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Der Karteninhalt, einige Betrachtungen dazu

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R. Knöpjli

Bereits im Bericht über die topographische Landesvermessung habe ich auf den Unterschied zwischen Flugbild und Karte hingewiesen, das Flugbild als Datenspeicher, eine Karte dagegen als Abstraktion bezeichnet. Ich habe auch bereits gesagt, dass Abstrahieren Weglassen und Hervorheben bedeutet und demnach eine intensive geistige Tätigkeit erheischt, verbunden mit einem intensiven Sich-Auseinandersetzen mit dem, was dargestellt werden soll. Abgesehen vom persönlichen Können des Bearbeiters, hängt ja das Mass der geistigen Auseinandersetzung sehr weitgehend auch von den jeweils vorhandenen technologischen Möglichkeiten ab- und das leider sehr oft in einem reziproken Verhältnis, d.h. je kleiner die Möglichkeiten, desto grösser die geistigen Leistungen und umgekehrt! Das gilt auch in der Kartenherstellung '. Und es ist vielleicht gerade heute, im Zeitalter grosser technischer Möglichkeiten ( Datenverarbeitung, Orthophototechnik ), nur von gutem, wenn man sich über das Wesen, über Sinn und Zweck des Karteninhaltes erneut Gedanken macht. Dann zwingen einen aber vielleicht gerade neue technische Möglichkeiten, erneut Überlegungen über scheinbar schon längst bestbekannte Zusammenhänge anzustellen. Ich denke hier besonders an die elektronische Datenverarbeitung. Seit etwa 100Jahren findet eine sehr starke Mathematisierung in fast allen Bereichen unseres Lebens statt. Albert Einstein sprach von einer « Geometrisierung ». Vom Innenleben der Kartoffeln über die Atomphysik bis zum Lieben Gott möchte man alles genau messen, wägen, quantitativ, d.h. mengenmässig, erfassen und in Formeln darstellen. Formeln sind nämlich das Futtermittel für Automaten. Und da man auch Karten automatisch herstellen möchte, ist man gezwungen, bislang empirisch gehandhabte Regeln mit Formeln darzustellen. Wie können aber Karteninhalte formalisiert werden; wie kann mit Formeln gesagt werden, was wichtig und was unwichtig ist? Haben Sie sich schon ein- 1 Literatur: Harttko Kishimoto, « Räumliche Transformation in der Kartographie »: Beiträge zur Theoretischen Kartographie, Festschrift für Erik Arnberger, 1977, Franz Deuticke, Wien.

mal Gedanken über den Wert eines einzelnen Hauses in der Karte gemacht? Bestimmt. Als Alpinist und Tourist weiss man ja ein Haus in einsamer Gegend sehr zu schätzen, sei es als Unterkunft oder als Orientierungshilfe. Demgegenüber hat ein einzelnes Haus inmitten einer Stadtrand-siedlung eine viel geringere Bedeutung. Und Sie gehen bestimmt mit mir einig, wenn ich behaupte, dass deshalb das einzelne Haus in einsamer Gegend unbedingt in der Karte dargestellt werden muss, während ein einzelnes Gebäude in einer Grossüberbauung ruhig übergangen werden darf. Oder ein anderes Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit eines begehbaren Durchganges durch eine Felswand ist viel geringer als durch eine schöne Alpweide. Der Weg durch die Felswand muss demnach unbedingt dargestellt werden, während der Weg durch die Alpweide als « Selbstverständlichkeit » fast weggelassen werden könnte. Oder Sie möchten sich mit irgend jemandem treffen. Längs der in Betracht fallenden Strasse befinden sich lauter gleiche rechteckige Einfamilienhäuser; nur eines weicht ab, hat einen Anbau. Wo verabreden Sie sich? Bestimmt vor dem « aus der Reihe tanzenden » Haus mit dem Anbau. Das sollten Sie aber unbedingt der Karte entnehmen können. Oder Sie möchten sich wiederum in einem Aussenquartier treffen, das Rendezvous aber am Telefon vereinbaren. Sie und Ihr Gesprächspartner haben eine Karte vor sich. Sie sehen in dem in Betracht fallenden Quartier lauter gleiche Häuser, Strassen und viele ähnliche oder gleiche Strassengabelungen. Doch eine einzige Strassengabelung ist mit einer Höhenangabe ( sog. Kote ) versehen. Obschon Sie die Höhe nicht interessiert, werden Sie diese Strassengabelung als Treffpunkt wählen. Dieser Punkt ist nicht gleich wie die andern, Sie können klar vereinbaren, wo Sie sich treffen wollen. Es ist also notwendig, dass solche Punkte, ganz unabhängig vom Wert der Höhenangabe, in der Karte vorkommen.

