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Zwei Touren eines Naturbewunderers

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

eines Naturbewunderers

Heinrich Funer sen., Bern MATTERHORN

Aus einem verworrenen Traum wachte ich auf. Es war tiefe Nacht. Rundherum hörte man nur Atmen und Schnarchen. Jetzt wurde mir klar: Ich lag auf der Strohpritsche der Schönbühlhütte, neben mir meine Begleiterin Susi.

3Gertrudspitze-Westwand; zweitletzter Standplatz.

Im Vordergrund sind die fixen Seile mit den Knoten sichtbar Photo Kari Gasser, Sachsein 4Im Quergang der zweitletzten Seillänge Photo Chlaus Lötscher. Littau Schlief sie noch? Ich rührte mich nicht. Ein Blick auf das leuchtende Zifferblatt meiner Uhr: zehn Minuten vor eins. Um ein Uhr sollte uns der Hüttenwart wecken; aber noch sah man kein Licht, und kein Geräusch drang aus der Küche.

Gedanken jagten durch den Kopf: Wir wollten die riesige Spitzpyramide des Matterhorns über die Route Alexander Burgener vom Z'Muttgletscher aus erklimmen. War ich dieser Tour wirklich gewachsen? Meine Begleiterin sicher, denn sie hatte den Berg wenige Tage vorher mit einem Führer bestiegen. Ich hatte mit einigen Kameraden zwar vor zwei Wochen die Südgruppe der Engelhörner überschritten, mit Susi den Aermighorn-Ostgrat, und vorgestern waren wir zusammen über den Südgrat der Dent Blanche geklettert, hatten bei klarem Wetter das Matterhorn bewundert und unsere Aufstiegsroute studiert. Gestern war Ruhetag gewesen, und wir hatten ein Murmeltier gefüttert, das gerade nach vierzehntägiger Abwesenheit zur Hütte zurückgekehrt war. Heute musste der Aufstieg gewagt werden. Meine neuen Vibramsohlen gaben mir zum Klettern einige Zuversicht; doch ein Gefühl der Ungewissheit und Spannung liess mich nicht los. Ans Schlafen war nicht mehr zu denken; übrigens rumpelte es jetzt in der Küche, und ein schwaches Licht erschien. Flüsternd wurden wir vom Hüttenwart zum Aufstehen gemahnt.

Rasch war das Frühstück in den mürrischen Magen geschoben - und nun ging 's hinaus in die sternklare, mondlose Nacht! Durch das Gehen, Springen und Stolpern auf den Moränen des Z'Muttgletschers hatten wir bald die eisige Nachtkälte aus unseren Gliedern geschüttelt. Es war aber noch zu dunkel, um den richtigen Einstieg in die Felsen zu finden. Natürlich verloren wir schon Zeit mit Suchen und Tasten im undeutlichen Zwielicht der ersten Morgendämmerung. Wir hatten eben die unterste Felsbastion auf einem ungewöhnlichen Weg erklettert, als über uns auf dem nun schon hell sichtbaren Schneegrat eine Partie im Aufstieg erschien. Sie kam von der Hörnlihütte her und war bestimmt lange nach uns von der Hütte abmarschiert.

Nun schnallten wir die Steigeisen an und schritten rasch über den scharfen Eisgrat der Höhe zu. In den Türmen der Z'Muttzähne holten wir zwei junge deutsche Kletterer ein, welche laufend sicherten. Wir kletterten immer gleichzeitig, wobei ich nur auf mich aufzupassen hatte, denn Susi war mir stets behende auf den Fersen. Es war eine Lust, an den ausgesetzten, gutgriffigen Felszacken herumzuturnen. Das Wetter schien für heute gut, auch war kaum ein Windhauch zu spüren.

Nun nahmen wir die steile, aber gutgriffige Felsflanke in Angriff, welche zur schmalen Z'Muttschulter hinaufführt. Im Widerschein des Morgenlichtes schimmerten die in allen Figuren verfalteten Injektionsgneise an dem gegenüberliegenden riesigen Felswulst. Wie mit einem Pinsel angemalt, erschienen die grünen Serpentine und die roten Diorite. Hoch oben am Berg waren die Vorgänge, welche sich vor Jahrmillionen tief unten im glühenden magmatischen Bereich abgespielt hatten, eindrücklich sichtbar. Es war das Bild einer erstarrten Umwälzung.

Es wurde acht Uhr, bis wir uns auf der hohen Felskanzel der Z'Muttschulter zu einem kurzen Halt hinsetzten. Der Blick von hier aus in die glatte, mit Eisplatten gepanzerte Westwand war fast erschreckend; in einem einzigen Schuss fällt sie ohne irgendeinen sichtbaren Stützpunkt mit durchschnittlich 53 Grad Neigung 1200 Meter bis auf den Tiefenmattengletscher hinab. Eine schwach sichtbare Spur mit ausgeschmolzenen Tritten im Eis führte horizontal bis zur Mittellinie der Wand.

