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Vom Altelsgletscher

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Ernst Jenny 1 ).

Von der 3636 m hohen Spitze der Alteis senkt sich gen Nordwesten ein schöner Gletscher, der weit ins Land hinaus leuchtet. Zwei Lappen links und rechts hängen tiefer herab. Das Ganze ist ein typischer Hängegletscher, aber ohne Wildheit.

Am 11. September 1895 löste sich das untere Mittelstück, etwa 4,500,000 m3 Eis und Schnee, zwischen den jetzigen Lappen, nachdem sich nur kurz vorher ein grosser, bogenförmiger Eisriss gebildet hatte, und stürzte mit ungeheurer, verderblicher Wucht zu Tal, dass viele Leute in Kandersteg an ein Erdbeben glaubten. Diese Gletscherlawine, von nur wenigen Steinen begleitet, verschüttete die Alp Winteregg und die Spitalmatte sowie den Gemmiweg, tötete 6 Menschen, 158 Stück Rindvieh, 9 Schweine, 1 Maultier und 1 Hund. Und verwüstete durch Windwurf gegen 10 Hektaren des schönen Arven- und Lärchenwaldes im südwestlichen Teile der Spitalmatte. Die mittlere Geschwindigkeit der Lawine in der Sturzbahn betrug 50 Sekundenmeter, die Länge der Sturzbahn etwa 3200 m, mithin dauerte der Sturz rund 1 Minute. Einzelne Tiere wurden vom Luftdruck bis 350 m hoch gehoben und bis 1000 m weit geworfen, « wie die Herbstblätter im Sturm », sagt Albert Heim. Das von der Lawine betroffene Gebiet umfasste im Grundriss über 3,5 km2.

Die historische Forschung ergab, dass am 17. oder 18. August 1782 schon von der Alteis eine riesige Gletscherlawine niedergefahren war und arg gehaust hatte. Aus der Vergleichung der beiden auffallend ähnlichen Vorgänge geht nach Heim hervor, « dass es sich hier um die Wiederholung einer nach ihren Bedingungen wohl periodischen Erscheinung handelt ».

Dem Sturz von 1895 ist nach der Ansicht von F. A. Forel und Albert Heim kein ungewöhnliches Wachstum des Alteisgletschers vorangegangen. Auch Wasseransammlung als Ursache konnte nicht festgestellt werden. Blieb noch übrig der Einfluss des Klimas. Die Sommer der vier Jahre vorher waren vorwiegend warm und gering an Niederschlägen gewesen, und vom 26. August bis 11. September 1895 hatte der Föhn geblasen und die obern Luftschichten ausserordentlich erwärmt und getrocknet 1 ). Also liess sich vermuten, im Klima liege die Ursache. Heim fragte sich: « Wie kommt es, dass der Altelsgletscher sich in gewöhnlichen Jahren hält, in ganz heissen aber abreisst? Warum geschieht das gleiche nicht auch bei andern Gletschern? » Da der Altelsgletscher sehr hoch liegt und auf einer sehr steilen, 30 bis 32° geneigten, flachen Schicht von Hochgebirgskalk ohne Gletscherschliffspuren ruht, so kann sich das Eis nur halten, wenn es am rauhen Grunde festgefroren ist. Und da lösendes Schmelzwasser zwischen Eis und Fels in der Höhe von 3300 m nicht ernstlich in Frage kommt, so vollzieht sich die vorrückende Bewegung dieses Hängegletschers durch innere Verschiebungen. Die Unterlage bleibt festgeklebt, sagt Heim, die obern Teile krümmen sich und bauchen sich talwärts.

Nun war durch die Föhnperiode 1895 und die Sonnenglut die Temperatur des Gesteins um 1/2 bis 1° gestiegen, so dass Heim diese Erwärmung des Gesteins, wodurch das Eis losfror am Untergrunde, als die Erzeugerin des Gletschersturzes betrachtete. Solches Losfrieren kann natürlich anderswo auch geschehen, aber dort haben die Gletscher keine steile, glatte und nach unten offene Unterlage wie die Firnhaube der Alteis.

