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Aus der Mooswelt der Alpen

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ooswelt der Alpen.

Von W. Pfeffer, Dr. phil.

Mit unaussprechlicher Sehnsucht, doch kaum übertriebenem Hoffen, eilt der Bryologe des Flachlandes in die hohen Dome der Alpen, wo so viele, nur hier vorkommende Kinder der scientia amabilis seiner warten. Wenn auch das reiche organische Leben, in mannichfachster Gliederung, von den Thälern bis zu den eisigen Gipfeln der Bergeszinnen sich entfaltet, verdienen gerade die Moose eine besondere Beachtung. Denn während im gemässigten Europa ihre Zahl ein Zehntel der Gefässpflanzen beträgt, steigt sie in den Alpen auf ein Drittel der höheren Gewächse.

Die Liebe, mit der Moose sich so zahlreich in der Nähe der Schneepaläste ansiedelten, sollte sie nicht die Forscher der Alpen ermuntern, ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken?

Wenn der Ausdruck „ Moos " als Collectivbegriff bei näherem Eingehen schwindet, erschliesst sich uns in ihren trauten Gestalten eine nie geahnte grossartige Tektonik zum Studium des Mikrokosmos in den Bergeswelten schwei- fend, finden wir bei sinnigem Genüsse eine Quelle der schönsten und tiefsten Belehrung.

Aus der Mooswelt — so sehr geeignet für geographische Studien — lernen wir lesen oder ahnen: wie mannigfache Factoren bestimmend auf die Vertheilung des organischen Lebens in den Alpen wirken. Ihr jetziges Leben und Treiben lässt uns auch in längst -vergangene Zeiten tiefe Blicke werfen, erlaubt uns auf den Einfluss zu schliessen, den sie bei der Dienstbarmachung der trotzigen Gesteine der Alpen nahmen: von der Zeit, wo diese dem Schoosse des Meeres entstiegen, bis dahin, wo sie, nach wechselvollem Schicksal, als Product der mannigfachst wirkenden Factoren, der Jetztwelt überliefert wurden.

In der That, von der fruchttragenden Scholle bis hinauf zu den Bergesgipfeln, ist keine Wand zu steil, kein Gipfel zu rauh, um nicht einige Moose zu bergen, so lange nicht mit eisigen Armen die Natur ihr Dasein unterdrückt. Selbst die Bedeckung unserer Häuser ist nicht frei von ihnen geblieben: verschiedene eng sich anschmiegende Astmoose ( Pseudoleskea tectorum, Pylaisia polyantha, Hypnum cupressiforme, arcuatum Ldbg. u.a. ), dunkelgrüne runde Raschen von goldliaubigem Steifschopfmoose ( Orthotrichum anomalum ), graue Grimmien ( Grimmia pulvinata ), langhaarige Drehmoose ( Barbula muralis, ruralis ), rother Hornzahn ( Ceratodon purpureus ) u.a., haben sich mit gelben und grauen Flechten auf dem erhabenen Wohnsitz angesiedelt. Doch auch freudig steigen sie herab, um im Vereine mit ihresgleichen den Mauern aus Menschenhand den Stempel der Geschichte aufzudrücken. Wahrlich rührend ist ihre Anhänglichkeit an den Menschen!... Nicht treuer begleiten Hausthiere ihn bis in die entlegensten Wohnsitze ferner Länder, als Hornzahn, Dreh- und Astmoose ( Ceratodon purpureus, Barbula muralis, Hypnum cupressiforme ).

Wo der Pflug des Laudmanns seine Furchen zieht, scheinen dem oberflächlichen Blicke Moose ganz zu fehlen. Dennoch sind sie auch hier, wenn auch in winzigen Formen, vorhanden. Da stehen unscheinbare Ohnmundmoose ( Phascum, Ephemeruni spec ), einzeln dem Auge kaum bemerkbar und doch eigensinnige Geschöpfe; denn statt wie andere Moose ihre Frucht durch einen Deckel zu öffnen, um ihre Sporen den wechselvollen Lauf des Lebens antreten zu lassen, halten sie ihren fortpflanzenden'Inhalt gefangen, um erst nach Verwesung der Kapselhülle ihn das Licht der Welt erblicken zu lassen. Doch für ihren Eigensinn müssen sie auch büssen!... Keinem von ihnen ist es erlaubt in die Herrlichkeit der Alpenwelt aufzusteigen, nur selten erreicht ein Ohnmundmoos das Ende des Getreidebaues, fast alle bleiben schon früher zurück. Nur eines ist der Alpenwelt eigenthümlich, die nur aus Kärn-thens Alpen bekannte Voitia nivalis. Doch nicht nur die Gunst ein Alpenkind, sondern auch die grösste ihrer Verwandten zu sein, wurde dieser seltenen Schönen zu Theil.

Neben Ohnmundmoosen besiedeln auch Pottien, Gabel-zahn, Dreh- und Knotenmoose ( Pottia sp., Barbula sp., Dicranella varia., Bryum cespiticium, argenteum ) das bebaute Feld. Ebenso, wie die Felder arm sind, haben auch gesunde Wiesen nur wenige Moose aufzuweisen; verschiedene Astmoose ( Braehythecium rutabulum, Eurhynchium prae-longum etc. ) kriechen bescheiden zwischen dem Grase. Auf Erdblössen, an Absätzen, oder den Domen der schaffenden Thätigkeit unterirdischer Wühler leben gleiche und ähnliche Moose, wie auf bebautem Felde.

Wo jedoch Wiesen zu trocken oder zu nass werden, sind Moose in grösserer Menge zu finden, den jeweiligen Vegetationscharacter wesentlich mit bestimmend. Ein Heer von Astmoosen ( namentlich Hypnum lutescens und abieti- num ) ist für trockene Stellen mit Graswuchs eharacteri- stisch;

nicht etwa räuberisch gute Wiesen überfallend und verderbend, wie es ihm wohl nicht allzu selten zugeschrieben wird, wo die Menschen nicht ihrer eigenen Schuld, sondern unabweisbaren anderen Dingen die Verschlechterung von Wiesen Schuld geben.

