Über die Gefahren bei Gewittern in den Bergen | Club Alpin Suisse CAS
Soutiens le CAS Faire un don

Über die Gefahren bei Gewittern in den Bergen

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Ruedi Faessler, Walchwil

Alljährlich ereignet sich im Alpengebiet eine Reihe von Unfällen, deren unmittelbare oder mittelbare Ursache der Blitzschlag ist und die zum Teil auf eine gänzlich falsche Verhaltensweise bei hereinbrechendem Unwetter zurückzuführen sind. Selbst in Bergsteigerkreisen findet man erstaunlicherweise einen weiten Personenkreis, der die Verhaltensregeln bei Gewittern in den Bergen nur ganz oberflächlich kennt. Meistens hält man sich für jeglicher Gefahr entronnen, wenn alle spitzen und metallenen Gegenstände aus dem Rucksack entfernt und in einiger Distanz deponiert sind. Die Zufriedenheit ist vollkommen, wenn sich unter einem Felsvorsprung eine trockene Sitzgelegenheit bietet.

Blitzunfälle machen in der Statistik der jährlichen Bergunfälle zwar einen kleinen Prozentsatz aus, woraus sich die oft zu beobachtende Sorglosigkeit halbwegs erklären lässt; der Blitzschlag ist für den Bergsteiger aber eine objektive Gefahr, mit der er besonders im Hochsommer und zur vorgerückten Tageszeit rechnen muss. Die Kenntnis von den physikalischen Erscheinungsformen des Blitzes kann wesentlich zum richtigen Verhalten bei Unwetter beitragen.

Gewitter sind allerdings nur kleine sichtbare Äusserungen im Ablauf des atmosphärischen Energieumsatzes. Ihre auffälligste Begleiterscheinung, die Blitzentladung, hat das Gewitter schon immer in den Mittelpunkt von Naturbeobachtungen gerückt, nicht zuletzt aus dem Streben nach Schutz vor den mit ihr verbundenen Gefahren. Der Mensch hat wohl schon zu allen Zeiten versucht, der tödlichen Gefahr des Blitzes zu entrinnen, wenngleich die Mythologie bis weit ins Mittelalter hinein von der Vorstellung ausging, es handle sich dabei um eine unabwendbare Gottes-strafe.

Das physikalische Phänomen der Blitzentladung wurde erst vor rund 200 Jahren erkannt ( Benjamin Franklin, 1752 ). In diese Zeit fallen viele grotesk anmutende Experimente, von denen heute noch genaue Beschreibungen vorliegen. Alle hatten zum Ziel, die nun erkannte Gewitter-elektrizität unschädlich zu machen.

Erst seit etwa ioo Jahren wird jedoch die Entstehung der Elektrizität in Gewitterwolken systematisch erforscht. Obschon die bisher aufgestellten Theorien keineswegs gänzlich abgeklärt sind - insbesondere sind die Elementarvorgänge bei der Ladungstrennung noch umstritten -, weiss man heute, dass jede Gewitterwolke verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft. Vorerst bewirken die durch die Sonneneinstrahlung aufgeheizten feuchten Luftschichten in Bodennähe einen Aufwind. Die aufsteigende Warmluft erfährt mit dem Höherkommen eine Abkühlung, so dass sie sich schliesslich vollkommen mit Wasserdampf sättigt. Das weitere Aufsteigen führt dann zur Kondensation, d.h. zur Wolkenbildung. Bei entsprechenden thermodynamischen Bedingungen bilden sich im oberen Teil der Wolke beim Erreichen der Nullgrad-Grenze Eiskristalle, welche die bis jetzt anhaltende Aufwindbewegung abbremsen und sie stellenweise in eine Abwärtsbewegung zwingen. Dadurch gelangt mit erheblichen Niederschlagsmengen vermischte Kaltluft nach unten ( Zeitpunkt der Blitzentladung ) und bewirkt bei Annäherung an den Boden seitliche Ausbrüche, die als typische Gewitter-Sturmböen bekannt sind.

Auch die Blitzschutztechnik ist bis heute so weit entwickelt worden, dass in den dichtbesiedelten Gebieten kaum mehr Personen zu Schaden kommen. Blitzunfälle ereignen sich fast ausschliesslich noch an besonders exponierten Stellen des Flachlandes, z.B. in freistehenden Häusern, in der Nähe elektrischer Freileitungen oder alleinstehender Bäume - und nicht zuletzt in den Bergen.

