgraggen vor, links auf den Firn hinauf zu steuern und die Gegend dennoch zu recognosciren. Gesagt, gethan, bei circa 200 m oberhalb Punkt 2708 bogen wir links aus, und hackten uns äußerst mühsam in dem sehr schwierigen Gletscherterrain aufwärts. Ungefähr um 11 Uhr 30 M. war schlechterdings kein Fortkommen mehr möglich, und da wir inzwischen die vermeintliche Jochstelle öfters nebelfrei genau inspiciren konnten, sahen wir auch, daß dort für Menschen kein Hinaufkommen sei.

Während wir uns rechts wieder nach dem Grate hinarbeiteten — ich ging nun voraus — kamen wir auf eine Gemsspur. Jedenfalls war das Thier auf der Flucht gewesen und hatte in mächtigen Sätzen dem Grate zugestrebt. Uns kam diese Spur sehr gelegen, um so mehr, als wir plötzlich wieder in dichten Nebel eingehüllt wurden, der uns nun nicht mehr verließ. Ueber unangenehme Stellen erreichten wir um 12 Uhr wieder den Grat und verfolgten nun diesen, immer der erwähnten Gemsspur nachsteigend. Das Wetter verschlechterte sich leider immer mehr, der Nebel wurde so dick, daß es ordentlich dämmerig wurde, dazu erhob sich ein heftiger s Wind, der feinen Riegel und fühlbare Kälte mitbrachte. 12 Uhr 45 Minuten wurde der Grat ungangbar, links stürzten vollständig glatte Wände ab und rechts ließ sich an den ungemein steil abschießenden, äußerst brüchigen Wänden nur mit äußerster Sorgfalt hin-traversiren. Das Seil benutzten wir nicht, es wäre Leichtsinn gewesen, Keiner hätte den Andern halten können. Wir waren in einer Höhe von ca. 3150 bis 3200™, jedenfalls genau auf dem von Häberlin beschriebenen Weg, eher höher als tiefer, und hätten wohl durch seitliches Traversiren das rechte Joch erreicht. 1 Uhr 10 Minuten standen wir zwischen zwei schmalen Eiskehlen, die jäh zum Maasplankfirn hinabschossen, welchen wir nur selten durch den wogenden Nebel erblicken konnten. Nun wurde das Wetter aber so arg, daß an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken war, dazu fing die ganze Wand an lebendig zu werden. Zgraggen meinte, es liefen oben wohl Gemsen her, es wird aber wohl nur der heftige Wind und der fallende Hagel die Menge Steine gelöst haben. Eng zusammengekauert drückten wir uns hart an die Felswand und waren so an unserer Stelle ziemlich sicher, doch links und rechts in den beiden Eiskehlen fielen beinahe ununterbrochen Steine, die mit merkwürdigem Sausen und Pfeifen dahergeflogen kamen.

Es war uns recht ungemüthlich zu Muthe und wir wären damals Beide sehr froh gewesen, wieder gesund auf dem Kehlengletscher unten zu stehen. Stille Schwüre wurden da wieder geleistet, solche Wege nicht mehr zu machen, aber wie geht 's damit!

Andern Tages machten wir wieder ganz ähnliche PassagenWir hatten wohl 1k Stunde schon gewartet und waren in unserer unbequemen Stellung schon ganz steif geworden, als das ärgste Wetter und damit auch der starke Steinschlag nachließen. Jetzt rasch zurück, rief Zgraggen, und mit ein paar kühnen Sprüngen setzte er über das rückliegende Couloir, ich ihm etwas langsamer und behutsamer nach> und nun stiegen wir, so rasch es die bedeutenden Schwierigkeiten, die durch den gefallenen Riesel nur noch vermehrt worden waren, erlaubten, unsere Aufstiegsroute wieder zurück. Es bildet diese Kletterei auf dem Häberlin'schen Wege eine der wenigen Passagen, die ich nicht gerne wiederholen würde.

Als wir wieder auf dem besser gangbaren Grate angelangt waren, entdeckte Zgraggen unter einer schiefstehenden Felsplatte ein ganzes Nest von Krystallen; leider konnten wir, ohne Werkzeuge, wie wir waren, nur geringe und beschädigte Fragmente davon losbrechen, doch bilden solche immerhin ein hübsches Andenken an diese Tour.

um 3 Uhr 30 M. standen wir wieder bei Punkt 2708, woselbst wir uns 20 Minuten Ruhe gönnten. Um 5 Uhr waren wir auf dem Kehlengletscher und um 7 Uhr betraten wir unter ziemlich heftigem Regen bei schon eingebrochener Nacht die gastliche Hütte der Gescheneralp.