Es war klar, dass dieser kitzlige Quergang für mich die Prüfung bedeutete. Ich dachte an Fridtjof Nansen, welcher der Meinung war, um Grosses zu vollbringen, müsse man sich den Rückweg abschneiden. Auch hier gab es kein Zurück mehr. Meine Thermosflasche war in die Brüche gegangen. Ich warf sie über die Wand hinunter ( was ich heute nicht mehr tun würde ). Dreimal hörte man sie aufschlagen, dann war sie lautlos in der Tiefe verschwunden. Auf dem gegenüberliegenden fast horizontalen, aber scharfzackigen Grat, dem sogenannten Tyndallgrat, sahen wir ein paar winzige Figürchen, von der Sonne beschienen, turnen, eine Partie im Abstieg. Der Kopf des Matterhorns überragte uns bisher derart, dass wir erst jetzt unseren ersten Sonnenstrahl erhielten. Vor mich hinsin-nend, murmelte ich: « Also das wäre die berühmte Galerie Lafayette », worauf Susi ein klingendes Lachen erschallen liess. Im Augenblick war es mir eigentlich weniger ums Lachen, denn ich hatte jetzt an das gegenwärtig Wesentliche zu denken und es zu einer Lösung zu bringen.

Wortlos packte ich meinen Rucksack zusammen. « Ich gehe », sagte ich kurz zu Susi. Sah sie wohl, wie ich die Zähne zusammenbiss? Nach zwanzig behutsamen Schritten über das Eis erreichte ich eine abwärts geschichtete Felsplatte, auf der ich mit den Steigeisen umherkratzte und Halt suchte. Ich schaute nicht zwischen meinen Beinen hindurch auf den Tiefenmattengletscher hinunter. Ein Blick rückwärts war ohnehin nicht nötig, da ich wusste und fühlte, dass mir Susi wie ein Gemszicklein nachgesprungen kam. Plötzlich sausten ein paar Steine an unseren Köpfen vorbei. Man sah sie nicht, hörte nur ihr Pfeifen und Surren. Wir kletterten auf kleinen abgerundeten, unsicheren Tritten und Griffen über eisüberzogene Felsplatten in der Fallirne der Wand aufwärts. Einmal knackte eine Eisplatte unter meinem Fuss. Die Neigung nahm gegen die Basis des Gipfelkopfes etwas ab. Auf dem ausgeprägten Felsband unter der senkrechten Gipfelwand, der Galerie Carrel, war die Gefahr vorüber. Den Gipfelkopf erstiegen wir von Nordwesten her über seine Gratkante ohne besondere Schwierigkeiten, wie auf einer Himmelsleiter. Wir sogen die dünne, reine Luft in vollen Zügen ein und freuten uns am fröhlichen Pochen des Herzens.

Die Sonne brannte heiss hernieder; sie durchschien die von Süden heraufziehenden Nebelfetzen, während Tiefblicke auf allen Seiten überwältigende Eindrücke boten. So sassen wir eine gute Weile neben dem Kreuz auf dem italienischen Gipfel. Gegen den quälenden Durst waren nur noch wenige Tropfen Tee in Susis Feldflasche übrig; den Hunger hatten Spannung und Sonnenbestrahlung fast ganz vertrieben. Unterdessen war es elf Uhr geworden. Um zwölf wanderten wir über den horizontalen Grat zum Schweizer Gipfel hinüber und traten nach einer letzten Umschau den Abstieg über das « Dach » an. Gute Spuren im Schnee erlaubten uns, die Steigeisen im Rucksack versorgt zu lassen. Einige Touristen befanden sich noch im Aufstieg, so auch ein Bündner Bergführer, der seine Klienten, auch Frauen, ständig ausschimpfte, weil sie zu langsam und schlecht gingen. Wir befanden uns nun auf der Route Whymper und Croz/Taugwalder. Bei den ersten Seilen gedachten wir der Katastrophe, welche den Erstbesteigern hier zugestossen war. Die « Schulter » kam mir vor wie ein riesiger Elefantenbuckel, und ohne fixes Seil wäre die Stelle doch etwas heikel, wie mir schien.

Sechs Stunden lang kletterten wir, uns gemütlich Zeit lassend, Stufe um Stufe den Hörnligrat abwärts. Zuletzt endete der Fels auf einem kleinen Eisfeld, wo wir ohne Steigeisen ausglitten und uns kurz vor der Hütte beinahe verletzt hätten. Ich bestand darauf, hier zu übernachten, um morgen den Abstieg auf dem Hüttenweg als Spaziergang nach Zermatt zu geniessen. Das Wetter blieb ruhig bis am nächsten Morgen. Dann entlud sich schon am Vormittag aus schwarzen Wolken ein schweres Gewitter am Matterhorn, und der Vorhang für diesjährige Besteigungen senkte sich über das Hochgebirge herab. Der Ausbruch des grossen Krieges 1939 stand vor der Türe.