Auf Grund langjähriger Untersuchungen der Blitzforschungs-Station auf dem Monte San Sal- vatore TI konnte eine umfassende Übersicht über die Erscheinungsformen des Blitzes gegeben werden, deren Kenntnis besonders für uns Bergsteiger von Wichtigkeit ist. Man unterscheidet prinzipiell zwei verschiedene Blitzarten, sowohl bezüglich ihrer optischen Erscheinung wie auch in ihrem elektrischen Ablauf. Abwärtsblitze, die vor wiegend im Flachland auftreten, weisen in der Regel viele Verzweigungen in Richtung Erde auf ( Fig. 2 ). An der Haupteinschlagstelle wird ein Stossstrom von einigen tausend Ampère und eine Dauer im Mikrosekundenbereich ( io"6 Sek .) gemessen. Aufwärtsblitze, die meistens von Bergspitzen - Gipfelkreuzen, Stangen usw. ausgehen, sind durch Verzweigungen in Richtung Wolken gekennzeichnet ( Fig. 3 ). An der Einschlagstelle fliesst für einige Zehntelsekunden ( io- ` Sek .) ein Strom von einigen hundert Ampère.

Im statistischen Mittel verlaufen etwa die Hälfte aller Blitzunfälle tödlich. Allerdings ist -HF- diese Rate bei in freier Natur betroffenen Personen weit höher. Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von Blitzunfällen: Bei den sogenannten Schrittspannungsunfällen befindet sich die Einschlagstelle gewöhnlich in der näheren Umgebung des Betroffenen. Von ihr aus breitet sich der Blitzstrom halbkugelförmig nach allen Seiten der Erdoberfläche entlang und ins Erdinnere hinein aus. Je nach Leitfähigkeit des Bodens kann auf dem Boden, selbst in grösserer Entfernung von der Einschlagstelle, die Schrittspannung 10000 Volt pro Meter betragen. Nicht selten kommt es infolge des hohen elektrischen Potentials entlang des Erdbodens zu regelrechten Korona-Entladungen ( Ionisation ). Eine Person, die sich im Nahfeld einer solchen Entladung befindet, hat nur eine Überlebens- Fig. z. An drei typischen Beispielen ist hier die Wirkung der Schrittspannung gezeigt. Der Weg, den der Blitzstrom durch den Körper nimmt, ist mit Pfeilen angedeutet.

chance, wenn sie mit Knöchel an Knöchel zusammengestellten Füssen und aufrechtstehend verharrt. Beim Gehen würde der durch die hohe Schrittspannung bewirkte Blitzstrom über die Beine ein- und austreten, wobei die Zerstörung innerer Organe des Unterleibs die Folge wäre ( Fig. i a ).

Ähnliche Gefahren birgt die Sitzhaltung in sich ( Fig. i b ). Der Strom tritt hier über Gesäss und Füsse ein und aus. Besonders verheerende Einwirkungen der Schrittspannung ergeben sich beim Anlehnen oder Aufstützen des Oberkörpers an Felsen, Bäume und dergleichen ( Fig. i c ). Der Blitzstrom durchfliesst in solchen Fällen den ganzen Oberkörper. Der Tod kann durch Atemstillstand ( Herzmuskellähmung, Herzkammerflimmern ), Schädigung des Nervensystems oder Verbrennung lebenswichtiger Organe eintreten.

Für den Bergsteiger ist die Schrittspannung von besonderer Gefährlichkeit. Er bewegt sich nicht mehr auf ebener Erde, wo der Blitzstrom von der Einschlagstelle aus nach allen Seiten ins Erdinnere abfliessen kann. Dazu kommt, dass der Fels ein relativ schlechter Leiter ist, wodurch der Gefahrenradius der Schrittspannung ganz beträchtlich erweitert wird. Die Leitfähigkeit von trockenem Fels ist etwa ioomal schlechter als diejenige von Ackerboden.

Direkteinschläge in einen Menschen führen fast immer zum Tode. Da der Blitzstrom, bedingt durch das ausserordentlich hohe elektrische Spannungspotential und den relativ hohen elektrischen Widerstand des menschlichen Körpers, aussen an der Haut des Betroffenen abfliesst und das Herz praktisch nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, unterscheiden sich Direkteinschläge wesentlich von Schrittspan-nungs-Unfällen oder auch von Unfällen beim Berühren elektrischer Leitungen allgemein. Der Tod tritt meistens durch Schädigung des Gehirnes ein.