Ein Gefühl ungemeiner Wohligkeit überkam uns da und wir beschlossen, eine lucullische Mahlzeit zu halten! Da gab 's zuerst einmal kuhwarme, herrliche Milch ad libitum Dann wurde eine famose Erbsen- suppe — natürlich aus eigenem Proviant — gebraut, nun kam „ Nidle ", in der der Löffel stak, so gut und fett war sie, dahinein wurden „ dürre Landjäger " geschnitten, was ganz délicat mundete. Brod hatten wir nämlich vergessen mitzunehmen und auf der Alp — da die „ Saison " vorbei — gab 's keines, das sollte andern Tages gebracht werden von Gesehenen. Doch vermißten wir 's nicht so sehr und die zum Mithalten eingeladene Bewohnerschaft aß Käs statt Brod. Zuletzt gab 's noch gar einen Grog, der allerdings in Anbetracht der geringen vorhandenen Mittel und der zahlreichen Liebhaber nicht sonderlich „ steif " ausfiel! Nun steckte männiglich sein Pfeifchen an, der große Kachelofen strahlte, vom Kttchenfeuer etwas erwärmt, wohlige Wärme aus, draußen plätscherte der Regen, was mit der stockfinstern Nacht nur die Gemüthlichkeit des einfachen Raumes erhöhte, und nun ging 's an 's. Fragen und Erzählen. Wie anders war 's 8 Tage später im Biv ouac am Griesgletschers ist gut, daß man nichts voraus wissen kann!

Mählig kam der Schlaf und nach 10 Uhr krochen wir in 's anstoßende Gemach auf unsere Spreu- und Laubsäcke. In der sichern Erwartung, andern Tages bei strömendem Regen nach Gesehenen quatschen zu müssen, schliefen wir wie die Ratten bis — sage 7 Uhr Morgens! Heller Sonnenschein weckte mich endlich, und an 's Fenster gesprungen, sah ich voll ingrimmigen Aergers einen lachenden blauen Himmel über mir. Heh, hailoh, Zgraggen, schnell auf ,'s ist gut Wetter! Mißtrauisch stürzte er an 's Fenster: „ Bim Dunder, s' isch Föhn ", rief er aus. Ja, was jetzt, die beste Zeit ver- schlafen und Abends muß man wieder zu Hause sein. Im Stillen fluchte ich auf dieses Capua, das uns so verweichlicht, aber bald hatten wir uns getröstet und unsere verschiedenen großartigen Projecte auf die Traversirung des Winterstocks reducirt. Es war wirklich, wie es ja im Herbst häufig so plötzlich kommt, prachtvolles Wetter, nur in den Winterbergen lag vom Dammastock an noch der Nebel, der Maasplankstock ließ sich auch heute nicht sehen, unser Ziel dagegen lag in voller Klarheit vor uns.

Es war 8 Uhr, als wir endlich auf den Weg^ kamen und nun, gewaltig ausholend, dem Wintergletscher zusteuerten. Denselben der Länge nach überschreitend, zogen wir uns links des vom Gipfel nach dem Dammafirn abfallenden Grates hinauf. 10 Uhr 5 M. hatten wir eine Höhe von circa 2700 m erreicht und machten eine halbstündige Pause.Von nun an ging 's ungemein steil aufwärts; den Grat selbst mochten wir nicht betreten, da sich, schon während unseres Anstieges, mächtige Blöcke gelöst hatten und donnernd auf den Dammafirn hinuntergestürzt waren, so daß Zgraggen oben Strahler vermuthete. Zur Eechten hatten wir nun den Grat, links lag die Winterlücke. Bis wir die Felsen erreicht, mußte manche Stufe geschlagen werden, und in unheimlicher Steilheit fiel es hinter uns zum Dammafirn ab. Da wir, in Anbetracht der kommenden Felskletterei, das Seil nicht benutzten, durfte natürlich Keiner ausgleiten, es wäre sonst wohl mit zu großer Schnelligkeit dem unten liegenden Gletscher zugegangen!