Mit diesen wenigen Beispielen, die sich beliebig vermehren liessen, möchte ich zeigen, was man unter « Information » zu verstehen hat. Heute spricht man ja überall von Information. Viele behaupten, ein Flugbild enthalte viel Information, eine Karte weniger, da man in einer Karte vieles weggelassen habe, was in einem Flugbild noch vorhanden sei. Kann man Information messen? Gibt es irgendein Mass, das uns angibt, ob in einer Mitteilung viel oder wenig Information enthalten sei? Ein solches Mass wäre dann vielleicht auch das Instrument, mit dem der Karteninhalt nach sehr wichtigen, weniger wichtigen und ganz unwichtigen Elementen sortiert werden könnte. Und tatsächlich gibt es ein solches Mass. Stellen Sie sich vor, Sie möchten morgen mit der SBB nach Zürich reisen. Nach dem Amtlichen Kursbuch fährt der Zug um 6.32 Uhr. Wenige Minuten vor der Abfahrt meldet der Lautsprecher, dass der Zug um 6.32 Uhr fahre. Enthält diese Mitteilung viel Information? Gewiss nicht. Aus Erfahrung wissen Sie, dass die SBB den Fahrplan sehr genau einhält. Meldet der Lautsprecher jedoch, der 6.32-Zug fahre erst um 7.15 Uhr, so sind Sie höchst überrascht; so etwas haben Sie von der SBB nicht erwartet. Jedenfalls aber enthält diese Mitteilung für Sie sehr viel Information. Und nun die Frage: Was heisst viel, was heisst wenig Information? Genau das: Wenn das Eintreffen eines Ereignisses sehr unwahrscheinlich ist, wenn Sie es nicht erwartet haben ( verspätete Abfahrt eines SBB-Zuges ), so enthält die Mitteilung, dass es trotz der geringen Wahrscheinlichkeit doch eingetreten ist, sehr viel Information. Und umgekehrt: Erwarten Sie ein Ereignis mit grosser Wahrscheinlichkeit ( das pünktliche Fahren der SBB-Züge ), so enthält die Mitteilung, dass das Ereignis wirklich eintrete, sehr wenig Information. Wir sehen, dass die Information über die Wahrscheinlichkeit gemessen werden kann; sie ist, wie wir selber erkennen können, in erster Näherung reziprok, d.h. umgekehrt proportional zur Wahrscheinlichkeit. Weiter möchte ich nicht auf das sehr umfangreiche Gebiet der Informationstheorie eingehen ( es gibt darüber ausführliche Literatur ).

Sie alle wissen, dass mit kleiner werdendem Kartenmassstab das Bild vereinfacht werden muss. Im Massstab 1:25000 steht dem Kartographen für 1 km2 eine Fläche von 4 X 4 Zentimeter, also 16 Quadratzentimeter, zur Verfügung, während ihm im Massstab 1:50000 für das gleiche Gebiet nur noch 2 X 2 Zentimeter, also 4 Quadratzentimeter, bleiben, im Massstab 1:100000 ist es gar nur noch 1 Quadratzentimeter. Das zwingt den Kartographen zu immer stärkerer Vereinfachung des Bildes, und es ist ohne weiteres einleuchtend, dass es gerade die Elemente mit hohem Informationsgehalt sind, die auch in den kleineren Massstäben noch darzustellen sind, während alle andern Elemente mit geringerem Informationsgehalt weggelassen werden können ( s. Seite 42 ). Zudem ist es aber noch so, dass die Elemente mit hohem Informationsgehalt graphisch verstärkt werden. So wird ein alleinstehendes kleines Gebäude im Gebirge grösser dargestellt, als es seinen wirklichen Abmessungen entsprechen würde.

Diesen kartographischen Selektionsprozess nennt man « Generalisieren ».

Selbstverständlich ist die Informationstheorie kein Universalmittel zur Gestaltung von Karten. Es kann z.B. mit der Informationstheorie nicht entschieden werden, ob ein Element in die in Betracht fallende Karte gehört oder nicht, auch wenn es einen noch so grossen Seltenheitswert besitzt. Anders ausgedrückt: Mit der Informationstheorie können keine thematischen Entscheide getroffen werden. Ein Beispiel hiezu: Auch wenn in einem Wald ein noch so seltener Baum wächst, gehört er eben nicht in eine gewöhnliche topographische Karte, sondern in eine Karte mit dem Thema « Wald » oder « Bäume ». Erst nach dem thematischen Sortierungsvorgang kann die Informationstheorie wieder als Auswahlinstrument sehr hilfreich sein, indem die innerhalb eines bestimmten Themas seltenen Elemente ausgewählt werden können. Hiezu ist noch folgende Betrachtung von Interesse: Die Karten kleinerer Massstäbe werden ja im wesentlichen immer durch zweckmässige graphische Bearbeitung aus den grösseren Massstäben abgeleitet. Dabei muss das Bild generalisiert werden. Diese Generalisierung darf aber nicht in gleicher thematischer Richtung erfolgen. Es dürfen nicht einfach aus 8 Einfamilienhäusern eines Aussenquartiers im Massstab 1 25000 2 Häuser gemacht werden im Massstab 1:100000 und von 5 Fusswegen nur noch der wichtigste zur Darstellung gelangen. Mit kleiner werdendem Kartenmassstab findet nämlich ein Wandel im Thema, d.h. ein Qualitätswandel, statt. Aus der Karte für den Alpinisten und Wanderer wird allmählich eine Karte für den Automobilisten. Es müssen somit ganz andere Elemente hervorgehoben werden.

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen das seit eh und je wichtigste Problem kartographischen Schaffens, nämlich das der Generalisierung, gleichzeitig aber auch einen Weg zukünftiger kartographischer Forschung und Entwicklung skizziert zu haben.

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