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Südanstiege im Leutschachtal

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON HANSPETER MÜLLER, ZÜRICH

Mit 3 Abbildungen ( 216-218 ) Seit nun gar eine zweite Seilbahn hinauf auf den Arniberg zum prächtigen kleinen Stausee führt, wandern immer mehr Leute weiter hinein ins Tal, bis sie schliesslich, fast ungewollt, oben am Niedersee stehen. Von dort sind es dann nur noch ein paar Minuten bis zur Hütte, und je näher man ihr kommt, um so grossartiger wird die Szenerie der hinter ihr auftauchenden Felsberge. Fast wie ein Märchenbild kann im Frühling der Männli wirken, wenn auf den umliegenden Hängen noch Schnee liegt, und gleich einem Riesentier aus Urzeiten erhebt sich links der Ruche mit seinem gezackten Rücken.

Fast könnte man meinen, dieses Reich gehöre dem Wanderer. Die Hütte ist im Sommer voll von Bummlern, die zufrieden sind, an den kleinen Seen herumzustreifen oder auf der Terrasse zu sitzen. Sie wissen nicht, dass, wenn im Frühling die Seelein tauen, der Fels oben schon trocken und warm ist, und dass auch im Herbst die Sonne die feingriffigen Platten an den Südgraten noch wärmt. Zu diesen Zeiten haust in der Leutschach der Kletterer und freut sich des Anfangs und Ausklangs der Sommerzeit.

Ruche-Südgrat Unangenehmer Nebel hing an den Bergflanken, als wir gemütlich den steilen Pfad zum Arniberg hinanstiegen. Hin und wieder blieben wir stehen, um uns eine Blume, einen Stein oder sonst irgend etwas Interessantes anzusehn. Eben waren Bergbauern daran, den Weg zu verbessern, wir profitierten natürlich davon und fanden es fast schade, als wir sie überholten, denn nun begann die Schneestampferei; sie dauerte, mit kurzen Unterbrüchen, bis hinauf zur Hütte. Dort aber empfing uns ein freundlicher Hüttenwart, so dass uns bald heimisch zumut war. Einzig das Wetter spielte übel mit, man sah gerade die untersten Felsen der Gipfel, der Rest blieb im Nebel versteckt.

Die gleiche « Milchsuppe » empfing uns am Morgen, der Nebel wollte einfach nicht weg, oder doch? Bei verspäteter Tagwache begann es zu klaren. Langsam schälten sich Umrisse und schliesslich ganze Wände und Grate aus dem düsteren Grau. Blauer Himmel guckte hervor. Rasch die Sachen in den Sack. Doch halt! Ein Blick hinauf zum Männli. Etwas steil. Der Feldstecher zeigte den Rest. Das Selbstvertrauen begann ein wenig zu wanken. Als erste, richtige Tour des Jahres diesen Grat? Freilich, es handelte sich nur um wenige, etwas schwerere Seillängen. Der untere Teil schien ja ordentlich gangbar. Doch wir verzichteten; wir konnten wiederkommen. So spurten wir denn durch tiefen Schnee hinauf dem Ruchepass zu. Der Schnee war weich, und das gefiel uns nicht. Wir hielten deshalb Ausschau nach etwas Naheliegendem. Das war der Südgrat des Ruche. Hundert Meter noch bis zum Einstieg! Froh, der elenden Waterei entronnen zu sein, seilten wir uns an. Gestein nicht immer ganz zuverlässig, hiess es im Führer. Wirklich, das musste stimmen Entsprechend vorsichtig kletterten wir dann die ersten Seillängen in der Flanke des Berges empor. Doch dann erreichten wir den Grat, eine herrlich exponierte Schneide aus festem Gneis. Steil und glatt stürzt die Plattenflucht zur Linken in die Tiefe, rechts und über uns Platten, das war ein Klettern!

Ein Turm zwang zur Umgehung. Die anschliessende Wand erforderte ganze Aufmerksamkeit. Doch schön war es, so ganz allein hier oben im Fels zu sein. Immer noch zogen Nebelfetzen umher, so dass Licht und Schatten in bunter Reihenfolge wechselten. Wir empfanden es als Freude, dieses Spiel des Wetters ohne Gefahr, derweil wir unsern Weg im rauhen Fels suchten und immer höher stiegen. Eine Art Verschneidung war das einzige, die unser Vordringen kurze Zeit hemmte Walti aber ging sicher voraus und meisterte die Schwierigkeiten auf seine Art. Eine plötzlich auftauchende Felseninsel lud zu wohltuender Rast ein. Wir setzten uns, assen ein paar Bissen und sahen hinab zur Hütte und auf das kleine, langsam auftauende Seelein darunter. Auch hinüber zum Männli schweifte der Blick. Die Kante sah jetzt nicht mehr so steil aus; doch wir trauerten nicht, zu wohl war uns hier auf dieser Oase mitten im scharfen Grat.