Um circa 11 Uhr 30 Minuten erreichten wir die Felsen und nun ging 's flott aufwärts über gewaltige, sehr steil aufgeschichtete Gneißplatten, die indeß meist guten Halt und Griff boten. Zwischen den Platten war schwarzes Eis eingebettet, das zur Vorsicht mahnte. In einer Höhe von circa 3000 m kamen wir auf die Spuren von Strahlern, die früher hier gearbeitet haben mußten. Da entdeckte ich auch in einer Felsspalte einen wohl 40 cm hohen, ziemlich schön ausgebildeten, milchweißen Krystall, der da jedoch jedenfalls nicht an seinem Entstehungsorte lag. Es soll dies die am wenigsten geschätzte Species sein und mein Begleiter betrachtete ihn mit großer Geringschätzung. Immerhin war meine Freude groß und trotz seines Gewichtes, er mochte wohl seine 12-15 K. haben, und trotz Zgraggens Lachen und Abmahnen lud ich ihn in meinen Rucksack zu dem übrigen Gepäck, merkte dann aber doch die Mehrbelastung sehr deutlich! Zgraggen und ich gehören Beide nicht zu den Zwergen, wir messen unsere 6 Fuß, doch habe ich vor ihm noch die längeren Arme voraus, die mir beim Klettern immer treffliche Dienste leisten. So auch jetzt, ich war voraus und merkte bald, daß mein Begleiter oft an Stellen Mühe hatte, mir nachzuklettern, wo ich gut emporgekommen war. An den steilaufgerichteten Platten konnte er eben hie und da die obere Kante, die mir noch zugänglich, nicht mehr erreichen, und es war mir nun ein billiger Triumph, auch ihm einmal einen kleinen Dienst leisten zu können. Ungefähr 50 m über der Fundstelle des großen Krystalls kamen wir zu einer Masse kleinerer, die immerhin theils auch bis zu 10-20 cm Höhe maßen und worunter -M« » » » viele recht hübsch ausgebildet waren. Doch auch diese waren milchweiß und auch hier hatten schon Strahler gewirthschaftet. Es begann nun für mich ein schwerer Kampf: wollte ich meinen großen Krystall weiterschleppen, konnte ich keine kleinen nehmen, und wollte ich von diesen aufladen, so mußte ich den großen zurücklassen! Mit schwerem Herzen entschloß ich mich endlich zu Letzterem, denn diesen großen werde ich doch bei einer nächsten Tour besser finden können, und der wird sicher noch geholt! Zgraggen nahm mir Einiges von meinem Gepäck ab und so lud ich nun meinen Rucksack halb voll Krystalle, diese in Strümpfe, Taschentücher, Papier und alle möglichen Emballagen einwickelnd, denn sie sind sehr empfindlich. Ich hatte wohl an 20 K. geladen und hatte gehörig zu schleppen an meinem Sack, denn die nachfolgende Kletterei setzte das Bisherige in Schatten und gab uns mächtig zu schaffen. Ungefähr 80—100 m unterhalb des Gipfels kamen wir zu einer noch jungfräulichen Krystallader, die sich in einem mit feinem Quarzsande bedeckten Bande schräg aufwärts zog. Bis hieher waren scheint 's noch keine Strahler gedrungen, und allerdings ist es gerade nicht leicht, hinzukommen. Wenn man den Sand fortkratzte, so glitzerte es Einem wie eitel Diamanten entgegen, Prachtskerle lagen da eingebettet! Aber ohne Werkzeuge wären sie unbeschädigt nicht zu gewinnen, und so große Lust ich auch verspürte, nochmals auszupacken, es durfte nicht sein, die Zeit drängte zu sehr. Aber genau gemerkt haben wir uns die Stelle und gehen nun 1888 als Strahler auf Beute aus!

Die oberste Kletterstelle wurde recht interessant; um auf den Gipfel zu kommen, mußten wir, den Grat überschreitend, von Süden her aufsteigen und uns zwischen 2 ungeheuren, aufrecht an einander lehnenden Platten durchdrücken. Zgraggen auf dem Bauche kriechend voran, ich unmittelbar hinter ihm. Wie er nun ein im Wege liegendes Felsstück auf die Seite drückt, um Raum zu gewinnen, fangen plötzlich mit fürchterlichem Geknirsch die beiden Platten sich zu verschieben an. Uns erstarrt in unserer peinlichen Situation das Blut beinahe in den Adern. Die Platten hatten sich wohl nur wenig verschoben, vielleicht nur fester gestellt, doch während einigen Minuten wagten wir uns nicht von der Stelle zu rühren, und klopfenden Herzens krochen wir endlich aus unserer Mausefalle an 's Licht. Das war uns eine Warnung! Wir waren Beide ganz fahl geworden und hätten momentan viel darum gegeben, irgendwo an der Furkastraße zu sitzen, die in einzelnen Windungen uns sichtbar geworden.

Man glaubt nicht, wie lose in solchen Regionen, auf so verwitterten Gräten, oft die gewaltigsten Blöcke liegen; ein Fußtritt kann sie in 's Rollen bringen, und wehe dem, der ihnen in den Weg kommt.