Eine Abrisskluft ist vor der Katastrophe 1895 nicht beobachtet worden. Wohl sah man seit Jahren zwei Bergschründe, aber die Abrisskluft lief nur auf einem ganz kurzen Stück in diese Schründe über und griff zum grössten Teil in weitem Bogen über die zwei Bergschründe hinauf. Die Trennung musste somit ziemlich plötzlich erfolgt sein.

Seit 1895 regeneriert sich der Altelsgletscher wieder. Stellt sich also die wichtige Frage ein: Wird er in absehbarer Zeit eine neue, grosse Eislawine entsenden? Und was kann der Mensch tun, um ein neues Unglück zu verhüten? Die Lawine selbst kann er nicht abwehren, dazu sind menschliche Kraft und Klugheit viel zu schwach. Schon damals äusserte Forel die kühne Idee, durch künstliche Absprengung des Eises oder durch Einsprengung einer kleinen Steilwand den vorwachsenden Gletscher zur Abstückelung zu zwingen. Heim lehnte diesen Gedanken ab, sowohl der in keinem Verhältnis zum Schaden stehenden Kosten wegen als auch um der ungünstigen Bodengestaltung willen, ganz abgesehen davon, dass ein Gletscher in solcher Höhe nicht nur durch Schub, sondern auch durch direkte Schneeauflagen wächst und dadurch eine künstliche Brechwand bald illusorisch machen, d.h. über sie hinabwachsen würde.

Nur durch genaue, fortgesetzte Beobachtungen, photographische Aufnahmen, Messungen des Wachstums, der Temperatur der Luft und des Gesteins ist es möglich, einem neuen Unglück vorzubeugen, indem bei drohender Abbruchgefahr die Alpen Winteregg und Spitalmatte rechtzeitig geräumt und der Gemmiweg gesperrt würden. Dieser Gedanke wurde damals schon erwogen.

Nun hat sich im Sommer 1927 ein neuer Riss im Altelsgletscher gebildet, welcher vom Bergführer Hans Künzi in Kandersteg vom Tschingellochtighorn am 29. August durchs Fernglas zuerst beobachtet wurde. Dieser Riss liegt nahe am Westgrate der Alteis, und weiter unten ist ein kräftiger Eiswulst zu sehen ( sieht; Bilder ). Drei Tage später waren Riss und Wulst grösser. Künzi benachrichtigte sofort den Gemeindevorsteher von Leukerbad, denn die Alpen Winteregg und Spitalmatte gehören Walliser Bergbauern. Und bald meldeten Zeitungen des In- und Auslandes, es drohe eine neue Katastrophe wie anno 1895, und der turistische Verkehr über die Gemmi sei gefährdet. Die Regierung des Wallis gab der zu Bern Kenntnis und ersuchte um rasche Prüfung der Lage durch eine Kommission von Fachleuten. Dies geschah.

R. Walther, Oberingenieur des Kreises I in Thun, stieg in Begleitung von fünf Männern am 11. Oktober 1927 auf den Westgrat der Alteis bis zur Höhe von etwa 3300 m, ging von hier aus das abzweigende Felsgrätlein ( Nordwest ) ein Stück hinab, bis man aus nächster Nähe die Abrissstelle genau betrachten konnte. Das Wetter war schön und klar. Man machte Aufnahmen ( siehe Bild ) und Schätzungen.

In der Tat hatte sich ein Teil des obern Gletschers in breiter Kluft abgetrennt, aber nicht mitten im Scheitelgletscher wie einst, sondern auf der Westseite gegen das erwähnte Grätchen hin. Man stellte fest: Die abgelöste Eismasse stützt sich mit ihrem etwa 150 m tiefer liegenden Fuss auf den schon 1895 stehengebliebenen Seitenlappen links. Der Druck verhinderte auf dieser Seite einen Bruch und bedingte eine leicht drehende Bewegung des losgelösten Eises in der Richtung auf den untern Seitenlappen, dessen Eis von der Unterlage nicht abgleiten kann, weil diese zu wenig steil ist. Es handelt sich also um einen Überschuh, der bald zum Stehen kam, wie dann im Jahre 1928 klar festgestellt werden konnte.