Nochmals folgten zwei Stunden anregender Kletterei, als Abschluss eine pikante Abseilstelle. Dann stiegen wir die letzten Meter auf der Nordseite durch tiefen Schnee auf den Gipfel. Um uns war noch Winter; aber hinter uns lag eine herrliche Kletterfahrt, genossen im warmen Gestein der Frühjahrssonne.

Hinunter ging es rasch. Eine knappe Stunde leichte Gratkletterei führte uns in die Scharte zwischen Ruche und Männliser. Das Problem war jetzt der Schnee. Das Abfahren, auf dem Rucksack sitzend, schien nicht ganz das Richtige zu sein. Der Hosenboden versprach mehr Erfolg, und wirklich, er erfüllte die Erwartungen vollständig. Rasch erreichten wir so die Kröntenhütte. Die letzte Schwierigkeit bot das NichtVorhandensein einer Brücke über den reissenden Bach. Wir wollten keine Zeit verlieren und marschierten kurz entschlossen samt den Schuhen durch das kalte, knietiefe Wasser. Nass waren wir ja ohnehin schon vom Schnee. Immer noch etwas feucht, aber zufrieden, hielten wir dann in Erstfeld Einzug.

Männli-Südostgrat Einen ziemlich stiefmütterlichen Platz in der Reihe der linksseitigen Urner Berge scheint der Männli einzunehmen. Unglücklicherweise ist schon der Name eine Verkleinerungsform und verspricht daher nicht viel Grosses. Wer aber vom Arnisee das Leutschachtal hinaufsteigt, dessen Blick streift immer wieder das Profil seines Südostgrates. Kaum eine halbe Stunde oberhalb der Hütte beginnen die rauhen Gneisplatten in herrlicher Linie gegen den Gipfel aufzuschiessen, und nur selten findet die Hand dort oben einen losen Stein.

Zwei Wochen nach unserer Ruche-Tour waren wir wieder in der Hütte. Diesmal hatten uns Mond und Sterne den Weg in der Nacht gewiesen, und wir konnten zuversichtlich auf gutes Wetter hoffen. Blau und klar war der Himmel, als wir am Sonntagmorgen über die wenigen verbliebenen Schneeflecken und zwischen ersten Blümlein zum Einstieg hinaufstapften. Aus der grünen Wiese stiegen wir direkt in den Fels. Schon der erste Steilaufschwung verlangte gute Sicherung. An kleinen Griffen und Tritten arbeitete der Kamerad sich hoch. Eine prächtige Terrasse belohnte seine Mühen. So ging 's weiter hinauf über Türme und Platten. Jeder Turm war oben abgeflacht, deshalb ergaben sich immer herrliche Sicherungsplätze. Freudig stiegen wir aufwärts, hin und wieder einen Blick zurückwerfend. Tief unten schillerte der kleine, blaue See. Eisschollen trieben friedlich umher Das Ganze schien Sinnbild von Kühle und Frische. Uns aber brannte die Sonne während des Kletterns auf den Buckel. Auch die Kehle war schon trocken. So hingen unsere Blicke denn oft sehnsüchtig am « blauen Auge » in der Tiefe. Doch die herrliche Felsbeschaffenheit löste uns immer wieder von diesem Begehren. Wir überwanden wieder zwei riesige Platten und freuten uns des guten Fort-ganges der Tour. Leichter Fels führte hinüber zum grossen Gipfelaufschwung. Näher schon rückten wir dem braungelben Winkel, der uns die eigentliche Schlüsselstelle des Aufstieges zu sein schien. Rauhe, wohl nur selten berührte Flechten überzogen auch hier den Fels und scheuerten unsere Finger wund. Eine Rippe führte ausgesetzt hinauf, dann sicherte ein alter Haken über eine Ver- schneidung hinweg. Nun standen wir unter der Schlüsselstelle. Rechts der Kante winkte Erfolg: eine abgespaltene Platte bot Griffe, und ein Couloir führte wieder auf den Grat. Zufrieden schauten wir nun zurück. Steil fiel der Weg unter uns ab in die grünen Wiesen ob der Hütte. Dort standen und sassen Leute auf der Terrasse und schauten zu uns hinauf, wie wir für sie wie kleine Punkte hier oben in den Felsen klebten.

