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Sterbender Bergsteiger

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Soll dies nun der Schlussstrich unter mein ganzes Leben sein? Welch eine eherne Stille in der Felswand nach dem kurzen Rauschen der Lawine! Lebt er noch? Scharf schneidet sich das straffe Seil in mein Fleisch. Es schnürt mir den Brustkasten zusammen. He Du, hat Dich die Eislawine getroffen? Bist Du ohnmächtig? Reg Dich! Sprich etwas, ganz gleich was! Sag, dass ich nicht allein bin, ganz allein auf diesem bitterkalten Felsen. Du hörst nicht; Du antwortest nicht? Aber ich kann doch nicht mehr länger halten. Du wirst mich im Sturze mitreissen und mich töten. Warum musste ich Dich auch mitnehmen auf diese schwere Bergfahrt — wider meinen Willen — Du Zufallsgefährte?

Ich reisse vergebens am Seil. Ich kann doch einen Menschen, der frei über den Abgrund hinausbaumelt, nicht halten, nicht zu mir ziehen. Nein, ich muss ganz einfach mit. Armer Kerl, Du bist wohl tot!

Du gingst voran, ich folge. Da hilft nichts. Die Welt stürzt doch ein, meine ganze schöne, herrlich ausgebaute und abgewogene Welt, die für Jahrhunderte auf der Erde zu sein bestimmt schien. Ich zittere am ganzen Körper. Meine Knie wanken. Ich haue mit dem Pickel gegen das feuchte und doch glasharte Eis. Kraftlos gleitet die Axt aus den durchfrorenen Händen, sie entfällt mir, saust zur Tiefe und zerspellt am eisenharten Granit der Wände. Die Berge stehen tatenlos um mich herum und schauen zu, wie ich kämpfe. Habe ich denn Furcht vor dem Tode? Ach, ich weiss es selbst nicht, ich habe kein Gefühl mehr dafür.

Seltsam, unheimlich ist diese Ruhe. Ich möchte Bewegung sehen in der Landschaft, irgendeine kleine Bewegung, ein wenig Leben auf unserer Erde. Sie ist so tot und starr. Kein Vogelruf, kein Bach, keine Lawine, kein Steinschlag. Ich schreie in dieses Schweigen hinein. Die Welt soll in den Fugen krachen, wenn ich sterbe, ein Berg soll in seinen Grundfesten wanken, ein See über seine Ufer treten. Ach diese Gipfel, sie sind alle so verflucht gleichmütig. Niemand hilft mir. Ich muss namenlos und elend zugrunde gehen. Eine Zeitungsnotiz wird das letzte sein, eine kleine Notiz, wie ich sie oft selbst gelesen habe mit einem etwas wunderlichen und zugleich sensationslustigen Gefühl. Aber nun spüre ich, nun bin ich es selbst. Von uns wird morgen oder übermorgen in der Zeitung stehen: « Zwei junge Bergsteiger stürzten am'Weissen Grat'zutode. » So Schluss damit. Vielleicht noch eine weise Mahnung an Bergsteiger eingeflochten. Ein paar behäbige Herren werden am Stammtisch dieser kleinen Mitteilung unter der Rubrik « Unglücksfälle und Vergehen » eine Minute oder zwei opfern in behaglichem Plaudern. Warum gingen diese zwei jungen Kerle auch dort hinauf! Es ist nicht zum Ausdenken, was die Berge schon alles an Opfern gefordert haben; und dabei wissen die freundlich lächelnden Herren ja so sicher — und das erfüllt ihr gutes Herz mit Behagen —, dass sie nie ein Opfer der Berge werden können. Gott sei Dank. Und damit bin ich abgetan für die Welt.

Er regt sich nicht. Ob er wirklich nicht mehr lebt oder ob er nur ohnmächtig ist? Ach, hinab geht es ja so oder so, unwiderruflich. Wie viele hundert Meter werde ich fliegen? Ist denn wirklich gar keine Hoffnung für mich? Die Wände schiessen zu allen Seiten fast lotrecht abwärts. Ich bin am Rande des Eiscouloirs auf einem Felsbändchen in die Knie gedrängt. Ich verstrebe mich gegen ein paar grosse Steine.Vor mir verliert sich das Seil jäh im Abgrund. Um mich die mittägliche Weite des Hochgebirgs, um mich die weissen Spitzen, die grünen Täler, um mich das ganze Wunder der Welt, an dem ich keinen Teil mehr habe.

