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Die Musik und die tonerzeugenden Instrumente der Alpenbewohner

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und die

tonerzeugenden Instrumente der Alpenbewohner

Eine kulturhistorische Skizze

von H. Szadrowsky.

T

Im beengenden Gefühl, mich abermals auf ein unbe-kannteres Gebiet zu wagen, das noch weniger aufgezeichnete Beobachtungen und Mittheilungen von anderer Seite voraus hat, als meine im I. Bande unseres Jahrbuches erschienene Skizze über den nationalen Gesang der Alpenbewohner, bin ich veranlasst, von vorneherein die freundschaftlichste Nachsicht der Leser im ausgedehntesten Maasse zu beanspruchen. Die Kulturhistoriker haben sich nur vorübergehend mit diesem Thema befasst; eingehendere Untersuchungen sind wenigstens bis jetzt nicht bekannt geworden. Ich suchte vergebens nach Mittheilungen von Alpenerforschern, die meine eigenen Beobachtungen hätten erweitern können, suchte nach Anhaltspunkten zur Erklärung mancher Erscheinungen, die sich mir bei Entwerfung des Planes für die gegenwärtige Arbeit in den Weg stellten. Zwar verdanke ich einige wesentliche Beiträge, die mir von Freun- den und Clubgenossen zukamen;

allein so schätzenswerth diese Beiträge auch sind, und so nothwendig sie waren, um nicht allzukahl mit den eigenen Beobachtungen vor das Publikum treten zu müssen, so stehen sie doch nicht ausreichend und unterstützend genug zur Seite, um in einer allseitig erschöpfenden Darstellung ein vollkommen characteristisches Bild bieten zu können. So lange ich das Thema vom Standpunkte des Touristen auffasste, der auf seinen ausgedehnten Wanderungen allenthalben und in Fülle Gelegenheit zu Beobachtungen und Aufzeichnungen fand, schien mir eine Behandlung des vorwürfigen Thema's nicht allzuschwierig werden zu wollen. Das gesammelte schöne Material war zudem verlockend genug für ein Her-vorziehen desselben aus der dunkeln Mappe an das Tageslicht. Als ich aber mit den Untersuchungen begann, den Standpunkt des geniessenden und sammelnden Touristen zerliess und mich auf jenen des Kulturhistorikers stellte, trat die Grosse der Schwierigkeiten fast herabstimmend an mich heran, und es bedurfte in der That der Aufmunterung von einigen unserer eifrigsten und gewiegtesten Alpenforschern, um an die endliche Ausführung der projectirten Arbeit zu gehen, auch auf die Gefahr hin, nur einen sehr bescheidenen Anfang auf diesem Gebiet in 's Jahrbuch des Schweizer Alpen-Club niederlegen zu können. Nirgends waren jene genügenden oder sicheren Anhaltspunkte zu finden, wie sie dem Forscher nothwendig sind, um von ihnen aus erfolgreich weiter in die Sache einzudringen, namentlich wo es sich um ein Zurückgehen in eine Zeit handelt, die vom Dunkel von Jahrhunderten zugedeckt wird. Meine Arbeit erschien mir wie eine Fahrt in ein vollständig neues Gebiet.

Da der todte Buchstabe wohl nur wenig über das Thema gebracht haben mag, und dies noch sehr zerstreut in einzelnen Reiseberichten, Zeitschriften, beinebens in grösseren Werken etc., deren Sammlung wenigstens nicht in der Möglichkeit meiner Kräfte lag, so war für mich blutwenig spezielle Literatur zugänglich.

Aus der Spärlichkeit der grösseren Mittheilungen über das Musiktreiben der Alpenbewohner und ihre tonerzeugenden Instrumente sollte man überhaupt den Schluss ziehen können, dass Ersteres nicht bemerkenswerth sei, und Letztere gänzlich fehlen, wenn die Wirklichkeit nicht deutlich genug das Gegentheil zeigen würde.Versetze sich der Leser in die vielen durchwanderten Gebirgsgegenden, so zaubert die Erinnerung einen wahrhaften Jakob Böhm'sehen Himmel von Freuden und Genüssen vor die Seele, die durch Musik bei den Bergvölkern erzeugt worden. Ueberall Musik, hier Gesang vorherrschend oder ausschliesslich, dort im Verein mit der Pflege gewisser Instrumente. Das bisher schriftstellerisch unbeachtet gebliebene oder nicht genug gewürdigte Gebiet erscheint in der Wirklichkeit blühend und lebensvoll, in einzelnen Gebirgsgegenden sogar in einer, den Bedingungen und Verhältnissen entsprechenden, nationalen Ausbildung.

So wenig anziehend nun für eine Arbeit das Bewusstsein ist, aus Mangel an Vergleichungen mit ähnlichen fremden Arbeiten nur den engen Rahmen der noch nicht genugsam geläuterten eigenen Untersuchungen und Beobachtungen bringen und sich über das peinliche Gefühl hinwegsetzen zu müssen, trotz aller Bemühung doch kaum mehr als eine blosse Skizze bieten zu können, so wage ich doch, mit diesem leider noch Stückwerken Beitrag hervorzutreten, von den Gesichtspunkten ausgehend, dass in einer jeden Sache einmal angefangen werden müsse, und dass der Zweck unseres Clubs eine allseitige Erforschung der Hochgebirgswelt, also auch deren Bewohner in ihrem Leben und Trei-

ben beansprucht, dem bezüglich auch die geringste und selbst lückenhafte Mittheilung nicht ganz werthlos sein dürfte. Ich fühle wohl, dass ein so vielfacher und vielerlei Beobachtungen und Untersuchungen erfordernder Stoff, wie das Musiktreiben der Bergvölker in ihren oft gänzlich abgelegenen Berggegenden, nur durch eine gemeinsame Arbeit von vielen Beobachtern endlich zu einem abgeschlossenen Gesammtbild werden kann. Als ein solcher Beitrag eines Einzelnen, der für das spätere Ganze zu bieten sucht, was auf den ersten Wurf zu bieten ist, mögen diese Zeilen angesehen werden.

*

Kein Volk ist ohne Musik, oder ohne Liebe und Neigung zur Musik, nur bewegt sich ein jedes Volk in den seinem nationalen Gefühle und seinen Liebhabereien entsprechenden Ausdrucksweisen und Ausdrucksmitteln. Die graziös - massvollen Tänze des gemüthlichen Wieners, die zügellos-leidenschaftlichen Fandangos der Gitanos, oder die rohen Kingtänze der Indianer sind in ihren Ausdrucksarten gewiss sehr verschieden unter einander; und doch läuft das Resultat der Stimmungen und des Genusses auf denselben-Punkt hinaus. Wenn sich irgend ein stümperhafter Dorf-geiger in eine Sennenhütte bemüht und dort < Solo spielt », so zaubert er nicht minder Enthusiasmus hervor, als der virtuose Sologeiger in seinen Konzertkreisen der Städte. Nur die Kunstbildung mit der Kunstkritik bestimmt schliesslich den Grad des Kunstgenusses.

Wenn es Leute gibt, denen der Ton eines Alphorns als kaum bemerkenswerth erscheint, und welche die nationalen Instrumente der Alpenbewohner als lächerlich und deren tonliche Leistungen als schrecklich oder erschreckend bezeichnen, weil sie gewohnt sind, in den Städten von ge- fügigeren und leistungsfähigeren Instrumenten andere und schönere Töne zu hören, so gibt es dagegen auch wieder Leute, und dazu in nicht geringer Zahl, denen die höchste Schöpfung der Instrumentalmusik — eine Beethoven'sehe Symphonie — als'langweilig, d.h. also eigentlich so viel wie ungeniessbar erscheint.

