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Wiwannihorn-Augstkummenhorn

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Mit 2 Bildern ( 90, 91Von Willy van Laer

( Burgdorf ) Der gehaltvolle Aufsatz Winterbergers « Kleine Wanderungen im Reservat Bietschhorn » in « Die Alpen » ( 1947 ) hatte mich längst verlockt, die Südhalde des Lötschbergs etwas näher kennenzulernen.

Im Weinmonat 1950 bot sich mir die Möglichkeit einiger später Wandertage. Mit Frau und jüngerm Sohn bezog ich in Ausserberg Quartier.

Am ersten Tag besuchten wir über das Sommerdorf Leiggern den « Bizziturru », eine entzückende Weidmulde auf bewaldetem Felsrücken mit prachtvoller Sicht nach Süden auf Mischabel- und Fletschhornketten; etwas weiter nördlich öffnet sich der Blick ins Bietschtal mit dem wilden Kessel des Rämi und, darüber sich aufbauend, zum gewaltigen Gipfel des Bietschhorns.

Eine zweite Rekognoszierung führte uns, wieder durch harzduftenden Föhrenwald, nach der östlichen Maiensäss Ranft und über Grien Läger bis auf den Buckel « Rote Kuh » unterhalb des Wiwanni. Hier bot die Felsumrahmung des Baltschiedertales eine neue Gipfelschau.

Den nächsten Tag widmeten wir einer geniesserischen Wanderung von Eggerberg nach Finnen bis zur Alp Kastler und hinunter über Mund-Birgisch nach Brig, mit immer neuen herrlichen Blicken ins Gredetschi und auf die Walliser Alpen.

Am vierten Tag stiegen wir von Hohtenn zur Höhe, streiften beglückt durch die Naturschönheiten des Ijollitales, um dann über die Alpen Tatz und Laden den Rückweg zu nehmen.

Nun fühlten wir « Männer », der Fünfzehnjährige und ich, uns genügend eingelaufen, um zur Dreitausendergrenze vorzustossen.

In Ausserberg an der Lötschbergrampe gibt es einen Jeep. Sein geschäfts-tüchtiger Besitzer versorgt auf guten Waldwegen die zwei Sommerdörfchen Leiggern und Ranft, die 600 Meter höher liegen, auf der Sonnenlaube zwischen Bietsch- und Baltschiedertal. Mit seinem wendigen Vehikel erspart er seinen Mitbürgern manchen Schweisstropfen, besonders den Frauen.

Früh um halb 6 Uhr des 7. Oktobers soll der Jeep meinen Sprössling und mich beim Restaurant Bahnhof abholen. Wolkenlos beginnt der Himmel zu blauen. Unsere Ungeduld wächst, als wir vergebens auf das Motorengeräusch lauschen. Bei der Garage oberhalb des Dorfes nimmt er uns endlich in Empfang; ein Zündungsdefekt verursachte die halbstündige Verspätung.

Aber nun geht 's im Schuss durch den Kiefernwald empor, um die engen Kurven, und noch vor halb 7 haben wir Ranft erreicht ( 1588 m ). Verlassen liegt das Alpdorf in der Waldlichtung, die winzige Kapelle wie immer auf dem Ehrenplatz, eine kleinen Kuppe. Schade, dass auch hier einige Blechdächer das sonst reizende Bild verunstalten!

Voll Tatendrang beginnen wir sogleich stramm zu steigen. Durch lichten Lärchenwald, der zu gilben anfängt, führt ein Pfad steil empor. Auf einem fast ebenen Weidlein an der Waldgrenze, dem Mäderboden, schauen wir ins Baltschiedertal und jenseits auf die zerfurchten Steinwände der Gersten-und Schilthörner.

Nun halten wir nordwärts und streben ohne Wegspur, zuerst durch Weide, die von Preisselbeerstauden überwuchert ist, dann steiler durch eine schwach ausgeprägte Mulde, in der das Grün sich mehr und mehr in einem Steinbett verliert, der Höhe des Ranftgrates zu. Wir erreichen sie in der Nähe des Grienseeleins, das zu einem Tümpel von wenigen Metern Durchmesser ausgetrocknet ist.

Den gegebenen Weiterweg bildet von hier aus eine zerfallene Wasserfuhre, ein Gräblein, das um die westliche Böschung der « Roten Kuh » herum ( ein mit einem rötlichen Felsblock gekrönter Hügel ) zum Schuttkar des Wiwanni hinaufleitet.

Hier gönnen wir uns, nach zweieinhalb Stunden raschen Steigens, eine erste Rast, denn der Oktobertag ist kurz. Der wilde Felszirkus erinnert an das Ochsental der Engelhörner; doch ist hier mehr Weite, mehr Sonne. Im Norden trägt eine gebuckelte Felsbastion eine mässig geneigte Schuttrampe, die zu den drei Gipfeln des Wiwannihornes hinaufführt. Von der westlichen Zinne schwingt sich in schönem Bogen, zackengekrönt, der Südgrat bis zur tiefsten Stelle, der Wiwannilücke, dann wieder aufwärts, nunmehr als Nordgrat des Augstkummenhorns, bis zu dessen durch eine tiefe Kerbe getrenntem Doppelgipfel. Vergeblich spähen wir nach dem Adler, den wir vor zwei Tagen vom « Bizziturru » aus seine majestätischen Kreise ziehen sahen.

