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Zu Fuss von Amerika nach Europa

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Wally Herbert, Salisbury ( England ) DIE VORBEREITUNG

Rückblick auf die Britische Transarktis-Expedition ig68jig6g Im Jahr 1960 machte ich mir erstmals Gedanken über die Möglichkeit, den Arktischen Ozean zu überqueren. Es schien mir, dass mit Eskimo-schlitten, die sich auf vielen Forschungsreisen in arktischen Zonen bewährt hatten, mit moderner Radioausrüstung und Luftunterstützung vier Männer und vier Hundemeuten den Weg über den Pol machen sollten. Aber es vergingen noch vier Jahre, ehe ich Zeit fand, mich voll der Planung zu widmen, und vier weitere Jahre verstrichen, bis die Pläne fertig waren und die Expedition beginnen konnte.

Wenn ich auf diese acht Jahre zurückblicke, dann fällt es mir schwer, die Rückschläge und Enttäuschungen zu beschreiben, die ich erlebte, ganz zu schweigen von den Belastungen während der letzten Tage im Januar 1968 vor dem Start von Point Barrow in Alaska.

Mir war es schon lange bewusst, dass uns gleich zu Beginn der Expedition der vielleicht schwierigste Teil bevorstand. Zwischen der Küste von Alaska und dem Polareis lag die gefährlichste Strecke, die uns keinen Moment der Entspannung gewähren würde.

Wir hatten keine Erfahrung im Schlittenfahren auf Treibeis; es war dunkel und kalt, und dazu waren wir noch nicht genügend an dieses rauhe Klima gewöhnt. Natürlich hatten wir im Vorjahr auf Grönland ein hartes Trainingsprogramm absolviert, und drei von uns verfügten zusammen über 40 Jahre Polarerfah-rung.

Aber diese aussergewöhnlichen Verhältnisse mit starken Eisbarrieren, dünnem Eis und spin-nenartigen, schwarzen Bruchlinien waren neu für uns.

DERSTART Am 21. Februar 1968 begann unser Abenteuer. Die Temperatur stieg während der ersten drei Wochen selten über —22° C. Wir quälten uns vom Winter in den Frühling Hunderte von Meilen über trügerische Eisschollen, bis wir endlich gut vorankamen.

Klarer Himmel und Temperaturen zwischen —10 und —2O°'C hielten bis anfangs Mai an; dann wurde das Wetter zusehends schlechter, so dass wir nur acht bis neun Meilen im Tag vorrückten und einen Rückstand von drei Wochen auf die Marsch tabelle hatten.

Dreimal mussten wir den ganzen Expedi- tionszug mit Schlitten und Hunden auf Gummibooten über 30-40 Meter breite Öffnungen setzen, Manöver, die uns jedesmal zehn bis zwölf Stunden Zeit kosteten.

Ende Mai verringerte sich das Tagespensum gar auf sechs Meilen, anfangs Juni machte uns der Schnee zu schaffen, und die Leistung fiel nochmals. Nicht genug: das Treibeis brachte uns um siebzig Meilen vom Kurs ab. Im verzweifelten Kampf, wieder auf die richtige Route zu kommen, verloren wir fast drei Wochen und wateten jeden Tag stundenlang durch Schmelzwassertümpel.

DERSOMMER Am 4. Juli mussten wir haltmachen, denn die Eisschollen waren überschwemmt. Wir errichteten ein Lager und bauten aus Fallschirmen Schutzräume; aus Eisbrocken formten wir Möbelstücke und sassen nach Monaten wieder einmal an einem « Tisch ». Wir freuten uns auch über einen Wechsel in der Speisekarte. Die Tage waren ausgefüllt mit Retablieren und einem reichhaltigen wissenschaftlichen Programm. Wir entdeckten auch einige Seehunde, und das Lager erhielt hin und wieder den Besuch von Vögeln und Eisbären.

Im allgemeinen war es ein sehr angenehmer und ruhiger Sommer. Während wir nordwärts trieben, bildeten sich Schmelzwassertümpel, und rund um uns herum krachten, stiessen und pressten die Eisschollen.