1 Uhr 15 M. hatten wir den für uns zugänglichen, scheinbar höchsten Gipfelpunkt erreicht ( 3231 m ). Der Winterstock zählt mehrere Gipfel, wir hatten den westlichsten und wahrscheinlich höchsten erklommen, aber doch nicht ganz! Wir standen auf einer mächtigen, flachliegenden Platte, und an diese lehnte sich ein enormer, pyramidalisch gebauter Felsblock, der in täuschender Aehnlichkeit die Formen des Matterhorns hatte. In eine reine Spitze auslaufend, überragte er unseren Standpunkt wohl noch um volle 6 Meter, aber es wäre absolut unmöglich, sich auf diese ideale Spitze zu stellen. Wir betrachteten ihn voll Bewunderung und gaben uns zufrieden. Die Aussicht war eigenartig und befriedigte uns sehr; selbst die Walliser Riesen waren zu sehen und ich konnte das Ziel meiner Sehnsuchtswünsche: das Matterhorn, heute zum ersten Mal deutlich schauen und erkennen. Am imponirendsten wirkt wohl von hier der Galenstock, dessen Ostflanke, lothrecht in den Tiefengletscher abstürzend, in ihrer ganzen Großartigkeit erblickt werden kann.

So viel mir bekannt, ist der Winterstock zuvor touristisch noch nicht erstiegen worden; auch fanden wir keine Spuren eines frühern Besuches. Es hatte daher das Verweilen auf diesem erhabenen Punkt seinen doppelten Reiz für uns! Um 1 Uhr 15 Minuten wandten wir uns zum Abstieg. Ich hatte immer noch die stille Hoffnung, rasch zur Furkastraße gelangen, dort etwa ein Fuhrwerk und mit diesem noch den letzten Zug erwischen zu können, ich sollte aber schmählich getäuscht werden. Der directe Abstieg zum Tiefengletscher gestaltete sich wohl zur schwierigsten von mir jemals gemachten Kletterei: wir hatten stellenweise über lothrechte Wände abzusteigen, resp. uns abzuseilen; ein seitliches Ausweichen war nur in wenigen Fällen möglich, hie und da bot sich in der Wand ein enger Kamin dar, der zum Abstieg benutzt werden konnte, und schmale durch die Wand laufende Gesimse ermöglichten das Abseilen. Mein Seil, aus Floretseide gezwirnt, circa zeigefingerstark und sehr geschmeidig, mißt 27 m; 6 mal mußten wir uns daran hinunter lassen, was wir in der Weise bewerkstelligten, daß wir das Seil doppelt nahmen, die beiden Enden hinunterwarfen und den Mittelpunkt über irgend einen Vorsprung in der Wand hingen. Der oben Bleibende verhinderte nun mit der Hand das Ausgleiten des Seils, bis der Vorangehende unten sichern Stand gefaßt, worauf dieser die beiden Enden straff anzog, damit beim Herabgleiten des Nachfolgenden nicht etwa durch eine Wellenbildung das Seil oben ausrutsche. Dies hört sich gefährlicher an, als es ist; es braucht nur einen so kleinen Vorsprung im Felsen, um das Seil vollkommen sicher darum legen zu können, daß man dieses einfache Hülfsmittel beinahe an allen Stellen anwenden kann. Ein Ausgleiten des Seils ist bei Anwendung einiger Sorgfalt und Aufmerksamkeit beinahe unmöglich und nach einigen Versuchen erreicht man in diesem kleinen Vortheil rasch Gewandtheit und Sicherheit.

Uns als Gleichberechtigte betrachtend, wechselten wir in dem, immerhin etwas heikleren Posten des Nachkletternden ab. Ungemein hinderlich waren uns bei diesen Klettereien unsere Rucksäcke, namentlich meine Krystalle machten mir viel zu schaffen, aber ich hätte sie um keinen Preis zurücklassen mögen. Die Rucksäcke jeweils allein abszueilen ging nicht an, da die Gesimse meist zu wenig Platz boten, um jene ablegen zu können. Daß übrigens bei solchen Operationen Rucksäcke und Hosen gerade nicht geschont werden, brauche ich wohl nur anzudeuten. Man wird sich un- gefähr vorstellen können, in welch'erbarmungs-würdigem Zustand ich auf die Purkastraße trat!

Ziemlich zu schaffen machte uns noch das letzte Stück der Wand mit dem Uebergang auf den Tiefengletscher, da das Eis weit von der Wand abstand und diese in ihren unteren Partien vollkommen glatt war. Endlich standen wir in Sicherheit am Fuße der großen Felswand, und nun erst konnten wir uns so recht zu unserem Glücke gratuliren, durch Zufall gerade diese letzte Abstiegsstelle getroffen zu haben: bis zum Gletschhorn hinüber bildete sie die einzige Möglichkeit, auf das Eis zu kommen. Es war 4 Uhr 20 Minuten, als wir auf dem Eise standen, und wir hatten somit für die Ueberwindung einer Niveaudifferenz von 350—400™ volle 2 Va Stunden gebraucht!

