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Das Hochwasser im Jahr 1868

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von

Ingenieur Friedrich von Salis.

Die zweite Hälfte Septembers und der Anfang Oktobers waren Zeugen anhaltenden Regens und grösser Wasserverheerungen, namentlich im Einzugsgebiete des Vorder-und Hinter-Rheins und des Rheins im Allgemeinen bis an den Bodensee.

Im Süden und Westen manifestirte sich die Wuth der Gewässer am verheerendsten im Kanton Tessin, im Reuss- und Rhonethal. Nachfolgende kurze Betrachtung wird sich jedoch im Wesentlichen nur auf das Rheingebiet beschränken.

Mit dem 13. September begann die Regenperiode und es hat diesseits der Alpen bis zum 26. gleichen Monats mit vielen Unterbrechungen geregnet, so dass die Zuflüsse des Rheins bis dahin keine bedeutenden Anschwellungen zeigten. Anders war es auf dem Südabhange. Da floss der Regen unaufhörlich, es waren die See-Niveaus des Verbano, Cèresio und Lario am 26. September schon sehr stark gehoben und stiegen bis zu den ersten Tagen des Monats Oktober ( 4. und 5. ) zu einer Höhe an, die alle Erinnerung davon übertraf.

Die Erdgeschosse der Ortschaften von Magadino und Locarno standen bis an die Decke unter Wasser und gingen in demselben viele Waaren und Vorräthe zu Grunde. Der Bahnhof in Arona war ebenfalls unter Wasser. Die grösste Erhebung des Verbano ( Lago Maggiore ) über dem niedrigsten Winterwasserstand, oder dem Nullpunkt des Pegels in Locarno betrug 7, 50 Meters. Die Seespiegel des Ceresio und Lario zeigten ebenfalls erst im Oktober die grösste Erhebung und konnte der Eingang zur Kirche in Como nur zu Schiff erreicht werden. Hier betrug die Steigung des Sees über den Winterwasserstand etswas über 4 M. Am 26. und vorzüglich am 27. Sept. öffneten sich die Schleusen des Himmels und gössen unaufhaltsam in strömendem Regen, an einigen Orten von Hagel und gewitterhaften Erscheinungen begleitet unglaubliche Wassermassen auch über das Rheingebiet aus. Vom 1. bis 4. Oktober wiederholten sich sehr ausgiebige Niederschläge, theils für die gleichen, theils für neue Gebietstheile des Rheins. Die hier folgende Tabelle gibt die gefallenen Regenmengen der behandelten Periode vom 13. September bis 9. Oktober in Millimetern an. In denselben sind ebenfalls die Mittel der letztverflossenen drei Jahre für die gleiche Anzahl Tage, so wie auch die Jahresprozente und das Maximum der in 24 Stunden gefallenen Wassermengen angegeben.

F. von Salis.

1868.

Mittel von

Station.

x. 13. Sept bis q nu ;| 1865. 66, und 67.

Maximum per Tag.

w. vKt. lüul.

M.M.

f.gl.Tage Jahres% M.M.

Davos Platz.

168.8

110.6

35.0

22/23 Sep.

Klosters..

183.0

15.7

40.9

27/28 „

Chur...

234.0

67.1

29.1

64.5

il il

Cliiirwalden.

304.8

87.2

27.0

79.5

il il

Splügen..

711.7

118.0

140.3

il il

Bernhardinberg

1788.8

200.6

253.9

il >

Medels..

808.1

79.6

169.6

2/3 Okt.

Julier...

539.1

89.3

3/4 „

Castasegna.

742.0

160.8

52.3

121.6

30/1 „

Sils ( Engadin )

395.1

86.4

40.1

53.5

3/4 „

Bernina..

410.8

76.0

55 55

Brusio..

319.4

65,6

42.0

21/22 Sep.