Desshalb ist und bleibt doch einerseits eine Beethoven'sche Symphonie die höchste Instrumentalschöpfung, und hat anderer Seits auch in ihren Kreisen und zu ihren Zwecken die Musik der Alpenbewohner ihre volle Bedeutsamkeit.

Suus cuique mos!

Die Characterisirung des nationalen Gesanges der Alpen- bewohner1 hat schon dargethan, dass die Bergvölker von Musik erfüllt sind, lebhaft Musik suchen, sich gerne und in einzelnen Gebirgsgegenden mit besonderer Vorliebe den durch Musik erzeugten gemüthlichen Stimmungen hingeben, und ganz besonders, dass sie sich gesanglich einen eigenen Melos und Khythmos gebildet haben, welch'beide ihnen nur allein angehören und von anderen Sangesweisen und Arten so merklich verschieden sind, dass es kaum mehr als eines einmaligen Hörens bedarf, um unfehlbar ein ursprüngliches Lied der Bergbewohner erkennen und von einem verpflanzten oder allgemeinen Volksliede der Ebene unterscheiden zu können.

" Wie beim Lied, so herrscht auch beim Musiktreiben und in der Wahl und dem Gebrauche von Musikinstrumenten bei den Bergbewohnern jene Eigenthümlichkeit, die eben ihre Bedingungen in der Alpenwelt findet. Wenn wir in den Abstufungen einer Musikbildung und eines entsprechenden Musiktreibens von einer « Volksmusik » sprechen, so findet diese Bezeichnung ihre vollkommenste Anwendung bei den Bergvölkern. Das Volk in der grossen Ebene und in den Städten rückt mit seiner Musikbildung schon zu nahe an die Kunstmusik, es empfangt von dorther unmittelbar seine Anregungen, wird bildend herangezogen, steht überhaupt vollständig unter deren Einflüssen, da auch die Anstalten für Musikbildung und- der persönliche Unterricht von der Kunstmusik ausgehen.

Die in den Dorfschaften gepflegten Blasinstrumenten-Vereine sind begreiflich nicht als eine Volksmusik zu betrachten, mehr als eine im Volke gepflegte Kunstmusik, da sie ihre ganze Einrichtung von der Kunstmusik entlehnt haben und ihr Streben auch in entsprechender oder missglückender Weise dorthin zielt.

Anders verhält es sich bei den Bergvölkern. Zu ihnen fand selten oder gar nie ein Musikmeister den Weg, um zu « instruiren ». Und was hätte er auch hier machen wollen? Seit alten Zeiten vererbten sich die wenigen Instrumente von einer Generation auf die andere, der Junge lernte vom Alten, und die Kunstfertigkeit des Jungen überstieg selten die des Alten. Die Stückchen, die der Grossvater auf dem Hackebrett spielte, wurden dem Enkel ein lieber Zeitvertreib; und als dieser selber das Hackebrett spielen konnte, lebte die ganze Kunst des Grossvaters wieder in ihm auf. So ging, die Stabilität aus einer Décade in die andere, und immer verjüngend, wie der Frühling, traten die alten Stückchen in ein neues Geschlecht. Für den Musikhistoriker ist 's interessant, den eigenthümlichen Formen aus alter Zeit za. lauschen, die wie ein hochge-haltenes Heiligthum mit zur Familie gehören, in denen sich die seligsten Erinnerungen spiegeln. Wie ein Märchen, das von Mund zu Munde geht, zogen die alten Musikstückchen und Lieder vom Vater auf den Sohn, und das etwaige Neue, das irgend ein « Genie » dem Vorhandenen beigesellte, vermochte das Alte nicht zu verdrängen. Ich habe selten unterlassen, mich nach den Quellen der Musikstücke zu erkundigen, besonders wenn sie ein originelles Gepräge trugen, und habe bei weitaus der grössten Zahl derselben und aus dem Munde hochbejahrter Männer die Mittheilung erfahren, dass schon der Urgrossvater diese Stückchen gespielt habe.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die schweizerische Bergbevölkerung nicht eigentlich als musikalisch-erfinderisch zu bezeichnen ist. Ihr Musiciren ist ein mehr reproductives, als ein eigentlich productives; sie liebt es, das einmal gebräuchlich gewordene festzuhalten und die Tonweisen unermüdlich — man darf wohl sagen unersättlich — zu wiederholen. In diesem Punkte unterscheidet sie sich wesentlich von der Bergbevölkerung Tirol's, deren Phantasie immer neue Variationen über die alte Form schafft und überhaupt die Mannigfaltigkeit liebt. Als Vorzug dieses Unterschiedes tritt schweizerischer Seits die Urwüchsigkeit und Ursprünglichkeit auf, während den tiroler Lied- und Musikweisen das allgemein Anziehende durch die immerwährenden Neugestaltungen nicht abgesprochen werden kann. Das allgemeine Publikum, das mit dem augenblicklichen Genuss zufrieden ist, wird sich vorzugsweise den tiroler Ländler-Formen zuneigen. Diese tragen ein vorwiegend modernes Gewand und sind schon desshalb einer leichteren Eindringlichkeit auf den Zuhörer fähiger, ganz abgesehen von der einschmeichelnden Gemüthlichkeit der Tonweisen, und mit Hinsicht auf das dortige Nationalinstrument — die Zither — auch bezüglich der instrumentalen Uebermittelung. Der Musikforscher und der Freund einer originellen Musik der Bergvölker wird sich dagegen mit der schweizerischen Weise befreunden, obgleich sie herber auftritt, nicht sogleich in 's Gehör fällt und von keinem so klangvollen Instrumente, wie die Zither ist, vorgetragen wird. Die schweizerischen Weisen haben aber den Vorzug eines kräftigeren Ausdruckes, in der Eegel Szaârowshy.

grosse Lebhaftigkeit mit rhythmischer Mannigfaltigkeit während die Ländlerweise so ziemlich einförmig bleibt.

Es ist gewagt, an einem einzigen Muster Vergleiche ziehen zu wollen; noch schwieriger ist die Auswahl unter dem Mittheilungswerthen. Ich will jedoch den Versuch nicht unterlassen, die beiden Formen in einem einzigen Beispiel einander gegenüber zu stellen. Dass das Beispiel nur Tänze sein können, wird die Erklärung in dem Umstände finden, dass die Musik der Bergvölker hauptsächlich diesem Zwecke dient, daher auch die Eigenthümlichkeit derselben sich am kenntlichsten auf diesem Gebiete offenbart. Die Wahl der einfachsten Form solcher Tänze liegt in der Consequenz dieser Arbeit. Wer interessantere Tänze vom eigenthümlicher Art, für Geige, Hackebrett und Bass kennen lernen will, findet solche in der „ Sammlung schweizerischer Kuhreihen und Melodien, Bern 1826 ", herausgegeben von Wyss und Huber.

1.Bekannter tiroler Tanz-Ländler.

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2.Appenzeller Tanz.

Einem alten Klarinettisten nachgeschrieben in Inner - Rhoden..

