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Vom Agri Dag (Ararat) zum Kaçkar Dag

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BERGFAHRTEN IN NORDOSTANATOLISCHEN GRENZLANDEN VON MOR.M.. BLUMENTHAL ( LOCARNO )

Mit 2 Kartenskizzen und 8 Bildern ( 176-183 ) Zur Einführung Die zwei im Titel vorliegender Bergwanderung aufgeführten Berge sind zwei einander ganz ungleiche Hochgebirge, gelegen im Räume zwischen dem östlichen Schwarzen Meer und den Hochsteppen der nordöstlichen Türkei und des nordwestlichen Iran. Im Türkischen nennt sich ein Berg Dag oder in der Mehrzahl Daglar, wobei bei Vorausgehen eines Substantivs ein tonloses l ( ohne Punkt !) dazukommt ( sogenanntes Possessivsuffix ) 1; deshalb nennt der Türke den Berg Noahs, den Ararat, den Agri Dagi oder spricht vom Kaçkar Dagi, vom Hasan Dagi usw. Der erstgenannte dieser Berge liegt in der Dreiländerecke, wo die Türkei, Russland und Iran zusammenstossen, und ist ein ausgesprochener, relativ junger Stratovulkan ( schichtförmig aufgebauter Vulkankegel ), der zweite liegt geradlinig gemessen ca. 250 km weiter im NW und ist eingereiht in das pontische Kettensystem, dessen maximale Erhebung er darstellt. Mit diesen beiden grossen Berggestalten hatte der Verfasser die Gelegenheit näher bekannt zu werden während einer Ferienreise, die von der türkischen Kapitale Ankara im Monat August 1955 ausging. Für gewöhnlich ist das östliche Grenzland der Türkei dem Touristen noch nicht ohne weiteres erschlossen, und er hat zuvor manch eine amtliche Prozedur zu durchkosten, bevor er sich dem « Heiligtum », insbesondere dem grenznahen Ararat, nähern darf. Dank seiner Beziehungen zur geologischen Landesanstalt der Türkei, der er während vieler Jahre zugehörte, war der Weg für den Schreibenden bald geebnet, und wir konnten so zur günstigen Hochsommerzeit in 2½tägiger, fast 2000 km langer « Jeep-Fahrt », in Staub und Sonne gebadet, das kleine Garnisonsnest Dogubayazit unfallfrei erreichen. Da standen wir nun am Südfusse unseres wuchtig in die Höhe sich schwingenden Bergzieles, am Ararat, dessen Stellung in der topographisch-orographischen Karte, in Sage und allgemeinem Werden erst kurz umrissen sei ( s. Karte Fig. I ).

Die geographisch-geologische Position der beiden Berge Es ist altes Gemeingut im Wissen um die Beschaffenheit der Erdkruste, dass die Vulkanberge und die Ergüsse magmatischen Schmelzflusses, die Lava, sich vornehmlich längs den Bruchlinien und Bruchzonen aufbauen oder als weitreichende Decken auf der Erdoberfläche sich ausbreiten. Solche wunde Stellen im Erdbau äussern sich an der Oberfläche innerhalb umgebenden Berglandes gewöhnlich im Vorhandensein tieferliegender Becken oder Grabenzonen; sie sind, z.B. in Ostanatolien und dem angrenzenden Armenien, allverbreitet. Freilich kann auf diese Bruchlinien meist nur indirekt geschlossen werden, denn die ausgetretenen vulkanischen Massen sind es gerade, die durch ihre Ablagerung den Herkunftsort verdecken.

Überschauen wir das weite Gebiet im Südosten des Schwarzen Meeres mit einigen flüchtig entworfenen Strichen ( Fig. I ). Aus dem inneren Hochland Ostanatoliens, das in diesem Sektor früher auch als armenisches Hochland bezeichnet wurde, strömt der in der Geschichte oft genannte Aras-fluss ab, vorbei an der hochgelegenen Festungsstadt Erzurum ( ca. 2000 m ). In weitem nach Norden gekehrtem Bogen zieht der im Altertum als Araxes bekannte Fluss seine Furche, um dann auf dem 17. Längengrade ( von Istanbul ) aus der Ostnordostrichtung in die Südostrichtung umzubiegen. Als prägnante Landmarke liegt an dieser Stelle der Ararat. Der Aras hingegen verlässt, nachdem er für 160 km in einer von den oben erwähnten bruchbedingten Grabenzone gefangen war ( Aras-graben ), wieder die neuerworbene SE-Richtung, um, nach NE die transkaukasischen Ketten durchbrechend, dem Kaspischen Meere zuzustreben. Der hohe Vulkanberg, der Grosse Ararat mit seinem etwas bescheideneren Nachbarn, dem Kücük Agri Dag ( Kleiner Ararat ), liegt hier an der Kreuzungsstelle verschiedener Bruchlinien, die unter sich eine grössere Anzahl gleichartiger Störungslinien aufweisen. Was Wunder, dass in solchen wunden Stellen des Erdgerüstes die « Feuerberge », 1 Im folgenden wird diese Schreibweise, da es sich ja um ins Deutsche übergenommene Fremdwörter handelt, nicht eingehalten; in der Aussprache ist das « weiche g » nahezu zu verschlucken und das G als tsch auszusprechen.

die Lavabringer, sich aufschichteten. In einer Vielzahl, die wohl an die hundert reicht, erfüllen sie das türkisch-armenische Hochland und strahlen hinüber in die transkaukasischen Ketten. Darunter gibt es neben den beiden Araraten Riesenberge wie der Alagöz, der Tendürük u.a., oder aber auch kleinere Gruppierungen, die aussehen wie Ekzeme um einen Infektionsherd. Von all diesen Vulkanessen und weiteren Spaltenergüssen her stammt eine von Vulkaniten ( Laven, Tuffen, Agglomera-ten ) überdeckte Fläche, die bedeutend grösser ist als die Schweiz.

Immerhin ist zu bedenken, dass diese Überdeckung etwas Sekundäres ist, denn darunter liegt das primäre Berggerüst, teils versunken, teils eingedeckt, dessen Beschaffenheit und Verlauf wir eigentlich nur nach dem Befund ausserhalb des Vulkanareals vermuten können. So wissen wir, dass im Süden der Araslinie das Gebirgssystem des ostanatolischen Taurus liegt, ein Kettensystem von der Grosse der Alpen, und dass im Norden der gleichen Furche die nordanatolischen und pontischen Gebirgszüge von Westen in diesen Raum heranstreichen. In dem östlichsten Sektor dieses Systems liegt der Kaçkar Dag. Hier sind es aber streichende Kettengebirge sedimentärer, teils stark aufgefalteter Sedimentärgesteine, denen auch wieder grosse Massen von vulkanischen, zwar viel älteren Decken - also nicht mehr Vulkane im eigentlichen Sinn - zwischengelagert sind. Dieses System greift nordwärts über das hocharmenische Vulkanland des Ararat hinweg und schwingt sich über Georgien und russisch Armenien nach Südosten, wo es in nordpersischen Bergsystemen seine orographische und wohl auch geologische Fortsetzung findet.