Mannigfach sind die Moose die an der Vegetation sumpfigen Terrains sich betheiligen, auffallenderweise jedoch bis in die höchsten Moore mit ziemlich denselben Species. Dagegen rufen andere Verhältnisse, neben physikalischen hauptsächlich durch chemischen Einfluss bedingt, grosse Unterschiede im Moosteppich hervor.

Schwellende Polster graugrüner und röthlicher Torfmoose ( Sphagna sp .), trocken in gespenstigem Weiss erscheinend, sind mit goldhaarigen Wiederthonmoosen ( Polytrichum commune, gracile, juniperinum ) bezeichnende Massenvegetation für die Torfmoore: wie sie in Norddeutschland so ausgedehnt sich finden, meilenweit die fürchterlich einförmigen Tundern polarer Gegenden mit gleichförmigen Mooskleid decken.* ) Bei weitem weniger durch Moose, als vielmehr durch zahlreiche Riedgräser und Schilfrohr, sind die Grün-lands- oder Wiesenmoore ausgezeichnet. Ihre ganze, aus verschiedenen Astmoosen ( Hypnum sp .) bestehende Massenvegetation, findet sich, wenn auch zum Theil weniger massenhaft, in den Hochmooren wieder.

Es kann kaum zweifelhaft sein, dass der Kalkgehalt des moorerzeugenden Wassers es ist, der diese Verschiedenheiten der Vegetation hervorruft; nie finden sich Torf-

* ) Ausserdem characteristisch: Dicranella eeryiculata, Cam-pylopus turfaceus, Cinclidium stygium, Meesia longiseta, tristicha, Paludella squarrosa, Polytrichum gracile, commune, strictum, Hypnum stramineum, Sphagna omnia. ( Nomenclatur, wo nicht Autoren bemerkt, nach Schimper's Synopsis ).

moose in auch nur schwach kalkigem Wasser, und der Untergang ist ihnen gewiss, wenn ein Hochmoor mit kalkigem Wasser überrieselt wird.

Dass so wenige Moose den Mooren alpiner Regionen eigenthümlich sind — etwa nur Cinclidium stygium, Hypnum sarmentosum, beides jedoch seltenere Individuen — ist wohl in der überall gleich reichlich fliessenden Feuchtigkeit begründet. Müssen wir sonst auch eine bedeutende klimatische Spannweite zugeben, so ist doch auch wohl zu beachten, dass die Temperatur des Moorbodens auch in der Ebene niederer, als die andern Bodens ist; wohl eine Folge starker Verdunstung. Uebrigens bleibt auch die Vegetation höherer Pflanzen in den Mooren bei verticaler Erhebung auffallend gleich, im Verhältniss zu dem anderweitigen Wechsel, wenn auch mehr neue Elemente hinzutreten als bei den Moosen. Neben dem erwähnten Unterschied der Wiesen und Hochmoore, von denen das über Moore Gesagte sich besonders auf letztere bezieht, drückt jedoch die Pflanzenwelt mit wechselnder Schattirung, vielfach verschiedene Physiognomien den einzelnen Mooren auf.

Den Lauf der Flüsse begleitet eine eigenthümliche Vegetation, namentlich abhängig von der physikalischen Beschaffenheit des Bodens. Der feingeriebene Sand, kalkiger sowohl als kieseliger, ist besonders ausgezeichnet durch eine Reihe von Knotenmoosen ( Bryum versicolor, argenteum, intermedium ); seltener, namentlich kieseliger, auch durch Zackenmützen ( Racomitrium canescens ). Auf kalkhaltigem Sande besonders nehmen auch die Drehmoose ( Barbula convoluta, inclinata ) einen wesentlichen Rang in der Massenvegetation ein. Die gröberen Gerolle überziehen, neben andern, verschiedene Astmoose mit freudig grünen Polstern ( Hypnum lutescens, abietinum, molluscum, Cylin- drothecium concinnum ).

So mannigfach die Producte der zerstörenden und schaffenden Thätigkeit der Flüsse, so mannigfach auch der Wechsel der Moose! Es würde zu weit führen, wenn ich auch den zusammenhängenden Détritus, sumpfige Lachen, Ufer, Dämme in das Bereich meiner Betrachtung ziehen wollte.

Selbst das flüssige Element ist nicht frei von Flora ' » Kindern. Die Steine der Uferdämme und in 's Wasser reichende Felsen, bewohnen verschiedene, den unstäten Fluthen nie, oder nur selten entsteigende Moose ( Cincli-dotus sp., Hypnum palustre, ruscifolium, Fontinalis ). Gerade die kalten Wasser von Eis und Schnee sind es aber, die manche specifische Alpenbürger beherbergen ( Limnobium alpestre, Schimperianum Lrtz ., arcticum, Brachythecium glaciale ). Auch selbst am Sturz des wilden Gebirgs-sohnes fehlen Moose nicht: wie verzweifelt klammern sich Wassermoose ( Limnobium palustre ) an die Felsen, fluthende Quellmoose ( Fontinalis ) wiegen auch noch in der, durch die Gewalt des Falles wild erregten Wassermasse ihre langen Gestalten. Die ewige Fluth donnert ihnen eine grossartige Melodie zum ewigen Tanze!

Am nahen Felsen, triefend von dem tausendfach zerstäubten Wasser, kleben schwellende Polster der schönsten Moose, deren manche am liebsten in der Nähe tosender Catarakte wohnen. Diese, von Höhe und besonders Gesteinsbeschaffenheit so sehr abhängige Vegetation, unterlasse ich speciell namhaft zu machen. Nur ihrer sei gedacht, die an wassertriefenden, tuff bildenden Stellen wohnen, jener eitlen Individuen der Mooswelt: die durchaus ihre vergänglichen Beste, wenn auch nur in Stein, der Nachwelt erhalten möchten. Trifft auch manche Moose gelegentlich nur dieses Schicksal, so wohnen doch auch andere einzig an Stellen, wo kalkige Wässer rieseln ( Eucladium verticillatum, Tricho- stomuni tophaceiimj.

Die lösende Kohlensäure diesen entziehend, um sie zu neuen Formen zu verjüngen, tragen sie seihst zum Wachsthum ihres steinernen Grabes, durch Nieder-schlagung des Kalkes, bei.