Nicht allein dem kundigen Harmoniker, auch schon dem Sänger wird auffallen, dass der tiroler Tanz-Ländler einer harmonischen Begleitung gefügiger ist, als der appenzellische. Es braucht keiner besondern Hinweisung, dass der appenzellische, trotz seiner Härte, ungleich mehr interessirt durch den lebhaften originellen Gang seiner Melodie. Während dem tiroler Tanz-Ländler die wohlklingende Harmonie zu Grunde liegt, er vielmehr auf dieselbe gebaut ist, bewegt sich der appenzeller Tanz frei und keck, fast wild, ohne harmonischen Zwang, entbehrt dadurch aber auch einer gewissen Schönheit, welche dem Ersteren eigen ist und ihn auszeichnet.

Es ist ferner eine characteristische Erscheinung in den Gesängen und Musikstücken der schweizerischen, vorab appenzellischen Bergbewohner, dass die Quarte ( fa ) häufig erhöht erscheint. Ferdinand Huber hat mich aufmerksam gemacht, dass dies in früheren Jahren ( etwa im 3 Decenn. des gegenw. Jahrh. ) noch viel auffälliger hervorgetreten sei. Wahrscheinlich mildert der Gesangunterricht in den Schulen diese leiterfremde Härte, wie auch die obige Notation eine solche zeigt, und weisst den Gang der Melodie mehr in das Beet der bedingenden Harmonie. Ich habe unter einer Anzahl nachgeschriebener appenzellischen Tonweisen absichtlich ein Muster gewählt, welches die erhöhte Quart höchst auffällig und für den Hörer verletzend zur Schau trägt; dieses Beispiel dürfte, wenigstens nach meinen Erfahrungen, die äusserste Grenze berühren. In den Musikstücken, die auf dem Hackebrett vorgetragen werden, herrscht selbstverständlich ein harmonisches Gefüge vor.

Wie die Sitten, Moden und Gewohnheiten des Tieflandes vernichtend oder doch sehr modifizirend auf die alten eigenthümlichen Gebräuche, Trachten und überhaupt auf die ganze Lebensweise der Bergbewohner bereits ein- wirkten;

wie das in den Tiefländern, den Städten und grösseren Dorfschaften eifrig gepflegte Kunstlied allmälig in die Berge dringt und wohl mit der Zeit einen guten Theil der heutigen characteristischen Berglieder verwischt, so haben verschiedene Einflüsse, nebst Bequemlichkeit, auch schon sehr verderbend über die alten nationalen Hirteninstrumente geherrscht, und ihre Zahl, und besonders ihren Gebrauch, sehr gelichtet. Nach vielleicht nicht vielen Jahren dürfte der letzte Ton der alten eigenthümlichen Hirteninstrumente verklingen, wenn die alten Aelpler mit ihrem Absterben auch ihre nationale Kunst abgeschlossen haben und unterdessen keine Schritte geschehen, einige Instrumente um ihrer Eigenthümlichkeiten willen zu retten und deren Gebrauch zu befestigen. Der jüngere Nachwuchs liebt einen Ersatz für die alten und wirkungsvollen Hirteninstrumente, der in der That bedauernswerth ist. Es wird nämlich grosses Vergnügen an der s. g. „ HandJiarmomka " gefunden, die auch von den Sennen und Hirten mit einer verzweiflungsvollen Hartnäckigkeit in der Ausdauer gepflegt, d.h. « gedruckt » wird — spielen oder gar musi-ciren kann man eine solche « Hantirung » doch nicht nennen. Wenn es nicht schon der Fall ist, so dürfte es sich in kürzester Zeit vollenden, dass auf frequenten Wegen oder in den Hütten stark besuchter Gebirgsgegenden nur " wenige Touristen von diesen qualvollen Tönen verschont bleiben werden. Unsere gegenwärtige Jugend in den Berggegenden findet es bequemer, an einer Handharmonika herum zu ziehen, oder eine säuselnde Mundharmonika zu blasen, anstatt die guten und kräftigen Lungen für das wirkungsvolle Alphorn anzustrengen oder sich leistungsfähigeren Instrumenten zuzuwenden, als Mund- und Handharmonika sind, an denen sie ihre Zeit und Lust so un-

iSti rühmlich vergeuden und dabei doch nur simple Stümper bleiben.

Indem ich nun die einzelnen tonerzeugenden Instrumente der Alpenbewohner nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Gebrauch beschreibe, muss ich voraussenden, dass sich meine Untersuchungen nur auf das schweizerische Alpengebiet erstrecken. Für eine Ausdehnung dieser Arbeit auf die diesfallsigen Erscheinungen im bayerischen Hochlande und Tirol mangeln mir genauere neuere Beobachtungen, indem meine Aufzeichnungen und Erinnerungen aus früherer Zeit nicht hinreichend genug sind, und mein spezielles Interesse für diesen Gegenstand überhaupt in eine Zeit fällt, in welcher ich nicht mehr Gelegenheit zu Touren und Beobachtungen fand in jenen Alpengebieten. Einzelne mir zugekommene und sehr verdankenswerthe Mittheilungen finden an betreffenden Stellen ihre Berücksichtigung.

Das Alphorn.

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Wer kennt nicht das rührend einfache Volkslied „ Zu. Strassburg auf der Schanz "!

„ Das Alphorn hört ich drüben wohl anstimmen, In's Yaterland mus st ich hinüber schwimmen " —

„ Der Hirtenbub ist doch nur Schuld daran, Das Alphorn hat mir Solches angethan !"

Das Instrument von so gewaltiger Wirkung hat ein einfaches Aeussere und steht auf der primitivsten Stufe des Instrumentenbaues. Ein junges gutgewachsenes Tannenbäumchen, am dicken Ende von etwa 7 Centimeter ( 21/2 Zoll ), am dünnen Ende von ungefähr 3 Centimeter ( 1 Zoll ) Durchmesser, wird sorgfältig ausgebohrt, nach unten allmälig erweitert und demselben ein anderes grösseres Stück Tannenholz angesetzt, das gekrümmt und schall-becherartig ausläuft.

Die Länge des geraden Tonrohrs ( Bäumchen ) beträgt in der Regel 1,36 Meter ( 4 Fuss 5 Zoll ), die Länge des Becheransatzes 0,4 Meter ( 1 Fuss 3 Zoll ) und der Durchmesser des äusseren Schallbechers 10 Centimeter ( 3 Va Zoll ). Die Gesammtlänge eines Alphorns erreicht demnach 1,40 Meter oder 5 Fuss 8 Zoll. Diese Länge wird bei Alphörnern des grösseren oder grössten Formates in der Regel nicht überschritten. Das Bäumchen, oder der eigentliche Instrumentenkörper, wurde früher entweder mit Rinde, gewöhnlich Birkenrinde, oder auch mit Hanfschnüren von etwa Federspuldicke, die zuvor gut in Theer oder Pech getränkt waren, umwunden. Eine derartige Umhüllung hat begreiflich keinen andern Zweck, als dass dadurch das Tonrohr ( Bäumchen ) vor Ver-derbniss durch Witterung oder andere äussere Einflüsse geschützt werde. Da nun aber die Rinde einem längeren Gebrauch nicht genug Solidität zu bieten vermag, die gepichten und getheerten Hanfschnüre anderweitige Unannehmlichkeiten haben, besonders bei anhaltender Wärme, so hat man sich einer praktischeren Umhüllung zugewendet, und benützt nun hauptsächlich zur Umwickelung des Bäumchens junge und lange Tannenwurzeln von starker Bleistiftdicke, oder auch einmal gespaltenes Meerrohr, letztere Umwickelung die solideste und schönste, zugleich aber auch die kostspieligste. Meistens jedoch findet man Umwicke-lungen mit Tannenwurzeln; im Wallis behelfen sich die Sennen auch mit starkem Bindfaden ( Ficelle ), welches Verfahren dort das gebräuchlichere zu sein scheint. Im Berner Oberland dagegen findet man die schöne Umwickelung durch Meerrohr nicht selten, wohl aus dem Grunde, weil das Alphorn dort als Schaustück für die Touristen gilt und um so mehr in die Augen fallen muss, als das Instrument den « Bettelzwecken » zu dienen hat.