Der Ararat als Berg, Vulkan und Gletscherträger In hohem Masse ist die Wucht des Anblicks eines Bergmassivs durch seine relative Höhe über dem Umland bedingt. In dieser Hinsicht schlägt der Ararat seine grösseren und kleineren Nachbarn auf weiten Abstand. Diese relative Höhe beträgt bei einem Gipfelpunkt von 5165 m/M auf der Nordseite ca. 4365 m und auf der Südseite ca. 3415 m bei einem durchschnittlichen Radius von 16 km. Wohl erhebt sich sein persischer Genosse weiter im Osten, der Demawend, bis auf 5670 m, weil aber einem Gebirge aufgesetzt, dessen Kammlinien ihn in einer Höhe von 3000 m umranden, ist seine Massenwirkung um einen kleinen Grad vermindert, wenn auch anderseits seine Fushiyama-Gestalt erhaben wirkt.

Der gewöhnlich von Westen her Kommende sieht erst den Ararat nicht als einen regelmässigen Kegel, wie er sich von Osten präsentiert, sondern als eine in der Ost-West-Richtung ausgezogene Gipfelkammlinie ( Abb. 176 ). Dies kommt dadurch zustande, dass auf der Westseite in einer Höhe von ca. 3400 m mächtige junge Lavaströme sich domförmig an den Kegelmantel ansetzen ( Kipcöl, Fig. 2 ), und auch in der Gipfelpartie trägt das Bestehen eines nach Westen elliptisch ausgezogenen, zwar ausgefüllten Kraters zu dieser Form bei. Nichtsdestoweniger ist diese aus nackter Fusslandschaft ansetzende, himmelanstrebende Berggestalt ein äusserst eindrucksvolles Naturobjekt, das seit jeher bei seinen Umwohnern teils mystisch-abweisende ( Unersteigbarkeit ), teils göttlich-erhabene Gefühle ( Bibelbericht der Rettung und Landung der Arche Noahs ) weckte. An seiner Ostseite begleitet den Grossen der Kleine Ararat, nicht als demütig untergeordneter Satellit, sondern als stramm aufrechte Schildwacht, ein Vulkanberg, der mit seiner regelmässig kegelförmigen Gestalt seine Entstehung um einen zentralen Zufuhrkanal deutlich hervorhebt, was zwar nicht allezeit anerkannt wurde.

Mit diesen Bemerkungen haben wir die Entstehungsgeschichte berührt. Wann und wie sich die Geburtsstunde unserer Riesen vollzog, ist nicht in genauer Weise auszumachen. Doch sind alle die Vulkanessen des weiten Eruptivareals von geologisch recht jungem Ursprung. Dies zeigt die Über- lagerung der durch sie produzierten jüngeren und basaltischen Lavaströme auf jungtertiäre Meeresablagerungen, Ablagerungen, die in einigen Fällen sogar kontinental sind und sogar auf die Glazialzeit hinweisen ( Alagöz ). Der Aufbau der eigentlichen andesitischen Kegelberge, die in die Bruchsysteme eingeschaltet sind, geht dieser jüngsten Tätigkeit voran, und, da diese, geologisch gesprochen, relativ jung sind ( Miozän ), trifft dies auch für die Durchbrüche der vulkanaufbauenden allerersten Lavaergüsse zu. Die Strukturelemente der Alpen, die übereinandergestapelten Decken, waren schon seit undenklichen Zeiten an ihrem Ort, als im heutigen Vorderen Orient in der Werkstätte des Vulkanus noch intensive Produktivität herrschte.

Man findet in dem weiträumigen Gebirgsland des Mittleren Ostens wenig Gipfelpunkte, die über die Ewigschneegrenze hinauf ragen. Einen solchen Gebirgsabschnitt hat der Verfasser in den « Alpen » ( Hefte 8 und 9, 1954 ) skizziert; er enthält den 4170 m hohen Cilo Dag, woselbst die heutige Schneegrenze in ungefähr 3600 m liegt. Obwohl der Ararat um 500 km weiter nördlich liegt, ist diese Grenze dort nicht tiefer, sondern auf der warmen, der Steppe zugewandten Seite eher um ein weniges höher, indem sie auf 3900-4000 m zu veranschlagen ist. Da der Grosse Ararat noch mit einem ansehnlichen Gipfelareal bis zu 1200 m über diese Höhe emporragt, gibt dasselbe Veranlassung zu Gletscherbildung. Aus der flacheren Kegelkuppe strömen denn auch nach allen Seiten kleine Gletscher über den obersten Kegelmantel hinab. Diese, mit alpinen Verhältnissen verglichen, noch dürftigen Eis- und Firngirlanden tragen in dem sommerlich schneelosen Lande mächtig dazu bei, die erhabene Grosse des Berges zu unterstreichen. Man kann solche Eiszungen in ungefährer Elf-zahl unterscheiden, von welchen freilich nur 2 über 2 km sich ausdehnen; der nach dem Erstersteiger Parrot - im Jahre 1829 - vom Verfasser als Parrotgletscher bezeichnete westliche Eisstrom ( Nl in Fig. II ) und der nach dem verdienten österreichischen Erforscher des armenischen Hochlandes, H. Abich, benannte Abichgletscher im Norden ( Nm. 10 und 11 ). Die gesamte Eis- und Firnkalotte des Berges mag eine Oberfläche von 11-12 km2 einnehmen. Von einem anderen eigenartigen Eis-und Schuttgebilde auf der Nordseite wird noch in einem besonderen Abschnitt die Rede sein1.