Ich halte den Druck nicht mehr aus. Etwas muss geschehen. Nun er tot ist, was soll er mich da ins Verderben stürzen? Nein, ich will nicht sterben, mein Taschenmesser soll mir helfen. Ich werde das Seil durchschneiden und leben. Mit unsäglicher Mühe klaube ich das Messer aus der Tasche. Warum lasse ich es plötzlich aus den Fingern gleiten, warum wankt alles so seltsam um mich? Was tue ich denn! Die grossen Steine drehen sich wie Kreisel. Die Gipfel verbeugen sich vor mir. Ich gleite beschwingt über die Felswand hinaus in den Luftraum. Oh, ich wusste nicht, dass der Weg ins Freie so schön sei. Verneigten sich die Berge so tief vor mir, weil ich nun sterbe? Alles ist rot. Die Luft reisst rasend an mir vorüber. Wo stürze ich hin? Lebwohl, schöne Welt, nun ist alles aus! Endlich schwindet dieser beengende Druck, die Brust atmet frei, mir ist ganz leicht...

Also ist das Sterben gar nicht schwer. Wo bin ich dennIch muss irgendwo liegen, meine Glieder sind wie Blei, und doch fühle ich gar keine Schmerzen. Nun schält sich aus dem Dunkel die neue Welt. Licht strömt über mich, der ich vorher im Schatten gelegen hatte, Licht und Sonne. Ein Wunder ist mit mir geschehen. In gleicher Ruhe stehen die gleichen Berge um mich. Nur ich habe eine kurze Reise getan. Ich taste mich ab und fühle mich seltsam unverletzt, etwas Blut sickert freilich aus meinem Anzug. Auch kann ich mich nicht erheben, ich bin gänzlich kraftlos.

Mein Aufenthaltsort ist knapp bemessen. Ich liege auf einer schmalen Felskanzel, ob mir die senkrechte Wandstufe, über die ich heruntergetollt bin. Unter mir das Lotrechte der Granitwände. Und tief unten ein Gletscher, behäbig und breit, bräunliche Geröllbänder und ein quecksilberner Bach. Sein Rauschen schlägt mir ans Ohr wie Musik. Hinter mir zieht gleich einem Strich das Couloir aufwärts, unser Verderbnis von heute morgen. Unser...? Wo ist mein Gefährte? Das Seil liegt lose auf der Kanzel. Ich ziehe es zu mir, ich halte das zerrissene Ende in meiner Hand. Nun schauere ich zusammen. Also da herunter ist er, diese manchen hundert Meter in eine unausdenkbare Tiefe, vor der mich ein Wunder oder irgendeine Vorsehung gerettet hat. Wie Eis fährt es mir durchs Gehirn. Habe ich ihn denn getötet? Was war vorhin? Ich zog das Messer, und... und... Nein! Ich stürzte vorher mit ihm. Gott sei Dank sieht man deutlich, dass das Seil an einer rauhen Felskante zerrissen wurde. Es ist ganz ausgefranst. Dies wird mein Beweis sein. Beweis? Ich lache trotz meiner Lage. Werde ich denn noch dazu kommen, diesen Beweis erbringen zu müssen? Niemand kann mich hier oben finden, holen und retten. All dies muss ich selber tun, und dazu fehlt mir die Kraft. Ich spüre es, und doch wird es mir nicht zu letzter, furchtbarer Gewissheit. Ein leichter Schleier ist um mich, wie wenn mich die Ereignisse der Welt zutiefst nicht mehr berühren könnten, wie wenn ich nunmehr beglückend über allem stände. Das Dasein ist nur noch ein leiser Rhythmus in den Bergen und im All. Ich möchte immerfort so daliegen und nichts tun. Endlich nichts mehr tun, nicht mehr gehetzt sein von tausend Fragen und tausend Aufgaben, nicht mehr unnütze Dinge wichtig nehmen müssen. Ein Halt ist geboten. Aber mir ist wohl so. Wie leicht ist es doch, von allem Abschied zu nehmen, nein, es ist gar nicht sehr schwer...