Bernhardinberg, Splügen, Medelser-Tlial u. s. w. weisen in vorstehender Tabelle Niederschlagshöhen auf, dass man sich verwundert fragen muss, woher all das Wasser komme? Der mächtige Wasserträger während der ganzen Regenperiode war ein aus Süd-Westen nach Nord-Osten wehender atlantischer Wind, der zuweilen mehr östlich, dann wieder mehr nördliche Richtung annahm. Eine leichte Windströmung aus Norden bewirkte das Anschneien am 28. Sept., 4., 5., 8. und 9. Oktober und trat darnach immer ein Fallen der Fluthen ein.

Auffallend ist, dass im Rheingebiet, ja selbst im Tavetsch und diesseits des Oberalppasses der Schnee nicht unter 1800 Meter über Meer liegen blieb, während derselbe am 5. und 6. Oktober in Andermatt mit 1440 M. über Meer sich fusshoch stellte und Schlitten gebraucht werden konnten.

Hochwasser.Ö75

Am 27. Sept. hatten wir die stärksten Niederschläge, vom Adula bis an den Galinario. Es weisen in vorstehender Zusammenstellung die Stationen Bernhardinberg und Splügen sprechende Zahlen auf und waren daher besonders angeschwollen der Hinter-Rhein, die Rabiusa ( Safien ), der Glenner von Vals und Vrin her und der Somvixerbach. Dagegen zeigten die Zuflüsse des rechtseitigen Thalabhanges von Thusis bis Splügen, so wie Medelser-und Tavetscher-Rhein sammt allen linkseitigen Zuflüssen des Oberlandes nur sehr geringe Anschwellungen. Landquart, Plessur und Albula waren ebenfalls nicht sehr wasserreich. Am 4. Oktober hatten die letztgenannten Flüsse mehr Wasser, ohne jedoch aussergewöhnlich stark zu sein. Der Hinter-Rhein erreichte die Höhe vom 28. September auch nicht und der Glenner blieb klein, dagegen waren der Medelser- und Tavetscher-Rhein und die linkseitigen Thalbäche des Oberlandes von der Oberalp bis Ilanz sehr gross. Der Vorder-Rhein stieg in Folge dessen in Ilanz um 0,75 M., im Farsch bei Reichenau um 0,60 M. höher als am vorhergegangenen Montag. An der grossen Brücke über die Vereinigten-Rheine bei Reichenau blieb am 4. Oktober der Wasserstand hinter demjenigen vom 28. Sept. zurück.

Die Beobachtung der Hochwasserstände an verschiedenen Stellen, zum Theil mit Benutzung schon vorhandener, zum Theil erst nachher gemessener Profile, macht es möglich die Flächen der zur Zeit der höchsten Wasserstände abgelaufenen Wasserprismen zu bestimmen, wie sie hier folgen:

Tavetscher-Rhein unter St. Agatha = 105 □ M. 3. Okt. Rheinbrücke bei Ringgenberg =5= 170 „ 3. Okt.

Tavanasa175 „ 3. Okt.

Ruis1853. Okt. $76F. von Salis.

Rheinbrücke bei Ilanz200 □ M. 3. Okt.

Glenner bei Falle in Vais90 „ 27/28 Sep.

Rheinbrücke bei Hinterrhein ( untere

mit zwei Bogen60 „ 27/28 Sep.

Rheinbrücke bei Splügen91 „ 27/28 Sep.

,, Silvaplana ( Land-

brücke113 „ 27/28 Sep.

Rheinbrücke in Rania ( Viamala ) =155 „ 27/28 Sep. Brücke über die Albula bei Balden-

stein804. Ökt.

Rheinbrücke, grosse, in Reichenau = 490 „ 28. Sep. Querprofil beim Pegel in Ems ==s 440 „ 28. Sep. Brücke bei Felsberg490 „ 28. Sep.

Tardisbrücke600 „ 28. Sep.