Der Ararat als Legendenberg und Bergziel Wenn man vom Ararat spricht, so wird allererst die Bibel mit ihm in Relation gebracht, denn nach dem I. Buch Moses soll die Sintflutarche von Noah auf seinem hohen Scheitel am siebenten Tage gestrandet sein. Dieser Bericht des Alten Testaments wurde Jahrhunderte hindurch in wörtlichem Sinne verstanden und auf unseren hohen « Feuerberg » bezogen, dies dank seiner prominenten Stellung im Lande der Armenier, die als christliches Volk inmitten des Islams ihn als ihren heiligen Berg betrachteten. Anscheinend durch unsachliche Namenverschiebung kam er aber zu seinem Namen und Nimbus in der Christenheit, denn ein Bergland, das von einer Springflut erreicht werden konnte - und nur als solche könnte der Mosesbericht von einer allgemeinen Überflutung Bestand haben - liegt bedeutend südlicher im Stromgebiet des Tigris. Eine Süsswasserüberdeckung und Umspülung hat der heutige Ararat niemals erfahren, eine solche hat nirgends ihre Spuren hinterlassen.

1 Für den Interessenten sei hier angeführt, dass eine monographische Darstellung des Araratgebietes durch den Verfasser unter dem Titel: « Der Vulkan Ararat und die Berge seiner Sedimentumrandung » im Jahre 1958 in der « Revue de la Faculté des Sciences de l' Université d' Istanbul », erscheinen soll. Darin sind Fragen über Morphologie, Geologie, Vulkanismus, Gletscherbestand, die ethnologische Bedeutung des Berges, seine Besteigungsgeschichte usw. ausführlicher behandelt und von Bild- und Kartenmaterial begleitet. Einen wesentlichen Bestandteil machen darin auch die reizvollen kleineren Berge der Araratumrandung aus, die hier übergangen sind.

Nachdem dann im Beginn des letzten Jahrhunderts durch erst ganz vereinzelte Ersteiger der Nimbus der Unersteigbarkeit, auf welcher die Armenier stets bestanden, gewichen war, erhielt die hohe Warte bis zum Ende des Jahrhunderts relativ zahlreiche Besuche, ca. 1 Dutzend, und seit den zwanziger Jahren des laufenden Jahrhunderts mehrten sich die Angreifer, die ihn zwar lange nicht alle erreichten. Ein besonderer Reiz und auch Sensationstendenz fussten auf der Suche nach der Arche, die sogar schon vom Flugzeug aus « gesichtet » worden war. Die unserer kleinen Expedition um 1 Jahr vorangegangene « Gipfeleroberung » hatte gleichfalls ein schweizerisches Vorzeichen und fand in den « Alpen », Heft 1, 1955, eine gut dokumentierte und anschauliche Schilderung durch Prof. E. Imhof ( Zürich ) und weiterhin auch in der « Neuen Zürcher Zeitung », Nr. 2744,1954, durch Dr. E. Egli, weshalb die « historische Seite » des Berges hier nicht weiter zur Sprache kommen soll.

Der Angriff auf den Berg Der meist geeignete Zeitpunkt für einen Araratbesuch ist der Monat August, denn sonst verhüllt der Berg gerne sein hohes Haupt in Mittagswolken. Wir stehen hier an einer Wetterscheide. Aus dem meernahen nördlichen Gebiet drängt tagtäglich warmfeuchte Luft nach dem erhitzten step-penhaften Inland. Die Gegensätze treffen sich am Ararat. Nebelbildung und Gewitter kleben deshalb mit Vorliebe an seiner hohen Nord- und Ostflanke. Unsere Ankunft am 1. August 1955 traf aber zusammen mit glanzvoller Wetterlage. Tagelang kein Wölklein im Hochland. Verspätung unserer amtlichen Einführung infolge einer Reihe von Feiertagen gab uns in diesem militärischen Milieu von Dogubayazit die Etikette fremder Zigeuner. Die entscheidende zivile Macht zeigte uns die kalte Schulter, bis unsere revoltierenden Telegramme das notwendige Plazet aus der Ferne herbeilockten. Damit vergingen aber 5 Tage, und der noch « höhere Herr » vernebelte nun wieder jeden Mittag seine Stirne.

Wenn schon von einer Mehrzahl der Teilnehmer die Rede ist, so hat der Verfasser dieselben vor Aufbruch eben noch vorzustellen. Zur Fahne des Halbmondes stand der junge türkische Kollege Halil Unlüsoy, während das Schweizerfähnlein neben dem Schreibenden sein Kollege aus Lugano, Dr.Felice Jaffe, hochhielt; der Trupp, zu dem auch noch zwei kurdische Begleiter ihre Pferde stellten, hatte also ein klein wenig internationalen Charakter.

Die Kegelform eines hohen Vulkans kann im allgemeinen von jeder Seite angegangen werden, wobei es freilich zweckmässig ist, schon wegen einer rascheren Überwindung des langwierigen Kegelfusses die am schnellsten nach oben führende und mit Biwakmöglichkeiten versehene Route zu wählen. Indessen wurde der Grosse Ararat meist von Osten her in Angriff genommen, weil dort zwischen dem Grossen und dem Kleinen ein günstiger Quell- und Biwakort bei der Yayla von Serdar Bulak vorhanden ist. Wer darauf ausgeht, sogar einen Kletteranstieg als Neuroute zu wählen, kann die Felsabbrüche des nördlichen Cehennemtales bewältigen. Unsere Vorgängerexpedition Imhof-Keller-Egli zog in 4 Tagen den mehr oder weniger geraden Strich S-N von Dogubayazit nach dem Gipfel. Da uns geologische Beobachtungen lenkten, wichen wir nach Osten aus und zogen entlang der türkisch-persischen Grenze nach oben. Bemerkenswert ist, dass die wahrscheinlich interessanteste Route und zugleich in der Steigung meist ausgeglichene, jene von Westen her ( Kipgöl ), der Erstersteigung durch F. Parrot, nach dreimaligem Ansatz ( zwar nicht gleichenorts ), eingeschlagen wurde.

Im sich verschmälernden Südende der Hochebene von Dogubayazit hatte uns der « Jeep », abgesetzt, und dort erwarteten uns die angeworbenen kurdischen Pferdebegleiter mit ihren etwas 9 Die Alpen - 1S58 - Les Alpes129 lahmen Reittieren, die uns fast die halbe Höhe des Berges - es wurde viel weniger - hinaufbefördern sollten ( Fig. II ). Als schwarz-rotbraune Wände standen vor uns am Rande der Ebene die Stirnen der mächtigen Lavaströme, die in noch relativ junger Zeit ( postglazial ) aus den Flanken des Bergkegels ( bis über 3500 m Höhe ) hervorbrachen und sich übereinander schichteten. Ein kleines Schluchttal, das Kozlu Bogaz, gewährt dem nordwärts Ansteigenden Einschlupf zum Kegelmantel hinauf. Zudem folgt dieses interessante Tälchen der Grenzlinie, welche die vulkanischen Massen von der alten Unterlage trennt, dem sedimentären Fundament, auf dem der ganze Ararat aufliegt. Es ist eine blauschwarze Kalkformation von hohem geologischem Alter; die reichliche fossile Fauna an Fusuliniden zeigt an, dass sie dem Perm zugehört und eine ungefähr gleichaltrige Bildung ist wie unser Verrucano; nur dass dieser im Glarnerland eine kontinentale Bildung ist, während unsere Kalke eine typische Meeresablagerung darstellen, die in gleicher Ausbildung von den Karawanken über den Balkan bis in den Himalaya und darüber hinaus anhält.