MONT BLANC 32 Jahre später. Susi, meine Frau, hier genannt « Maman », hatte immer im Sinn gehabt, einmal den Gipfel des Königs der Berge zu erreichen. Die Tour im Clubverband scheiterte für sie bei der Cabane Vallot an der Ungeduld des Führers, der zerrte und schimpfte, sie gehe zu langsam und er wolle nicht auf dem Gletscher übernachten usw. Jahre später anerbot sich ihr Sohn, ein äusserlich bergführerähn-licher, damals bärtiger junger Mann, mit ihr die Besteigung zu wagen. Aber auch dieser Versuch scheiterte, diesmal am traditionellen « Hut » des Mont Blanc, bestehend aus einer walfischartigen Wolke, in der rasender Wind und Schneetreiben herrschten. Sie reichte bis zum Dôme du Goûter hinunter, und es war den Touristen unmöglich, bis zum Gipfel aufzusteigen.

Wenige Tage später stellte sich eine dauerhafte Schönwetterperiode ein. Als ich den klarblauen Himmel erblickte und Maman sehnsüchtig durchs Fenster die Kette der Berner Alpen betrachtete, die durch den bläulichen Dunst leuchtete, bemerkte ich ganz nebenbei: « On y va au Mont Blanc? » — « Oh, oui, tout de suite! » kam es zurück. Gleich wurden die Säcke gepackt, und am nächsten Morgen ging 's los.

Nachmittags langten wir mit der Zahnradbahn im Nid d' Aigle an. Die Sonne brannte, von den gleissenden Gletschern der Aiguille de Bionnassey zurückgestrahlt, unbarmherzig auf unsere Köpfe herab. Es war Sonntag, der 5. September 1971. Eine Unmenge von Touristen hatte sich hier versammelt. Fast ununterbrochen kamen sie den Weg hinunter, den wir aufsteigen mussten. Unter ihnen befanden sich Italiener, welche so müde waren, dass sie sich kaum mehr auf ihren sichtlich schmerzenden Füssen halten konnten.

Es sei gleich hier gesagt: Ich bestand darauf, dass Maman diesmal immer vorausging, und bis zum Schluss der Wanderung wurde diese Reihenfolge fast ausnahmslos eingehalten. Ihr Schritt war von einer Regelmässigkeit, welche auch für mich von grossem Vorteil war.

Die Hütte auf der Tête Rousse ist zwar alt und klein, aber wir erhielten für uns doch Oh Schlafplätze zugewiesen. Man hörte vor allem französisch und österreichisch sprechen. Die Nacht war lang, für mich fast schlaflos. Wenn sich jemand in der Reihe drehte, und das kam häufig vor, so spürte das gewöhnlich jedermann. Von den übrigen Begleiterscheinungen der Übervölkerung sei hier nicht die Rede.

Eher spät brachen wir am nächsten Morgen auf und stiegen mit den Steigeisen an den Füssen gemächlich über die gefrorenen Schneehänge gegen die Felsflanke der Aiguille du Goûter auf. Die Querung des Couloirs erschien mir prekär auf den vereisten Platten, gepaart mit der Steinschlagdrohung. Auf der Hauptfelsrippe angelangt, begann eine leichte, lustige Kletterei, welche bis zur Cabane du Goûter führte. Der Himmel war immer sattblau, nur einzelne Wolken bildeten sich durch Wärmeauftrieb. Lange vor Sonnenuntergang erreichten wir die Hütte. Sie bestand aussen aus hellscheinendem Aluminiumblech und war neu errichtet, gut und zweckmässig gebaut. Wir erhielten auch hier i'/z Schlafplätze zugewiesen und schätzten uns darob noch glücklich. Am Vorabend hätten hier 300 Personen übernachtet; die Hütte bietet aber nur 60 normale Schlafplätze. Strikte Ordnung des Hüttenwarts bedeutete für uns Schutz, und so bekamen auch wir unsere Suppe und ein gutes französisches Nachtessen.

Die Hütte steht zuvorderst an der Felskante mit einem kaum 1,3 Meter breiten Terrassen-gang. Der Tiefblick gegen Sonnenuntergang war bezaubernd. Als die Täler schon im Dunkel erschienen, leuchtete bei uns oben die Sonne in noch nie erlebten Lichtwirkungen ihrer Strahlen durch die nun zurücksinkenden Wolkenballen, in tief Violett- und Gelbrot. Der dunkelblaue bis grünliche Himmel wölbte sich über den orangegeflammten Eisabschüssen der Aiguille de Bionnassey. Einige wenige Touristen aus der vollgepfropften Hütte betrachteten das ungewöhnliche Lichtspiel, wie es nur auf unse- rem geliebten Wasserplaneten Erde möglich ist, bis zur Dunkelheit, bis der kühle Bergwind fühlbar wurde und die Sterne ihr Reich zu besetzen anfingen.

Man ruhte auf dem Lager gut aus, indem man sich unbeweglich verhielt. Von 22 Uhr an war kein Lärm mehr zu hören. Geschlafen wurde trotzdem wiederum wenig, schon wegen der ungewohnten Höhe - 3800 Meter. Gelegentlich hörte man das ferne Grollen eines Eissturzes. Maman schlief zeitweise, diskretes Schnarchen kam von ihrer Seite her.