Nun liege ich also da in dieser Unzugänglichkeit über aller bewohnten Erde und sehe auf die Dinge als von ferne her. Einen kleinen Augenblick bleibt mir die poetisch umklärte Vorstellung, ein weltweiser Wegsucher an den Grenzen der Erde zu sein, nicht erspart.

Absonderlich, dass trotz meiner Zufriedenheit und Müde urplötzlich meine Stimmung ändert. Mein ganzes Wesen wird zum Leben gewendet und verleugnet die apathische Zuversicht, die vor wenigen Minuten noch von mir ganz Besitz ergriffen hatte. Ich rufe, schreie, dass man mich holt. Ich merke, dass ich trotz allem im Leben noch einiges zu tun, zu ordnen und zu vollenden habe. Wie meine Stimme verhallt in der Stille! Ich will nicht ewig hier bleiben. Ich will gerettet werden, es erwacht ein Urinstinkt in mir trotz meiner Schwäche. Sind keine anderen Bergsteiger in der Nähe? Ich gebe das übliche Notsignal. Ob mich einer hört, sieht, findet? Leichte Schmerzen melden sich. Es ist doch ganz natürlich, dass ich mich beim Sturze verletzt habe.

Warten ist das Wort, das jetzt allmächtige Geltung hat, warten stundenlang, vielleicht tagelang, vielleicht... Ich soll diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Ich habe ja auch schon früher viele Male vergeblich gewartet. Rückwärts richtet sich fast automatisch mein Blick, da er die Zukunft nicht enträtseln will...

Alle sind sie von mir weggegangen, die mich kannten, haben mich allein gelassen. Mein Diwan liegt in diesem Halbdämmer da wie eine Klippe, auf die ich mich geflüchtet habe, eine Klippe, die hinausragt in den Abgrund der Welt. Was wirklich ist — oder was wir so nennen —, mischt sich mit dem Staunen über diese selben Wirklichkeiten, die mit eins so ganz fremd anmuten. Eine andere Welt wird in mir wach, zeigend, wie sehr wir mit ihr verbunden sind, wenn wir auch ihre Formen und Räume und Zeiten kaum ahnen und ermessen können. Ein Staunen, das mit fernem Auge haftet an Figur und Wesen der Gegenstände, die im Zimmer umherstehen und vor dem Fenster sich ausbreiten, langsam sich verlierend in ungeformtes Dunkel...

Ist es schon so weit mit mir? Ich greife an meine Stirn. An was dachte ich zurück? Ich mag nichts aus meinem Leben Revue passieren lassen; dieses Privileg der Kranken, Verlassenen und Sterbenden bekommt mir nicht. Ich liege ja immer noch wie zerschlagen auf diesen körnig rauhen Steinen. Über eine Schuld nachzusinnen, warum mich dieses üble Geschick ereilte, hat wahrlich keinen Sinn. Ich glaube auch gar nicht an ein eng mit den Taten verbundenes Schicksal. Einer unter Millionen Menschen bin ich hier auf diesen Fels geworfen, der zweite — unter den Millionen — von mir weggerissen und tot. « Man soll sich selbst nicht wichtig nehmen, ist nur ein winziges Ding im All, » und wie die schönen Lebensregeln, wohlausgebrütet hinter sicheren Schreibtischen alle heissen, sie helfen mir gar nichts in diesen unsicheren Stunden, da sich mein Sein oder Nichtsein bald entscheidet. Wenn ich sterbe, so ist es ganz aus, so stirbt die ganze Welt mit mir.

Meine Seele bleibt dennoch heiter. Die bunte, schwere Melodie des Lebens wogt in mir auf und nieder. Denn ich weiss ja, das Leben gibt nur Andeutungen und Aufgaben, aber keine Lösungen, darum kann diese Gewissheit des Überwindens siegreich und ohne Erlösung in mir durchbrechen.