Die Etappe des ersten Tages fand unvorhergesehen bald ihren Abschluss, denn im oberen Teile des Tälchens hielt uns als freundlicher Gastgeber der Kommandant der umgebenden Grenzposten in seiner etwas primitiven Behausung für die erste Nacht zurück. Ein kleiner Streifzug führte mich noch über die nahen Grenzkämme, wo monumentale hohe Posten und stets wieder zwischen-geschaltete militärische Beobachtungsposten eindringlich die iranisch-türkische Grenze hervorheben, eine Grenzlinie, die auf iranischer Seite vollkommen verlassen schien.

Der zweite Tag brachte einen gemächlichen Ruck aufwärts im Sattel; erst ging es nach der Senke des Serdar-Bulak-Passes in ca. 2700 m, über schwarze Lavabuckel vordringend, zwischen denen längs allerspärlichster Grasnarbe immer eine begehbare Passage für die Pferde ausfindig gemacht werden musste. Links zog sich ein Streifen allerjüngsten vulkanischen Lebens hin, indem, wohl längs einer NNW streichenden Bruchspalte, sich sekundäre Vulkanbildungen, kleine Krater oder vulkanische Pfropfgebilde, aufreihten. Ein solcher Krater, ungefähr von der Grosse des obersten Vesuvkraters, trägt den sinnbildlich gut gewählten Namen Karniyarik, was soviel als aufgeschlitzter Bauch heisst, denn sein Kraterrand ist einseitig weit aufgerissen, eine lebendige Namengebung, die vorteilhaft absticht von der langweiligen und verwirrungschaffenden, ewig gleichartigen Namengebung in der türkischen Landschaft. Im Osten, rechts, liessen wir die kleinen Sedimentärberge der alten Unterlage hinter uns zurück.

Etwas Menschliches gab es endlich wieder oberhalb der Passlücke, wo eine kopfreiche Dorfbevölkerung aus der Tiefe den Sommer in einer Yaylasiedlung ( Yayla = Alpweide ) in ihren schwarzbraunen Zelten mit Ziegen, Schafen und Kamelen verbrachte. Der obligate Kaffee und Yoghurt wurden uns angeboten. Auf der Nordseite der Wasserscheide, in tieferer Lage als diese, in Serdar Bulak, im Angesicht der armenisch-russischen Landschaft jenseits des Aras, wurde nächst der grossen Ruine einer russischen Kaserne - der Nordhang des Ararat war bis 1921 russisches Gebiet -der zweite Nachtverbleib eingeschaltet. Anmutig liegt hier am Fusse des Klein-Ararat-Kegels ein einige Hektaren grosses Wäldchen von Birken ( Betula alba ), dem einzigen Baum der Hochregion, der hier in der sonst vollkommen von höheren Gewächsen gemiedenen Landschaft zu treffen ist.

Der dritte Tag sah mich und Felice in den frühen Morgenstunden an dem grasvernarbten steilen Tuffgehänge des Klein-Araratkegels emporklimmen. Nach oben auf die anstehenden Andesitrippen hinüberwechselnd, wurde nach gut drei Stunden Anstieg die abgestumpfte Kegelspitze erreicht. Aber keine Eintiefung zu einem Krater, aus welchem der Kegelberg seine « Nahrung » erhalten haben muss, liegt vor dem Beschauer; ein flach geneigter Boden setzt an den äusseren Kegelmantel an und weist auf das ehemalige Bestehen eines Kraters hin. Nachherige Ausfüllung, Ver- Morphologische Kartenskizze des Ararat 1Hauptkegel ( vorwiegend andesitische Lavaströme und Lockerprodukte ) 2 = Klein-Araratkegel ( ebenfalls andesi- tisch ) 3 = Jüngste Basaltlavaströme 4Sekundäre Eruptionspunkte 5Bergfuss-Schuttbildungen ( Block- tuffe, Schotter usw. ) 6Firn- und Eishaube ( Hängegletscher 1-11, Punkte: Moränen ) 7 = Alte Unterlage ( Paläozoischer Sockel ) 8Berge von Do¾ubayazit ( Sedimentär- umrandung, dem taurischen Gebirgssystem zugehörig ) 9Regenerationsgletscher des Cehen- nemtales 10= Begangene Routen Orographische Kartenskizze des Gebietes zwischen dem Schwarzen Meer und Iran 1Vulkanisches Areal 2 = Stratovulkane 3Sedimentärgebirge ( Kettenzüge ) 4 = Alter Sockel des Ararat ( Paläozoikum ) 5 = Landesgrenzen 6 = Hauptreiseweg, Eisenbahn Abkürzungen:

Pont. = Pontische ( KettenTra. K = Transkaukasische Ketten G = Göl ( SeeC = Cay ( Fluss ): N = Nehri ( Strom ) Länder: Tu = Türkei; Ar = Armenien ( USSR ) Ge = Georgien ( USSRTo = Tortum G Yus = Yusufeli; Pe = Peterek; He = Heveyikiskim \ 4 Lr+»J 5 stopfung durch die letzten Nachschübe und seitliche Überstürzung haben diese Form des Berggipfels zustande gebracht. Reichlich Blitzspuren in Form von Röhrchen und Adern von grüner Glassubstanz sind an den Gipfelfelsen feststellbar.

Mächtig wirkt von dieser hohen Warte ( 3925 m ) der Anblick des Grossen Ararat, dessen Gipfelpunkt unseren Standpunkt in 11 km Abstand noch um volle 1400 m überragt ( Abb. 177 ). Wie ein dunkel getöntes Schleppgewand heften sich die jungen Lavaströme an den zentralen Kegel, dem als weisser Schleier die luftig-leichte Eishaube aufgesetzt erscheint. Enorm ist der Eindruck der Massenwirkung der stattgehabten Aufschichtung des aus der Tiefe gebrachten Materials.