Bei weitem das üppigste Moosleben spiegelt sich im Walde: schwellende Polster von Moosen lachen uns mit der Farbe der Hoffnung entgegen. Doch keine Täuschung ist « a, was uns Flora's Kinder symbolisch erzählen: im Schutz des Waldes liegen ihre schönsten Schätze. So mannigfache seltene Möslein auch hier verborgen sind, eigensinnig nur in dem grünen Lichte der Laubwälder ein freudiges Dasein führend, oder im tiefen Ernst alpiner Nadelwälder ein zusagendes Asyl findend, der gewöhnliche Grundton der Waldesvegetation wird nur durch wenige Moose bestimmt. In erster Reihe sind es Astmoose ( Hypnum triquetrum, splendens, Schreberi, purum, Crista castrensis, striatum, Oakesii ), denen sich mehr local: Wiederthonmoose ( Polytrichum formosum ), oder auch wohl Gabelzahnmoose ( Dicranum scoparium ) beimischen. In dichten Beständen steigen sie von der Ebene bis zu den letzten Bäumen, und wenn sie auch weiter noch in die Alpenregion vordringen, der gesellige Trieb kommt nie mehr in solchem Maasse zur Geltung.

Neben den Hauptzügen des Moosbildes bestehen jedoch noch wesentliche Staffagen. Als prächtige Ornamentik kleben zahlreiche Moose an den Stämmen der Bäume, namentlich der Laubhölzer ( Anomodon attenuatus, Leucodon sciu-roides, Hypnum cupressiforme, Neckera complanata, crispa, Amblystegium subtile, Orthotrichum sp. etc. ). Selbst noch im Schütze des Waldes lösen sie nicht weniger ihrer hohe Aufgabe, wie gleiche oder ähnliche Vegetation an den Stämmen freistehender Bäume: im unbewussten Instincte ihres schützenden Gewandes haben sie stets die Nordseite am dichtesten bekleidet, um gegen den rauhen Boreas ihren Hausherrn zu decken, nur andere Seiten am dichtesten überziehend, wenn durch locale Ursachen der Ventilation ein erkältender Luftzug von anderer Richtung herbeigeführt wird.

Mcht nur an die Stämme der Bäume ist die Mooswelt gebannt: kühne Individuen steigen mit gespenstischen Flechten bis in die obersten schwankenden Aeste. Namentlich sind es Steifschopfmoose ( Orthotricha sp. Ulota sp .), die gerade so gut auf den Baumgipfeln wohnen, wie sie oder Verwandte an dem dornigen Gestrüpp der Hecken und Raine.

Auch nach dem Tode hat der Baum noch seinen Tribut zu zahlen. Wenn das Alter oder der rasende Sturm, die Lebenskraft brechend, des Waldes Riesen zu Boden schleuderten, fallen bald Moose, Flechten und Pilze über das der Verwesung anheimgegebene Familienglied. Neben roth- köpfigen Flechten winkt die Buxbaumia ( indusiata ) mit ihrer grossen pauckenartigen Frucht, ein ganz abnorm aussehendes Moos, als ob es entartet wäre, schwelgend im Genüsse der reichlich durch den Verwesungsprocess aus- gehauchten Kohlensäure. Bei den meisten übrigen Moosen* ) scheint ein Bestreben zu herrschen: sich möglichst weit auf dem Stamme auszudehnen, sei es durch flache Rasen oder kriechende Ausläufer, wohl um vom köstlichen Ambrosia der Pflanzen « der Kohlensäure » gleich am Entstehungspunkte möglichst viel zu trinken.

Gewaltige Felsblöcke liegen im Walde zerstreut, Jahrtausende rauschten schon an ihnen vorüber, doch keine

* ) Die häufigsten sind: Brachythecium rutabulum, sale- brosum, Plagiothecium süesiacum, denticulatum, Arablystegium serpens, Dicranum flagellare, scoparium, Mnium rostratum, Bryum capillare, nutans, Tetraphis pellucida, Hypnum unci-natum n, a. Achtung kannten Moose und Flechten, wo es sich darum handelte, das Kleid des Lebens der starren Natur anzulegen.

Die zahlreichen Moose der Felsblöcke, nach Gesteinsart so sehr wechselnd, auseinander zu setzen, würde hier nicht am Platze sein.

Wie jene wetterfesten Naturen unserer Antipoden für Ausdehnung der Civilisation im fernsten Westen, so kämpfen Flechten und Moose für die Interessen des Pflanzenreichs. Unscheinbare schorfige Anflüge von Flechten, zart Terschlungene Fäden — die Vorkeime von Moosen, Flechten u. s. w. nur durch Missfärbung des Gesteins wahrnehmbar, sind der Anfang der so wichtigen Wesen. Lange Zeiten sind sie oft an diesen niedern Zustand gebannt, bis fruchttragende Individuen sich aus ihrem Schoosse entwickeln. Auch jetzt noch dringen die feinen wurzelartigen Fäden in jedes kleinste Spältchen, das sie recognoscirend-herumkriechend finden. Ihre mechanische Thätigkeit, schon begünstigt durch stetige Verwitterung des Gesteins, findet auch durch chemische Einflüsse Unterstützung. Die feinen Fäden scheiden Kohlensäure aus, oder wirken wohl auch durch den, die Zeil wände durchdringenden, sauren Zellsaft lösend auf ihre Unterlage. Fortwährend mischen sich die absterbenden Theile mit der gelockerten Masse des Gesteins, so allmälig eine kleine Menge von Humus schaffend. Jetzt ist der Platz für eine andere Pflanze, sei es Moos oder Flechte, geschickt; opferwillig überlässt der muthige Vorkämpfer dem immer noch bescheidenen Nachfolger seinen Platz. So wechselt mit fortschreitender Zersetzung öfters die Vegetation, immer höheren anspruchsvolleren Pflanzen weichend; so mögen Jahrhunderte verfliessen: bis eine üppige Pflanzendecke auf reichlich nahrungsspen-dendem Boden das Monument jener unscheinbaren Vorkämpfer geworden ist.