WEITER NORDWÄRTS Wir wollten so früh wie möglich im Herbst aufbrechen; aber die Weiterreise verzögerte sich, bis neue Schneefälle den Eisnadelteppich auf den Schmelzwasserflächen überdeckt hatten. Und dieser weisse Segen vom Polarhimmel kam leider zwei Wochen später als erwartet. Dazu fiel zuwenig Schnee, und die Eisdecke bäumte sich bedrohlich auf. Länger warten durften wir nicht, wenngleich uns bewusst war, dass wir nur langsam vorwärts kommen würden.

Es war unsere Absicht gewesen, nach Nordwesten dem pazifischen Strömungswirbel auszuweichen - einer Meeresströmung, die uns nach Osten getragen hätte - und zu versuchen, uns östlich der Datumslinie und nördlich des 87. Breitengrades abzusetzen, bevor wir das Winterquartier einrichten wollten. Doch wir waren nicht mehr als fünf Meilen vom Sommerlager entfernt, als Allan Gill sich eine Rückenverletzung zuzog.

Nun galt es sofort in ein Gelände zu gelangen, von wo aus der Verletzte per Flugzeug abtransportiert werden konnte. Der beste Platz war das Sommerlager, das wir vor vier Tagen wohlgemut verlassen hatten. Die Frage aber war, wie wir uns dorthin zurückfinden würden, da unsere Spuren von Neuschnee verwischt waren. Schliesslich entdeckten wir dennoch die Eisscholle wieder. Allan wurde in seinem Schlafsack transportiert, den wir auf ein auf-geblasenes Gummiboot legten, welches seinerseits auf einem Schlitten befestigt wurde.

NACHSCHUB AUS DER LUFT Einige Tage später wurden wir durch die Royal Canadian Air Force von der Luft aus mit einer grossen Ladung Nahrungsmittel, Brennstoff, Post und Ausrüstungsgegenständen versorgt, unter denen sich auch Material für eine Hütte befand. Nach einer Woche waren wir für den Winter gerüstet - und Allan Gill machte sich wieder hier und dort zu schaffen, als wäre ihm nichts zugestossen.

Es war etwa um diese Zeit, als ich mich mit dem Expeditionskomitee durch das Radio darüber unterhielt, was mit unserem Photographen zu geschehen habe. In der Presse wurde dieser Vorfall bedauerlicherweise als Meinungsverschiedenheit hochgespielt.

Wir hatten uns für eine Eisscholle entschieden, die einem Flugzeug die beste Landungs- möglichkeit bot. Für eine mit Ski ausgerüstete Maschine sollte die Fläche ausreichen; doch der rettende Vogel hatte nur Räder, und so war an eine Landung nicht zu denken, und auch ein zugefrorener Meeresstrich bildete eine zu kurze Landepiste.

Ich wünschte, Allan könnte bei uns bleiben -und er blieb. Das Komitee in London verlangte zwar seine Heimkehr; aber unser Entscheid wurde schliesslich gutgeheissen, da die Umstände diktierten, was wir zu tun hatten.

Allan wurde vorsichtshalber der ärztlichen Obhut von Dr. Kenneth Hedges anvertraut. Im Frühling war er wieder gut in Form.

Jederzeit mussten wir für eine Bergungsaktion vorbereitet sein, auch während der totalen Winterdunkelheit. Eine beleuchtete Piste konnte nach Bedarf bereitgestellt werden. Fackeln und Sturmlampen befanden sich in unserem Gepäck. Bei normaler Wetterlage und guten Eisverhältnissen wäre eine zweimotorige Maschine bestimmt bis zu uns vorgestossen.

Nach dem ersten Landeversuch verbesserte sich glücklicherweise Allans Gesundheitszustand, und da die Dunkelheit immer intensiver wurde, verzichtete die RCAF auf weitere Versuche, in unserer Nähe zu landen.

DER ARKTISCHE WINTER In der Zwischenzeit hatten wir uns im Winterlager gut eingerichtet und konnten die wissenschaftlichen Arbeiten vorantreiben. Eine Pionierleistung dieser Art verträgt keine Selbstzufriedenheit; Abenteuer und die Suche nach neuem Wissen müssen miteinander verbunden werden, wenn das ganze Unternehmen überhaupt einen Sinn bekommen soll.

Die interessantesten Forschungsgebiete in der Arktis liegen in geophysikalischer Richtung und in der Geologie. Es genügt, eine Überquerung auszuführen, um viele Erkenntnisse zu gewinnen. Es wird wohl mehr als ein Jahr dauern, bis die von uns gesammelten Daten ausgewertet sind. Ich bin überzeugt, dass sich darunter sehr wertvolle Beobachtungen befinden.