Der Abstieg vom Kleinen Ararat gab gerade genügend Antrieb, um am gegenüberliegenden Gross-Ararat-Fußstück noch ein nettes Stückchen zu einem neuen Biwak in ca. 2900 m anzusteigen ( Samet Yayla ). Hier erschien dann abends fast unerwartet unser türkischer Berggenosse, der bei unserm Aufbruch fieberkrank zurückgeblieben war und nun die Möglichkeit, den höchsten Punkt seiner Heimat zu erreichen, sich nicht entgehen lassen wollte: auch zeigte sein flinkes Erscheinen, dass über den Umweg der Nordseite, über die Stadt Igdir und das Arastal, mit « Jeep » das Gehänge bis fast 2000 befahren werden kann.

Am vierten Tag war für das Nachtbiwak eine möglichst grosse Höhe am eigentlichen Gipfelkegel angestrebt, um so dem « Endspurt », da bei zunehmender Höhe mit verringerter Energie zu rechnen war, zu Hilfe zu kommen Doch schon in 3200 m streikte der kurdische Teil unseres « teams », keine Pferde und keine Träger wollten weiter hinauf. Da standen wir ein wenig ratlos am Mihtepe ( Abb. 178 ) und konnten nur durch eigene Befrachtung unserer Rucksäcke und dank einiger strammer, aus einer benachbarten Yayla für gutes Geld herbeigebrachten Kurden noch etwas in grössere Höhe vorstossen. Doch es ging nicht weiter als bis 3800 m, wo eine grössere Verflachung günstigen Biwakort - der höher oben etwas fragwürdig erschien - bot. Es ist noch früher Nachmittag, und so bleibt noch Zeit übrig, über die Lage des Ortes und seine Stellung im Vulkanganzen noch etwas Umschau zu halten.

Wie am Kleinen Ararat waren wir nun aus dem Bereich der jungen Basaltlavaströme heraus-geraten, dies freilich mit Ausnahme jenes des Cat Tepe ( ca. 4500 m ), der den höchsten Basaltstrom zur Tiefe sandte und über dessen Blöcke wir folgenden Tags in dunkler Morgenfrühe zu balancieren hatten. Unter dieser jungen Lava reckt sich dann die den Hauptkegel aufbauende andesitische Lava ( vorwiegend ein Hypersthenandesit ) empor; die Überlagerung der einen auf die andere, mit einem zwischengeschalteten Relief, hatten wir am Mihtepe beobachtet ( Abb. 178 ). Auch waren wir in unserem dritten Biwak nächst der klimatischen Schneegrenze ( ca. 4000 m ), über welche hinaus ein kleiner Hängegletscher ( Mihtepegletscher ) hinabreichte.

Mit dem fünften Tag begann der Hauptanstieg, der noch mit einer Höhendifferenz von ca. 1300 m vor uns lag. Um aus den wirr daliegenden Lavablöcken herauszukommen, betraten wir den ersten sich darbietenden Firnhang, der nach oben etwas eisig und ordentlich steil wurde und so der nachgebenden Atmungsenergie ordentlich zusetzte. Unser jüngstes luganesisches Mitglied erleichterte dem schweren Tross aber durch einige hundert Stufen, die er mit seinem Almageller Eispickel aus dem Ararateis heraushob, den Anstieg.

Nach fast sechsstündigem Anstieg standen wir auf der Höhe des Kegelstumpfes, also am Rande des Gipfelgebietes ( 11. August ). Noch lagen die rundlichen Gipfelkuppen um ein weniges vor uns, und als wir uns nach denselben aufmachten, fegte uns ein so wilder Nordweststurm ins Gesicht, dass wir ihm den Rücken kehren mussten und in einem dürftigen Windschutz nur eine Viertelstunde verharrten, um dann noch bevor die ankommenden Nebel die Oberhand gewannen den Abstieg anzutreten.

- Wie tags zuvor am Kleinen Ararat zeigt auch der Gipfelbezirk des Grossen keine Eintiefung zu einem Krater. Das schneefreie Modell des Kleinen kann als Anweisung dazu dienen, wie im Grossen die vulkanische Gipfelmorphologie unter dem Eis sein könnte. Der Gesamtbezirk ist von Firneis überdeckt, in dem sich einige kleinere Spalten zeigen und welches in die über die Kegelmantel-ränder hinaus abfliessenden Hängegletscher überläuft, von welchen der uns benachbarte Abichgletscher am meisten alpine Form hat. Unter Spaltenbildung wendet er sich nach Norden in das Tal von Aguri.

Unendlich weit - theoretisch könnte er auf über 275 km ( Basel-Frankfurt oder -Turin ) reichen -schweift der Blick wie aus der Vogelschau in das im Dunst sich verlierende Umland. Einöden mit weisslicher Salzsteppenformation begrenzen im Osten diesen Horizont, einzig der Norden verrät ähnliche hohe Gebirge, die aber alsbald der ankommende Alltagsnebel unsern Blicken entzieht. Auf kurze Zeit ragen eben noch über eine Wolkenbarriere Hochgipfel des Kaukasus, darunter sein höchster Punkt, der Elbrus.

Statt uns dem steilen Firnfeld zuzuwenden, wählen wir die nächste Felsrippe zu einem eiligen Abstieg. Mit aller Vorsicht müssen Blocklawinen in dem so wenig stabilen Material vermieden werden. Ein stärkender Tee bei Erreichen des Mihtepebiwaks, dann Weitermarsch nach dem Sa-met-Yayla-Biwak, das wir erst bei Nacht erreichen. Damit war das Erlebnis des Fünftausenders abgeschlossen.

Ungefähr in einer mittleren Höhenkurve von 1800 m umwanderten wir den Nordfuss des Ararat, um abends bei dem einzigen in grösserer Höhe liegenden Dorfe Aguri anzulangen.

Im Nordfussgelände ( Aijuri ) Ganz anders als in den übrigen Teilen des Kegelberges, wo Wasser und Eis nur unbedeutend tiefe Kerben in den Kegelmantel gesägt haben, ist auf der Nordseite des Grossen Ararat ein tiefes, weit bis in den zentralen Teil, also radiar verlaufendes Tal vorhanden. Es ist das Cehennem-Dere-Tal, zu deutsch das Höllental oder bei den Armeniern als St.Jakobstal nach dem früher dort vorhandenen kleinen Kloster benannt. Im oberhalb liegenden Firn- und Gletscherzirkus dieses wildausschauenden Tales standen wir tags zuvor am Araratgipfel, wo sich der Abichgletscher über Felswände in diese tiefe Talkerbe stürzt. Die Eiswände des sich in zwei Zungen teilenden Gletschers stehen drohend über dem Talhintergrunde, der in einem felsumgürteten Zirkus endigt. Das gelegentliche Donnern in dieser von Menschen gemiedenen Wildnis zeigt Abbruche der vorstossenden Gletscherzunge an. Der Blick von dem am Ausgang liegenden Kurdendorf Aguri in diesen Talhintergrund mit seinen bunten Felsen und der weissen Gletscherkrone darüber gehört zu den am meisten hochalpin anmutenden Bergbildern, die der Mittlere Osten zu bieten vermag.