Die Wälder sind es, die so sehr meteorische Niederschläge beeinflussen, die Moose die sie haushälterisch verwerthen; Wald und Moos gehören zu einander im harmonischen Walten der Natur. Die Moospolster saugen die Feuchtigkeit begierig auf und vermitteln, wie auch Grasfluren, deren Eindringen in den lockeren Boden. Tritt Trockenheit ein, so geben sie auch den letzten Tropfen des köstlichen Nasses ab: zur Speisung von Quellen, zur Ernährung dürstender Pflanzen, um selbst in den Zustand des Schlafes zu verfallen. Unregelmässig struppig erscheinen die sonst so zierlichen Kinder, das lebensfrische Grün ist einem matt-gelblichen gewichen; vielfach gekräuselt und wirr abstehend, oder kätzchenartig sich deckend, als wenn sie in Verzweiflung sich hätten schützen wollen, stehen die scheinbar leblosen Blätter.

Doch kaum braucht Feuchtigkeit die Scheintodten zu berühren, so erwacht auch neues Leben in ihnen. Die Blätter strecken und recken sich, in schwankenden Bewe- gungen, wie im Freudentaumel, hin- und herfahrend, bis sie endlich von Feuchtigkeit durchdrungen sich beruhigen. Auch Aeste und Stamm nehmen wieder eine straffe Haltung an, in vollen Zügen vom köstlichen Nasse trinkend.

Und wenn die trauten Freunde, Wälder und Moose, nicht so segensreich walteten? Blicke auf die Geschichte des Verfalles so mancher einst blühender Länder, das babylonische Reich, Palästina, die römische Campagna u.a. wissen davon zu erzählen. Ich will nicht hier weiter so manche verderbliche Folgen der Entwaldung der Alpen be- rühren, wie sie namentlich die Westalpen so schreckenerregend zeigen. Wüste Geröllmassen, kein Baum und Strauch an der Stelle einst nutzbarer Wälder: sind die Frucht des Grimmes, mit dem die einstigen Bewohner gegen die Wälder, hiermit auch gegen die treuen Alliirten, die Moose, wtftheten.

Wie schon erwähnt, sind es namentlich die Moose, die die Regen, insbesondere im Gebirge, in nutzbringend-ster Weise verwerthen. An den kahlen Gehängen würde das Wasser ablaufen, in den Vertiefungen sich sammeln, um als verheerender Strom in die Thäler herabzubrechen. Wenn die Fluthen verliefen, Schlamm und Gerolle vom Zerstörungswerk zurücklassend, wenn glühende Wärme ein- träte, würde bald ein anderes Extrem, fürchterliche Trockenheit, dem organischen Leben freudiges Gedeihen unmöglich machen; die nahrungsspendenden silbernen Wasseradern des Landes zum grossen Theil versiegen. Wahrlich, was Moose in der Farbe der Hoffnung eiitgegenlachen, ist keine Täuschung! In ihrem Schütze entwickeln sich zarte Keime von Thieren und Pflanzen, im Kreislauf des unentbehrlichen Nasses sind sie herrliche Vermittler zu Gunsten organischer Welten.

Kein Makel klebt an der nur dem Nutzen geweihten Mooswelt; fast zu willig überlässt sie überall dem Menschen das Terrain, was er zur Dienstbarmachung sich erkor; doch wählerische Gesellen fehlen auch ihr nicht. Nur der Schirmmoose ( Splachnaceae ) sei hier gedacht, die dem niedern Lande fast gänzlich fehlen, in den Alpen und im hohen Norden ihre Heimat haben. In den höheren Wäldern, auf Alptriften oder windgepeitschten Gräten leben sie; zum Theil am liebsten, oder ausschliesslich auf thierischem Dünger, wählerisch sogar unterscheidend, ob ein Pflanzenfresser ( Tayloria serrata, Splachnum sphaericum ) oder Fleischfresser ( Tetraplodon angustatus ) im « sinnigen Walten der Natur » ihrem Substrate die Entstehung gab.

Selbst magischer Zauber ist der Mooswelt nicht fremd. Ein seltener Bürger zwar, bewohnt das zierliche Leuchtmoos- ( Schistostega osmundacea ) höhlenartige Vertiefungen oder einschüssige Wände kieseligen Gesteins.

Kaum würde das nur wenige Linien hohe Möslein auffallen, wenn es nicht mit wahrhaft feenhaft grünem Lichte — eine herrliche Busennadel des Felsens — seinen Wohnsitz schmückte. Nicht jedoch die winzigen laubigen Theile sind es, die durch ihren Glanz entzücken, sondern die noch winzigeren, verschlungenen, am Felsen kriechenden Fäden ( Vorkeime ), sorgsame Eltern, die auf ihre Weise den unscheinbaren Weltenbürger zur Geltung bringen.

Tritt man aus dem Walde auf alpine Weiden, so ist das dichte Mooskleid verschwunden; wie überall, unterlagen auch hier die Moose im Kampfe um 's Dasein mit dem wuchernden Grase. Immerhin tragen, wenn auch weniger wesentlich, einige zur Physiognomie der Alpentrift bei, namentlich die Stellen entblössten Bodens und mangelhaften Graswuchses occupirend. * )

Reichlich aber weben wieder Moose an steinigen Trümmerhalden des Gebirges, sei es, dass vor Jahrhunderten sich diese bildeten, oder vor wenigen Jahren: durch Einsturz oder fortschaffende Gewalt des Wassers und der Gletscher; immer eilten Moose und Flechten hin, um mit sinnigem Gewände die entblösste Natur zu decken. Auffallend ist, dass von der gewöhnlichsten Massenvegetation der Trümmerfelder, den Kalkgesteinen kein Moos einzig zukommt, während das Kieselsubstrat reich an eigenthümlichen Arten ist.

* ) Dicranum Mühlenbeckii, scoparium, Distichium capilla-ceum, Bryum algovicum, Desmatodon latifolius, Leptotrichum flexicaule, glaucescens, Didymodon rubellus, Webera nutans sind die häufigsten.