Die Tardisbrücke ist die letzte Brücke über den Rhein, so dass zur Zeit des höchsten Standes alles Wasser unter derselben durchfloss.

Geschwindigkeitsmessungen konnten beim höchsten Stande leider an den wenigsten Orten ausgeführt werden. Bei der Tardisbrücke waren von früheren Beobachtungen her viele solche bekannt und ergibt sich hieraus, dass die am 28. September abgelaufene Wassermasse ziemlich genau das Hundertfache von derjenigen beträgt, die bei niedrigem Winterwasserstand abläuft. Die Angabe des Hochwasserstandes über dem Minimalstand des letzt vorausgegangenen Winters gehört zu Vergleichung späterer Hochwasser mit zu den sichersten Beobachtungsmitteln. Diese Differenz beträgt bei der Tardisbrücke = 6.30.

Die grosse Brücke bei Reichenau bietet wegen ihrer geringen Oeffnung, = 66 Meter Spannweite, ein nicht zu unterschätzendes Hinderniss gegen den freien Ablauf des Wassers und waren auch oberhalb derselben die beiden Rheine wirklich gestaut. Zufolge dieser Stauung stellten sich beim Hochwasser an der grossen Brücke, auf die Länge des linkseitigen, 14 Meter breiten Widerlagers die Wasserstände oberhalb und unterhalb desselben sehr verschieden und betrug der Unterschied = 0,26 M., was ungefähr dem siebenfachen des dortigen Gefälles entspricht.

Die für die Brücke bei Reichenau sich ergebende grössere Fläche des benezten Querprofils gegenüber von demjenigen in Ems, siehe obige Tabelle, findet daher in dem durch die Stauung verursachten, verzögerten Abfluss seine Erklärung. Bei der Brücke von Felsberg war durch die 5 Brückenjoche der Abflusscoefizient auch modifizirt und muss eine grössere Fläche sich ergeben, als bei dem vollkommen freien, offenen Profile beim Pegel in Ems.

Wir kommen nochmals auf die Reichenauer-Brücke zurück. An der Mauer des Schlossgartens, die zunächst unterhalb der Brücke, vom Rheinbette aufsteigt, befindet sich eine alte Pegellatte angebracht. Diese hat ihren Nullpunkt etwa 3 Meter =10 Fuss unter der Flusssohle und ist in Fusse eingetheilt. An derselben ist auf der Höhe von 27 Fuss der Wasserstand vom 27. August des Jahres 1817 verzeichnet. Der Hochwasserstand vom 27. August des Jahres 1834 stellte sich um 0,95 Meter höher, als jener, während der letztbeobachtete vom 28. September 1868 zwischen beiden drin liegt, und um 0.64 M. über demjenigen von 1817 und um 6.57 M. über dem kleinsten Winterwasserstand sich einstellte.

Obwohl Messungen der Flusssohle in früheren Jahrzehnten und nach letztem Hochwasser ebenfalls vorgenommen worden sind, so bleiben doch die während den starken Anschwellungen zweifelsohne eingetretenen Veränderungen, resp. Ausfegung der Sohle für die Berechnung unfassbar und erschwert dieser Umstand hier, bei der

Schweizer Alpenclub.37

Tardisbrücke und anderwärts eine genaue Berechnung des grössten abgeflossenen Wasserprismas sehr.