Der neugierige Wanderer, der durch dieses enge Tal aufwärts wandert, stösst in ca. 2370 m auf einen sichtlich aus Schutt bestehenden Kegelberg von 50-60 m Höhe; er setzt sich nach hinten fort, beinahe die Breite des ca. 400 m breiten Tales einnehmend. Näheres Zusehen lässt zwischen den Trümmern schmutzige Eisblöcke erkennen ( Abb. 179 ). Bald wird man gewahr, dass es sich um das so geformte Ende eines fast die ganze Talbreite einnehmenden « Schuttgletschers » handelt, aus dessen Schutthülle im obern Teil das in sich zerrüttete Eis des zeitweise über Hunderte von Metern abstürzenden Endes des gipfelnahen Abichgletschers herauswächst; es ist schmutziges und blasenreiches Eis, nach unten zu von einer dicken Schuttdecke überzogen, welch letztere ein wildes zerhacktes Aussehen besitzt, so dass das Überqueren eigentlich recht mühsam ist und ich meinen Begleiter nur nach eindringlicher Aufmunterung zu diesem Wagnis brachte. Da und dort treten aus Höhlen, in denen der wirklich vorhandene Eiskern sichtbar wird, kleine Schmelzbäche hervor und vereinigen sich rechts und links zu kleinen schmutzigen Seitenbächen. Ein Gletschertor wie auch Seitenmoränen fehlen diesem « Pseudogletscher », der fast 1700 m unter die Schneegrenze hinabreicht. Bis zu den Felswänden seines « Geburtsortes » mag er eine Länge von über 4 km aufweisen.

Ein solcher Schuttgletscher ist aber nicht allein das Ergebnis der heutigen, eigentlich doch seltenen und quantitativ bescheidenen Eisabbrüche. Es war im Jahre 1840, also auf meinen Besuch bezogen vor 115 Jahren, dass gelegentlich eines heftigen Erdbebens die hintere Talwand einstürzte und ein Eis- und Felstrümmerstrom als eine gewaltige fliessende Masse sich talauswärts bewegte. Nach-ziehende Schmelzbäche stauten sich zu einem langen See, brachen dann aber nach drei Tagen durch, und es entstand ein wilder Murgang, der sich auf dem Vulkanfuss ausbreitete und im untern Tale alles wegfegte, so auch das Jakobskloster und das im Ausgang liegende Dorf Aguri, wobei gegen 1500 Menschen umgekommen sein sollen. Das höchst interessante an unserer heutigen Beobachtung ist, dass der heutige Eis- und Trümmerstrom ebenfalls in ungefähr gleicher Meereshöhe endigt, wo der Erforscher der Gegend, H. Abich, ihn im Jahre 1844 und später 1860 vorfand, als er durch die russische Regierung beauftragt worden war, der Katastrophe von Aguri nachzugehen. Wir kommen dadurch also zum Schlüsse, dass der lange Zeitraum nicht genügte, um die früheren Eismassen abzuschmelzen, da sie eben stets neue Nahrung bekommen und die Eistrümmer unter einer dicken Schuttmasse geschützt liegen. Getrennt vom lebendigen Gletscher der Gipfelregion, besteht hier also ein Trümmergletscher, den wir füglich als einen Regenerationsgletscher bezeichnen dürfen. Solche Gebilde, wenn auch nicht in diesem Ausmasse und in verschiedener Umgebung, sind in den Alpen und anderen felsigen Hochgebirgen eine nicht unbekannte Erscheinung. Kürzlich hat L. Seylaz im « Alpen »-Quartalheft 1,1957, über einen kleineren, aber auch verhängnisvollen solchen Ansatz zu einem Regenerationseisgebilde unter dem Giétrozgletscher in der Vallée de Bagnes berichtet.

Leider war unsere Begehung des Cehennemregenerationsgletschers etwas unzureichend, da der hinterste Talzirkus nicht mehr besucht werden konnte. Andere Ziele drängten zum Aufbruch und zur Rückkehr, die meine Begleiter schon bei der ersten Ankunft in Aguri vollzogen hatten. Noch wandte sich der Verfasser dem Arastale bis in die äusserste Spitze des weit nach Iran hineinragenden türkischen Bodens zu und durchzog in vielen Richtungen die ziemlich reich von kurdischen Dörfern durchsetzten Kleinberge der Araratumrandung - die doch auch noch bis 2700 m reichen - und stiess von Westen her ( Kipgöl ) nochmals bis an den Gletscherrand ( Parrotgletscher ) vor. Dann aber wurde der Reisekompass auf Nordwesten gestellt, nach den pontischen Bergen am Schwarzen Meer.

In der Richtung zum Kaçkar Daìj Von Dogubayazit aus gesehen ist der Büyük Agri Dag in seinem Westrande verschweisst mit anderen Vulkanbergen, die in langer Reihe kettenförmig sich nach Westen erstrecken. Über diese hinweg läuft die Strasse nach nordwestlicheren türkischen Provinzen. Sie führte uns in der Morgenfrühe bei unserer Ausreise über den 2100 m hohen Cilli Gedik ( Pass ) in das nördliche, nur mehr in 900 m Meereshöhe liegende Becken von Igdir hinüber, von welcher vor 35 Jahren noch russischen Stadt aus das Hochplateau von Kars längs der heutigen russischen Grenze erreicht wurde. Eine Reihe von Beobachtungstürmen auf armenisch-russischer Seite zeigte an, dass der « Eiserne Vor- hang » hier recht wirksam sein musste. Im übrigen aber lässt sich erkennen, dass in der Umrandung des Grossen Ararat jenseits des Grenzflusses eine stärkere Besiedlung und dank der verfügbaren elektrischen Energie ( grosse Wasserkraftwerke, gespiesen vom hochgelegenen Gökcsee her ) eine stärkere Industrialisierung besteht, während am Fusse des Ararat kaum ein Öllämpchen brennt, wie dies so recht drastisch das Biwak in Aguri vorführte. Doch sind solche Unterschiede lokal bedingt.