Wir beglückwünschten uns gegenseitig, uns war jetzt auf dem sichern Boden so wohl, daß wir hell aufjubelten! Im Eilschritt ging 's über den Tiefengletscher, beim Gletscherbach wurde kurze East gehalten und Toilette gemacht. Da zog der Schelm Zgraggen noch eine gerettete kleine Flasche Wein hervor, wie die aber mundete! Ich habe vergessen, zu sagen, daß sich der Himmel inzwischen wieder überzogen hatte; beim Verlassen des Gletschers setzte ein feiner Sprühregen ein und ließ uns doppelt froh sein, die böse Wand hinter uns zu haben. 5 Uhr 45 Minuten traten wir, bei einbrechender Nacht, beim Hotel Tiefengletscher auf die Furkastraße, von wo aus ich mein nun allerdings verspätetes Eintreffen heim melden konnte.

Eine warme Suppe that herrlich wohl und 7 Uhr 20 Minuten marschirten wir neu gestärkt gen Realp ab; es regnete sacht weiter und die stockfinstere Nacht verhinderte uns, die Kehren der Straße abzuschneiden. Auf dem langweiligen ebenen Weg aber von Realp gen Andermatt verging uns allmälig die Fröhlichkeit, die gehabten Anstrengungen machten sich geltend und erst um 12 Uhr Nachts kamen wir zur Teufelsbrücke hinter dem Urnerloch. Hier wollten wir auf dem Straßenmäuerchen etwas ausruhen, aber im Handumdrehen waren wir Beide fest eingeschlafen. Hemdärmlig lagen wir da und hätten trotz der beginnenden Kälte gewiß noch lange geschlafen, wenn ich nicht zum Glück von meinem Mäuerchen plötzlich in den Straßengraben gefallen wäre. Schlaftrunken sprang ich auf und fand Zgraggen im gleichen Graben — als vorsichtiger Mann hatte er sich schon vorher in denselben gelegt! Ein Blick auf die Uhr: schon 1 Uhr 40 Minuten! Alle Wetter, jetzt heißt 's noch gesprungen nach Gesehenen, um nur noch den Nachtzug erreichen zu können. 2 Uhr 10 Minuten verabschiedeten wir uns im Bahnhof und Morgens 7 Uhr ging 's im Laufschritt in 's Geschäft.

Das Maasplankjoch ließ mir aber keine Ruhe, und als ich meinen beiden Freunden und Clubgenossen August Näf und Walther Treichler davon Mittheilung und dabei die zarte Andeutung machte, daß auf dem Maasplankstock vielleicht noch ein Jungfernkränzchen zu holen sei, waren Beide mit Feuer und Flamme dabei. Samstag den 24. September spazierten Treichler, Zgraggen und meine Wenigkeit wieder einmal nach der Gescheneralp; Freund Näf konnte erst mit der Abendzug nachkommen.

Es war schon recht herbstlich geworden, wogende Nebel hüllten die Berge ein, in der Niederung war nur bleigrauer Herbsthimmel zu sehen und unfreundlich kalte Luft strich uns entgegen. Doch auf unser Glück bauend zogen wir, allerdings ziemlich melancholisch gestimmt, unserem Ziele zu. Was so ein Nebelwetter für einen eigenthümlich drückenden Einfluß auf die Stimmung des Menschen ausübt! oder machte es der Gedanke, daß dieses für heuer die letzte Bergfahrt sei?

Abends 4 Uhr 45 Minuten kamen wir auf der Alp an. Unterwegs waren uns drei Munkenjäger ( Munk = Murmelthier ) begegnet, mit alterthümlichen Gewehren, mit Schaufel und Pickel bewaffnet; auf dem Kücken trugen sie bluttriefende Säcke und wir erfuhren, daß sie 12—14 der hübschen Thierchen gemordet! ich kann nicht anders sagen, denn auf alle mögliche raffinirte Weise, mit Eäuchern und Ausgraben etc., werden ganze Colonien vollständig ausgerottet. Wie lange geht es noch und in unsern Alpen kennt man Murmelthiere und Gemse nur noch aus der Legende, wie heute schon den Steinbock!

Gegen ehrliches Jagen mit einfachem Gewehr ( Vorderlader ), bei möglichst spät und kurz angesetzter Jagdzeit, will ich nichts sagen, könnte mir diese Jagd doch selbst zur Leidenschaft werden. Aber gegen solch'planloses Hinmorden unserer Alpenthiere, das meist nur geschieht, um dem Nachfolgenden nichts mehr übrig zu lassen, dagegen sollte möglichst scharf eingeschritten werden können!