Um zwei Uhr ging der Lärm los. Die meisten Leute standen auf. Wir warteten noch mit dem Morgenessen, da wir keinen Platz an den Tischen fanden. Plötzlich kam die scharfe Stimme des Hüttenwartes und befahl barsch, unser Morgenessen abzuholen, es stehe schon seit einer Stunde bereit. Tatsächlich hörte man seit einiger Zeit Leute, die ihre Steigeisen im Vorraum der Hütte anschnallten und sich polternd und kratzend über die schmale Terrasse zur Aufstiegsspur begaben. Dasselbe taten auch wir, da überhaupt kein anderer Platz vorhanden war.

Wie wir die ersten Schritte im harten, knirschenden Schnee machten, gewahrten wir die helle Mondscheibe vor uns, welche grossmütig unsere Marschroute beleuchtete und die Eiswände der Aiguille de Bionassey hell erscheinen liess. Um vier Uhr beschritten wir den ersten Schneegrat noch im Mondschein; dann begannen allmählich an dem breiten Eisschild des Dôme du Goûter direkt vor uns die Farben aufzuleben.

Mit der Regelmässigkeit einer Pendeluhr schritt Maman die steilen Schneehänge aufwärts, doch wurden wir von einer Kolonne langsam überholt. Einer daraus, ein Bergführer, gab mir den Ratschlag, vorne zu gehen, da weiter oben noch steilere Partien kommen sollten. Ich antwortete ihm nur, sie gehe ja sehr gut, und folgte seinem Ratschlag natürlich nicht.

i4o Auf der gewaltigen Eiskuppe des Dôme erreichte uns der erste Sonnenstrahl. Der Gipfel des Mont Blanc lag jetzt greifbar nahe vor uns mit seinem hocherhobenen Haupt. Keine Wolke war zu sehen, und es fächelte nur ein schwacher Wind aus Osten. Die Aiguilles de Chamonix lagen schon weit unter uns. Beim Marschieren auf dem schwachen Gegengefälle an der Südseite des Dôme erblickten wir die Cabane Vallot und einen Helikopter, der dicht daneben landete.Viele Leute sah man bei der Hütte umherstehen, andere waren im Aufstieg gegen den Gipfel und wirkten wie krabbelnde Ameisen.

Endlich erreichten wir die aus Aluminiumblech hergestellte Hütte und setzten uns auf einen Felsen zum Znüni nieder, denn wir waren ordentlich hungrig und assen gern ein gutes Butterbrot. Einzelne Gruppen kamen schon vom Gipfel herunter; wir hatten es nicht so eilig und brachen langsam und gemächlich auf. Es waren mehrere Steilanstiege und Schneekanten zu überwinden. An einer Stelle des Grates sah man Wrackteile eines abgestürzten Flugzeuges aus dem Schnee hervorragen.

Nun gelangten wir auf die Gratschulter mit dem Tiefblick nach Süden. Noch war der Gipfel nicht erreicht, eine scharfe Schneekante lag vor uns. Mit sicherem Schritt ging Maman sogleich an sie heran und ich, weniger sicher, hinterdrein. Ich dachte: Nur gut, dass da kein starker Wind weht! Die Kante hatte eine Schärfe, dass man sich unmöglich mit dem Pickel stützen konnte; es galt sorgfältig und aufrecht zu gehen.

Bald danach standen wir beide auf der Gipfelkuppe von Europas höchstem Berg. Wirklich, das ganze Alpenland lag zu unseren Füssen, die Aiguille du Géant und die Grandes Jorasses weit unter dem Horizont. Dahinter waren die Walliser Alpen als Sägelinie am Horizont zu erkennen, unter ihnen eine feine schlanke Spitze: das Matterhorn. Bei seinem Anblick durchzuckte uns beide ein Erinnerungsblitz. Kleine Wolkenballen schwebten tief unten im Westen. Im Süden kroch ein Nebelmeer heran, das den Eindruck der Erhabenheit unseres Standortes noch verstärkte. Über uns wölbte sich der Himmel in reinem Dunkelblau. Wir waren berückt von dem Anblick der Welt aus dieser Perspektive. Für uns Naturbewunderer war es der Augenblick wunschloser Glückseligkeit.

Der schwache Ostwind war kaum zu spüren bei einer Lufttemperatur von minus 4 Grad. Fast wortlos verzehrten wir einige gefrorene Vorräte aus dem Rucksack, und nach dem Knipsen von zwei Photos rüsteten wir langsam zum unvermeidlichen Abstieg.

Als wir den scharfen Grat beschreiten wollten, kamen eben drei Herren gesetzten Alters über die Schneekante heraufgeschritten. Sie grüssten freundlich; darauf begaben wir uns auf den luftigen Steg, Maman immer voraus, auch im Abstieg, denn es gab mir irgendwie ein Gefühl der Sicherheit, sie immer vor mir zu sehen. Voll Freude und Genugtuung genossen wir den Abstieg, uns von Zeit zu Zeit voller Bewunderung umschauend. Zweimal begegneten wir je einem Engländer, die allein und ohne Steigeisen aufstiegen. Sorglose Menschen gibt 's!