Die Statistik zeigt, dass bei go% aller Blitzun- ( Copyright SEV-FKH ) ( Copyright SEV-FKH ) fälle durch Direkteinschlag der Tod die unabwendbare Folge ist. Hingegen verlaufen nur etwa 20% aller Schrittspannungs-Unfälle tödlich, was mit der Differenziertheit der einzelnen Unfallsituationen zusammenhängen dürfte ( Abstand vom Einschlag, wirksame Schrittspannung, Isolationsfähigkeit des Schuhwerkes ). Die Zahl der Direkteinschläge und der Schrittspan-nungsunfälle ist etwa gleich gross. Als Direkteinschläge werden auch diejenigen Fälle bezeichnet, bei denen Personen, die unter einem Baum Schutz suchen, durch einen Sekundär-blitz getroffen werden. Die Blitzentladung erfolgt in die Baumspitze und springt dann vom Stamm infolge der hohen Potentialdifferenz auf den Kopf des Schutzsuchenden über.

Schutzmassnahmen vor Blitzschlag erschöpfen sich in der Praxis im Befolgen einiger wichtiger Verhaltensregeln. Wohl sind in jüngster Zeit sogenannte Blitzschutz-Zelte entwickelt worden ( Technische Hochschule München ), die einen vollkommenen Schutz gewähren, doch kommen diese ihrer Unhandlichkeit und ihres Gewichtes wegen für uns kaum in Frage.

In seinen 1778 erschienenen « Verhaltensregeln bey nahen Donnerwettern, nebst den Mitteln, sich gegen die schädlichen Wirkungen des Blitzes in Sicherheit zu setzen » schreibt ein gewisser C. Lichtenberg: « Da die Unglücksfälle so häufig auf freyem Felde vorkommen, so könnte ihre Anzahl giwis dadurch vermindert werden, wenn Hirten und überhaupt Landleute ein ganz bequemes und wohlfeiles Mittel für ihre Sicherheit anwenden wollten. » Erstaunt wird man an anderer Stelle belehrt: « Man entferne sich von allen grossen Körpern: als Bäumen, Pferden, beladenen Wagen und dergleichen. Man trette nicht so nahe an Teiche, Sümpfe, oder andere Wasser; weil alle diese Dinge den Blitz leicht an sich ziehen, und man mit ergriffen werden könnte.Vorzüglich gefährlich ist das Untertretten unter einen einzelnen Baum. » Obwohl diese Aussage im Prinzip heute noch Gültigkeit hat, überrascht es immer wieder, zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit bei Unwettern unter Bäumen Schutz gesucht wird. Werden Personen im Freien von einem Gewitter überrascht und können sie keine blitzsichere Unterkunft mehr erreichen ( z.B. Hütte mit Blitzableiter ), so empfiehlt sich die Hockstellung mit eingezogenem Kopf und geschlossenen Füssen an einer möglichst wenig exponierten Stelle im Gelände. Dadurch wird die Gefahr eines direkten Einschlages gegenüber der aufrechten Haltung stark vermindert und Schritt-spannungen können bestmöglich vermieden werden. Für den Bergsteiger versteht es sich von selbst, den Rucksack mit allem « Eisenzeug » in einiger Entfernung vom eigenen Standort zu deponieren. Auf Graten und Gipfeln versuche man unter allen Umständen, in die Flanke abzusteigen und dort in der oben beschriebenen Hockstellung das Ende des Unwetters abzuwarten. Dabei meide man seichte Rinnen und Couloirs.

Freistehende Holzhütten ohne Blitzableiter und herkömmliche Zelte bieten keinen Blitzschutz. Dagegen kann in Wohnwagen mit Metallver-kleidung, Seilbahnkabinen, Eisenbahnwagen und nicht zuletzt in Autos mit geschlossener Metallkarosserie auch das schwerste Unwetter ohne Gefahr überstanden werden. Ein alter Aberglaube ist die verbreitete Volksmeinung über die Schutzwirkung der Buche. Einzelne Bäume ( wobei die Art keine Rolle spielt ) und Baumgruppen, Waldränder, Alphütten, Felstürme und exponierte Erhebungen ( Gipfelkreuze und -signale ) gehören zu den bevorzugtesten Blitzeinschlagstellen in den weniger dicht besiedelten Gebieten.

Leider kann gerade der Bergsteiger dem Rate unseres bereits zitierten Freundes Lichtenberg nicht immer folgen, um « soviel wie möglich erhabene Örter zu vermeiden, weil alsdann der Mensch so gut wie eine metallene Stange die Materie an sich zieht ».

Feedback