Auf der Gescheneralp war bereits der Winter eingezogen, dick lag der Reif noch auf dem schon gefrorenen Boden, auch Schnee hatten sie schon gehabt und kurze Zeit darauf fiel wieder welcher, der nun vor Monat Mai nicht mehr fortgeht. Welches Leben auf diesem sibirischen weltvergessenen Fleck Erde, beinahe 8 Monate Winter, wochenlang kein Sonnenstrahl und wochenlang vollständig abgeschnitten von der Außenwelt! Fürwahr, es fehlt nur noch die Winternacht, um sich dort ein Leben wie in den Polarländern ausmalen zu können!

Auch auf der Alp lag dicker Nebel, doch hörten wir, daß es in der Höhe hell, und so legten wir uns hoffnungsvoll schon nach 8 Uhr auf unser Lager. Freund Näf sollte noch in der Nacht nachkommen, und richtig, um 1 Uhr Morgens erscholl vor unserem Fenster lautes Jauchzen; in 2 Stunden hatte der Unermüdliche den Weg von Gesehenen hieher gemacht, einen Knaben mit Laterne als Begleiter, der für diesen Gang die Kleinigkeit von 7 Franken verlangte und ein „ Trinkgeld " von 2 Franken als sicher voraussetzte! Gern gönnten wir unserem Freund noch zwei Stunden Schlaf und räumte ich ihm auf meinem tippigen Lager den guten Platz ein. Um 3 Uhr war Tagwache und punkt 4 Uhr wurde abmarschirt. Hu, wie das kalt war! Ein prächtiger wolkenloser Sternenhimmel wölbte sich über uns und versprach alles Gute. Hart war Alles gefroren, es war — 5° C. Um 5 Uhr 40 M. beim Kehlengletscher angelangt machten wir bis 6 Uhr Frühstücksrast. Inzwischen wich die Nacht dem Tage und bald glänzte die ganze Kette der Winterberge in wunderbarer, nie gesehener Pracht auf. Freund Treichler, der das erste Mal hier hinten war und beim nächtlichen Marsche die Gletscher immer als Nebelstreifen und Wolken angesehen hatte, war ebenso überrascht als entzückt. Genau unsern 3 Wochen zuvor gemachten Weg verfolgend, überschritten wir den Gletscher. Mehrfach ertönte dabei starkes flintenschußähnliches Geknalle, so daß wir im Anfang erschrocken zur Seite sprangen, in der Meinung, es öffne sich eine Gletscherspalte oder das eisige Terrain breche ein. Nichts dergleichen! Es war nur die Lösung der Spannung der hartgefrorenen Oberfläche des Eises. Wasserttimpel trugen eine stark 1om dicke Eisschicht. Die über der Felswand gegenüber der Kehlenalp gelegenen Wildheuplanken erklimmend, fanden wir in einer Höhe von 2500—2600 m noch die prachtvollsten Exemplare reifer und überreifer Heidel-und Preißelbeeren, die Pflänzchen in polarmäßiger Zierlichkeit, die Früchte dagegen von einer merkwürdigen Größe und einem wunderbaren Aroma.

7 Uhr 40 M. erreichten wir Punkt 2708 m, woselbst bis 8 Uhr 10 M. gerastet und berathschlagt wurde. Unsern vor drei Wochen verfolgten Grat hatten Zgraggen und ich noch in bösem Angedenken und keine Lust, seine Schwierigkeiten nochmals durchzukosten. Wir wurden daher einig, auf dem Maasplankfirn der tiefsten Einsattlung des Grates, nördlich von Punkt 3357 m — dem richtigen Maasplankjoch — zuzusteuern, stiegen daher, natürlich durch das Seil verbunden, rechts auf den Gletscher und zwischen den oft gewaltigen Spalten hin- und herlavirend, erreichten wir die Stelle vor der Wand, am Eingang des Couloirs, um 9 Uhr 30 M. Bei dem letzten schlechten Wetter war ziemlich viel Neuschnee gefallen, derselbe lag auf dem Gletscher 20_30cm hoch in mehliger Pulverform auf und hatte das Aufsteigen etwas mühsam gemacht. Auch auf der zu erklimmenden Wand hatte die schon schwache Herbstsonne nicht mehr vermocht, den Neuschnee aufzulecken; heftiger Wind mochte zwar die Hauptmasse schon fortgeblasen haben, doch lag auf allen Gesimsen und in allen Fugen noch eine mehrere Centimeter messende Schicht, die uns bei unserer nachfolgenden Kletterei nicht gerade vortheilhaft war und doppelte Vorsicht erheischte. Fühlbare Kälte herrschte in diesem von der Sonne nur noch ganz kurze Zeit beschienenen Winkel, und nachdem wir uns über unsern Schlachtplan klar geworden, stiegen wir 9 Uhr 50 Minuten auf die Wand zu. Das Couloir selbst, schön mit Eis ausgepolstert, war ungangbar, doch circa 15 m rechts davon hatte Zgraggen eine Anstiegsstelle in der Wand gefunden und arbeitete sich nun in die Höhe. Der Bergschrund war zu unserem Glücke von einer Neuschneelawine prächtig ausgefüllt worden und mit etwelcher Vorsicht konnte die Wand gut erreicht werden. Die ersten 15 — 20 m waren äußerst schwierig zu erklimmen, der Fels bot sehr wenig Halt und war zudem noch ungemein faul, so daß das Seil ausgiebig angewandt wurde. Nach Ueberwindung dieser Passage wurde das Klettern leichter, wenn es auch ziemliche Gewandtheit und volle Schwindelfreiheit erforderte. Nach Passirung der ersten schlimmen Stelle hatten wir um 10 Uhr 30 M. das Seil, weil für vier zu hinderlich, wieder gelöst und kletterten frei, Jeder nach eigenem Geschmacke, aufwärts, wobei allerdings auf die häufig gelösten Steine scharf aufgepaßt werden mußte und die Vorangehenden öfters mit andern als ihren betreffenden Geschlechts-und Vornamen angerufen wurden! Wir stiegen immer auf der ( von uns aus ) rechten, d.h. nördlichen Flanke des Couloirs auf; die Kletterei glich im großen Ganzen derjenigen am Dammapaß, war aber doch bedeutend weniger schwierig als dort. Zudem hatte diese Wand den großen Vortheil, daß sie oben von keiner Gwächte, sondern von einem prächtigen Grat abgeschlossen wurde.