Von denjenigen, die öfter die Gegend besuchen, kann es Niemand entgehen, dass nach dem letztjährigen Hochwasser oberhalb und unterhalb den Reichenauer-Brücken eine nicht unbedeutende Erhöhung der Flusssohle zu beobachten ist. Diese Geschiebe haben sich hier gewiss erst bei eintretendem Fallen des Wassers abgelagert. Wie eine weiter unten folgende Recapitulation der relativen Gefälle des Rheingebietes nachweist, tritt bei der Vereinigung der beiden Rheine bei Reichenau eine beträchtliche Gefällsverminderung ein. Die zwei fast diametral auf einander stossenden Flussarme werden in ihrem Geschwindigkeitsmoment geschwächt und fehlt es daher zur Zeit grösser Geschiebsab-flössungen von dieser Stelle ab dem Flusse an der nöthigen Stosskraft zu Fortschaffung derselben, zumal von der Nolla her noch wochenlang nach dem Hochwasser massenhafte Geschiebe dem Vereinigten Rheine zugeführt wurden. Man würde daher ganz falsch gehen, wollte man die jetzige Flusssohle des Rheins als Basis vorzunehmender Berechnungen wählen. Es verdienen also in ähnlichen Fällen wohl immer die von früher bekannten Querprofilmessungeii den Vorzug, wie wir solche auch unseren Berechnungen zu Grund gelegt haben.

Die etwas verbreitete Ansicht, als wären die Gletscher unserer Hochthäler durch die anhaltenden warmen und feuchten Winde in einen gewissermassen aufgeweichten Zustand gerathen und hätten in Folge dessen diese ungeheuren Wassermassen geliefert, ist wohl eine irrige und kann dieselbe sich nur auf den die Eisflächen bedeckenden Firnschnee beziehen, wo noch solcher im September lag, nicht aber auf das eigentliche Gletschereis. Die Gletscher waren allenthalben bei dem sehr warmen Sommer und dem gänzlichen Ausbleiben starker Abkühlungen und Schneefälle sehr stark zurückgewichen, zeigten aber unmittelbar vor und nach unserer Regenperiode keine wesentlichen Veränderungen, weder in ihrer Ausdehnung noch in ihrem Aussehen.

Die Geschiebszuflüsse kamen auch zum kleinsten Theile von den Gletschermoränen. Weit ausgiebiger sind daran die grosse Menge von Wildbächen und Rufen im Rheingebiete, und sind unter diesen wieder diejenigen die mächtigeren, welche den leicht verwitterbaren Thonschiefer-Gebirgen entspringen und solche auf grosse Längen durchlaufen.

Unter, diesen letzteren steht wieder die Nolla bei Thusis oben an, welche in ihrer untersten Sektion bis zur Ausmündung in den Rhein noch ein Gefälle beibehält von 7% und Steine von 10 Cub. M. und darüber bis in das Rheinbett wälzt.

Da die Gefällsverhältnisse eines Flusses in Bezug auf den Wasserablauf und die Förderung der Geschiebe von grösstem Einflüsse sind, so folgt hier eine Zusammenstellung derselben für die beiden Rheine und einige der wichtigsten Zuflüsse mit Beisetzung der entsprechenden Längen.

F. von Salis.

Zusammenstellung

der

relativen Gefälle im Rheingebiet.

Länge Relatives Länge Relatives in Meter.

Gefälle.

Meter.

Gefälle.

Medelser-ïllieirL.

St. Maria-Lukmanier b.

Confions

17,700

5. %

-

Vorder-Rhein.

Thomasee bis Milez

3

,000

21.0

%

Milez bis Val Cornera

1

2

,000

9.0

%

V. Cornera b.ValMillar

4

,200

4.0

7

V.Millarb.Val Nalps

3

,500

3.1

%

Val Nalps bis Confions

6

,300

3.2

%

Confions b. Val Somvix

9

,700

1.7

%

V.Somvixb.ValGronda

9

,900

1.1

%

V. Gronda bis Glenner-

Einmündung..

13

,000

0.6lO/0

Valser-HlieirL.

( Glenner. )

Gletscher bei Lam-

pertschalp ( Brücke )

4,600

7. %

-

Lampertschalp bis Zer-

3,200

6- %

Zervreila bis Vais ( Pei-

lerbach )

8,700

6- %

Vais bis Furth ( Rhein

von Vrin )...

11,400

3.5 %

:

Furth bis Einmündung

in den Rhein..