Die gewöhnlichsten der Alpenregion auf Kieselsubstrat allein sind: Andraea petrophila, Dicranum longifolium, Schweizer Alpen-Club.30 Neue Bilder entfalten sich da, wo Wasser das Geröll durchrieselt:

schwellende Polster anderer Arten vegetiren üppig in ihrem geliebten Nass.* )

Eine bedeutungsvolle Moosvegetation führt auf dem feinschlammigen Sande, wie Gletscher ihn bilden und schmelzende Schneefelder zurücklassen, ein kämpfendes Dasein. Besonders sind es einige Schlamm-Bryen ( Bryum Ludwigii und cucullatum ), nordisches Goldhaarmoos und kosmopoli-tisches Zackenmützchen ( Racomitrium canescens ). Auch ein diesem Substrate eigenthümliches, seltenes, wenn auch der Kleinheit halber wohl vielfach übersehenes Moos, ist die zierliche Angstromia ( longipes ).

Wenn auch viele der kühnen Gesellen, der pulsirende Gang des Gletschers mit eisigem Arme vernichtet, eine jahrelange Schneedecke zur Unthätigkeit verbannt: immer rücken neue Kämpfer dem weichenden Eise nach; erwachen, wenn der Schnee gewichen, die Moose aus dem Zauberschlafe, zu neuem, thatenreichem Leben. Kohlensäure der Luft, spärliche, vom rieselnden Wasser zugeführte Nahrung, sind die Baustoffe, aus denen die Meisterhand der Natur die zierlichen Gestalten formt. Im kleinen Rasen sammelt sich Schlamm des Gletscher- und Schneewassers, Staub den Winde herbeiführen; mit den absterbenden Theilen, des oben weiter wachsenden Mooses sich mischend, bildet sich ein kleines Polster fruchtbarer Erde. Das Moos hat nun

albicans, Grimmia ovata, alpestris, funalis, elatior, Racomitrium sudeticum; auf allen Gesteinen: Racomitrium canescens, lanuginosum, Barbula ruralis, aciphylla, " Weisia crispula, Grimmia apocarpa, Hedwigia ciliata, Leptotrichum flexicaule, Brachy-tnecium glaciale, trachypodium, Lescuraea saxicola, Pseudo-iegkea atrovirens.

* ) In der Alpenregion sind die häufigsten: Bryum turbi-natum var. latifolium, Hypnum commutatum, palustre — Grimmia mollis, Hypnum molle, arcticum; letztere 3 nur auf Kiesel-gesfcein.

seine Schuldigkeit im Haushalt der Natur gethan: einer höheren, anspruchsvolleren Pflanze überlässt es die eroberte Scholle.

Mag auch auf den ersten Blick ihr Wirkungskreis nur unbedeutend für die Jetztwelt erscheinen, betrachte die muthigen Kämpfer nicht mit Verachtung, wirf deine Blicke in vorgeschichtliche Zeiten! Als die weit in die Thäler sich erstreckenden Gletscherarme langsam, pulsirend zurückwichen, folgten ihnen sicher, wohl wie jetzt, Moose auf dem schlammigen Sande; kämpften Moose und Flechten, an den vom Eis entblössten, glattgeschliffenen Felsen, für die Interessen des organischen Lebens. Auch selbst seit jener Zeit, wo dem tertiären Meere die Alpen entstiegen, waren Moose und Flechten die Sappeurs des Pflanzenreiches: unermüdlich überfielen sie die nackten Felsen, um dem trotzigen Gestein zu predigen, dass es zur Arbeitsleistung in der Natur bestimmt sei.

Auch mitten in den Eismeeren, wo immer ein Plätzchen, wegen Steilheit der Wände, oder auf windigem Grate, vom erstarrten Elemente frei blieb: weben Moose noch ihre Polster und Raschen.* ) Wohl haben manche von ihnen die Farbe der Hoffnung gegen die der Trauer ausgetauscht; wieder eine weise Fürsorge der Natur!... Die dunkle Farbe sorgt haushälterisch dafür: den möglichst grossen Nutzen aus dem karg zugemessenen wärmenden Elemente zu ziehen.

Die Raschen sind kleiner, dichter geworden, ängstlich kriechen die Seitenfrüchter, wahre Kinder der Erde, zwischen

* ) Die häufigsten sind: Desmatodon latifolius, Andraea pe-trophila, Encalypta ciliata, Polytrichum septentrionale, piliferum, Barbula ruralis, aciphylla, Racomitrium lanuginosum, canescens, Grimmia alpestris, conferta, contorta ( Schwgr. ), Distichium capillaceum, Barbula tortuosa, Lescuraea striata, Hypnum ru-gosum, uncinatum. dem Gestein;

auch die Früchte sind meist gedrungener und kurzer gestielt.

Bei den Moosen können wir nicht intensivere Farben, wie bei den höheren Alpenpflanzen erwarten, sie kleiden sich stets in schmuckloseres Gewand. Die stolzesten Moose jedoch, jene herrlichen Schirmmoose, mit grossen, intensiv gelb oder roth gefärbten, teuer- oder glockenförmigen Anhängseln ( Apophysen ) der Frucht, gehören, wenn auch nicht den Alpen, doch dem hohen Norden an.

Wenige hervorstechende Bilder waren es, die ich im Vorstehenden aus der reizenden Unordnung des alpinen Moosteppichs herausgriff. Liessen sich auch leicht noch mehrere vorführen, so stehe ich doch umsomehr davon ab, als man so leicht sich in 's Kleinliche verliert: bei der Charaeteri-sirung von Pflanzengemeinden, deren einheitliche Beziehungen man fühlt, ohne sich selbst volle Rechenschaft von den bestimmenden Momenten geben zu können.

Hinter der wechselnden Physiognomie des Moosteppichs, haben wir stets eine besondere Combination influirender Agentien zu suchen: sei es die Massenvegetation, der sich die Moose anschmiegen, sei es die Differenz des Substrates, sei es ein Produkt der besondern Configuration einer gegebenen Localität oder eines grossen klimatischen Zuges. Sieht man jedoch von der Localfärbung ab, fasst man den gesammten Mooswechsel bei verticaler Erhebung in 's Auge, so vollziehen sich nicht nur grossartige Veränderungen; bei eingehender Beobachtung tritt auch das begränzte Vorkommen nach oben und unten, in viel schärferen Zügen hervor, als oberflächliche Blicke in das scheinbare Chaos glauben machen mögen.