Andrerseits hatte uns das Internationale Woll-Sekretariat ( IWS ) ein sehr umfangreiches Programm für Bekleidungsstudien vorbereitet, das von Dr. Ken Hedges geleitet wurde. Wir führten genaue Bekleidungstagebücher, die darlegen, wie wir von der Wolle abhängig waren. Es ging nicht nur darum warm zu haben; die Wollbekleidung erwies sich auch als angenehm und hautfreundlich. Wir konnten Temperaturen ertragen, vor denen uns andere Materialien kaum diesen Schutz geboten hätten.

Mussten wir in aller Eile einen neuen Unterschlupf erstellen, so trugen wir nur Wollfäustlinge ohne einen weiteren Schutz darüber und fühlten uns damit sicher vor Erfrierungen.

Die Wolle atmet und saugt den Schweiss auf, ohne klebrig und nasskalt zu werden; denn es kann auch vorkommen, dass man in der Arktis schwitzt!

Ich trug oft einen leichten Wollpullover mit Polokragen, einen zweiten Pullover darüber und noch eine Windjacke aus Wolfshaut: die ideale Bekleidung für diese nördlichen Breiten! Wir schonten die Wollkleider wirklich nicht, arbeiteten und schliefen darin, und sie bewährten sich hervorragend.

Leider konnte das Vergleichsstudien-Pro-gramm des IWS nicht vollständig durchgeführt werden. Wir hätten uns für einige Tests in ein ungeheiztes Zelt setzen müssen, bis unsere Glieder steif und gefühllos gewesen wären, um Dr. Hedges Gelegenheit zu geben, eine Messung vorzunehmen. Es war aber soweit, dass wir keine Zeit zum Herumsitzen und Nichtstun hatten.

Bevor wir von Point Barrow aufgebrochen waren, hatte man uns oft die Frage gestellt, wie wir unsere Zeit ausfüllen würden, um der tödlichen Langeweile Herr zu werden. Aber es gab keine Zeit zum Vertrödeln. Manchmal herschte sogar eine fiebrige Hetze, wenn jeder der vier Teilnehmer versuchte, sein Programm unter Dach zu bringen. Zudem wurde alle vier Tage in be- stimmtem Turnus ein Mann in die Küche abkommandiert, und zugleich hatte dieser alle Routinearbeit zu besorgen. Im Winterlager musste ein Viertel der Zeit für das blosse Überleben aufgewendet \yerden.

Die dunkle Jahreszeit bedeutete also nicht etwa Winterschlaf. Zwei Wochen nach dem La-gerbau krachte die Eisscholle nur 25 Meter von uns entfernt. Das war zu nah, als dass der Spalt hätte ignoriert werden dürfen. Also weg, und zwar rasch. Es war schwarze Nacht, mit Ausnahme einer kurzen Aufhellung um die Mittagsstunde. Da die Gefahr bestand, dass sich die Öffnung vergrössern würde und neue Bruchstellen im rechten Winkel dazu auftreten könnten, mussten wir handeln, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Drei Meilen entfernt schien uns ein günstiger Platz auf dem Eis; aber es dauerte eine ganze Woche, bis die Unterkunft über diese lächerliche Distanz disloziert war, obwohl wir sehr methodisch an die Arbeit gegangen waren und nur eine Nacht im Zelt zu verbringen hatten. Zu dieser Jahreszeit bleibt die Sonne während fünfeinhalb Monaten unter dem Horizont. Wie vorauszusehen war, nahm unser Sehvermögen ständig zu.

VOM SCHLITTENFAHREN Wir kamen mit unserer Arbeit nun gut vorwärts. Dr. Fritz Koerner war mehr als wir andern draussen. Es gehörte zu seinen Aufgaben, täglich zu einer Schlittenfahrt auszurücken. Zur Beobachtung des Treibeises unternahm er viele Erkundungsfahrten hinaus in den dunkeln Tag. In mondhellen Nächten gingen wir alle Schlittenfahren, und als der Frühling kam, verliessen wir unsere schützende Hütte jeden Tag für kürzere oder längere Exkursionen.

