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Von der Mädelegabel zum Hochvogel

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Hermann Kornacher, München

Die Allgäuer Berge sind für ausgedehnte Höhenwanderungen hervorragend geeignet, gehören sie doch - neben den benachbarten Lech-talern — zu den durch zahlreiche Hütten und ein dichtes Wegnetz am besten erschlossenen Gebieten der ganzen Alpen. Grossartige Weganlagen verbinden die einzelnen Unterkunftshütten miteinander, führen über kilometerlange Gipfelgrate und Bergkämme. Der Heilbronner Weg zwischen der Rappenseehütte und der Kemptner Hütte am Mädelejoch ist von ihnen vielleicht der bekannteste.

Aber es muss ja nicht unbedingt dieser vielbegangene Höhenweg sein; wir haben jederzeit die Möglichkeit, an das Herzstück des Allgäuer Hauptkamms, den Heilbronner Weg, grosse Stücke anzusetzen, sei es in westlicher und nordwestlicher Richtung in die sogenannten Schafalpen ( Mindelheimer Hütte ), sei es in östlicher und nordöstlicher Richtung in das Gebiet der Hornbachkette und hinüber bis zum Hochvogel.

Es muss auch nicht immer die 2652 Meter hohe Mädelegabel den Auftakt zu einer Bergwanderwoche in diesem Bereich abgeben. Warum nicht einmal der jenseits der Landesgrenze gelegene Grosse Krottenkopf, der mit seinen 2657 Metern ja auch der höchste Gipfel der Allgäuer Alpen ist? Die Fernsicht ist womöglich noch gewaltiger, noch umfassender als von der mehr nach Norden vorgeschobenen Mädelegabel. Im übrigen ist die Besteigung des eigentlich schon im « Ausland » liegenden Krot-tenkopfes ohne langwierige Grenzformalitäten möglich, vorausgesetzt, man steigt nicht ins tirolische Lechtal ab.

Ausgangspunkt für die Fortsetzung der Höhenwanderung nach Osten oder Nordosten ist die Kemptner Hütte ( 1846 m ) unterhalb des Mädelejochs. Man könnte hier eine ganze Woche verbringen, um erst allen Bergen der näheren Umgebung aufs Haupt zu steigen: dem Kratzer und dem Muttierkopf, der öfnerspitze und ihrer Nachbarin, der Krottenspitze, oder der Hornbachspitze und dem südlich des Krot-tenkopfs auf seine seltenen Bergsteiger wartenden Ramstallkopf mit seinen im Kammverlauf nach Süden sich anschliessenden Trabanten.

Am empfehlenswertesten aber ist doch, vor allem für den Bergwanderer und Jochbummler, die Fortsetzung der mit dem Heilbronner Weg begonnenen Wanderung über den Allgäuer Hauptkamm nach Nordosten, also in Richtung Hochvogel. Zwar fehlt diesem Wegstück hinüber zum Luitpoldhaus die grossartige Felsszenerie des Heilbronner Weges; es hat auch nicht so kühne Steiganlagen aufzuweisen, es gibt hier keine Eisenleitern und in den Fels gesprengte Stufen. Wer aber dazu gestimmt ist, den mag das beschaulichere Wandern über grasbewachsene, gleichwohl nach links und rechts steil abfallende Berggrate, vorbei an verträumten Bergseen und blumenübersäten Matten, schön dünken, schöner vielleicht als das stets Vorsicht erheischende Auf und Ab im unwirtlichen unfruchtbaren Fels.

Der vorgeschlagene Weg lässt sich ohne weiteres an einem Tag zurücklegen. Aber wer seinen kostbaren Bergurlaub geniessen will, der lässt sich Zeit. Die Wildenfeldalpe unter den starren Nordwänden des Grossen Wilden ist, auf halbem Weg zum Luitpoldhaus gelegen, gerade der richtige Stützpunkt für Bergwanderer, die es nicht so eilig haben, die sich ihren Tagesplan einmal nicht von der Uhr diktieren lassen.

