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Vom Rheinfall

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Albert Heim.

Verstandene Schönheit beglückt unsere Herzen mehr als ein unverstan-dener Gewaltakt der Natur, und sie erhebt uns zur wahrhaftigen Hochachtung der Schöpfung.

In weiter Ausdehnung hat der Rheinstrom seine grossen Bogen als scharfe Rinnen tief ins Land eingeschnitten. Die Bodenbreite der Rinne beträgt 100 bis 150 m und ist ganz vom Flusse eingenommen. Beiderseits steigen die bewaldeten, oft felsigen Gehänge steil an, oberhalb des Rheinfalles auf etwa 30 m, unterhalb auf bis 60 m über den Fluss. Der Rheinfall ist eine Steilstufe in der langen Schlucht. Er stürzt zwischen den hohen Felsterrassen vom Schloss Laufen und den gegenüberliegenden Fabriken von Neuhausen heraus, mit Richtung gegen West. Der Rheinfall besteht im oberen Teil aus einer Stromschnelle von etwa 1/2 Kilometer Länge mit 6 m Gefälle, die auf flach liegenden Kalksteinschichten eine Art Stromtreppe ist. Dann stürzt er in schäumender Wucht 12 bis 14 m, zum Teil in freiem Sprunge, in den grossen Fusskessel ab. Seine Wassermasse schwankt nach Witterung und Jahreszeit zwischen 100 und 1000 m3 per Sekunde. Der mittlere Jahresabfluss beträgt meistens zwischen 300 und 400 Kubikmeter in der Sekunde. Der Rheinfall ist keineswegs der höchste, aber weitaus der gewaltigste Wasserfall Europas.

Der Absturz ist nicht einfach. Mitten im Sturzwege aufragende, kühn gestaltete Kalkfelszähne gliedern den Sturz in drei Hauptteile, von N nach S: Mühlefall, Schaffhauserfall, Zürcherfall. Der erstgenannte ist der kleinste, der letzte der mächtigste. Der Anblick ist überwältigend. Lange schauen wir staunend zu. Jeder Wasserweg hat seine Besonderheiten, und an jeder Stelle ändert sich das Bild mit der Wassermenge. Im nördlichen Teil des Beckens unter dem Fall bewegt sich das Wasser meistens in einem Kreise, der Zürcherfall aber setzt sich unmittelbar fort in den Beckenabfluss. Allmählich hat sich das weiss schäumende Wasser beruhigt und fliesst nun als herrlicher, tiefblaugrüner Strom zwischen den steilen bewaldeten Abhängen nach Süden. Sein Wasser ist fast immer ganz klar. Es kommt ja in der Hauptmasse aus einem grossen Klärbecken, dem Bodensee. In der Stromschnelle oben fliesst das Wasser in einzelnen engen Rinnen; es zieht sich bei Niederwasser in dieselben zurück, so dass die zwischenliegenden Felsflächen teilweise trocken liegen. In diesen Felsböden sind gegen 200 runde, tiefe Strudellöcher wie senkrecht eingebohrt. Sie haben oft bloss 20 bis 30 cm, oft 1 bis 2 m Durchmesser. In weiter Ausdehnung des Strombodens ist der in der Regel überflutete Fels mit einer etwa 1/2 bis 1 cm dicken Kruste aus verfilzten lebenden Algen überwachsen. Einzig im Grunde der Strudellöcher liegen einige Handvoll Kies und Sand, und dort fehlt auch der Algenpelz.

Vor unsern Augen stürzt der Strom mit ungeheurer Wucht ab — Sekunde um Sekunde, Tag und Nacht, Jahr um Jahr — schon seit Jahrtausenden!

Hoch in die Luft hinauf schiesst der weisse Schaum und wirft Regenbogen in die Sonnenstrahlen. Das Wasser strebt zum Meere! Dort wird es in warmen Zonen wieder als unsichtbarer Wasserdampf in die Luft hinaufgehoben und wandert mit den Winden. In kühleren Zonen der Erde, und besonders an Gebirgen, bildet es Wolken, Regen und Schnee. Gesammelt zum Bach und Fluss und Strom fliesst es wiederum zurück ins Meer. Ungeheuer lang, mannigfaltig und abenteuerlich mag die Reise eines einzelnen der vor unsern Augen spritzenden Tropfen sein, bis er wieder einem Strome angehört. Es ist ein kleines Stück des gewaltigen Kreislaufes des Wassers, was vor unserem Auge sich abspielt, stetig arbeitend an der Umgestaltung der Erdoberfläche. Das gewaltige Werk steht nie still.