Auch dieser Wildbach ist wie ein Gesang. Er schallt aus der Tiefe zu mir, er variiert tausendfältig seine unerschöpflichen Themen. Er singt mein Lied. Plötzlich höre ich es mitten durch seinen ewigen Rhythmus auftauchen, zuerst schwach und fern, irgendein bekanntes gewöhnliches Liedchen, das zu dieser einsamen Stunde anpocht und eine besonnte Vergangenheit zurückruft. Ach, gibt es denn überhaupt einen Menschen, der kein Lied sein eigen nennt, keine Melodie, die ihn nachdenklich werden lässt? Eine Stadt... ein trüber, nasser Abend, eine Bar, darin irgendein ersehntes Gesicht aus der fernen Nähe des Nichterreichenkönnens..., ein sehr hoher Berg, wie eine blutige Flamme im scheidenden Licht eine lange, staubige Strasse, gesehen vom Lenksitz des Kraftwagens, während der Sang des Motors sich zum Liede wandelt ein nächtliches unbekanntes Meer im Sturm. Überall ein Lied.

Mein kleines, dummes Lied, das ich mit dem Bach um die Wette summe, hat die Erinnerung geweckt an Dich, Geliebte, an die Stunden, da ich Dich kennen lernte, liebte und verlor in einem. Dieser späte Abend am Meer, dieser jäh verebbende Steinwall, diese äusserste Spitze Land, darum die See brandet. Die Natur ist wahrlich vollendet. Aber Du bist bei mir. So fehlt dem Meere der letzte Schimmer des Glücks und der Ferne der letzte Glanz der Sehnsucht. Du hast sie weggenommen, denn Du bist die Ferne und das Meer zugleich. Was aber bleibt mir übrig nach diesen kurzen Tagen als irgendwo anders ein neues Lied zu singen?

Dort aber war dieses Lied bei mir und nun kommt es wieder, da ich ganz allein bin in diesem heissen Nachmittag auf einem sehr hohen Berge, so viele Jahre später, nach soviel anderen erlebten Dingen. Ja, nun weiss ich es wohl, es sind doch nur ein paar Lieder, ein paar Worte im Leben, die Wert und Gesicht behalten, die bleiben bis zum Ende.

Die Bergspitzen der Runde treten immer näher, ihre Kanten leuchten wie getriebenes Metall. Sie stehen unbewegt und sachlich in den ewigen Erdgeschicken. Jetzt steigen über die Grate fetzige Wolken, unheimlich rasch stellen sie sich in den heissen Nachmittag. Schon am frühen Morgen hatten sie im Westen gelauert, wie wir mit leichten Glücksschritten über den Gletscher gingen und in uns eitel Bergfreude war. Was die nahe Klarheit bedeutet, was diese Wolken wollen, weiss ich schon. Sie werden in wenigen Stunden den Sturm gegen die steinernen Klippen tragen. Ich werde kämpfen müssen...

Meine Rufe widerhallen nur schwach in den Wänden. Ich schiebe mich an den Rand des Abgrunds und blicke zur Tiefe. Es ist mir, als ob sich auf dem Geröll irgendetwas bewege. Sind es Gemsen oder Menschen? Ich weiss es nicht. Wie ich schreie, halten sie kurz inne und setzen dann ihren Weg gleichmütig wieder fort. So müssen es doch Tiere sein. Wo der Tote hinverschlagen wurde, kann ich nicht ergründen.

Über den Gipfeln liegt eine ekstatische Stille. Ich lege mich auf den Rücken, blicke über die Berge hinweg hinauf zu jenem andern unerklimmbaren Berg, jenem gewölbten blauen Dom, zu dem es für uns keinen Zutritt gibt.