Bei der Cabane Vallot waren immer noch Leute versammelt. Wir warfen nur einen Blick in die Metallhütte und schätzten uns froh, hier nicht übernachten zu müssen. Ich hatte immer im Sinn, die Route der Grands Mulets für unseren Abstieg zu benützen. Gestern abend hatte mir aber ein Führer gesagt, sie sei « le plus mauvais que jamais, exécrable ». Nun, hier bei der Cabane Vallot erkundigte ich mich nochmals nach der Begehbarkeit dieser Route. Einer der Herren, die wir auf dem Gipfel angetroffen hatten, sagte uns, sie sei zu machen, man hätte vor vierzehn Tagen Leitern über die breitesten Spalten legen lassen. Leider seien aber letzten Sonntag doch nur fünfzehn Personen diesen Weg gegangen. Ich erwiderte, wir möchten gerne morgen diese Route beschreiten, weil es diejenige des Erstbesteigers und Geologen Benedict de Saussure war. « Monsieur a raison », fiel ein anderer der drei Herren ein; dann mit einem Seitenblick auf meinen massiven helvetischen Rucksack: « Vous êtes Suisse? » -«Oui, et vous aussi? » -«Oui ». Einer der andern stellte ihn vor: « C' est Monsieur André Roch, et là Monsieur président du CAF, et Monsieur vice-président du CAF. » Herr Roch sagte uns, er gehe etwas langsam, weil er noch eine Schraube im Hüftgelenk sitzen habe: accident d' automobile - wie könnte es anders sein bei einem grossen Alpinisten! Die drei Herren waren mit dem Helikopter, den wir beobachtet hatten, bis zur Cabane Vallot gekommen. André Roch flüsterte mir halb scherzfaft zu: « Cela devrait être défendu! » Wir traten zusammen den Rückweg gegen die Cabane du Goûter an, langsam, geniesserisch. Auf halbem Weg kam eine Führerpatrouille und meldete den tödlichen Absturz eines jungen Polen an der Ostseite des Mont-Blanc-Gipfels. Er war unangeseilt und ohne Steigeisen geklettert.

Wir wandten uns mehrere Male um, blickten zurück auf den König der Berge, dessen Haupt sich blendendhell vom dunkelblauen Himmel abhob. An der Ostseite der Aiguille du Goûter sahen wir einige undefinierbare Gegenstände im Schnee liegen. Ich glaubte zuerst, es sei ein Zelt; die Herren erklärten aber, es seien die Wrackteile eines gestern abgestürzten Helikopters. Der Pilot sei unverletzt.

Inzwischen war es sehr heiss geworden, und wir assen unsere letzte Orange. Hitze und Durst liessen uns schlapp und müde fühlen. Déshydratation - dachte ich. Die blendenden thermischen Wolkenballen, die nun bis zu uns heraufzogen, erhöhten noch die intensive Strahlung. In der Hütte angelangt, erlabten wir uns am Tee, und sogleich war die Müdigkeit wie weggeblasen. Wir führten eine angeregte Unterhaltung mit Herrn Roch und dem Präsidenten des CAF, was den Hüttenwart scheinbar verwunderte. Ich erklärte Herrn Roch, die Hütte wäre besser auf einen drei bis vier Meter hohen Betonsockel gestellt worden, um nicht dem Druck der grossen Schnee- und Eismassen auf dem Grat ausgesetzt zu sein. Sie steht nämlich direkt auf dem Felsen und wird vom Eis unablässig nach aussen gedrückt.

So unvermutet, wie die Herren am Mont Blanc erschienen waren, verschwanden sie gleichentags wieder, indem sie mit dem Helikopter nach Chamonix flogen, das sie eine Viertelstunde später erreichten.

Wir ruhten auf der Pritsche aus. Das Halbdunkel war wie Balsam für unsere Augen nach den vielen Stunden intensiver Lichtstrahlung.

Da kam ein Herr auf mich zu: « Wia hobn Sie bewundat, wie Sie so glatt auf das Ding raufge-kraxelt sin. » Ich hätte nicht geglaubt, dass jemand unseren Schneckengang beobachten würde.

Am Abend verzogen sich die Wolken wiederum vollständig, was meinen Entschluss bestärkte: Morgen steigen wir nochmals auf den Dôme du Goûter und von dort zu den Grands Mulets ab.