Wir vermuteten langsam Gipfelnähe und machten uns auf den Weg. Ein paar senkrechte Stufen führten auf ein Schneeband. Darüber wölbte sich eine feingriffige Platte. Ein Genuss war das Klettern hier, und fast bedauerte man, dass nach zwei Seillängen das Signal sichtbar wurde. Ein froher Jauchzer gab Kunde vom erreichten Ziel, und frohe Stimmen schallten von dort als Antwort zurück. Ein fester Händedruck, ein Blick in die weite Runde, dann suchten wir in der Ostwand ein schattiges Plätzchen, um ein wenig auszuruhen. Später dann stiegen wir noch hinüber zum eigentlichen Gipfel des Männli und von dort hinab über den langen und brüchigen Südwestgrat zum Ruchepass. Froh, endlich aus dem Seil schlüpfen zu können, sprangen wir hinunter in den Schnee. Rasch abfahrend erreichten wir wieder die Hütte. Auch der liebe Hüttenwart zeigte Freude über die gelungene Tour. Noch zufriedener aber waren wir, talauswandernd, jeder wieder an seinen Ort.

Krönten-Südturm Es ist schon herbstlich kühl, wie wir wieder hinaufsteigen zur heimeligen Hütte oben im Leutschachtal. Doch immer wieder bleiben wir stehen und schauen hinüber zur majestätischen Pyramide des Bristen, dessen frisch verschneite Spitze im violetten Abendlicht leuchtet. Langsam sinkt die Nacht über das Tal, und als wir die Hüttentür öffnen, ist es auch schon dunkel geworden. Über uns aber leuchten die Sterne am nächtlichen Himmel in glitzernder Pracht, so dass wir einen schönen Tag erwarten können. Noch sind wir allein mit dem Hüttenwart und seinem kleinen Töchterchen. Hungrig essen wir unsere Suppe. Es treffen noch einige Bergsteiger ein. Nicht viele, denn es ist schon spät im Jahr. Bereits liegt Schnee auf den Schattenseiten der Berge; es ist ruhig und kalt, aber um so schöner geworden.

Ein herrlicher Tag bricht an, wie wir auf dem Weglein hinauf gegen die Scharte unterhalb des Südturms zustreben. Vor uns erheben sich steil Ruche und Männli, und wie wir hinten in den Kessel gelangen, schauen wir auch unsere heutigen Ziele, den Turm und die Krönte. Rasch steigen wir auf dem hartgefrorenen Firn aufwärts. Doch oben treibt uns ein eisiger Wind wieder zurück an einen geschütztem Ort. Wir knüpfen das Seil um, legen den Kopf in den Nacken und schauen hinauf nach dem Weg. Dann steht Röbi auf dem Block und versucht in die Wand zu kommen. Es ist bitter kalt. Der Wind möchte einem fast die Freude am Klettern verderben. Nach der ersten Seillänge ziehen wir die Handschuhe an. Nun geht 's hinauf durch den engen Riss, immer noch im Schatten. Ein abschüssiges Gesimse leitet hinüber zur Kante, und dann kommen wir in die Sonne. Schon quert Röbi in die steilen, warmen Platten hinaus zum ersten Haken, derweil ich noch frierend an der Kante stehe. Doch um uns ist nun herrlicher, feingriffiger Fels. In prächtiger Kletterei steigen wir durch die ausgesetzte Wand hoch. Die Finger krallen sich in die feinen Ritzen, und die Füsse suchen nach den spärlichen Tritten. In uns ist Freude. Wir sind hier ganz allein mit uns selbst, und es ist Herbst, die schönste Zeit zum Klettern. Die Wand liegt jetzt unter uns, und wir schauen hinüber zu den andern Urner Bergen. Alle scheinen sie jetzt viel reiner und schöner als sonst. Der mächtige und doch schlank geformte Koloss der Windgälle auf der einen und die verschneiten Sustenberge auf der andern Seite, alle stehen sie vor uns, erhaben und gross, bereits umhaucht vom eisigen Glanz des kommenden Winters.

Wir steigen hinauf zur Spitze des Südturms. Doch auch hier ist es kalt. Wir wollen lieber Klettern als Rasten. Vorsichtig gelangen wir hinab zur Scharte. Hier liegt Schnee auf den Felsen, und die Finger werden rasch steif und kalt.

Doch wieder trifft uns die Sonne, wie wir die grosse Platte queren und uns hinauf gegen die zwei feinen Risse stemmen Dann folgt die kurze Verschneidung, und wir stehen vor der kleinen Höhle. Noch eine letzte feine Platte, und wir treten in leichteres Gelände.Wie anders ist aber der Weg plötzlich geworden. Vorher stiegen wir an festen Griffen und Tritten hoch, jetzt rutschen unsere Füsse im feinen Schutt herum. So rasch ändert hier das Gestein. Etwas mühsam gelangen wir hinauf zum Gipfelturm, wo wir im frischen Schnee noch Spuren finden. Wir sind also doch nicht die einzigen hier oben, die diesen prächtigen Tag gemessen.

Über den Westgrat steigen wir ab. Fast ist er ein Weglein geworden. Doch wir sind froh, denn so können wir immer noch schauen und träumen, soviel als möglich von diesen herrlichen Bildern in uns aufnehmen und hinab tragen ins Tal, wo dann wieder für lange Zeit für uns viel Nebel und Öde liegen werden.

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