Dem Alphorn setzt man schliesslich ein Trompetenmundstück auf, wodurch die leichtere Hervorbringung des Tones sehr gefördert wird. In früheren Zeiten scheint man sich mit einer mundstückartigen Vertiefung am Bäumchen, dem Tonrohr selbst, beholfen zu haben, eine Einrichtung, die jedenfalls das Blasen sehr mühsam machte.

Nach eingezogenen Erkundigungen kommt ein mit Tannenwurzeln umwundenes Alphorn auf Fr. 15-20, ein Instrument mit Meerrohrumwindung auf Fr. 20-30. Die Schwierigkeit der Herstellung liege im Bohren des Bäum chens, namentlich in der almiäligen Erweiterung des Tonrohres. Die Sennen sind in der Regel selbst die Verfertiger der Alphörner.

Das Gewicht eines umwundenen Alphorns beträgt gegen 5 Pfund.

Der Name Alphorn scheint der früheren Bezeichnung Lituum alpinum entnommen zu sein; so nennt es Conrad Gessner in seinem 1555 gedruckten Buche über den Pi- latus -Berg. Seine Mittheilung, dass es 11 Fuss Länge habe, entspricht einer alten Ueberlieferung, wie nämlich die Entlibucher und Unterwaldner im 14. Jahrhundert das Alphorn als Signalhorn gebrauchten, um den Thalschaften den anrückenden Feind zu verkünden. Wenn wir hiebei ein Streiflicht auf das Heerhorn Alexanders des Grossen fallen lassen, womit er sein Heer auf 100 Stadien ( 21/2 geogr. Meilen ) zusammengerufen habe, so unterliegt die berührte Ueberlieferung um so weniger einem Zweifel, als schon unsere heutigen, nur 5 — 6 Fuss langen Alphörner, an günstigen Orten bis auf anderthalb Stunden weit hörbar sind, Alphörner vollends von einer Länge bis zu 11 Fuss, und vielleicht darüber, eine viel grössere Tonfülle zu entwickeln vermochten und desslialb leicht, je nach den eingenommenen Standpunkten der Bläser, in verschiedenen Thalschaften zugleich gehört werden konnten.

Eine Zurückführung des Alphorns von 11 Fuss Länge auf seine jetzige Gestalt mag in dem Umstand seine Beweggründe gefunden haben, dass die späteren weniger kriegerischen Zeiten und ganz besonders andere in den Gebrauch gekommene Allarmmittel das Alphorn als « Signalhorn » entbehrlich machten; die unhandliche Grosse musste sich auf eine bescheidenere Länge zurückziehen, in welcher sie übrigens den friedlichen harmlosen Hirtenzwecken vollkommen entspricht. Es wäre gewiss eines Versuches werth, ein Alphorn von 11 Fuss Länge bohren zu lassen, und seine tonliche Wirkung in den Bergen zu prüfen.

Bemerkenswerth ist, dass — wie mir Ferd. Huber mittheilte — in Unterwaiden in den zwanziger Jahren das Alphorn nur einfach als « das Liti » ( von Lituus ?) benannt wurde. Ich habe neuerdings nachgeforscht, ob diese Bezeichnung noch existire, die so sehr anklingend in eine längst vergangene Zeit hinüberspielt, habe aber nur erfahren, dass das Alphorn überhaupt in der Urschweiz spärlicher geworden sei, und entweder mit dem Namen « Alphorn », oder kurzweg nur mit « Hom » benannt werde. F. Huber wusste zu erzählen, dass er in Unterwaiden um 's Jahr 1826 viele Alphornbläser angetroffen habe; das Alphorn wäre demnach auch in den dortigen Berggegenden im Zeitraum von 40 Jahren fast verschwunden, bis auf die vereinzelten Instrumente -in den Händen von meist nur « bettelnden » Hirten, wie diese Erscheinung auch im Berner Oberland leider ebenso belästigend für die Touristen, wie misskre-ditirend für das characteristische Hirteninstrument auftritt.

Die Untersuchungen über das Alter des Alphorns führen auf das trügerischste aller Gebiete für den Forscher — in das Labyrinth der Vermuthungen.

Folgen wir den Sagen, so finden wir das Alphorn mit einem grossen Theile von Ereignissen verknüpft, welche weit zurück in den Zeiten liegen. Allein Sagen sind keine historischen Beweise. Die Anhaltspunkte, denen man trauen kann und darf, führen zurück bis in 's 13. Jahrhundert. Aber entschieden ist das Alphorn älter. Durchgehen wir manche Kompositionen ( Sequenzen ) von Notker Balbulus aus dem Kloster St. Gallen, die aus dem 9. Jahrhundert stammen, so tritt uns eine Form der Melodie entgegen, die auffällig an die Alphornweise erinnert. Mit Recht sagt auch Ambros, dass die « Schlüsse » der Notkerischen Sequenzen eine Aehnlichkeit haben mit den « regellos schweifenden Melodien der Alphörner ». Zugleich bemerkt der verdienstvolle Forscher: « Die Aehnlichkeit ist unverkennbar. Ob aber schon die uralten Bewohner der Schweiz solche Bergmelodien sangen, ist mehr als zweifelhaft.»2 Warum sollten die alten Bewohner unserer Berge nicht schon früher « solche Bergmelodien » gesungen haben? Sagt ja doch auch Herr Ambros auf der folgenden Seite seines citirten Werkes « « Neben diesen, den Pflegestätten des Kirchengesanges, den Klöstern entstammenden Sequenzen wurden aber auch noch, und zwar vom Volke, ähnliche Gesänge zum Gottesdienste, bei Bittgängen oder vor dem Kampfe angestimmt, welche eine eigenthümliche Mittelstellung zwischen dem Volksliede und der Sequenz einnehmen, obwohl sie stets zur letzteren Klasse gerechnet werden » u. s. w., und bemerkt noch, dass « diese Melodien und Gesänge ( des Notker Balbulus ) anderwärts als mustergültig anerkannt und nach-geahmt* worden seien.

Die Vergleichung eines Notkerischen Sequenz-Schlusses mit der gebräuchlichen Weise des Alphorns wird sowohl die Ambros'sche richtige Ansicht von der « unverkennbaren

Schweizer Alpen-Club.19

Aehnlichkeit » derselben mit den « regellos schweifenden Melodien der Alphörner » veranschaulichen, als auch zugleich weitere Consequenzen öffnen. Ich wähle liiezu ein Motiv des Schlusses aus dem Notkerischen « Cantus pa-schalis».5 In diesem findet sich häufig folgende Figur: 3.