Bekanntlich ist es die Wärmeabnahme, die wenigstens die gröbsten Züge des Pflanzenwechsels bedingt: in vertikaler Abstufung die Regionen, in horizontaler die Pflanzenzonen. Dass jedoch nicht in einfacher, leicht erkennbarer Weise der Pflanzenteppich mit zunehmender Höhe sich abstuft, dafür ist in mannigfachster Art gesorgt. Macht schon die ungleiche Vertheilung der Wärme bei gleichem Jahresmittel, allein es unmöglich, durch einfache Wärme-exponenten die klimatische Lebensbedingung einer Pflanze zu bezeichnen, so sind neben Localfärbung eine Reihe anderer Factoren thätig, den Gang der Pflanzengrenzen zu einem möglichst ungleichen zu machen. Namentlich sind es Himmelslage, Windrichtung, meteorische Niederschläge, Gebirgsconfiguration, erkältende Einflüsse, besonders der Gletscher, und herrschende Massenvegetation, die in allen denkbaren Combinationen sich aufhebend oder potenzirend, das unregelmässige Steigen und Fallen der Vegetationsgrenzen bedingen. Der Effect der Combination genannter Factoren mit der Wärme, ist in den Alpen die limitirte pflanzliche Existenz; einen gegebenen Standort in einzelne bestimmende Factoren zu zerlegen, ist eine der Lösung harrende Aufgabe der Biologie und Geographie.

Zunächst fehlen zur Messung der einzelnen Factoren die Mittel, ihren Gesammteffect erkennt man im unregelmässigen Gang der Pflanzengrenzen selbst; oft jedoch tritt die Wirkung einzelner Factoren derart in den Vordergrund, dans wir ihren grösseren oder geringeren Werth annähernd beurtheilen können. Als ein Beispiel sei der Piz Alun bei Ragaz erwähnt, 1482 Met ., an dessen ruinenartiger Zinne von Nummulitengestein, sich Moose warmer Thäler ( Grimmia commutata, Barbula membranifolia ) auf der Südseite finden und wenige Fuss davon entfernt, nur durch den mauerartigen Felsen getrennt, alpine Astmoose und Enca- lyten ( Hypnum Heufleri Josr.

, Bambergeri, procerrimum Mdo.T Encalypta rhabdocarpa ) neben Alpenrosen gedeihen. Föhn und Besonnung, Nordwind und Beschattung, lassen dieMooseT von um 1300 Met. im Rheinthal auseinanderstehenden Regionen ( des Weinbaues und der der Zwergwälder ), dicht neben einander gedeihen. Am häufigsten finden sich analoge Erscheinungen, in tiefen Wasserrissen, in denen treue Alpenkinder üppige Polster weben, während über ihnen im Schatten der Kastanien südliche Formen ihr Dasein führen.

Zu sehr liegt es auf der Hand, dass derartige Vorkommnisse für Darstellung von Regionsbildern parallelisirt werden müssen: aus der Gesammtvegetation der fraglichen Localität, dem anderweitigen normalen Vorkommen, ist der Correctionswerth zu bestimmen, der das Möslein wieder in seine heimatliche Region versetzt. Dieser kann sehr bedeutend sein, namentlich da, wo in rasender Eile Gletscher-wässer zu Thale eilen und in tiefen Schluchten sich weiter winden, 1000 Met. übersteigen. Bestimmte Regeln lassen sich da nicht aufstellen, dem Takte des Beobachters bleibt die Eruirung mehr oder weniger überlassen.

Anders ist das Abwandern der Alpenpflanzen in offene Gegenden zu beurtheilen. Wo in Schluchten oder in anderen Localitäten, die Bedürfnisse seiner Heimat mehr oder wreniger, aus Mangel an Besonnung, länger liegendem Schnee und Feuchtigkeit resultiren, berechtigt nichts, dem Moose sein ausschliessliches Heimatsrecht in höhern Regionsstufen abzusprechen. Auch dann noch, wenn vom Wasser mitgerissen, nur spontan ein Möslein ferner von den Alpen gedeiht, ist es nicht, als den Bergen untreu geworden zu betrachten. Wenn jedoch in ebenerem Lande, üppiges Gedeihen und continuirliche Fortdauer uns sagt, dass der Versuch der Acclimatisation gelang, hat der Delinquent einen guten Theil seiner Ansprüche auf sein Bürgerrecht in den Alpen ver- loren.

Immer nämlich ist noch zu bedenken, dass in der stetigen Feuchtigkeit des Flusskieses und der Moore, wohin die meisten Abtrünnigen sich flüchten, ein annähernder Ersatz, wenigstens für alpine Feuchtigkeit geboten wird und auch die Temperatur des Bodens, in Folge der Verdunstung hier eine niederere wird.

Für Abwandern der Moose,* ) gilt wesentlich das Gleiche wie für Phanerogamen, für die Dr. Christ im Jahrbuch.den Gegenstand in lehrreicher Weise dargestellt hat; auch für sie mag die Feuchtigkeit das wesentliche sein, was sie an ihre Heimat bindet, verlässt doch auch eine Grimmia gigantea die Felsen, die sie in den Alpen, namentlich in tiefen Schluchten und in der Nähe tosender Catarakte bewohnt, um auf feinerem Détritus, an Wassergräben des Lech-feldes zu gedeihen.

Ausser den brausenden Verführern und den, nur local für Abwanderung in Betracht kommenden Bergstürzen, verdienen die erratischen Erscheinungen unsere Beachtung. Ein zahlreiches Moosheer schmückt die stummen Zeugen früherer Gletscherthätigkeit.Die Frage, ob dieses primäre Colonien seien, die der Gletscher mit dem Gesteine ihrer Heimat entführte, oder später eingewanderte, wurde im beiderseitigen Sinne mehrfach beantwortet. Für die Moose bemerke ich, dass sämmtliche den erratischen Blöcken und dem Hochgebirge gemeinschaftlichen

* ) Abwandernde Moose sind z.B. Dicranum Mühlenbeckii, Hypnum Sauteri, Catoscopium nigritum, Grimmia gigantea u.a. »

II., pag. 359 und 360.