Es empfiehlt sich aber trotzdem, so früh als möglich von der Kemptner Hütte aufzubrechen, schon weil man dann die kühlen Morgenstunden besser ausnützen kann. Über die Nachtböden führt der gutmarkierte Weg, unter den Türmen des Krottenspitzgrates entlang, hinauf zum Fürschiesser mit seiner von Schaftritten teilweise völlig zerstörten Grasnarbe. Steil geht es hinunter ins Kar, flacher dann hinüber ins Marzie und hinauf zum schmalen Gratrücken des Kreuzecks, dem mit 2375 Meter höchsten Grasberg des Allgäus. Es ist ein herrliches Steigen und Gehen dort: immer auf schmaler Schneide, oft durch kniehohes Gras, aus dem einem die grauen, zerzausten Haar-köpfe der Wilden Männle zunicken; zur Rechten und zur Linken tiefe Täler, darüber andere Gipfel, andere Höhenzüge.

Vor der nächsten Erhebung, dem Rauheck, geht es leicht hinunter und drüben ohne viel Steigung wieder hinauf. Doch dann biegt der Weg nach Westen ab, und steil müssen wir hinunter zum Eissee. An seinem Ufer - zum Baden dürfte er denn doch zu kalt sein - kann man wunderschön träumen und dem fernen Kuhglockengebimmel zuhören. Gleich gegenüber steht die Höfats, der viergipflige Edelweissberg. Wer Lust hat, der kann ja schnell zum Älpele-sattel hinunterspringen und auf dem ausgetretenen Steig zum Südostgipfel hinaufsteigen ( eine Stunde ). Schwindelfrei muss er da freilich schon sein und trittsicher.

Der Jochbummler aber wandert weiter nach Norden, quert unter den beiden Höllhörnern und den Südabstürzen des Kleinen Wilden durch, um in der kleinen Wildenfeldalpe noch ein Plätzchen unterm Dach für die nächste Nacht zu ergattern. Den Sonnenuntergang dort droben wird er so schnell nicht vergessen und vielleicht auch nicht die in nächster Nähe der Hütte sich tummelnden Murmeltiere. Mag sein, dass er ihretwegen sogar einen Tag länger hier bleibt! Vielleicht auch, um dem Schneck überm Himmelecksattel einen Besuch abzustatten? In einer Stunde kann man schon droben sein. Freilich, an einer etwas kitzligen Gratstelle - man nimmt sie am besten im Reitsitz - heisst es achtgeben.

Dann aber kommen wir doch endlich zum andern Endpunkt unserer Höhenwanderung, zum 1847 Meter hoch gelegenen Prinz-Luit-pold-Haus: Unter den Nordwänden des Vorderen Wilden durch führt der Weg zum Nordwestfuss des Wiedemer mit seinen merkwürdigen Schichtverwerfungen. Da steht auch schon die Hütte, eine der geräumigsten und besteingerichteten in den Allgäuer Bergen. Dass dann natürlich von hier aus der Hausberg, der 2593 Meter hohe Hochvogel, nicht unbestiegen bleiben darf, ist klar. Man hat ihn als den schönsten Berg des Allgäus bezeichnet, und wohl mit Recht, denn er zieht durch seine gleichmässig pyramidenförmige Gestalt mit den beiden kleinen Flügeladjutanten die Blicke von allen Seiten auf sich.

Wer nun mit seinem Urlaub schon am Ende ist, steigt vom Luitpoldhaus wieder zu Tal. Vom Giebelhaus führt ein schmales Strässchen hinaus nach Hinterstein und Hindelang, das durch eine Omnibuslinie mit Sonthofen ( an der Bahnlinie Oberstdorf—Immenstadt—Kempten ) verbunden ist.

Wer aber noch ein paar Tage verweilen kann, dem sei unbedingt die Fortsetzung des Weges in nördlicher Richtung empfohlen. Der « Jubiläumsweg », der an der hochgelegenen Bockkarscharte beginnt und hinüberführt zum Schrecksee und weiter zum Rauhhorn und zum Gaishorn, hat wieder andere Schönheiten zu bieten, neue Ausblicke, neues Bergwanderglück. In einem Tag ist er gut zu schaffen, sei es, dass man dann endgültig ins Hintersteiner Tal absteigt, sei es. dass man in der Willersalpe ( t 425 m ) ein weiteres Mal übernachtet, um anderntags auf dem Weg nach Oberjoch und Hindelang auch noch Ponten, Bschiesser und Iseler « mitzunehmen ».

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