Die Weise der schweizerischen Alphornbläser ist den Figuren a, c und e vollkommen ähnlich, und weicht nur bei b und d ab:

4.a und c

gggzgfe^g:

Ich habe im Appenzellerland vielmals singenden Geis-buben längere Zeit zugehört und zu meiner Üeberraschung entdeckt, dass dieselben Notker'sche Sequenz - Schlüsse jodeln. Eine Vergleichung mit den Exempla in Schubiger's Werk ergab eine unläugbare Aehnlichkeit. Bei ruhiger Betrachtung dieser Jodler-Figuren und jener, etwas knapperen des Alphorns fällt die Wahrnehmung nicht auf, dass der Geisbub Notkerische Sequenz-Schlüsse jodelt; denn die Figuren sind aus den geläufigen Naturtönen gebildet mit einer geringen, einfachen Abweichung. Sicherlich sind tonliche Figuren, wie die Notkerischen Sequenz-Schlüsse, die so sehr den noch jetzt lebenden Jodler- resp. Alphorn-Fi-guren gleichen, schon von den alten Bergbewohnern der Schweiz als Jodlerfiguren oder überhaupt als Volksgesang gesungen und von Notker, von dem wir wissen, dass er sich durch äussere Dinge, z.B. Klappern der Mühle, Schläge der Hämmer etc. anregen liess,4 für die Schlüsse seiner Sequenzen entlehnt worden.

Es liegt im Bereiche der Wahrscheinlichkeit, dass der feinfühlende, erfinderische, äusseren Eindrücken zugängliche Notker Balbulus für seine Kompositionen gerne gewisse volksthümliche Weisen wählte, um ihnen dadurch bei den Cantores des Klosters leichteren Eingang zu verschaffen. Der umgekehrte Fall, als habe das Volk z.B. die Schlüsse des Cantus paschalis nachgeahmt und in Jodelfiguren umgestaltet oder auf das Alphorn übertragen, ist weniger anzunehmen, da dieser Cantus jährlich nur einmal gesungen wurde, und für das Volk kaum hingereicht haben dürfte, sofort aus den vielen Ostergesängen gerade diese Figur festhalten und als Jodler- oder Alphornmelodie reproduziren zu können. Das genauere Studium dieses Ostergesanges zeigt mit einer fast unabweisbaren Bestimmtheit, dass Notker dem Volksmunde viel abgelauscht habe, sei es den Volksweisen, oder wie ich besser annehmen möchte, gewissen Hirteninstrumenten. Sprechen diese Figuren,

die sich im Cantus paschalis verschieden variirt häufig finden, nicht für eine instrumentale Abstammung, und erinnern sie nicht lebhaft an alte Schalmeienmelodien? Durch was hätte das damalige, gewiss schon so gut wie heute sangeslustige Volk gehindert werden können, solche Weisen zu singen, auf der Flöte oder der Schalmei, oder die Grundformen dieses offenbar etwas ausgeschmückten Gesanges auf dem Alphorn zu blasen?

Es dreht sich schliesslich alles doch um die gleiche Spindel. Wir werden später einige Beiträge liefern, wie ein grosser Tonsetzer unseres Jahrhunderts zu einem bewunderten und unsterblichen Werke in 's Volksmusikleben griff und dort Motive zum Aufbau seiner Instrumentalschöpfung nahm, um mit diesem Beispiel zu zeigen, dass die Annahme, Notker Balbulus habe im kleineren Maassstabe Aehnliches vor 800 Jahren wahrscheinlich oder wirklich gethan, gar nicht auf so schwachen Füssen steht, wenn auch weitere und sichere Anhaltspunkte vorerst noch mangeln.

Um einen wichtigen Punkt nicht zu vergessen, muss kurz erwähnt werden, dass die Entwickelungsgeschichte der Musik von den ersten bemerkenswerthen Spuren und den ältesten Zeiten an, durch alle Entwickelungsstadien und -Veränderungen hindurch bis auf die gegenwärtige Ausbildungsstufe, immer eine bedeutend wirkende Kraft der Volksmusik auf die Kunstmusik zeigt. Die Notkerischen Gesangskompositionen und die Arbeiten seiner Zeitgenossen, so sehr sie auch noch im Dämmerlicht der Musik-entwicklung lagen, bildeten für ihre Zeit und ihre Verhältnisse eine Art Kunstmusik, speziell Kunstgesang, jedoch sicherlich nicht in den weit auseinander liegenden scharf gezogenen Grenzen, wie wir im modernen Leben die Stufe der Volksmusik gegenüber der Vollendung der Kunstmusik messen.

Zur Notkerischen Zeit begann das Frühroth einer schönen Entwickelung erst empor zu steigen; bis dahin und mit Notker lagen diese beiden Stufen — wenn sie Volks- und Kunstmusik genannt werden können — zum wenigsten nicht schroff auseinander. Weil der letzteren, der ( Kloster- ) Kunstmusik, die Vorstellungen von einer höheren Vollendung abgingen, fehlte ihr auch die höhere Form. Sie wandte sich naturgemäss zu dem praktisch Naheliegenden, und modelte an demselben mit künstlerischem Streben. Dieses Naheliegende aber waren die Gesänge der Hirten, die Weisen ihrer Instrumente, die, so einfach sie auch gewesen sein mochten, doch schon als « die himmlische Gabe, Musik, zur Erheiterung des Lebens » galt. Dass Notker, welcher ja selbst erst im Emporsteigen begriffen war, seine musikalischen Motive aus dem ihm nächsten Kreise nahm, der etwas bieten konnte, nämlich aus den verschiedenen und vielleicht auch verschiedenartigen Stufen der Volksmusik, und dann mit eigener schöpferischer Kraft daran modelte, verzierte, nicht um-formte, auch nicht neugestaltete, nur erweiterte, verbesserte, liegt zu sehr in der Natur einer Kunstentwickelung, die keinen Sprung kennt, sich Gefüge an Gefüge aufbaut, und nur in den seltensten Fällen und hier nicht ganz, ohne deutliche Spuren des Uranfangs zurückzulassen, auf ganz andere Bahnen sich bewegt.

Ein anderer, wichtigerer, in dieser Sache der einzige sichere Anhaltspunkt ist ein Dokument aus den fernen Notkerischen Zeiten selbst. In der Manuscriptenkammer der Stiftsbibliothek zu St. Gallen befindet sich eine alte Collectan-Handschrift ( registrirt unter Nr. 484 ), welche die Entwürfe der Notkerischen .Melodien zu den Sequenzen enthält. Diese merkwürdige Handschrift, wahrscheinlich dem 9. Jahrhundert angehörend, enthält nicht weniger

als 44 solcher melodischen Entwürfe, deren Lesart nach Schubiger's Mittheilung, so vollkommen mit den übrigen alten Sequenziarien Notker's übereinstimmt, dass man nicht einmal auf eine unbedeutende Abweichung stösst. Ob dieses merkwürdige Dokument der Original- Entwurf Notker's zu den Gesängen der Sequenzen sei, dürfte mit Sicherheit wohl schwer zu entscheiden sein. Immerhin ist dasselbe von grosser Wichtigkeit, da es die Ansicht bekräftigt, dass Notker zuerst den melodischen Plan entworfen und erst dann den Melodien die Textworte angepasst habe. Diese Thatsache geht übrigens auch aus der Vorrede nicht undeutlich hervor, welche Notker seiner Sammlung vor-anstellte.5