Während des Winters harrten wir auf einer Scholle aus, wenn der nächste Eisspalt nicht näher als fünfzig Meter herankam. Aber diese Gefahrenquelle musste ständig beachtet werden. War das Eis sehr aktiv, dann galt es in Schich- ten Wache zu « schieben », wobei die verdächtigen Geräusche der brechenden Schollen als Alarmsignale dienten.

FLUCHT NACH VORNE Wir beabsichtigten, am 23. Februar 1969 wieder aufzubrechen, um in Richtung Nordpol und Spitzbergen zu marschieren. Es war geplant, alles so zu verpacken, dass der überflüssige Teil des Materials zurückgelassen und durch ein Flugzeug von der Eisstation T3 geborgen werden konnte. Aber drei Stunden bevor wir zum Aufbruch bereit waren, öffnete sich das Treibeis nur drei Meter von der Hütte entfernt! Überall lagen noch Kisten herum, da wir uns gerade bei einem frugalen Frühstück befanden und noch nicht gepackt hatten. Einige Spalten schlössen sich wieder und bildeten innert Minuten einen fünf Meter hohen Eishügel. Wir rannten hin und her, sprangen von einer Eisscholle zur andern und packten alles auf die Schlitten, spannten die Hunde vor, und weg ging 's. Kurz darauf wurde die Hütte von den Eismassen zermalmt...

Glücklicherweise war es nicht schwierig, die ersten fünf Meilen voranzukommen; doch am zweiten Tag unserer Flucht wurde die Reise beschwerlicher. Es war—300 C oder kälter, und das während zweier langer Wochen. Weder die Sonne noch der Mond zeigte sich. Die Navigation basierte auf der Beobachtung des Planeten Venus.

Es war eigenartig und sonderbar, dass wir uns vor dem Auftauchen der Sonne irgendwie fürchteten: Wenn es am hellsten war, dann stand die Sonne im Süden, während wir nach Norden auswichen. Wir kamen uns auch lichtscheu vor nach dem langen Winter in der Monddunkelheit. Wir rannten jetzt gleichsam mit der Dunkelheit um die Wette.

Selten zogen weisse Zirruswolken am Horizont auf, in denen sich das Licht der noch nicht aufgegangenen Sonne brach; dann leuchtete der Himmel in einem gloriosen Schein.

ARKTISCHE WUNDERWELT Das waren unvergessliche Tage: grossartig, die Farben der Arktis! Es lohnte sich endlich, die Kälte zu ertragen, um die Arktis in diesen herrlichen Pastelltönen zu erleben. Ein rosa Leuchten stieg aus dem Schnee, und die Eisschollen waren seltsam purpurn und malvenfarbig.

Bei —45° C liessen sich eigenartige Beobachtungen anstellen. So blieb die ausgeatmete Luft der Hunde in der ruhigen Atmosphäre regungslos stehen und markierte dadurch jede Bewegung der vier Gespanne auf ihrem Zickzackkurs übers Eis, und bei jeder kleinen Windbewegung wanderte die Dunstsilhouette weiter.

Die Schlitten waren bald reparaturbedürftig. Die Kufen zeigten Risse über die ganze Länge. Wir profitierten nun von den auf Grönland bei den Eskimos genossenen Instruktionskursen im Schlittenbauen. Aber in der Polarlandschaft mussten diese Arbeiten im Lichte von Sturmlampen ausgeführt werden, wenn nicht für wenige Stunden die Sonne auftauchte. Es war zudem nicht einfach, in Wollhandschuhen Reparaturen vorzunehmen. Bei —420 C mit ungeschützten Händen zu arbeiten, erträgt man nur eine Minute lang.

IM«PACIFIC GYRAL » Doch es wurde jetzt von Tag zu Tag heller, und die Navigation vereinfachte sich. Die Rückkehr der Sonne zum Pol hatte doch einen erfreulichen Einfluss auf uns alle, ja sogar auf die Hunde. Die Beschaffenheit des Eises erlaubte uns, an einem Tag 40 Kilometer zurückzulegen, und wenn wir zwölf Stunden im Tag die Hunde in Trab hielten, dann machten wir im Durchschnitt 24 Meilen. Die Landschaft wechselte. Wir verliessen nun die Einflusszone des « Pacific Gyral » und gerieten in die transpolare Strömung.