Deutlich konnte ich unsern vor drei Wochen gemachten Weg verfolgen, und sah erst jetzt, in was für mißlichen Stellungen wir gewesen waren. Eäthsel-haft erschien es mir jetzt, wie seinerzeit Häberlin bei, wie ich glaube, nebelfreiem Wetter jenen Grat und den so gefährlichen Einstieg in das Couloir hatte machen können und nicht unsern heutigen, quasi vorgezeichneten Weg einschlug. 11 Uhr 15 Minuten langten wir auf der Paßhöhe an, mitten über dem „ im Sack " benannten Theil des Triftfirns, der von hier aus unschwierig zu erreichen gewesen wäre. Wir gönnten uns 15 Minuten Schnaufpause und setzten sodann unsern Weg nach dem Gipfel des Maasplankstocks fort. Immer den Grat verfolgend, waren wir einige Male genöthigt, auf dessen westlicher Seite, auf schmalen Bändchen, hinzuklettern. Zwei tiefe Einschnitte gaben Gelegenheit zu prächtigen Turn- und Kletterkunststückchen und als ich meine drei Begleiter sich so hinüber balanciren, schwingen und springen sah, erinnerte ich mich lebhaft an Whymper's Bild seines Abstiegs von der Pointe des Ecrins ( Berg-und Gletscherfahrten, pag. 263 ). Damit will ich aber nicht etwa sagen, daß die Schwierigkeiten unseres Grates denen des Whymper'schen nur entfernt gleichgekommen wären. Es war im Gegentheil ein fröhliches Klettern, das aber immerhin Aufmerksamkeit und Sorgfalt erheischte, gingen wir doch ohne Seil.

Drei, vier Mal glaubten wir den Gipfel vor uns zu haben und immer war es nur eine Täuschung. Endlich, 12 Uhr 5 Minuten, standen wir auf der Spitze des Maasplankstocks ( 3403 m ) und thaten unsere Freude über die gelungene Besteigung durch wahrhaft kannibalisches Gejauchze kund! Der Gipfel hatte gerade Platz für uns Vier und wir konnten unsere Beine nach Lust und Bedürfniß nach dem Trift- oder Maasplankfirn herunterhängen lassen. Beide lagen je circa 300 m unter uns und konnten bequem vom Gipfel bombardirt werden. Emsig wurde nach den Spuren früherer Besteiger gesucht, aber es konnte nicht das geringste Zeichen eines vorherigen Besuchers entdeckt werden, und da mir auch aus der einschlägigen Literatur nichts bekannt war, so durften wir beinahe sicher annehmen, einen noch jungfräulichen Fleck Erde unter uns zu haben.

Wir wurden ordentlich feierlich gestimmt, auch das glanzvolle Wetter trug das Seinige dazu bei. Eine grandiose Rundsicht belohnte uns; über den Thälern lag eine weiße Nebelschicht, ein richtiges, leicht wogendes Nebelmeer, aber sämmtliche Berge waren in vollständigster Klarheit zu sehen, in einer Klarheit, wie sie uns eben nur der Herbst bescheert. Mit der Aufzählung der Gipfel will ich nicht beginnen, es genüge die Angabe, daß wir Alles sahen, was die Distanz und die Reinheit der Atmosphäre überhaupt zu sehen gestattet. Lange standen wir da und konnten uns nicht satt schauen, war es uns doch zum Theil auch eine neue Welt, die wir heute das erste Mal erblickten. Eigenthümlich berührte es, daß keine Stadt, kein Dorf und Flecken, nur eine riesige Berg- und Gletscherwelt von da oben erblickt werden konnte; einzig, tief zu unsern Füßen, lagen in feierlicher Einsamkeit die stillen Hütten der Gescheneralp. Was wurden da wieder für Pläne für das nächste Jahr geschmiedet; wenn ich davon auch nur den zehnten Theil ausführen kann, so will ich hochbefriedigt sein!