Diese Erscheinung gibt meiner oben entwickelten Ansicht, dass nämlich Notker bei seinen Gesangkompositio-nen gewisser Volksweisen sich bedient haben dürfte, die kräftigste Stütze. Aus den zwar spärlichen Mittheilungen über sein Leben geht hervor, dass er sich keineswegs klösterlich abgeschlossen in St. Gallen aufhielt, sondern die freie Natur liebte und suchte, und dort mancherlei Anregungen zu dichterisch-musikalischen Schöpfungen gewann, wie bei einigen Werken nachgewiesen ist, z.B. beim « Media vita », « Sancti Spiritus », « Cum rex ». Auf seinen Streifereien und im Verkehr mit der Bergbevölkerung lag für den immer dichtenden und komponirenden Mönch die Gelegenheit auch gar zu nahe, Singweisen oder Weisen von Hirteninstrumenten abzulauschen und festzuhalten, und dieselben entweder vollständig oder mit nur geringen Abweichungen in seine Sequenz-Kompositionen zu verweben. Die citirte Notkerische Handschrift spricht deutlich genug dafür, dass Notker in der freiesten Gestaltung seine Sequenzweisen schuf, ohne Beschränkung durch die Grenzen gegebenen Texte, und erst dann die bezüg- liehen und füllenden Worte erfand und der Weise unterlegte.

In dieser durchaus ungebundenen und in keiner Weise beengten Gestaltung seiner Sequenzmelodien wurde es ihm auch möglich, Tonweisen aus dem Volke und von Instrumenten mit vielleicht nur wenigen Modificationen aufzunehmen — wie die obige Aushebung vom Cantus paschalis ein auffälliges und vielsagendes Beispiel zeigt — und nach den jeweiligen musikalischen Stimmungen die zu unterlegenden Worte zu wählen oder, was meines Wissens bei ihm am häufigsten geschah, selbst zu dichten.

Durch solche « Reminiscenzen », die in den Notkerischen Kompositionen auffallend hervortreten, wird das Alter des Alphorns sowohl, als anderer Instrumente, z.B. der Schalmei, etwa auch der grossen Hirtenflöte, bis in die Notkerische Zeit zurückgedrängt, mit Vorsicht zwar, aber in Hinsicht auf die grossen Aehnlichkeiten der Figuren, nicht ohne Berechtigung.

Der Umstand, dass Gessner das Alphorn « Lituum » nennt, wodurch man versucht werden könnte, den Ursprung desselben vom römischen Lituus, oder der Buecina herzuleiten, dürfte kein allzusprechender Grund dafür sein, das Alphorn wirklich oder nur bei den Römern zu suchen, oder wie man auch geneigt ist anzunehmen, dass es die Römer als « Kriegssignalhorn » gebrauchten, ähnlich wie die Griechen die grosse starkklingende tyrrhenische Flöte, und dann zum gleichen Zweck von den alten Bewohnern Helvetiens eingebürgert worden sei. Ebenso dürfte eine andere Meinung — ohne dafür augenblicklich die Quelle angeben zu können — in 's Gebiet der blosen Luftgebilde gehören, als sei das Alphorn, von den alten Harsthörnern abstammend, vom Harz aus in die Schweiz verpflanzt worden. Bezüglich der Abstammung von den Harsthörnern wäre die Ansicht nicht verwerflich; dass aber die Ver- Pflanzung gerade vom Harz aus in die Schweiz geschehen sei, ist als ganz unmotivirt, sehr zu bezweifeln.

Was die römische Abstammimg betrifft, so könnte sich 's auch hier nur um die Form handeln; denn betreffs des Materials ist bekannt, dass die römischen Hörner von Metall waren. Was hat nun aber die Formerfindung Schwieriges? Boten den alten Heivetiern nicht die Hörner ihres Viehes, ihrer Ziegen und Schafe Muster genug, zumal sie diese Homer gewiss schon damals so gut wie 's heute noch geschieht, als « Rufhörner » gebraucht haben werden? Oder bot die Buccina, oder der Lituus, etwa mehr Stoff für eine Formerfindung, als das nächste beste Kuhhorn? Und wenn wirklich den alten Heivetiern die Erfindung der Form so schwierig gewesen, oder so unmöglich geworden sein sollte, woher haben sie denn in der nachrömischen Zeit den Witz genommen, ein simples Tannenbäumchen auszubohren, einen Schalltrichter anzusetzen, in das Instrument zu blasen und Töne, überhaupt Tonfiguren hervorzubringen, wie die Vergleichungen mit den Notkerischen Kompositionen so überraschende Reminiscenzen zeigen? Es wird ganz gewiss zu den unnöthigen Bestrebungen gehören, in gelehrter Weise das Alphorn aus weiter Ferne herzuleiten und dabei das practisch Naheliegende ganz zu übersehen, wie nämlich die früheste Bergbevölkerung schon das Bedürfniss eines weit-hintragenden Signalhorns gehabt haben wird, bevor noch die Römer die Alpen überschritten. Dass jenes Signalhorn um so mehr als das heutige, nur vergrösserte Alphorn angenommen werden muss, wird durch die ganze Beschaffenheit des Horns wesentlich unterstützt, da dasselbe eine nur denkbar einfachste Gestalt besitzt, leicht hergestellt werden kann und zum Zwecke von tönenden Signalen von keinem andern Blasinstrumente erreicht wird. Wie man auf die Idee kam, ein Tannenbäumchen zu wäh- len, mag seine dunkeln Gründe haben;

vielleicht spielte, wie 's so oft geschieht, auch der Zufall eine Rolle, dass irgend ein zur Wasserleitung dienendes ausgehöhltes Tannenbäumchen von einem müssigen Urgeisbuben angeblasen und dabei die Entdeckung eines Tonkörpers gemacht wurde, der sich dann allmälig durch Verbesserungen bis zum Signalhorn erhoben haben mochte. Uebrigens übten die Menschen von jeher die Gewohnheit, sich „ Pfeiffen von den saftigen Binden der Böm " zu machen.

Wenn die Mittheilung richtig ist, dass die in den Pyrenäen hie und da angetroffenen Alphörner bedeutend kleiner sind als die in der Schweiz, so dürfte unser Alphorn, was Form, Grosse, Material und Tonfarbe betrifft, so ziemlich eigenthümlich allein stehen; denn die von mir kennen gelernten Alphörner im bayerischen Hochlande ( zuletzt im Jahre 1856 ) waren kurz, weitröhrig, ziemlich hübsch mit Birkenrinde umwunden, von dunklem, fast wie heiserem Tone. Im schottischen Hochlande scheint eine andere Art Alphorn vorhanden zu sein, wie ich der Mittheilung eines Freundes verdanke. Dasselbe sei lang und dünn, mit Bindfaden umwunden, unten nur wenig gekrümmt und im Becher nicht sehr erweitert auslaufend, habe auch einen mehr flötenähnlichen Ton.

Bezüglich Tirols habe ich mich um Mittheilungen an die Herren Dr. Anton v. Ruthner, Vorstand des österreichischen Alpenvereins in Wien, und an J. Weilenmann in St. Gallen, zwei in Tirol vielgewanderte Montanisten gewendet. Letzterer entdeckte auf seinen ausgedehnten Touren niemals ein Alphorn, und Ersterer hat in freundlichster Weise bei Mitgliedern des österreichischen Alpenvereins Nachfrage gehalten, da ihm selbst auch nie ein Alphorn in den Ostalpen vorgekommen; aber auch aus diesen Erkundigungen die Ueberzeugung gewonnen, dass das Alphorn entweder gar nicht, oder doch nur höchst spärlich in den österreichischen Alpen existire.