10,200

1.6 %

38,100

Glenner bis Safierbach

13,

800

0.5

%

Uebertrag:

65,

400 Hochwasser.

Länge Relatives Länge Relatives f in Meter.

Gefälle.

in Meter.

Gefalle.

Hertrag:

65,400

Safler-lRlieirL.

Teischerhorn ( Pass ) bis

Alp Pianetsch..

4,800

15.4%

Alp bis Thal...

4,400 1

4.0 O/ol

Thal bis Platz..

6,000 \

5.6 o/o

Platz bis Neukirch.

4,500

2.0 %

Neukirch bis Einmün-

dung in den Rhein

12,000

5.0 %

31,700

Safierbach b Reichenau

7,500

0.5 O/o

Hinter-Rhein.

72,900

1

Zapport-Gletscher bis

Brücke der Bern-

1

hardiner-Strasse

8,700

6.0 % i

Hinter-Rheinbrücke b.

Areue-Bach..

5,600

1.4%

Areuebach b. Splügen

( Brücke )...

6,100

1.3 %

Splügen b. Landbrücke

( alte )....

6,800

2.0 %

Landbrückerbis Aver-

serbach...

3,000

8.5 %

Averser-Irtöiein.

Parcincola ( Pass ) bis

Alp Sovrana..

3,400

Alp SoTrana bis Cröt

10,400

2.7 0/0

Crôt bis Canicul..

7,200

3.0 %

1

Canicul bis Einmün-

1

dung in den Rhein

8,100

5.0 0/0

1

29,100

1

Uebertrag:

1 30,200

1 F. von Salis.

Länge Relatives Länge Relatives in Meter.

Gefälle.

in Meter.

Gefälle.

Hertrag:

30,200

%

Aver^erbaeh bis Rei-

schenbach...

!

7,800

2.0

Reischenbach b. Thusis

( Nolla )

6 300

3 5

Thusis bis Albula.

*-'« *j\J\J

2,400

1.2

Albula b. Rothenbrun-

nen ( Brücke )..

6,600

0.6

Rothenbrunnen b. Rei-

chenau

7,000

0.45

Vereinigte Rheine.

60,300

Eeichenau bis Ems

-

Glashütte Nr. 1.

4,700

0.26

Ems b.Plessureinmün-

dung

4,410

0.30

Plessur b. Landquart

13,950

0.29

Landquart b. Taraina

5,300

0.31

Tamina bis Lichten-

steiner-Grenze.

5,000

0.29

Lichtensteiner-Grenze

b. Trübbach Saar.E.

2,400

0.22

Trübbach bisBurgerau

12,600

0.242

Burgerau bis Haag

6,000

0.155

Haag bis Sennwald

6,000

0.150

Sennwald bis Blatten

Illeinmündung.

6,000

0.126

Blatten b. Diepoldsau

12,000

0.115

Diepoldsau b. Widnau

6,000

0.088

Widnau bis St. Mar-

grethen...

6,000

0.061

St. Margrethen bis

Bodensee.

9,000

0.039

99,360 Aus vorstehender Tabelle ist es auch für denjenigen, welcher die Rheinthäler aus eigener Anschauung nicht kennt, ein Leichtes die Längenprofile zu construiren, und daraus zu lesen, dass die Thalwege von der Oberalp, dem Lukmanier und der Lampertschalp bis nach Reichenau successive an Gefälle abnehmen;

dass dagegen die Gefällsverhältnisse des Hinter-Rhein mit den natürlichen Thal-riegeln und langen Terrassen von Rheinwald und Schams für die Bildung einer eigentlichen Thalsohle sich um vieles günstiger gestalten. Das Averser-Thal zeigt ähnliche Erscheinungen. Noch günstigere Verhältnisse bietet das Albulathal, einerseits mit dem langgestreckten circa 10,000 Meter langen Plateau, sammt See, von Davos, anderseits den vielen, hinter Felsschwellen zahlreich sich wiederholenden Terrassen längs der Julia, von oberhalb Stalla bis Conter s.