Meistens war das Eis jetzt jünger und wies mehr Klippen auf, die aber weniger hoch waren. Als Folge des nun öfters auftretenden Win- Mit ¢ Schlitten und ¢o Eskimohunden von Alaska übers Polareis nach Spitzbergen - 6000 Kilometer ohne JÇivilistation. Die Huskies hielten sich prächtig 2Das Sommerlager « Meltville », das vom 14. Juli bis ¢. September auf dem Eis polwärts trieb Photos Allan Gill des wurde die Unterlage zum Schlittenfahren besser. Sechzig Seemeilen vom Nordpol entfernt - am 89. Breitengrad - waren die Verhältnisse für unser Vorhaben ideal.

Der Ort, wo wir uns befanden, war äusserst verwirrend: in allen Himmelsrichtungen war Süden! Wir vergeudeten einen Tag - den wir eigentlich bitter nötig hatten -, um genau herauszufinden, dass wir uns wirklich am Nordpol befanden. Es erwies sich als überraschend schwierig, unsere Position zu fixieren. Aber wenn man einmal soweit gekommen war, musste auch diese Arbeit gründlich ausgeführt werden.

AM NORDPOL Tatsache, dass wir uns wirklich am Nordpol befanden, war natürlich eines der grössten Erlebnisse unserer Expedition. Wir hatten ihn über die längste Achse erreicht und waren die ersten, die diese Variante ausgeführt hatten. Aber wir hatten drei Wochen Rückstand auf die Marschtabelle, und es trennten uns noch 500 Seemeilen ( I I i i km ) von Spitzbergen, unserem Ziel in Europa; zudem war es uns gänzlich unklar, was für Eisverhältnisse wir auf dem Weg dorthin noch vorfinden würden.

Doch es ging über erwarten gut voran; das Eis war gut über die ganze Strecke, und die Tagesleistung lag um 16 Kilometer höher als auf der anderen Seite des Nordpols.

Ich entschied, dem 30. Längengrad in östlicher Richtung zu folgen, und ich hatte gute Gründe, diesen Weg zu wählen: wir konnten über den Satelliten Wetterberichte aus Washington empfangen, wenn wir diesen Kurs behielten und den Längengrad nicht überschritten. Wie jeder gute Führer durch die City, so hielten auch wir uns an die bekannten « Busrouten ».

Zudem war uns bekannt, dass die Flugzeuge des amerikanischen Wetteraufklärungsdienstes dem 30. Längengrad folgen. Das gab uns noch eine akustische Kontrolle, und es war ein Sicherheitsfaktor, der mir jedenfalls wichtig erschien.

Am 83. Breitengrad gingen wir in Richtung der Nordostland-Insel Spitzbergens weiter/und reisten nun « talwärts ». Das Eis war gut, und der « Fahrplan » liess sich einhalten. Es waren zwar lange Tage, aber wir wussten nun, dass wir das Ziel erreichen würden. An diesem Punkt glaubte ich noch, Spitzbergen nach Plan zu erreichen.

Der grosse Wendepunkt war das Überschreiten der I I 110-Faden-Linie. Bis dahin hatten wir kaum Lebewesen beobachtet - abgesehen von einigen Seelöwen und Eisbären, die uns mehr Kummer als Freude bereiteten.

WIEDERSEHEN MIT SCHÖNWETTERWOLKEN Nach dem Passieren dieser Lotlinie zeigte sich uns die polare Fauna in ihrer ganzen Vielfalt: Wale, Seelöwen, Polarbären und — an einem einzigen Tag - 47 Vögel zehn verschiedener Arten. Es mag Zufall gewesen sein, doch neige ich eher zur Ansicht, diese Begegnungen seien dem Einfluss des kontinentalen Landvorsprungs zuzuschreiben.

Wir sahen Schneeverwehungen und am südwestlichen Horizont Kumuli, Haufenwolken, die wir seit mehr als einem Jahr nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten!

LAND!

Ich befand mich am Ende des Schlittenzuges, als ich diese Wolken aufziehen sah, hielt an und suchte nach der höchsten ersteigbaren Eisrippe.Von blossem Auge war nichts Neues zu entdecken, doch durch das Zielfernrohr meiner Jagdflinte entdeckte ich Land! Ein Gefühl der Erlösung und der Genugtuung durchströmte mich. Mein langgehegter Glaube - über den ich mich mit Arktiskennern während Jahren herumge-stritten hatte —, dass eine trainierte und entschlossene Gruppe von Männern das Polareis von Kontinent zu Kontinent überschreiten könne hatte sich bewahrheitet.