Am häufigsten sind auf Kieselgestein ( erratischer Kalk besitzt kaum Eigenthümliches, ist auch, weil in tiefem Thälern fast immer im Gebiete kalkiger Gesteine liegend, weniger zu Beobachtungen geeignet ): Hedwigia ciliata, Dicranum longifolium, Grimmia elatior, Hartmanni, ovata, Isothecium myurum^ Pterigynandrum heter opter um, Racomitrium sudeticum u.a.

Alpenmoose, auch in letzterem vorherrschend Trümmerhalden bewohnen; dass sämmtliche auch in tiefern Lagen auf Trümmerhalden sich einfinden, die durch Einsturz an Ort und Stelle sich bildeten. Dass die Blöcke des Hochgebirgs und die erratischen tieferem Stationen, auch eigenthümliche Moose bergen, kann beiderseits nichts beweisen; da Unterliegen im Kampfe um 's Dasein, mit dem Versuch die Grenzen auszudehnen, Hand in Hand gehen wird.

Betrachtet man die wandernden Blöcke auf Gletschern. so findet man beim Beginn ihrer Laufbahn, wenn sie noch nicht lange herabstürzten, vereinzelte Moose, später sind diese, nach längerer Wanderung, gänzlich verschwunden. " Sind sie auf der Moräne zur Ruhe gelangt, so wandert eine neue Vegetation ein. Eine solche zurückgebliebene Moränenflora ist es auch, die Heer für Phanerogamen in der Umgebung Zürichs so schlagend nachwies; für Moose werden sich zweifellos ähnliche Oasen constatiren lassen. Für die Moose der herumliegenden Blöcke aber, liegt kein zwingender Grund vor, sie als primär zu betrachten; jedenfalls datiren sie wenigstens, wenn sie nicht später eingewandert sind, von jener Zeit, wo die zur Ruhe gelangten Blöcke, auf der Moräne von Vegetation besiedelt wurden.

Der Versuch, die Grenzen auszudehnen, wird aber offenbar von allen Pflanzen mehr oder weniger gemacht, und für die Moose, wo die Kleinheit der Sporen den leichten Transport so sehr ermöglicht, dürfen wir uns in der That wundern, eine immerhin beträchtliche Zahl in ihrer regionalen Verbreitung beschränkt zu finden. Immerhin beträgt die Zahl specifischer Alpenmoose — im Sinne Molendo's solcher, die in keinem Gebirgszug vorkommen, der nicht die Baumgrenze überschreitet — etwas mehr als */5 der 490 in Graubünden überhaupt beobachteten Arten. Allerdings sind auch eine grosse Anzahl Kosmopoliten, die wie ein Ceratodon purpu- reus, im glühenden Sande Afrika's und auf eisumgebenen Felsenriffen, ein Hypnum cupressiforme an Cacaostämmen der Tropen und in Felsspalten der nivalen Region ihr Dasein finden.

Solcher Moose, die nur auf einzelnen Stellen, wie eine Voitia nivalis auf Kärnthner und angrenzenden Alpen, sich finden, sind es kaum einige; die eifrigen bryologischen Forschungen in den Alpen, haben allmälig deren Zahl gewaltig reducirt; eigentlich, wenn man von sicher übersehenen, namentlich einigen neu aufgestellten Arten, absieht, auf jene Voitia beschränkt.

Sucht man im ersten Frühjahr sorgfältig an den Ufern reissender Gebirgswässer, so ist es nicht schwer, unter der Menge der Moosanfänge ( Vorkeime ), auch die alpiner Moose zu finden. So beobachtete ich unter andern von Februar bis Mai an der Plessur, Rabiusa, Tamina und Nolla, um Chur, Ragaz und Thusis, auf Flusssand Webera cucullata und Ludwigii, auf Humusboden Desmatodon latifolius, alles specifische Alpenmoose, in jugendlichen Stadien der Entwickelung: einzelne beblätterte Sprosse hatten sich am Vorkeime gebildet. In späteren Monaten war nichts mehr von den Moosen sichtbar, sie hatten sich nicht weiter entwickelt. Offenbar war es die geringere Wärme, die gleichmässige Feuchtigkeit des Bodens im Frühjahr, die die Keimung einleitete, der Sommer vernichtete den Versuch der Acclimatisation. Voraussichtlich wird Aehnliches häufiger vorkommen, bei der Kleinheit derartiger Gebilde jedoch und der Unmöglichkeit, die Vorkeime verschiedener Cryptogamen sicher zu unterscheiden, bleibt eine Constatirung glücklichen Zufällen oder besonders günstigen Jahrgängen ( 1867 ) überlassen.

Ausser klimatischen Factoren, beeinflusst, wenn auch in untergeordneter Art, der Schichtenbau die Vertheilung der Vegetation.

" Wo immer ein Gebiet in Betracht kommt, das in verschiedenen Höhenstufen alle wesentlichen Gesteins-modificationen darbietet, wird für Totalbilder die daraus entspringende Localrärbung verschwinden.

Dass viele Pflanzen von der Beschaffenheit ihres Substrates abhängig sind, unterliegt keinem Zweifel, nur darum brennt der Streit: « ob die chemische oder physikalische Constitution hier beeinflusst ». Hier darf man behaupten, dass allzu leichtfertig mit der Beurtheilung des Bodens verfahren wurde; auf kleinem Terrain können die hetero-gensten Bestandtheil im Alluvium wechseln. So bleibt für zweifelhafte Fälle, nur chemische Prüfung übrig, da Beurtheilung nach dem Augenschein nur zu den grössten Täuschungen führt. Für festen Fels bewohnende Pflanzen, ist Beurtheilung des Substrates auf seinen chemischen Werth unverhältnissmässig sicherer; chemische Prüfung wird nur selten in Anspruch zu nehmen sein. Die Moose nun sind, da sie ein zahlreiches Heer Gesteinsbewohner, gegenüber den, verwitterte Substrate vorziehenden Phanerogamen, stellen, besonders zur Beobachtung in dieser Richtung geeignet. Eine definitive Entscheidung allerdings, dürfte nur auf dem Wege des Experiments zu erwarten sein.