Die vom Erstersteiger Fellenberg beschriebene Route, von der Mündung einer Bachrinne ausgehend ( wo heute kein Tropfen Wasser mehr fliesst ), ist leicht zu finden. Nach Anlegen des Seils beginnen wir die frohe Kletterei über die sonnenwarmen, griffigen Platten und Höcker des Felsriegels. Nach einer halben Stunde stehen wir schon oben, am Rande der Geröllrampe. Früher wurde sie als Firnfeld beschrieben, heute fehlt ihr jeglicher Schneerest. Nach einigen Minuten Turnens über Blöcke stehen wir wenig nach 11 Uhr beim Gipfelkreuz des Wiwannihorns ( 3000 m, Westgipfel ).

Überwältigend bietet sich dem Blick über einem Wirrsal zerrissener Grate und zerhackter Gipfel die Felsbastion des Bietschhorns dar; lieblicher ist die Schau südwärts zu den im Mittagsglast flimmernden Firnen der Walliser Hochgipfel.

Nach ausgiebiger Rast wenden wir uns dem Südgrat zu, der recht abweisend zahlreiche Zacken zum Himmel reckt, dann aber in leichter Kletterei sich als gut begehbar erweist. Beide Flanken fallen steil zur Tiefe, doch der Fels ist solid und griffig, und das Klettern wird zum Genuss. Auf Gesimsen und Bändern über dem westlichen Absturz liegt Neuschnee, der überall frische Gemsspuren zeigt. Eine von übereinandergestürzten Platten gebildete Höhle verrät uns ein Gemsläger. Doch wir bekommen keines der allzu flinken Grattiere zu Gesicht, wohl aber das märchenschöne Bild eines lautlos schwebenden Alpenmauerläufers, das uns entzückt. Mein Bub, erstmals ohne Bergführer mit mir am Seil, erfreut mich durch sein tatenfrohes und hemmungsloses Klettern; für mich ist er das Gemszicklein!

Nach dreiviertel Stunden stehen wir an der tiefsten Senke des Grates. Grasbänder vermitteln durch die jähe, aber hier kaum 50 Meter hohe Ostflanke den Ausstieg ins Wiwanni. Was tun? Walter fühlt sich frisch. Zeit haben wir reichlich. Wetter, Temperatur, Felsbeschaffenheit sind ideal. Paul Montandons verlockende Beschreibung dieses Grates liegt mir im Sinn. Die Gemsfährte geht weiter — also, probieren wir es auch! Kleine Risse in den Platten der Ostflanke, solide Schichtköpfe und bequeme Bänder und Gesimse auf der Westseite erlauben ein fast müheloses Vordringen. Von Zeit zu Zeit sperrt ein Turm den Weg, doch stets finden sich schöne Griffe; ein wackeliger Stein ist eine Seltenheit. Mich beschäftigt immerzu die Frage: Weshalb hat Montandon mit seinen Begleitern nach der Erstbegehung den gleichen Weg zurückverfolgt, statt den ungleich kürzern und leichtem Abstieg nach Süden zu wählen? Und wieso ist im Führer ausser diesem Nordanstieg lediglich die leichte Südroute bis zum Südwestgipfel erwähnt? Was ist dazwischen? Was verbirgt die tiefe Kluft, welche wir vom Wiwanni aus wahrnahmen?

In solche Gedanken versunken, überschreiten wir den höchsten Gipfel des Augstkummenhorns ( 2924 m ), ohne uns dessen gewahr zu werden; wahrscheinlich ist das Steinmännchen zerfallen. Im Abstieg von diesem Nordgipfel gelangen wir zu einem Gratturm, dessen Umgehung in Gratnähe kaum möglich ist, die Erkletterung bedingt aber voraussichtlich nachheriges Abseilen. Das will ich, ohne meinen jungen Begleiter durch ein zweites Seil sichern zu können, nicht riskieren. Sehen wir also zu, ob es auch anders geht.

Wir steigen vorsichtig eine Steilrunse der Westflanke hinab, fast parallel zum Grat. Sie mündet, vielleicht 40 Meter unter uns, in das Couloir, das von der tiefen Scharte ins Bietschtal hinabschiesst. Über ziemlich glatte Platten mit spärlichen Griffen erreichen wir nach einer guten Seillänge eine Stelle, wo wir den untern Teil der Runse einsehen können: er ist senkrecht oder überhängend. Doch links hinauf zeigt sich um eine Ecke ein Ausweg zum Grat zurück, der Gendarm ist umgangen! Bald stellt sich uns eine mehrere Meter breite, sehr steile Platte in den Weg — doch auch hier bietet sich ein leichter Durchschlupf: nach zwei Metern über einen leicht ansteigenden Riss finde ich, den First der Platte übersteigend, jenseits ein breites Band, auf dem wir in die Scharte hinabspazieren können.

Nun bleibt noch das letzte, massige Bollwerk mit dem grossen Steinmann zu bewältigen, das von gegenüber recht morsch aussah. Aber wiederum ist zu unserer Freude das Urgestein so gutgriffig und solid wie bisher, nur liegt mehr Schnee in dieser nach Norden gerichteten Wand. Nach wenigen Seillängen stehen wir beim Signal; es ist inzwischen 15 Uhr geworden. Erst jetzt werden wir gewahr, dass wir bereits den Südwestgipfel ( 2880 m ) betreten haben und ein ganz leichter Abstieg über Schutthänge bis zu den grünen Lägern der Augstkumme völlig überblickt werden kann.

Die Spannung des Ungewissen löst sich. Der Rucksack spendet Speise und Trank, die Augen aber trinken die tausendfältige Schönheit der Runde.

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