Die Sonne hat sich mit eins verschleiert. Etwas Kaltes drängt sich an mich und legt sich wie ein milchiges Glas zeitweise über die Landschaft. Nebel. Ich decke mich mühselig zu, esse etwas Weniges und warte. Heute kommt kein Mensch mehr, damit muss ich mich abfinden. Heute gibt es keinen klaren Sonnenuntergang, wahrscheinlich aber Schnee und Sturm. Jetzt hat schon eine hässliche graue Wolke einen Berggipfel umschlungen. Das Unwetter bricht blitzschnell herein. Etwas krallt sich immer tiefer in mein Herz fest, bedrängt mich mit lähmendem Entsetzen: so allein zu sein an diesem düsteren Abend, dabei sich nicht helfen, sich nicht retten zu können! Die Furcht kauert neben mir. Sie wartet, ob sie mich überfallen dürfe. Aber ich kann mich vor ihr retten, weil ich so müde bin. Diese Müdigkeit ist wohl noch das beste von allem, sie nimmt den Geschehnissen den Stachel der tief erkennenden Gewissheit. Ich lebe nur noch dem Augenblicke. Die Welt wird grau in grau. Die Berge haben ihre leuchtenden Farben verloren, das Tal ist in ein stumpfes, mattes Grün verwandelt, die braunen Moränen scheinen schmutzig gelb. Der Bach rauscht mit eins wie hinter Mauern.

Noch hat sich der Wind nicht erhoben. Aber die leichten, ersten Flocken fallen daher wie von sehr weit kommend. Sie schmelzen an mir, werden es mehrere, so bleiben sie haften und decken mich, gleich wie sie meinen Gefährten in der Tiefe decken werden. So wird aus dem Sommertage langsam eine Winternacht. Die Novemberabende in den Städten, die alles neblig und grau färben im ersten Schnee, sie gleichen diesem hier. Ich schreite durch eine tiefverschneite Vorstadtallee. Plötzlich treffen sich zwei Menschen in meiner Nähe: einer voller Freude, einen Bekannten zu sehen, der andere in sonderbarer Eile: « Lass mich, bei uns ist einer am Sterben! » Der Fröhliche stutzt, seine Augen werden voller Ungewissheiten. Die Majestät des Todes spielt jäh in eine belanglose Stunde hinein. « Am Sterben... so... » Schon ist der Hastige weggeeilt, nur der andere bleibt noch einen Augenblick stehen und murmelt wie unter einem Schauder der Unbegreiflichkeit: Einer am Sterben!... So ist es immer, denke ich: Während ich hier durch den Schnee wandere, stirbt einer, und andere Menschen werden auch so durch den Schnee gehen, während ich sterbe. Auch andere werden dann gleichsam schnell davon mit einem Zucken im Gesicht Notiz nehmen, dass wieder einer stirbt. Weiter schreite ich auf schmalem Weg durch ungebahnten Schnee, immer weiter weg von den Menschen durch die fallenden Flocken, durch den Nebel, der mich von Menschen und Dingen ebensosehr entfremdet wie jetzt.

Der Sturmwind heult auf, die Flocken fallen dichter. Sie weben ein zartes Tuch über mich hin. Ich halte still. Ich bin dankbar, dass mich der Wind nicht erfassen kann, dass ich an geschützter Stelle liege. Über mir braust der Sturm. Neuschneefahnen flattern in die graue Luft hinaus, werden zu seltsamen Girlanden gedreht und stieben zur Tiefe.

Ich bin sehr müde und fühle keine Schmerzen mehr. Aber ich muss ausharren durch die lange Nacht bis zum Morgen vielleicht bis zum übernächsten Tage...

In mir erwacht ein banger Zweifel, eine Furcht vor diesem Dunkel, diesem Schlaf. Herrgott, hilf mir! Ich will nicht sterben, nicht so verlassen zugrunde gehen.

Über mir liegt ein ungeheuerlicher Schatten. Der Tote steht ganz in meiner Nähe. Er winkt mir, er wartet auf mich.

Ich spüre, wie Schnee fällt und fällt und mich immer tiefer deckt. Er schenkt mir eine mollige Wärme; er ist gar nicht kalt. Nein, ich mag nicht mehr wach bleiben. Ich will schlafen. Am neuen Morgen werden die Menschen zeitig schon ihr Tagewerk Wiederbeginnen müssen. Nur ich werde noch etwas länger ruhen dürfen. Ich habe doch ein Recht dazu, weil ich so sehr müde bin.Alfred Graber.

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