Diese Nacht bekamen wir sogar zwei ganze Plätze zugewiesen und schliefen ausgezeichnet bis um drei Uhr früh. Am Morgen war der Hüttenwart die Freundlichkeit selbst, und gut gelaunt traten wir in den kalten Mondschein hinaus. Auf dem Dôme blies ein scharfer Ostwind, so dass wir trotz der Sonne bitter kalt hatten. Der Abstieg nach Nordosten führte zuerst über das Grand Plateau; dann wurde der Hang immer steiler, und Spalten begannen unseren Weg zu kreuzen. Wir stellten plötzlich auch fest, dass uns niemand folgte und niemand vor uns war; wir befanden uns allein in dem gewaltigen Gletscherzirkus. Rechter Hand erschien der Pic Wilson, ein schwarzer, unnahbarer zerklüfteter Felskopf. Im Kontrast dazu standen die sanften Rundungen des schneebedeckten Eises, und wir staunten über die Eistürme, deren Formen sich in der Morgensonne greifbar plastisch in blauvioletten Schattierungen vom tiefblauen Himmel abhoben. Das Spaltengewirr steigerte sich derart, dass man bald nicht mehr wusste, wie und wo ein Durchgang zu i42 finden sei. Maman, immer vorne, verschwand vorsichtig um eine Eiskante am Rand eines tiefen Schlundes. Ich rief ihr zu:«Ça va mieux là-bas? » -«Oh, non, affreux! » Ich wusste, was ich zu erwarten hatte. Es war nutzlos, in die Schrunde hinunterzublicken - nur die Füsse ganz sorgfältig aufsetzen und weiter, von einer Eiskante zur andern! Wir wurden zuletzt ganz links an die steile Felswand gedrückt, was uns in die Gefahrenzone des Steinschlags rückte. Im rechten Winkel drehten wir wieder in den Gletscher zurück; stellenweise waren ausgewaschene Tritte zu sehen. Jetzt ging die Spur über einen Spalt auf einem Eisgrat, der noch etwas weichen Schnee trug. Der Riss war deutlich beidseits des schmalen Grates zu sehen; er musste sich seit der letzten Begehung geöffnet haben. Eineinhalb Meter - das durfte ich nicht springen bei dieser Ausgesetztheit und dem prekären, weichen Schnee. In dieser Eiseinsam-keit mochten wir nichts aufs Spiel setzen. So überlegte und probierte ich eine ganze Weile. Wenn wir einmal drüben wären, schien es mir, sollten die Schwierigkeiten zur Hauptsache beendet sein; man sah schon die Hütte auf den schwarzen Felsen der Grands Mulets. Endlich war ich soweit. Das Seil warf ich auf der andern Seite der Spalte über einen Eiszacken. Dadurch konnte ich mich nachziehen und das Gleichgewicht halten. Ich hackte einige Stufen in die Spalte hinunter, machte einen Spreizschritt, ergriff das Seil und hisste mich auf der andern Seite hinauf. Für Maman war die Sache einfacher. Später begegneten uns drei junge französische Bergsteiger, welche im Aufstieg begriffen waren. Sie erzählten uns, sie seien die ganze letzte Nacht durch den Gletscherbruch zu den Grands Mulets aufgestiegen; es sei fürchterlich gewesen. Heute war es für sie zu spät, um den Mont-Blanc-Gipfel zu erreichen, doch setzten sie ihren Anstieg fort.

Verhältnismässig leicht fanden wir den restlichen Weg zur Hütte.Vor den steilen Felsen der Grands Mulets schnallten wir endlich nach acht Stunden Marsch unsere Steigeisen ab - um zwölf Uhr. Ein ausgesetztes, mit Drahtseilen versehenes Weglein führte uns vor den Augen des jungen Hüttenwartes, der auf der Terrasse stand, zur Hütte. Diese ist genau nach dem gleichen Plan gebaut wie diejenige auf der Aiguille du Goûter und, wie jene, soviel wie neu. Wie waren wir erstaunt zu hören, dass ausser dem Hüttenwart niemand da sei! Die drei jungen Leute, welchen wir auf dem Gletscher begegnet waren, seien in der Nacht auf der falschen Seite der Grands-Mulets-Felsen durchgestiegen und hätten Schreckliches durchgemacht. Auf meine Frage, wie denn der richtige Weg zu finden sei, erklärte er uns etwas vage, man müsse bis zu einer Spalte, die man nicht überqueren können, dann auf die rechte Seite des Gletschers uswIch fragte ihn weiter, wo er denn aufgestiegen sei. Da erklärte er uns schmunzelnd: « en hélicoptère ». Wir konnten also niemanden fragen, der den Gletscherbruch vor kurzem begangen hätte.

Am Nachmittag kamen die drei jungen Alpinisten wieder zurück und traten nach einem kurzen Trunk sofort den weiteren Abstieg an. Am Abend waren die Felsabstürze der Aiguille de Saussure von der untergehenden Sonne vergoldet, aber eine Wetteränderung schien im Anzug zu sein. Von Westen her segelten einige Wolken über den Mont-Blanc-Gipfel. Es kam wirklich niemand mehr in die Hütte herauf. Nun hatten wir endlich Platz genug. Der Hüttenwart, ein Student, kochte uns ein ausgezeichnetes Nachtessen, und das abendliche, gemütliche Plauderstündchen wurde abgehalten. Die Hütte liegt auf nur 3061 Meter Höhe; darum war der Schlaf leicht zu finden. Ab und zu krachte es in den Eismassen beidseits des Felsrückens, auf dem die Hütte steht, was unser Gefühl der Geborgenheit aber nur noch verstärkte.