Nachdem bei der Stadt Kagizman das Arastal verlassen worden war, eilte der Wagen durch die Getreidestoppelfelder des vulkanischen Hochlandes nach Kars, der Vilayetshauptstadt, die seit alters her als Festung, bald russisch, bald türkisch, bekannt ist. Dieses etwas « üble Vorzeichen » bekam ich denn auch zu spüren. Kaum hatte ich die alte, doch unschuldige Burg von Kars photographiert, so war ich schon abgefasst und abgeführt. Freilich dauerte der « Kerker » nur einige Minuten, denn ein mir bekannter hier tätiger Bergingenieur hatte mich entdeckt, und im Handumdrehen war ich wieder ein freier Mann. Im Gegensatz zu dieser kleinen Episode zeigte sich dann abends wieder die türkische Gastfreundschaft, als wir nördlich Kars in dem kleinen mit einer ansehnlichen Landwirtschaftsschule versehenen Dorfe Gilavuz Nachtquartier bezogen. Natürlich nahm uns die Obrigkeit, der Müdür des Bezirks, gastlich an seinen Tisch und in sein Haus auf, und nach vielen Tagen sassen wir nun wieder einmal am sauber gedeckten Tisch und hatten die volle türkische Platte vor uns.

Mit der Weiterfahrt nach Norden und erstem Abstieg in Täler die, sei es nach der Kura ( Georgien ) oder sei es nach dem Çoruh ( Türkei ) entwässern, machte sich mit sehr raschem Übergang die Wandlung in der Vegetation, das heisst auch im Klima, geltend. Gab es vor Ardahan schon Hügelrücken, die auf der Südseite noch ganz kahl waren, so war dann ihr Scheitel schon die scharfe Grenze zu dem auf der Nordseite mit losen Kieferbeständen besetzten Hang. Und weiter absteigend gegen das tief eingegrabene Tal des Çoruhstromes setzten zusammenhängende Kiefernwälder ein, ein Wandel, der das seit Wochen steppengewohnte Auge angenehm befriedigte. Erreicht der jährliche Niederschlag auf der Südseite des Ararat nur um die 250 mm, so wird er in den nordwärts anschliessenden pontischen Ketten ein Vielfaches davon und steigt an der Schwarzmeerküste bei Rize über 2000 mm, also ganz tropische Zustände, woran ja auch der dort gepflanzte Tee erinnert.

Die Route, die nun über Ardahan nach der Hauptstadt dieser Grenzprovinz ( Vilayet Çoruh ) leitet, wurde bald zur kühn angelegten Bergstrasse. Da, wo vor Jahren nur schlechte Bergpfade die Orte verbanden, hat nun in der letzten Zeit ein enormer Fortschritt im Strassenbau Platz gegriffen. Nochmals bis auf 2700 m ansteigend, erreicht man dann auf guten Strassen abwärts in nur mehr 200 m Meereshöhe die trüben Fluten des Çoruh. Dass es bei solchem Denivellement auch Unfälle geben kann, zeigte uns ein in einer Bergschlucht liegender « Jeep ». Er gehörte zur Expedition des hier vor einigen Tagen durchgekommenen Genfer Geologen Dr.E.W. Molly, der zwar dabei heil davon gekommen ist; seinen etwas « verbeulten », hinausgeworfenen Begleiter fanden wir nachher in Spitalpflege in Artvin.

Artvin, das vom Çoruh aus mit vielen Kurven erreicht wird, ist eine reizende Gebirgsstadt. Ihre Fraktionen dehnen sich von 200 m bis 1800 m aus, und sie selbst liegt auf aussichtsreicher Warte in ca. 700 m ( Abb. 180 ). Sie erinnert in der sie umgebenden Vegetation an einen mediterranen Ort. Der Ölbaum steigt bis 400 m, darüber folgen weitere Typusbäume wie die Pinie ( Pinus pinea ), darüber die Platane und der Wallnussbaum, worauf in einer basalalpinen Höhenzone Krüppelbusch mit teils gleichen Gattungen, aber andern Arten folgt; nicht zu vergessen sind in einer feuchteren Höhenstufe die blütenschönen Azaleen- und Rhododendronbestände. In Artvin selbst soll früher auch - heute verschwundene - Seidenraupenzucht als Industrie bestanden haben, worauf auch der Name des Ortes hinweisen soll, der sich von der inländischen Bezeichnung für « haspeln » ableite.

Tief unter dieser noch vor nicht so langer Zeit russischen Bergstadt durchbricht der Çoruh in wilder Schlucht in Querverlauf die meernahen pontischen Ketten, um sich bei Batum in Georgien ins Schwarze Meer zu ergiessen. Wir lassen diesen Unterlauf und folgen seinem Mittellauf, der parallel den Gebirgsketten und für 130 km in wildromantischer Tiefe bis zu dem neugeschaffenen Bezirkshauptort Yusufeli leitet. Dort öffnet sich das Seitental des Barhai Çay ( Fluss ), womit wir nur einen nennen aus der Auswahl von Namen, die ein mittlerer Fluss in der Türkei innerhalb seines Laufes auf sich zu nehmen hat.

Doch sehen wir uns erst in der zum Araratgebiet so gegensätzlichen Landschaft etwas um. Recht reichlich sind bei der so schluchtartigen Beschaffenheit Weiler und Dörfer auf die Fusspartien der steilabfallenden Berglehnen verstreut. Diese letzteren recken sich aber aus der Tiefe alsbald als felsige Hänge empor und zeigen einen jungen granitähnlichen Quarzdiorit, der die Unterlage zu jüngeren Sedimenten formt. Meist nur eine schmale Zone des Tales repräsentiert einen üppigen Garten voller prächtiger Weintrauben, Pfirsiche und anderer Agrumifrüchte, und aus diesem Grün, oder über dessen Rand gelegen, schauen die heimeligen Dörfer mit flachgiebligen Häusern, die fast an ein alpines Dorf erinnern. Der Unterbau ist aus Stein und dient dem Vieh oder der Aufbewahrung der Vorräte, während darüber aus Holz und altanenumgürtet der Wohnteil liegt ( s. Abb. 181 ). Aber nicht nur Land und Dorf, auch die Bewohner sind hier von ganz anderem Stil als der primitiv lebende Kurde um den Ararat, der meist nur in einem Lehmmauerkubus haust, manchmal auch gar nur zwischen aufgeschichteten Steinen mit einer Zeltblache darüber. Hier sind es die Larsen, die besonders an der Küste einem kulturell fortgeschrittenen Stamm zugehören, der ursprünglich nicht türkisch ist, jetzt aber wohl türkifiziert ist, ein Grund mehr, der den Russen den Vorwand gibt, auf diese Strecken bis weithinein in die heutige Türkei « auf dieses „ Larsistan " » Anspruch zu machen.