Der Wasserfall ist ein besonders gestalteter Sprung im langen Flusswege. Es gibt wohl keine zwei Wasserfälle auf der Erde, die in allem ganz gleich wären. Jeder hat seine Eigentümlichkeiten, sein besonderes Gesicht. Kein Wasserfall ist plötzlich als solcher entstanden oder geschaffen worden. Jeder hat seine lange Entstehungsgeschichte. Der eine kann noch einer langen Zukunft entgegensehen, der andere baut sich ab, seinem Verschwinden entgegen. Der Wasserfall gräbt sein Bett immer tiefer. Die Geschiebe schleifen es aus. Damit rückt er talaufwärts. Alle Stromschnellen und Wasserfälle wandern rückwärts — ungleich schnell, je nach der Geschiebeführung, dem Gestein des Bettes, den Wassermassen und deren Schwankungen. Es gibt Wasserfälle, die kaum 1 mm im Jahr rückwärts greifen, häufiger 1 bis 3 cm, aber auch viel mehr. Der Niagara wandert 1 bis 2 m per Jahr flussaufwärts. Unser Rheinfall steht jetzt, trotz einer belebten Entstehungsgeschichte, unter den unveränderlichsten. Dies aus drei Gründen: 1. Fast geschiebe-freies, reines Wasser, 2. die Felsoberfläche durch einen lederartigen zähen Algenmantel geschützt, 3. oberhalb des Fallfusses viel festeres Gestein als unterhalb.

Warum ist der Rheinfall gerade an dieser Stelle entstanden? Die geologische Untersuchung kann den ganzen Vorgang in seinen Einzelheiten nachweisen. In stärkster Abkürzung lautet die Antwort:

In langer Vergangenheit wechselte mehrmals Überflutung alpinen Gletschereises mit eisfreien Zeiten. Die Eiszeiten brachten mächtige Aufschüttungen mit Moränen und Kiesen, die Zwischeneiszeiten dagegen Ausspülung, Talbildung. Dazu kamen noch Wechsel von Erhebung mit Einsenkung des Felsgrundes. Am Schlusse der beiden letzten Vergletscherungen schlängelte sich der Rhein auf der Aufschüttungsfläche ( ca. 445 m ü. Meer ) zwischen der Stelle des Badischen Bahnhofes und Uhwiesen, 127 m über dem voreiszeitlichen Felsbette. Er bog sich da oben aus bis etwa 600 m südlich des Schulhauses Neuhausen, das jetzt 95 m über dem eingedeckten alten Flussbette liegt. Dann begann eine Zeit neuer Austiefung des Rheinlaufes. Der Fluss vertiefte sich senkrecht ohne Verschiebung seiner Bögen. Aber auf diesem Lauf-stück fand der Rhein seine alte Felsschlucht nicht wieder! Er geriet unter seinem Bogen auf dem ganzen Stück von der Flurlingerbrücke bis Rheinfall-becken auf den Jurakalkfels. Er hat sich hier in den Felsen eingebettet. Das ging langsamer als die Ausspülung der viel weniger festen Schuttmassen, welche die alte Felsschlucht unterhalb des Rheinfalles füllen. Hier ist die Eintiefung 20 m tiefer als das Bogenfelsbett geworden. Der Rheinfall musste da entstehen, wo der in Fels geratene Rhein seine alte Felsschlucht wieder traf. Als freute er sich dessen, stürzt er in gewaltigem Satz über die ursprüngliche linke Schluchtwand 20 m hoch hinunter. Der Rheinfall ist wie ein Fest dieses Wiederfindens.

Aber auch im alten Rheinlauf ist der Felsgrund in seiner alten Tiefe noch nicht erreicht. Das ist gut! Denn nun sammelt die Tiefrinne, filtriert durch Kies und Sand, die einsickernden Wasser zum prachtvollen Quellen-lauf. Neuhausens Wasserversorgung bezieht ihr Wasser aus Stollen und Schema der Gliederung des Rheinfalles aus W gesehen.

M = Mühlefall, S = Schaffhauserfall, F = Felszähne, Z = Zürcherfall, N—P = Nördlicher, S—P = Südlicher Pfosten des Rheinfalltores.

Schacht unter der nördlichen Rückwand des Fallbeckens aus der kieserfüllten Tiefrinne.

Der Rheinfall ist durch eine lange Geschichte entstanden. Als vor 10,000 bis 20,000 Jahren die Renntierjäger im Kesslerloch wohnten, floss der Rhein, noch ohne Fall, in der Höhe von Neuhausen. Viel später erst, vor etwa 5000 Jahren, hörten die Pfahlbauer unserer Seen die zunehmende, kräftige Musik des Wasserfalles. Zur Römerzeit war er schon fast gleich wie jetzt. Im Mittelalter bauten die herrschenden Menschen ein Schloss auf dem Laufen-felsen. Fischerdörfer siedelten sich auf Terrassen unterhalb des Falles ( Noi ), Bauerndörfer ( Flurlingen, Uhwiesen, Dachsen ) auf den hohen Terrassen südlich und östlich des eingeschnittenen Flusses an. Im Jahre 1693 setzte die Industrie ihren ersten Fuss fest, indem der « Eisenhammer am Rheinfall » mit Ausnützung von Rheinfallwasser errichtet wurde. Die Erze in der Umgebung, aus denen das Eisen gewonnen wurde, sind jetzt erschöpft, aber andere Industrien haben sich angesiedelt, um des Rheinfalles Kraft zu benützen.

Wer bewahrt seine Schönheit und Grösse vor dem Untergang?

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