Doch endlich machte auch der Magen seine Rechte geltend und nun wurde da oben ein förmliches Gelage gehalten, zu guter Letzt wurden wir gar noch mit einer Flasche Champagner überrascht, ein Wein, der eigentlich nur auf solchem Standpunkte genossen werden sollte, da ist er am Platze! Feierlich wurde der Gipfel auf seinen Namen getauft und ihm sodann ein stattlicher, über einen Meter hoher Steinmann auf 's Haupt gebaut, der weit vom Thale aus gesehen werden kann. Während wir uns damit beschäftigten, hielt unser Freund Näf ein wohlverdientes Schläfchen und nur ungern weckten wir ihn, aber die Zeit flog nur so vorüber. Eine kurze Notiz mit den Daten unserer Besteigung legten wir mit der Flasche im Steinmann nieder und machten uns sodann 1 Uhr 40 Minuten wieder auf den Rückweg.

Zuvor hatten wir uns noch überzeugt, daß der nach dem Thierberge, also nach Norden sich hinziehende Grat absolut ungangbar genannt werden muin mächtigen Sätzen stürzt er sich nach einem,wohl auch als Paß benutzbaren tiefen Einschnitt ab {zwischen Maasplankstock und Punkt 3440 m ). Direct von den beiden Gletschern aus wird unser Gipfel wohl schwerlich erstiegen werden können und der beste Zugang zu ihm wird wohl der von uns verfolgte Weg sein. Die Besteigung des Maasplankstocks vereinigt, wie selten ein anderer Gipfel, so sehr alle möglichen Reize verschiedenster Hochtouren in sich, ohne dabei doch lebensgefährlich zu sein, daß ich enthusiasmirte Bergsteiger nur auffordern kann, sie zu wiederholen — ich bin sicher, es kehrt Jeder vollbefriedigt zurück! Der Auf- und Abstieg kann ja, was ihm noch einen neuen Reiz verleihen mag, von verschiedenen Seiten bewerkstelligt werden, man kann von der Clubhütte am Thältistock oder von der Gescheneralp herkommen und nach der einen oder andern Seite absteigen, man wird immer eine groß-artig-wilde Hochgebirgsnatur zu sehen bekommen. Hiebei kann ich Joseph Zgraggen als sehr ortskundigen, kühnen und doch vorsichtigen, dabei angenehmen und bescheidenen Führer bestens empfehlen. Ich hoffe noch manche schöne Tour mit ihm ausführen zu können.

Doch zu unserem Abstieg! Den Grat auf der Anstiegsroute wieder zurückgehend, kamen wir 2 Uhr 15 Minuten zum Joch und begannen sofort in unsern alten Spuren hinunter zu klettern. Hier war schon wieder Alles hart gefroren und konnten wir die mitgebrachten Handschuhe sehr gut gebrauchen. Unter Beobachtung der nöthigen Vorsicht gelangten wir 3 Uhr 50 Minuten wohlbehalten jenseits des Schrundes auf dem Gletscher an. Das Seil hatten wir nur zur Ueberwindung der letzten 20 m gebraucht, der gleichen Stelle, die ich schon beim Aufstieg als die schwierigste der ganzen Passage bezeichnet habe. Zgraggen hatte-uns hinunter gelassen und kam selbst am angehängten Seile als Letzter gut hinab. Den Maasplank-gletscher verließen wir 4 Uhr 30 Minuten, den-Kehlengletscher 5 Uhr 45 Minuten; ein kleiner Hand-galopp brachte uns sodann 6 Uhr 45 Minuten bei schon eingebrochener Nacht zur Gescheneralp zurück. 8 Uhr 20 Minuten verabschiedeten wir uns für dies-Jahr von deren Bewohnern und 11 Uhr 10 Minuten hielten wir unsern Einzug in Gesehenen. Der Montag; Morgen fand uns wieder bei unsern Geschäften.

Es bleibt mir nur noch übrig, zu bemerken, daß ich es mir angelegen sein lassen will, in der Kette der Winterberge sämmtliche möglichen PaßUbergänge zu besichtigen, um dann später hoffentlich vortheil-haften Bericht darüber abstatten zu können.

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