Diese Mittheilungen von so zuverlässigen Kennern der Ostalpen, besonders da Herr Dr. A. v. Ruthner die österreichischen Alpen vom Rhein bis zum Wiener Becken durchwanderte, lassen mit Sicherheit annehmen, dass dem Alphorn in den dortigen Alpengebieten keinerlei eigentliche Pflege gewidmet wird.

Ueber das Vorkommen des Alphorns in den skandinavischen Bergen habe ich wenig Erhebungen machen können. Die mir bekannten Bücher, welche etwas über die Musikinstrumente der skandinavischen Bevölkerung möglicherweise enthalten könnten, habe ich nachgeschlagen, aber aus ihnen keinerlei bezügliche Aufschlüsse erhalten, mit Ausnahme einer kurzen Mittheilung, dass im nördlichen Schweden und Norwegen nur ein einziges musikalisches « Werkzeug » heimisch sei, eine « lange Trompete », ähnlich dem Alphorn der Schweiz, welche die Hirten sich aus Birkenrinde bereiten.6 Directe Erkundigungen stunden mir nicht zu Gebote. Ein Schriftsteller sagt: « Wer sich in die furchtbare Stille der nordischen Natur hineinwagt, wird in Bergen und Thälern Töne vernehmen,. die in die tiefsten Tiefen der Gemüther dringen, so dass er glauben möchte, an der Urquelle aller Musik und Poesie zu sein.»7 Es bleibt aber dunkel, ob damit Naturtöne gemeint sind, oder ob ausser der nationalen Harfe noch andere Instrumente dort gepflegt werden.

Dass das Alphorn in den Ost- und Nordalpen Italiens nicht zu finden ist, weiss ich grösstenteils aus eigener Erfahrung. Ebenso soll es auch im Gebiete der Meeralpen fehlen. Ob die Bergbevölkerung der Appeninen das Alphorn pflege, blieb mir unbekannt.

Nach Allem dürfte die Annahme, dass das Schweizer Alphorn in seiner Art nur in den Schweizerbergen vorkomme, nicht mehr als gewagt erscheinen.

Sonderbarer Weise hat sich das Schweizer-Alphorn in einige deutsche Gegenden verpflanzt, wo sich einzelne Exemplare scheint 's eine neue Heimat errungen haben und unter dem wenig poetischen Namen « Kuhhorn » einen Theil ihrer ursprünglichen Bestimmung erfüllen. Von den dortigen Dorf hirten als .Signalhorn zum Austreiben der Viehheerden auf die Weide benutzt, wird gewöhnlich eine kurze, mehr trompetenmässige Fanfare, als eigentliche Alphornweise auf demselben geblasen. Gefunden wurde das Alphorn ~u. A. in einigen Dörfern des Schwarzwaldes, in der Nähe von Hanau, wie mir Hr. Prof. Theobald mittheilte, und von mir selbst 1856 im Spessart. Letzteres Horn war dem unsrigen vollkommen ähnlich in der Grosse des Instru-mentenkörpers und in der Klangfarbe des Tones. Aeusser-lich war es ganz mit Birkenrinde umwunden. Die angestellten Nachforschungen nach seiner Herkunft blieben resultatlos, da das Horn schon seit Mannesgedenken in der Gemeinde als Hirteninventarstück von Hand zu Hand ging. Die vom Hirten geblasene und von mir notirte Melodie ähnelt so auffallend den Schweizerweisen, dass man versucht wird, dieselbe als eine gewisse Grundform unserer Alphornweisen anzunehmen, die mit dem Horn hinaus verpflanzt worden sein mochte, und sich draussen in der ursprünglichen Einfachheit erhielt, während bei schweizerischen Alphornbläsern durch ihre zunehmende Fertigkeit im Alphornblasen auch allmälig eine Erweiterung und gewisser-maassen Verzierung der einfachen Urweise sich ausbildete.

Szadroivshy.

Alphornweise aus dem Spessart. Notirt im Herbst 1856.

6.

Langsam.

Die später folgenden Notirungen schweizerischer Alphornweisen werden Anlass zu Vergleichungen bieten.

Auch in Thüringen sollen ( wenigstens bis noch vor 10 —15 Jahren ) Alphörner vorhanden gewesen sein.Ob wirklich Alphörner im Harz vorkommen, von dem aus man die Abstammung des Schweizer-Alphorns fabelte, konnte Ton mir nicht ermittelt werden.

Der Tonumfang des Schweizer-Alphorns ist jener einer grossen Trompete. Dem Bläser ist demnach nur die Möglichkeit gegeben, die Naturtöne auf dem Hörn hervorzubringen, wie diese einem jeden Blechinstrumente ohne Ven-tilen zukommen. Jeder Trompetist wird bei einiger Uebung bald befähigt sein, das Alphorn blasen zu können, ohne viel grössere Anstrengungen nöthig zu haben, als die Tonerzeugung bei einer grossen Trompete erfordert.

" Wie das Alphorn seinen Tonumfang mit der grossen Trompete gemein hat, so ähnelt auch sein Ton mit dem Trompetenton, ohne sich jedoch genauer mit demselben vergleichen zu lassen. Er zeigt sich als eine Mischung von Metallklang der Blechblasinstrumente und der Tonfarbe von Holzinstrumenten, etwa Klarinette oder besser Bassklarinette, und tritt in diesem Character so eigenthümlich ausgeprägt auf, dass selbst ein für feinere Unterscheidungen von Klangfarben weniger geübtes Ohr diese interessante Mischung gewahr wird.

Wenn der so häufig gebrauchte Ausdruck « ein brillanter Ton » irgend richtig angewendet werden kann, so muss er unzweifelhaft und streng genommen nur allein dem Alphornton zukommen; denn kein anderer Instrumententon hat den Glanz, wie ihn der Aiphornton besitzt. Der scharfe, schneidende, schmetternde Trompetenton ist gemildert durch den Instrumentenkörper — durch die Schwingungen der Holzfasern; die Tonfülle und der Tonglanz erhält eine gewisse Weichheit, welche den Alphornton unvergleichlich schön und eigenthümlich bildet. Dieser Toncharacter hat den Wunsch erzeugt und auch öftere Versuche veranlasst, das Instrument für musikalische Zwecke brauchbarer zu machen, oder ganz zu gewinnen. Allein mit allen vorgenommenen Veränderungen zum Zwecke einer Verbesserung, z.B. die Anbringung von Tonlöchern durch Klappen verschliessbar, um alle Skalentöne blasen zu können, ging gerade eine Haupt-eigenschaft verloren — die bezaubernde Eigenthümlichkeit. Auch Ferdinand Hub er hatte seiner Zeit in Hofwyl « viel gepröblet », aber Alles vergebens; er und Andere kamen nach langen mühevollen Versuchen auf den weisen Satz zurück, es beim Alten zu lassen. Das urchige Bergkind wollte sich nun einmal nicht in die stattliche Reihe der Orchesterinstrumente versetzen lassen und sträubte sich kräftig gegen alle Verkünstelungen an Leib und Seele. Wo es aber leiden musste, dennoch zu seiner Hörnersipp-schaft gezogen zu werden, da geschah es nur vorübergehend und mit strenger Behauptung der urwüchsigen Natürlichkeit. Es sind mir zwei grössere Musikwerke bekannt, wo das Alphorn in der wirksamsten Weise unter die rauschendsten Orchester-Instrumente gestellt wurde: Meyerbeer's Oper JDinorah, und Richard Wagner's Musikdrama Tristan und Isolde.