Eine Vergleichung der Gefällsverhältnisse des Vorder-und Hinter-Rheins ergibt also, dass der Vorder-Rhein und seine längeren Seitenthäler, mit alleiniger Ausnahme von Sauen, keine oder nur sehr unbedeutende Thalstufen besitzen; dass mithin hier ein sehr rasches Zusammenströmen des gefallenen Regens nach dem Thalwege eintreten, und in diesem die gesammelte Wassermasse sammt dem mitgerissenen Geschiebe mit grosser, ziemlich gleichmässiger Geschwindigkeit abfliessen muss. In dem Einzugsgebiete des Hinter-Rheins mit den langen Thalstufen von Rheinwald, Schams, Avers und Davos und den vielen kleinen Terrassen im Oberhalbstein, begegnen wir Verhältnissen, welche das Zusammenfliessen und Ablaufen des Wassers im Thalweg verlangsamen und eben so wenig die Geschiebs-förderungen begünstigen. Es zeigt sich denn auch, dass die Albula und der Hinter-Rhein bis zur Nollaeinmündung gemeiniglich nicht viel Geschiebe bringen, während dies im Oberland in höherem Grade der Fall ist.

Bei dem eher schon geringen Flussgefälle — unter 1 ° jund dem gänzlichen Mangel an regelmässiger Fassung, bleibt Vieles, namentlich das schwere Material, schon oberhalb Ilanz liegen und verschlimmern sich die Flussverhältnisse bei Truns und in der Pardella zusehends. Es wäre daher dringend geboten durch Correktionen hier Abhülfe zu schaffen.

Unterwerfen wir das Thalgefälle von Reichenau ab einer näheren Untersuchung, so fällt uns hier der plötzliche Wechsel auf. Die beiden mit 0.5 und 0.45% bei Reichenau einfallenden Rheinarme vom Oberland und HinterRhein werden nach ihrer Vereinigung in ihrem Gefall beinahe um die Hälfte reducirt und beträgt dasselbe von da ab bis Ems nur 0,26%.

Die grosse Wassermasse bei der verhältnissmässig geringen Geschiebsmenge und vorzüglich die eingeengte Lage des Flusses bis gegen Ems, haben auf dieser Sektion eine Austiefung zu Stande gebracht, die nicht mehr normal ist, indem von Ems ab bis an die St. Galler-Lich-tensteiner-Grenze, das Gefälle auf 3 %0 steigt und erst von dort weg dasselbe eine succesive Verflachung nachweist, die in der untersten Sektion von Rheineck bis zum Bodensee nur mehr 0.016% beträgt. Dieses muss bei hohem Seewasserstand noch schwächer werden, und erreichte im Jahr 1817 den Werth 0, da damals der Seewasserspiegel bis Rheineck, ja bis über Gaissan hinauf sich ausdehnte.

Damals stieg der Seewasserspiegel über dem Nullpunkt des Pegels in Rorschach um 4.50 M., im letzten Jahre am 10. October 1868 um 2.45 M.

Fragt man, woher bei dem letzten Hochwasser die meisten Geschiebe ihren Ursrprung hatten, so geben wir darauf folgende Antwort.