Schnell ging ich zu meinem Schlitten zurück 3Am Nordpol, j. April igßg: Wally Herbert, Fritz Koerner, Ken Hedges und Allan GUI 4Expeditionsleiter Wally Herbert im Winterlager, das am 4. Oktober ig68 errichtet und am 23. Februar igßg abgebrochen wurde. Radioverbindung mit der Ausgangsstation Point Barrow in Alaska Photos Allen Gill und nahm die Verfolgung von Fritz, Allan und Ken auf. Obwohl ich wusste, dass sie in der Nähe Land suchten, so war ich doch überzeugt, dass sie es noch nicht entdeckt hatten. Wir fuhren in geradem Kurs. Bis ich meine Kameraden eingeholt hatte und wir das Nachtlager einrichteten, hatten natürlich auch sie das Festland gesichtet.

Wir schliefen nun nicht mehr in den Zelten; da wir jederzeit bereit sein mussten, die Reise fortzusetzen, legten wir uns einfach zuoberst auf die Schlittenladung.

SCHWIERIGKEITEN Obwohl das Land nun von blossem Auge sichtbar war, brauchten wir immer noch acht Tagesetappen, um festen Boden zu erreichen. Es ging immer langsamer voran, da die Eisunterlage brüchig zu werden begann und sich viele offene Stellen zeigten. Schliesslich hatten wir uns buchstäblich durch eine Anzahl von Eisbarrieren zu schlagen und erreichten nach viel harter Arbeit eine kleinere Eisscholle, die ungefähr zehn Kilometer vom Land entfernt schwamm, das wir als die Phipps-Insel ausmachten.

Unser Sehhorizont war ungefähr auf eine Meile begrenzt, ja sogar oft auf nur hundert Meter. Das bedeutete nichts anderes, als dass wir jedes Überschreiten eines Riffs gut überlegen mussten, um auf der anderen Seite nicht noch schlechtere Verhältnisse vorzufinden.

Wir rückten nun in zwei Gruppen vor, in der Hoffnung, festes Eis zu finden; aber drei Kilometer von der Insel entfernt war das Eis weich, und es zeigte sich sogar offenes Wasser. Wir wandten uns nach Westen, parallel zur Phipps-Insel, um von dort aus an Land zu gelangen, und eine Meile weit ging alles gut.

Wir kampierten mit allem Material auf den Schlitten auf einer kleinen Eisscholle von ungefähr 150 Meter Durchmesser und entdeckten, dass unser Weg zum grösseren Floss verschwun- den war. Wir befestigten Markierungsstäbe im Eis, um die Abdrift zu kontrollieren und machten uns für eine erholsame Ruhepause bereit.

Mit beachtlicher Geschwindigkeit trieben wir an der Insel vorbei, und als die Zeit für das Frühstück gekommen war, war das Land rund 500 Meter entfernt. Ich nahm an, dass die Insel und ein kleiner Felsvorsprung die Eisscholle zusammenbringen würden, so dass wir an Land gehen könnten.

Aber einmal mehr wurden unsere Pläne zunichte gemacht. Obwohl sich Dr. Fritz Koerner und Dr. Ken Hedges bis auf fünfzig Meter der Insel zu nähern vermochten, verhinderte das mit zehn Stundenkilometer vorbeiziehende Schmelzeis eine Landung. Allan und ich brauchten vier Stunden, um unser Quartett wieder auf einer Scholle von zoo Meter Durchmesser zu vereinigen. Wegen des starken Eistreibens war der Zusammenschluss äusserst gefährlich.

BITTERE ENTTÄUSCHUNG Ich war überzeugt, dass eine Landung möglich gewesen wäre, und enttäuscht über die verpasste Chance. Es war verwirrend, darüber nachzudenken, dass uns nach einer Reise über 6000 Kilometer nur fünfzig Meter vom erfolgreichen Abschluss der Expedition fehlen sollten.

Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit trieb die Eisscholle, auf der wir unser Lager errichtet hatten, an der Phipps-Insel vorbei; in zehn Stunden « fuhren » wir neun Kilometer weit. Als das Eis sich endlich schloss und uns eine Möglichkeit zum Entrinnen bot, da befanden wir uns zwei Kilometer von einer kleinen, felsigen Insel entfernt, die sich später als Small Blackboard Island entpuppte.

ZWISCHENLANDUNG Während vierundzwanzig Stunden suchten wir verzweifelt einen sicheren Weg, um an Land zu gehen, teilten uns in zwei Gruppen, um jede Möglichkeit ausnützen zu können. Schliesslich gelang es Ken Hedges und Allan Gill, die letzten Meter über dünnes und brüchiges Eis zurückzulegen. Aber die beiden fanden keine Zeit, um sich auszuruhen oder um zu feiern. Das Eis hatte wieder zu gleiten begonnen. Sie kletterten zurück auf die Scholle und suchten so rasch als möglich nach der grössten schwimmenden Insel zu gelangen. Als Trophäe brachten sie eine Gesteinsprobe mit.

In unseren ursprünglichen Plänen hatten wir vorgesehen, dass der britische Eisbrecher HMS « Endurance », der sonst in der Antarktis als Ver-messungsschiff dient, vor Spitzbergen auf uns warten und uns am i i .Juni 1969 aufnehmen sollte. Wir wollen an der Nordostküste Spitzbergens an Land gehen, um unsere Reserven in einem Depot des norwegischen Polar-Instituts zu erneuern, und dann den Weg über die Insel nach Longyearbyen nehmen. Es kam anders: das Depot war von Eisbären geplündert, und die Leute auf der « Endurance » wurden langsam ungeduldig.

DER ENDSPURT Nach der Landung auf der « kleinen Wandtafel-insel » nahmen wir Richtung auf den Eisbrecher, der noch 200 Kilometer von uns entfernt vor Anker lag. Als wir bis auf siebzig Kilometer an das schwimmende Ziel herangekommen waren, schien es uns angezeigt, die Expedition durch eine Luftbrücke zu beendigen. Nach einer radio telephonischen Aussprache mit dem Kommandanten der HMS « Endurance », Kapitän Peter Buchanan, trafen die beiden Hubschrauber auf unserem schwimmenden Lagerplatz ein und transportierten innert zehn Stunden das gesamte Material, die 34 Hunde und uns Männer an Deck des Schiffes.

Der letzte Teil der Reise hatte sich in so hektischer Eile vollzogen, dass, als ich mit meinen Hunden und den Überbleibseln des Lagers als einziger auf dem Eis zurückgeblieben war, mir plötzlich bewusst wurde, dass alles vorüber war. Ich hatte die Arktis nun für mich allein und bedauerte, sie verlassen zu müssen.

Die Ruhe wurde plötzlich durch den harten Rotorschlag des zurückkehrenden Helikopters unterbrochen, und erst jetzt wurde mir klar, dass ich wieder Kontakt mit einer Welt aufnehmen würde, die ich vor sechzehn Monaten verlassen hatte.

AN BORD DER HMS « ENDURANCE » Aber das ergreifendste Erlebnis der ganzen Reise stand uns noch bevor: ein Meer von glückstrahlenden Gesichtern auf dem Flugdeck der « Endurance »!

Die zwölf Tage an Bord des Eisbrechers gaben uns Zeit, uns wieder anzupassen und Rückschau zu halten. Kapitän Buchanan, die Offiziere und die Mannschaft zeigten sich überaus verständnisvoll. Man kann sich keine bessere Besatzung vorstellen; mit allen Gegebenheiten wurde sie fertig. Für vier halbwilde Burschen, die aus der Arktis in die Zivilisation zurückkehrten, bildeten ihre Toleranz und ihr Verständnis die beste Voraussetzung für die Wieder-eingliederung in die menschliche Gesellschaft.

Ohne mich zu etwas Bestimmtem verpflichten zu wollen, möchte ich doch sagen, dass ich eine neue Expedition unternehmen möchte. Sie braucht nicht mit dieser Unternehmung in Beziehung gebracht zu> werden, und sie muss weder die längste noch die erste sein.

Ich nehme an, dass dies mein Everest war, was mich eigentlich zufriedenstellen sollte. Aber ich weiss, dass es noch viele andere Ziele gibt, die es zu erreichen gilt.

Aus dem Englischen übersetzt von E. A. Sautter

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