Der nächste Morgen brach wieder mit blauem Himmel an, obschon sich der Mont Blanc nun deutlich anschickte, seinen « Hut » aufzusetzen. Wir schliefen heute, an unserem vierten Gebirgs-morgen, länger als gewöhnlich; das Schlafmanko war somit aufgeholt. Dann verabschiedeten wir uns vom Hüttenwart und traten den Abstieg im Eis, mit Steigeisen bewehrt, um 7.30 Uhr an. Was würde uns wohl die berühmte « Jonction », die Vereinigung der beiden gewaltigen Eisströme unterhalb der Grands Mulets, bringen? Schon als Knaben hatten mich die Bilder aus diesem Eisbruch in Staunen versetzt.

Vorerst ging es recht gut, und wir fanden Spuren von früheren Begehungen, die aber sehr stark ausgeschmolzen waren, und bald wurden wir von einem unübersichtlichen Spaltengewirr aufgehalten. Es musste an einem zurechtgepickelten Eispilz abgeseilt werden. Daneben waren Stufen in die Eiswand gehackt, welche jeder natürlichen Balancemöglichkeit bei unseren irdischen Gravi-tationsverhältnissen spotteten. Sie mussten vor ungefähr einer Woche gemacht worden und seither durch die Bewegung des Gletschers um einige Grade gekippt sein.

Mittlerweile wurde es warm, und in der Sonne fing auch das Eis, das noch vereinzelte Schneeflecken aufwies, zu tropfen an. Wir schwitzten bei der Schwerarbeit am ganzen Leib. Noch eine Abseilstelle - und dann schien alles vor uns und hinter uns versperrt zu sein. Lediglich eine undeutliche Spur wies nach rechts aufwärts. Wir schritten ihr behutsam nach und gelangten auf eine Eiskanzel von unwahrscheinlicher Ausgesetztheit. Vorne war sie senkrecht abgebrochen, und beidseitig gähnten schwarze Schlünde. Nach vorn gebeugt, konnte man 20 Meter unter sich eine Holzleiter sehen, welche quer über eine Spalte gelegt war. Auf irgendeine Weise mussten wir also dort hinunter gelangen, und es blieb uns nichts anderes übrig, als über diese luftige Eiskante abzusteigen. Oben fand ich vier Holznägel von 8 Zentimetern Länge. Ich schlug alle am gleichen Ort im Eis ein und erhielt auf diese Weise einen - wenn auch prekären - Halt für die Seilsicherung. Mutig wie immer stieg Maman zuerst ab und erreichte einen Standplatz in mittlerer Höhe der Eiskante. Ich fühlte mich etwas müde, aber an Durst und Hunger durfte man jetzt nicht denken; Spannung und Gefahr waren zu gross, um eine Rast zuzulassen. Im übrigen drängte die 1Das Matterhorn, von der Dent Blanche aus ( im Jahre 1939 ) 2Blick von der Dent Blanche auf den Viereselsgrat Photos Heinrich Furrer, Bern Zeit; es war schon 13 Uhr, und der Gletscher wurde bei dem Tauwetter immer gefährlicher. Eistürme, die wir im Kampfeseifer kaum mehr beachteten, standen über und neben uns.

Wie ich mich anschickte, selber zu dem Wagestück anzutreten, sah ich von meiner Zinne aus drei junge Leute im Schnellschritt den Gletscher herunterkommen, geradewegs gegen die unteren, unpassierbaren Brüche zu. Dann entdeckten sie die Leiter unter uns und stiegen ebenfalls zu unserer Kanzel herauf. Nun waren wir nicht mehr allein. Sie erklärten, sie hätten heute morgen mit knapper Not den Gipfel des Mont Blanc erreicht; andere Partien seien wegen des heftigen Windes vor dem scharfen Gratstück umgekehrt. Der älteste der Alpinisten betrachtete mit sichtlicher Skepsis meine vier Nägel, die ich als Sicherung benützte. Ich war erleichtert, dass ich sie jetzt nicht auf die entscheidende Probe stellen musste. Gesichert von dem hilfreichen jungen Mann, stieg ich zu Maman hinunter, wo ein senkrechter Absatz auf die schwankende Leiter hinunterführte. Diese Leiter machte, wenn man mitten drauf war, über dem schwarzen Schlund eine Kippbewegung. Sie war vor vierzehn Tagen angebracht worden, und durch das Abschmelzen und die Bewegung des Gletschers stimmte natürlich ihre Auflage nicht mehr. Als das alles hinter uns lag und wir uns für die Hilfe unserer Begleiter bedankt hatten, sprangen diese davon und verschwanden hinter einem riesigen Eisturm ebenso rasch, wie sie erschienen waren.