Im Gebiete des Vorder-Rheins waren es vorzüglich der Drun und Val Bugnei im Tavetsch, Val d' Acla am Eingange des Medelser Thales, Val St. Plazi bei Disentis, der Somvixerbach, das Zafraggia-Tobel bei Ringgenberg, der Schmuhebach bei Ruis und der Glenner. Dem Hinter-Rheine führten viele Geschiebe zu der Re-pierbach beim Dorfe Hinter-Rhein und eine Menge anderer kleiner Töbelchen in Rheinwald und Schams, vorzüglich aber die Nolla bei Thusis. Diese wälzte in der Nacht vom 27./28. Sept. 1868 dem Rheine zu wiederholten Malen Schuttwalzen zu, die denselben, troz seiner Wassermächtig-keit, vollständig durchschnitten und ihn bei der neuen Rheinbrücke daselbst auf 9 Meter Höhe stauten. An der Brücke über die Nolla selbst, von 20 M. lichter Oeffnung hinterliess dieselbe zur Zeit der stärksten Murgänge ihre schwarzen Spuren volle 9 M. über der Bachsohle. Es übertrifft alle Vorstellungen, welche Massen fester Bestandtheile, in Form von Stein, Schutt und Schlamm die Nolla während der letzten Regenperiode, ja bis in den Monat Januar 1869 hinein dem Rheine zugeführt hat, und wäre eine nur theilweise Verstopfung dieser Geschiebsquelle für die Rheincorrection und das anliegende Land von Thusis bis an den Bodensee von der grössten Wichtigkeit.

Es ist einzig und allein der kleinen, dick - schwarzen Nolla zu verdanken, dass der von Schams herkommende klare Hinter-Rhein und mit ihm die Albula und der Vor-der-Rhein schwarz gefärbt werden und diese schwarze Trübung heute noch, Mitte Januar, bis in das st. gallische Rheinthal hinab an dem schwarzen, graphit-haltig glänzenden Schlamme auffallend kenntlich ist. Auch die Landquart und die Tamina führten nicht unbedeutende Geschiebsmassen.

Das heftige und ganz aussergewöhnlich starke Anschwellen der Gewässer hatte eine Menge Zerstörungen an Wuhren, Strassen, Brücken, Boden und dessen Erzeugnissen, wie Feldfrüchten und Wald, Gebäulichkeiten und Fahrnissen im Gefolge. Um ein ungefähres Bild davon zu geben, notiren wir, dass im Gebiete des Vorder-Rheins die gedeckte Brücke über den Rhein bei Waltensburg ( Pardella ), eine gleiche über den Glenner bei Bad-Peiden, eine neue kaum vollendete, steinerne Brücke bei Furth> die Jochbrücken über den Rhein bei Danis und Kästris und etliche 20 kleinere^ Holzbrücken über den Rhein zerstört wurden. Am Hinter-Rhein fielen zum Opfer die circa 200 Jahre alte, gedeckte Holzbrücke über den Rhein bei Splügen und die gedeckte Brücke bei Zillis, nebst mehreren anderen Joch- und Bolenbrücken. Von der Felsbergerbrücke wurden zwei Stühle gewaltsam abgebrochen, die Jochbrücke nach Untervaz zerstört, und die Tardisbrücke einer Stütze beraubt.

An Wuhrungen wurde vieles beschädigt oder gänzlich zerstört und die Bernhardinerstrasse besonders bös mitgenommen.

Zwischen Splügen und Hinter-Rhein zählte man an 20 Stellen Unterbrechungen und war die Strasse auf circa ein Viertel der Länge entweder ganz zerstört, oder wenigstens beschädigt. Ausser Splügen im Boden, bei der Su-ferser-Gallerie, am Bad bei Andeer war die Strasse ebenfalls sammt dem Uferschutz weggerissen, in der Roffla und ob Andeer verschüttet.

Die nennenswerthesten Dammbrüche mit Bodenbeschä-digungen fanden Statt bei Surrhein, Vals-Platz, Rothenbrunnen, Haldenstein und Fläsch, ferner im Kanton St. Gallen bei Ragatz, Burgerau, Buchs, Salez, Oberried, Montlingen. Im Rheinthal fanden 9 Personen in den Hochfluthen den Tod.

An zerstörten Gebäulichkeiten weist das Valser-Thal erschreckende Ziffern auf. Hier rissen die Gewässer gewaltige Lücken in die theils gruppenweise, theils einzeln-stehenden Häuser und Ställe ein.