Mit aller behördlichen Liebenswürdigkeit wird mir in Yusufeli die nicht ganz leichte Pferde-Mann-Ausrüstung für den Kaçkar Dag zusammenzustellen geholfen. Dann führt ein zweitägiger Ritt ins Barhaltal hinein, in welchem man sich zuletzt fragen muss, ob man sich wirklich zwischen Bergketten des Pontus oder in Seitentälern der Rhone befindet. Immerhin fehlen die Gletscher-abschlüsse in den Seitentälern, aber die in ansehnlicher Höhe - das letzte Dorf Meretet in 2200 m -liegenden Siedlungen kopieren mit ihren aus Blockstämmen gezimmerten Vorrats- und Viehställen sprechend ein alpines Dorf, in dem nur jeweilen die kleine Moschee für den Vergleich aus der Rolle fällt ( s. Heveyikiskim in Abb. 182 ). Während meine Leute nach der Moschee zu verschwinden, um die vorgeschriebenen Gebete zu verrichten, bringt man mir eine mit prächtigem Bienenhonig versüsste Mahlzeit, welche ich vor dem Gotteshaus verzehre, ohne dass dies anstössig wirkt.

Als ich mich im letzten Dorfe von dem stets wiederkehrenden Kaffeehock freigemacht habe, beginnt wieder der Kampf um das Höherkommen, denn meiner Leute Auffassung über die Lage des Nachtquartiers und die meinige gehen begreiflich auseinander. Es gelingt mir, noch bis 2900 m vorzustossen, wo ich das Zelt errichte, während Mann und Ross wieder zu den Menschen hinabsteigen. Es folgt eine unruhige Nacht, denn wieder einmal ist es Wind und Regenwetter, die an meiner luftigen Behausung so sehr rütteln, dass ich ständig wieder die Pflöcke neu zu befestigen habe.

Am Zeltplatz steht nun die Hochpartie des Kaçkar Da, der sich noch bis zu einer Kulmination von 3937 m erheben soll, vor mir, ich weiss aber nicht, welche der zahlreichen Spitzen sich für eine Ersteigung lohnt. Es ist eine Reihe von Zacken von finsterer, schwarzgrüner Grundfarbe, die einem mehrere hundert Meter mächtigen Andesit zukommt Er gehört wahrscheinlich der oberen Kreideformation an und ist als kompakte Decke - also hier keine Vulkanaufschichtung - der Unterlage in wenig geneigter Lage aufgesetzt. Diese letztere hat kontinuierlichen Zusammenhang mit den schon im Barhaltale durchwanderten granitischen Massengesteinen, die ihrerseits nicht etwa ein altes Massiv à la Aarmassiv darstellen, sondern einer plutonischen Massenintrusion von kretazi-schem Alter, wie sie in den pontischen Ketten wiederkehren, zugehören. Aus diesen Bergen strömte in der Glazialzeit ein grosser Eisstrom ab, also ganz andere Verhältnisse als am Ararat,wo es selbst mir nicht gelang, neben, beziehungsweise unter den rezenten Moränen, jene der Glazialzeit festzulegen. Der schon im Diluvium vorhandene und zu den heutigen Verhältnissen analoge Zustand, nämlich das Bestehen eines viel grösseren Niederschlagsvolumens im Norden, ist die gegebene Ursachenerklärung. Noch über die passierten Hochdörfer, bis über 1700 m hinab, ist das Gelände mit den diluvialen Moränenresten überkleistert. Entsprechend dieser Vorgeschichte zeigen denn auch die Andésite der Kackarhöhen allüberall prächtige Rundhöckerformen.

Ein regnerischer trüber Morgen, der später erst etwas besser wurde, war mir für den Anstieg beschieden. An einem grossen Glazialsee ( Kaçkar Gölü, s. Abb. 183 ) vorbei, überraschte in ca. 3700 m das Vorhandensein eines spaltenführenden, vielleicht doch noch 1 km langen Gletschers, der wohl der einzige der Berggruppe auf deren Südostseite ist. Die von türkischer Seite durchgeführte glazialgeologische Erforschung der Nordwestseite des Kaçkarmassivs lässt auf eine heutige Schneegrenze zwischen 3500-3600 m schliessen, während sie auf der von uns angegangenen Seite höher liegen dürfte, ca. 3700 m.

Leider war die Feuchtigkeitsküche der nördlichen Meeresseite während unseres weiteren Anstieges wieder recht produktiv und sandte dicke Wolken- und Nebelschwaden über Berge und Pässe. Alsbald stand ich in dichtem Graupelgeriesel, und alle Berge waren der Sicht entrückt. Allzu schnell quittierte ich bei einem so unfreundlichen Empfang und begnügte mich mit einer Höhe von ca. 3800 m; durch eine neugefundene couloirartige Rinne - sie wurde mir später als das Seytan Bogaz ( Teufelsschlucht ) bezeichnet -, welcher der eben entdeckte Gletscher bei grösserem Stand gefolgt sein musste ( also der « Çeytangletscher » ), wurde das vornächtige Zeltlager wieder erreicht und andern Tags zur letzten Nachtstation in Meretet abgestiegen. Um nun den weiten Bogen des hinauf-gestiegenen Barhaltales nicht « wiederkäuen » zu müssen, wurde tags darauf ein gerader Strich nach den Tiefen des Çoruhtales bei Peterek gezogen. Mit einer Kurvenkarte in der Hand, die spitze Grate und scharfe Täler in ihrer Gugelhopf form der Berge verschwinden lässt, kann man sich beim Abkürzen aber täuschen. Der Tag führte wieder über einen hohen Pass von 3500 m, was den Pferden in den Schutthalden artig Anstrengung kostete und auch Ursache war, dass erst in dunkler Nacht das jenseitige Haupttal erreicht wurde, wo das Unterkunftsuchen in einem rinnsaldurch-zogenen, zerstreuten Dorfe nicht gerade einem frohmütigen Abschluss des Kaçkarunternehmens entsprach.

Noch lagen über 1600 km Weglänge und unendlich viele Bergzüge zwischen dem Austrittstor aus dem Kaçkargehege und dem Eintrittstor von Ankara. Diese lange und vielerorts reizvolle Strecke konnte nicht anders als mit Einschaltung mancher Seitensprünge bewältigt werden; von ihnen sei aber hier nicht mehr die Rede; das « Buch vom Agri Dag und vom Kaçkar Dag » hat schon zur Genüge von hehren Berggestalten erzählt, die ihr Besucher vielleicht dem Leser dieser Blätter nun etwas nähergebracht hat.

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