Wir befanden uns wieder allein mit dem Heer drohender Eistürme. Das Schlimmste war immerhin vorüber, und der Gletscher wurde flacher. Ohne schwere Hindernisse schritten wir gegen den rechten Rand des hier schneefreien Bossongletschers zu. Bevor wir aber den Felsen erreichten, lag wieder ein Labyrinth von Spalten vor uns. Wir fanden ein Wegzeichen in Form eines roten Plastikfetzens auf einem Stein. Was bedeutet aber dies auf einem Gletscher, der sich so rasch verändert? Wir hatten jede Spur verloren. Das blanke Eis war von Granitblöcken über- i44 sät. Als wir die Eisgrate beschritten, rollten Blöcke rechts und links mit Gepolter in die Tiefe. Auch ohne unseren Tritt stürzten da und dort oft Blöcke ab. Hier wurde es besonders deutlich, dass sich der Gletscher ständig bewegt, und zwar, wie wir erfuhren, bis 40 Zentimeter an einem Tag.

Nun standen wir direkt am Felsrand, berührten den abgeschliffenen Fels mit den Händen, und doch gelang es uns kaum weiterzukommen; tiefer wurden die Randklüfte und bedrohlicher die Steinschlaggefahr. Ich sagte zu Maman, dort oben über dieser Felswand, wenn wir dahin kämen, wäre, nach der Karte beurteilt, die Sache gemacht. Wir entdeckten in der Felswand von etwa 30 Meter Höhe eine Verschneidung, welche bis hinauf reichte. Aber welche Steilheit! Die Steigeisen wurden in die Rucksäcke gepackt. Maman begann wortlos in die Wand zu klettern. Ich presste mich in eine Felsnische und versuchte eine Seilsicherung, welche utopischen Charakter besass, aufzubauen. Einige bange Minuten verstrichen, ehe Maman, wie eine Katze an den Fels geschmiegt, sich in behutsamen Bewegungen um einen Wulst herumschob und den oberen Teil der Verschneidung erreichte. Dann entschwand sie meinem Blick, aber als das Seil ausging, ertönte der befreiende Ruf: « Tu peux venir! » Mit ihrer Seilsicherung, die nun tatsächlich eine war, kletterte ich rasch nach, erhielt aber einen Begriff der Schwierigkeit, die sie überwunden hatte. Später sagte sie zu mir: « C' était une folie. » Meine Prognose stimmte aber: Von hier aus gelangten wir ohne besondere Schwierigkeiten, über weniger geneigte Felsplatten absteigend, auf den Pfad, der nach der Aiguillette du Tour führt.

Wir hatten das Gefühl einer Rettung, endlich dem Rachen eines der wohl steilsten Gletscher der Alpen entronnen zu sein. Es war fast 15 Uhr geworden. Müdigkeit, Hunger und Durst meldeten sich gebieterisch. Ich schöpfte an einem Bächlein Wasser in die Feldflasche.

Auf dem Rücken der Aiguillette, am Fuss der Aiguille du Midi, lagerten wir in grünem Gras 1 1 Am Täschhom-Südgrat 2 Die Ostwände der Mischabelkette: Täschhorn und P.4468, dahinter der Dom Photos Andreas Scherrer, Davos und knabberten glücklich unsere essbaren Reste. Ein wohltuender Spaziergang mit gestärkten Gliedern führte dann über Weiden und Moränen zu der Zunge des Glacier des Pèlerins. Auch dieser Gletscher war trotz seiner Flachheit, der vorgerückten Jahresszeit entsprechend, stark aufgespalten. Verglichen mit der Jonction, war diese Überquerung jedoch nur eine Spielerei.

Im Bergwirtshaus auf dem Plan de l' Aiguille tauchten wir wieder in die Übervölkerungszivili-sation ein, erhielten aber ein ruhiges Zimmerchen. Beim Abendessen hörte Maman die Bemerkung einer jungen Dame: « Je suis très contente de ne pas être Suisse. » Leider hatte ich keine Gelegenheit, meine Gegenbemerkung anzubringen: « Moi aussi, je suis très content que vous n' êtes pas Suisse. » Bei diesen Leuten schien es sich um Kletterer zu handeln, befanden sie sich doch hier am Fuss eines der berühmtesten Klettergärten der Welt. Wir hatten einen ruhigen Abend. Unser Wasch-wasser mussten wir einen Kilometer weit aus einem Bach holen, was uns gerade die gewünschte Bewegung nach dem Nachtessen verschaffte. So schliefen wir nachher wie die Murmeltiere. Trotzdem hatte ich einen sehr eigenartigen Traum: Ich schritt durch die lange, dunkle Halle eines indischen Tempels. Auf allen Seiten lauerten in bedrohlicher Stille Reihen grässlicher Dämonen mit klaffenden Mäulern, Rachen voller Zähne und darüber aufgerissenen Glotzaugen. Hatten diese Erscheinungen nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit den Spalten und Eistürmen der Jonction von gestern?

Ein Bummel nach Montenvers mit einem Blick auf das Mer de Glace bei Gewitterstimmung über den Grands Charmoz führte uns nach Chamonix. Der Mont Blanc trug nun wieder seinen « Hut », den er vor drei Tagen gnädigst für uns gelüftet hatte, tief ins Gesicht gezogen.

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