Ganz zerstört wurden 33 Gebäulichkeiten, 24 mehr oder minder beschädigt. Unter Erstem zählen wir 10 Wohnhäuser, 19 Ställe, 2 Sägen, 1 Mühle und 1 Schmiede; unter Letztern 15 Häuser und 9 Ställe.

Im Rheinwald wurden weggeschwemmt 2 Häuser, 1 Säge, 10 Ställe mit etwa 160 Kubikklafter Heu und einigen kleineren Schoppen.

Wie gewaltsam auch im Kanton Graubünden die Zerstörungen auftraten, und wie drückend die langsam verlaufenden, hohe Lettschichten zurücklassenden und viele Vorratskammern einfallenden Wassermassen im St. Gallischen Rheinthal auf der Bevölkerung lagern, so begegnen wir im Nachbarkanton Tessin, bei der Kahlheit der dortigen steilen Gebirgswände, Ereignissen und Erscheinungen von noch schlimmerem Charakter. Hier wurden kleine Ortschaften ganz vernichtet und verloren 41 Menschen entweder direkt oder im Bestreben Andere zu retten, ihr Leben.

Davon fallen 20 Personen auf die gänzlich verschüttete Ortschaft Cumiasca in Val Blegno und 21 auf Bodio.

Auf den Nothsehrei aus einzelnen Kantonen, namentlich Tessin, schritt der Bundesrath sofort zu Bezeichnung einer Schatzungskommission, welche ihren Hauptsitz in Zürich hatte, und von welcher aus sechs Sektionen zu je drei Mitgliedern nebst einem Sekretär die fünf beschädigten Kantone St. Gallen, Graubünden, Wallis, Uri und Tessin bereisten, und in einem Gesammtbericht an den Bundesrath die gemachten Schadenerhebungen zusammenstellten.

Aus demselben entnehmen wir die folgenden Zahlen:

Gesammt-Hochwasser-Schaden

in der Schweiz

üt oo oo

Dämmen Boden Fahrnissen, Total.

und

Strassen.

Brücken.

und dessen

Gebäuden.

Vorräthen

Wuhren.

Erzeugnissen.

u. s. w.

Kantone

1

St. Gallen

2,438,165

235,004

70,917

36,980

1,606,810

335,068

153,386

Graubünden

2,836,793

787,515

92,700

147,500

1,554,318

166,199

88,561

Wallis

1,691,472

332,995

91,582

78,571

648,177

400,307

139,840

Tessin

6,541,486

771,518

573.653

29,250

3,932,142

570,986

663,937

Uri

513,957

266,193

20,757

3,630

181,432

29,430

12,515

14,021,873

2,393,225

849.609

295,931

7,922,879

1,501,990

1,058,239

Hand in Hand mit der Ermittelung des verursachten Schadens, ging auch die Sammlung der Liebesgaben durch das ganze Schweizerland. Dabei zeigte sich die erhebende Thatsache, das die Devise « Alle für Einen und Einer für Alle » noch ihre volle Berechtigung habe. Auch die Schweizer im Auslande zog dieses Band der Zusammengehörigkeit mächtig an und veranstalteten die über die ganze Erde verbreiteten Landsleute allenthalben Geldsammlungen.

Dabei blieb jedoch das allgemeine Mitgefühl nicht stehen, sondern es betheiligten sich Volk und Fürsten der benachbarten Staaten in edler Weise mit schönen Gaben, Aus allen Welttheilen, besonders der Schwester-Eepublik Amerika, wurden Gaben eingesandt. In der Schweiz selbst erreicht die Liebessteuer an baar eine Höhe von 2,500,000 Franken nebst vielen Victualien. Vom Auslande her ist die Sammlung zur Stunde noch nicht geschlossen, steigt aber auch schon über 1,000,000 Fr., so dass im Ganzen die schöne Summe von 3l/2 Millionen Franken zu Gunsten der unglücklichen Wasserbeschädigten zusammengelegt wurde.

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