Bei weitem die grösste Anzahl der Moose ist boden-vag, wer jedoch nur einmal Kiesel- und Kalkgestein neben einander auf deren Flora betrachtet, wird, auch ohne Kenner zu sein, verschiedene Species nach dem Gestein unterscheiden. Thatsächlich ist es, dass das Kieselgestein weit mehr eigenthümliche Arten als Kalkgestein* ) hat; namentlich auch, dass eine Reihe der gewöhnlichsten Erscheinungen ersteres nie verlassen, während letzteres kein Aequivalent ausschliess-

* ) Ausschliesslich auf Kalk kommen z.B. vor: Eucladium verticillatum, Trichostomum tophaceum, Orthotrichum cupu-latum, Eurhynchium Vaucheri u.a. lieh ihm zukommender Arten, in seiner Massenvegetation wenigstens, bietet.

Biologisch tritt die Frage heran: ob die betreffenden Moose des Kalks oder Kiesels bedürfen, oder der Kalk gewisse Moose ausschliesst. Letztere Frage ist um so mehr berechtigt, als experimentelle Untersuchungen, die Entbehrlichkeit der Kieselsäure für concrète Fälle wahrscheinlich machen; wofür auch die Form ihres Vorkommens in Pflanzen zu sprechen scheint.

Es sei mir erlaubt eines Falles zu erwähnen, der in ähnlicher Weise, wie Sendtner für Torfmoose ( Sphagna ) dies constatirte, die giftige Wirkung des Kalkes zu beweisen geeignet ist. Im untern Theile des Calfeuser Thales ( oberer Lauf der Tamina ) steht Verrucano an, der — ich spreche von der rechten Thalseite — an den steilen Wänden des Simel's von den Jura und Kreidekalken, in einer Mächtigkeit von etwa 1500 Met. überlagert wird. Der Verrucano trägt überall, wo er nie von Wasser, das hier stets kalkhaltig ist, berieselt wird, eine exquisite Kieselvegetation, die besonders üppig auf einem grossen Trümmerfelde entwickelt ist.* ) Ueber demselben steht, etwa 200 Met. mächtig, eine fast senkrechte Verrucanowand an, die von Wasser triefend, mir gute Ausbeute zu versprechen schien. Anfangs überrascht, kein Kieselmoos zu finden, wurde mir das Räthsel bald klar, als ich einige, wenigstens fast nur auf Kalk sich findende Mooseund geringen Tuffabsatz fand. Die

* ) In grösster Menge: Grimmia elatior, Hartraanni, Dicra- num longifolium, Racomitrium sudeticum, Hedwigia ciliata; vereinzelter: Grimmia ovata, Orthotrichum rupestre.

Orthothecium rufescens, Gymnostomum curvirostrum, oalcareum, Trichostomum crispulum. In Menge auch Amphori-cum Mougeotii, ein Moos, was mehrfach als Kieselmoos bezeichnet wird. Ich fand es vielfach auf kalkig-kieseligen, nie reinen Kalkgesteinen. Sollte es, wie mehrere derartige Moose, der Kieselsäure bedürfen?

nrathung, dass das Kalkwasser die Kieselmoose ausschloss, fand ihre volle Bestätigung darin, dass hervorragende, dem herabkommenden Wasser, auch bei stärkster Schneeschmelze unerreichbare Felsen, wieder die erwähnte Kieselvegetation trugen. Aehnliches habe ich übrigens vielfach an geeigneten Localitäten beobachtet, z.B. Albula, Piz Padella, Urdenalp etc. Es beweist einerseits, dass der Kalk gewissen Moosen schädlich ist, anderseits, dass andere des Kalkes bedürfen, dabei aber Kieselgestein als Unterlage haben können.* )

Wie auf festem Gestein, so macht aber auch sicher auf verwittertem Substrate chemischer Einfluss sich geltend. Freilich ist eine immer geringe Zahl exclusiv; eine geringere wohl, als von physikalischer Differenz des Substrates abhängig ist. Die überall entgegentretende Erscheinung in der Natur: dass alle Kräfte zur Erreichung bestimmter Zwecke zusammengreifen, weist schon darauf hin, dass nicht eine einseitige Unger- oder Thurmannsche Theorie, dass deren sich wohl vertragende Combination, die geeignetsten Mittel liefert, um einen Theil der Monotonie des Pflanzenteppichs zu vermeiden.

Sehe ich auf das Gegebene zurück, wo der Raum zu schliessen gebietet, so muss ich gestehen, dass ich unvollkommene Bruchstücke jener Mittel darstellte, die in der Natur Träger grösster Gedanken waren. Ganz muss ich darauf verzichten, die unverkennbare Gesetzmässigkeit im Gang der regionalen Stufen auch nur flüchtig zu berühren, ebenso

* ) z.B. Eucladium verticillatum auf Terrucano in Kalkwasser; bei Felsberg.

wie mächtige Agentien, die sich durch ihre Effecte in grossen Zügen ganzen Gebirgsgruppen eingegraben haben. Andere Lebensbedingungen finden sich in den Westalpen, wo ein Ueberfluss von Feuchtigkeit den Boden tränkt, als in den Ostalpen, wo seltener ein Regen die schlaffen Zellen spannt; ebenso bieten auch Nord- und Südseite grosse, von klimatischen Einflüssen abhängige Differenzen dar. Aus der verschiedenen Massenhaftigkeit der Landanschwellung resultiren klimatische Unterschiede, die sich ähnlich wie Küsten- und Kontinentalklima gegenüberstehen.

Wende dich hin wo du willst, Moose treten überall dir, selbst im Lebenslauf des Menschen, entgegen: ein moosiger Kranz wird dem Kinde beim Feste aufs Haupt gedrückt, ein Mooskranz auch, als letzte Liebesgabe den theuren Geschiedenen geopfert. In des Waldes Schatten ruhst du auf schwellenden Polstern, die hier, im über dir gewölbten Dome der Natur, weniger eindringlich zum Gemüthe reden. Tiefer aber ergreift dich das kleinste Raschen auf eiserstarrtem Alpengipfel; symbolisch ruft die Natur aus ihm dir zu: « dass — um mit Humboldt zu reden — wenn auch Eis und Schnee den Boden decken das innere Leben der Pflanzen, wie das prometheische Feuer auf Erden nie erlischt. »

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