Der abgetrennte Gletscherteil hat eine grösste Breite von 180 m ( 1895 mass der Abrissbogen 580 m ) und eine Grundfläche von etwa 25,000 m2. Rechnet man mit einer mittleren Gletscherdicke von 18 m, so ergibt sich für das losgelöste Stück ein Inhalt von 450,000 m3 ( 1895 war die Masse zehnmal grösser ). Der Scheitel des Abrisses liegt bei 3200 m, also 100 m tiefer unten als damals. Der jetzige Riss hat nicht die Bogenform, sondern ist winklig. Die grösste Höhe der Abrisswand misst etwa 10 m. In den grossen Schründen unterhalb des westlichen Abrissschenkels konnten Walther und seine Begleiter etwa 20 m tief sehen, ohne den Grund zu erblicken, also ist der Gletscher hier wesentlich dicker als oben. Die grösste Breite des Schrundes beim Scheitel betrug am 11. Oktober 1927 etwa 20 m. Der Wulst am Ende der Rutschung hatte eine Höhe von etwa 8 m und bröckelte.

Der Seitenlappen neben dem Beobachtungsgrätchen hat also glücklicherweise eine zu wenig steile Felsunterlage, dass er abgleiten könnte. Die Hauptmasse des losgelösten Eises hat sich deutlich auf seinen Rücken geschoben und rutscht nun nicht schneller als sein Träger, welcher eine normale Bewegung von 25 bis 35 m im Jahre hat. Mithin ist es nicht wahrscheinlich, dass hier eine grosse Lawine entstehen könnte.Viel wahrscheinlicher ist es, dass nur kleinere Teile der Schubmasse nach rechts überborden. Diese werden im Sturze zerbersten, ohne aber die Spitalmatte und den Gemmiweg erreichen zu können. Was der Seitengletscher selbst abstösst an Eis, ist nur ein normaler Vorgang, wie man ihn bei allen vorstossenden Hängegletschern beobachten kann. Dies geht aus dem Berichte R. Walthers und aus dem Gutachten Albert Heims hervor.

Die Ursache des Abschubes 1927 war wohl dieselbe wie die des Absturzes von 1895, nämlich erhöhte Erwärmung des Felsbodens im Laufe des föhnigen Sommers 1927. Da nun der Sommer 1928 aussergewöhnlich heiss und trocken gewesen ist und dennoch keine neue Ablösung stattgefunden hat und auch keine mehr als normale Gletscherbewegung zu beobachten war, wohl aber ein Abschmelzen des Wulstes, so darf man auch aus diesem Grunde den Schluss auf stark verminderte Absturzmöglichkeit ziehen. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass der Haupt- oder Scheitelgletscher der Alteis nie mehr bösartig werden könne. Sobald er einmal stark vorgewachsen sein wird, kann später wieder eine neue Gletscherlawine entstehen. Das Beruhigende für die Gegenwart liegt nochmals darin, dass der Seitengletscher mit dem Aufschub 1927 sich nicht unruhiger verhaltet als andere Gletscher unter ähnlichen Bedingungen. Auch die eidgenössische Gletscherkommission hält in ihrem Bericht vom 8. September 1928 dafür, dass die Bewegungsverhältnisse im Rutschgebiete heute keine bedrohlichen seien.

Das beste, was man für alle Fälle tun konnte, war die Einsetzung einer Kontrollkommission, welche nach genau festgelegter Instruktion die Vorgänge im Altelsgletscher scharf zu beobachten hat. Von Mitte Juli bis Anfang Oktober jedes Jahres werden alle 14 Tage, bei anhaltend heissem Wetter noch öfter, Beobachtungen mit Hilfe von Fixpunkten und der Photographie vorgenommen. Diese Arbeit besorgt Oberingenieur Walther in Thun, dem ein Vertreter des Wallis, zwei Bergführer und ein Photograph in Kandersteg als Mithelfer verpflichtet sind. Sollte wider Erwarten dennoch eine wesentliche Veränderung der Abbruchstelle erfolgen, so würde die Baudirektion des Kantons Bern als Sicherheitsmassnahme die Sperre des Gemmiweges und die Räumung der Alpen Winteregg und Spitalmatte verfügen.

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