Da die Verwendung des Alphorns zu rein musikalischen Zwecken berührt wurde, darf auch eine Mittheilung nicht fehlen über die Art der Versuche und Bemühungen, das Alphorn einigermaassen für musikalische Zwecke zu gewinnen. Der verdienstvolle Ferd. Huber hatte im Jahre 1826 im Berner Oberlande, auf Veranlassung des damaligen Landammann's v. Müllinen, sechs Alphörner anfertigen lassen, und instruirte dann im Grindelwald vierzehn Tage lang eine Anzahl junger Leute, welche auch bald eine tüchtige Fertigkeit im Alphornblasen erreichten. Dieser Kursus wurde im folgenden Jahre fortgesetzt. Huber brachte die Leute so weit, dass sie zwei- und dreistim-mige Jodler rein und rhythmisch genau blasen konnten; dabei stellte er sie auf verschiedenen Hügeln auf.8 Leider sind diese dreistimmigen Jodler als fliegende Blätter verloren gegangen. Huber versprach mir zwar, einige von diesen flüchtigen Alphornweisen aus dem Gedächtniss niederzuschreiben, sein plötzlicher Tod hat jedoch meine Bitte unerfüllt gelassen. Ferd. Huber machte, wahrscheinlich als der Erste, gelungene Versuche, mehrere Alphörner auf einen Ton einzustimmen. Er liess nämlich drei Hörner verschiedener Formate anfertigen, ein kleineres, ein mittel-grosses und ein Alphorn der gewöhnlichen Grosse, stimmte sie selbst mit vieler Mühe auf den Ton F, und erreichte das gewünschte Ziel vollkommen, nämlich Alphornweisen in Jodlerform dreistimmig blasen zu lassen. Diese « Muster-instrumente » liess Huber bei seinem Austritte als Lehrer im v. Fellenberg'sehen Institute in Hofwyl ( in den 30er Jahren ) zurück; sie scheinen jedoch spurlos verschwunden zu sein. Eine gleiche Zusammenstellung, den genannten Musterinstrumenten imitirt, kam in jener Zeit durch einen Fürsten Suworow nach Russland.9 Hat sich das Alphorn für grössere musikalische Zwecke als weniger geeignet erwiesen, so herrscht es dagegen in seinem Bereiche, in seiner ursprünglichen Heimat, der Bergwelt, mit einer unbestrittenen Ausschliesslichkeit.

Nicht der Conzertsaal, oder vorübergehend die Bühne, und hier nur zur Erzielung ganz aussergewöhnlicher Effecte, genügen seinem tonlichen Wesen, in den Bergen allein findet es die Bedingungen zur Entfaltung seines ganzen Zaubers. Wenn die geheimnissvollen Geister des Echo's auf seinen Ttuf geweckt werden und die Luft mit ihren vielfach verschlungenen Tonwellen erfüllen, feiert das Alphorn den

Triumph seiner Bestimmung. Der Wanderer lauscht

er wird 's nimmer vergessen, wie der Alphornton aus des Thales Tiefe emporzitterte, und an den gewaltigen Felsenwänden hinschleichend sich murmelnd zwischen den starrenden Feiserizacken und in den dunkeln Schluchten verlor! Seinen Erinnerungen wird ewig treu eingeprägt bleiben, wie wunderbar es ihn ergriffen, in der tiefsten und lautlosesten Hochgebirgseinsamkeit plötzlich vom Alphornton von entfernten Höhen her berührt worden zu sein, als trete ein Bote herzu des wärmsten Lebensodems! In den Donner der stürzenden Wasserfälle, in das wilde Singen des Sturmwindes, in das vieltönige Klingen der Heerdenglocken mischen sich des Alphorns Töne. Wo grossartige Raumverhältnisse auch andere Ursachen für eine Wirkung bedingen, und überhaupt Alles das Gepräge des Grossartigen und machtvoll Wirkenden trägt, ist und kann für dasselbe nur die Heimath sein. Was wäre gegen diese ungebändigten Naturlaute für das Alphorn das Gesäusel der Geigen und das vorlaute, aufdringliche und dünne Geschmetter der Trompeten, tief unten in den ästhetischen Conzertkreisen!

Ein Punkt bedarf der ausdrücklichen Erwähnung, um damit einer zu erwartenden gegentheiligen Ansicht vorzu- beugen.

Ein grösser Theil der Touristen, vielleicht die Mehrzahl derselben, lernt leider das Alphorn in dessen unmittelbarster Nähe kennen, weil — wie schon oben bemerkt — das schöne Instrument grösstenteils, und vorzugsweise auf frequenten Touristenwegen, nur den Bettelzwecken zu dienen hat. Der Alphornton aber in unmittelbarer Nähe gehört, verliert vollständig seinen Character; es bleibt nichts übrig als ein heiserer Ton, dessen unangenehmer Eindruck auf den Hörer noch durch den Umstand vergrössert wird, dass der Bläser selbst, theils aus Nothwendigkeit, meist aber aus Ungeschicklichkeit den Alphornton unter allerlei unästhetischen Gesichtsverzer-rungen und Krümmungen des Leibes dem Instrument förmlich abringt. Wer das Instrument nur von dieser Seite kennen lernte, der kann sich in der That nicht für dasselbe begeistern; wem aber die Gelegenheit wurde, den Alphornton aus einer gewissen, aber akustisch günstigen Entfernung zu hören, wird sich zu dessen Verehrern und begeisterten Freunden zählen.

Die Weise des Alphorns ist höchst einfach und wird nur in einzelnen Fällen durch wenige Varianten etwas mannigfaltiger. In der Notation allein und nüchtern betrachtet, dürfte sie sogar Gefahr laufen, bemitleidet zu werden. Es ist leicht begreiflich, wenn die gesammte ton-reiche Hörner-Sippschaft in den hochgebildeten Orchestern mit einer gewissen Verachtung auf das einfache und anspruchslose Bergkind Alphorn herabschaut, da dieses als höchste Kunst nichts weiter aufzuweisen hat als einige simple Intervallensprünge, welche seine geschulten und de-korirten Vettern Hörner in den hohen Musikregionen als die allerersten qualvollsten Anfangscapriolen schon längst gründlich verschwitzt und selig begraben haben. Aber der Hochmuth der Herren Vettern findet auch seine Gren- zen.

Es gibt Momente — und es sind deren viele — wo die Hörner-Sippschaft von der privilegirten chromati-schen Stufe herabsteigt und den schmalen Boden der blosen Naturtöne betritt, d.h. die simple Weise des Alphorns anschlägt. « Ah, wie schön! » — wird den Herren studirten Vettern als Bewunderung zu Theil. Ja, die hohe Verwandtschaft kommt sogar vollständig auf die urväterliche Weise zurück und erntet nun vollends den grossteil Beifall, unter den schmeichelhaften Vergleichungen mit der unvergesslichen Weise des Alphorns. Unser Liebling ist gerettet!

Diese urväterliche Alphornweise wollen wir nun etwas genauer betrachten. Wegen beschränktem Raum für die Notationen sollen nur einige characteristische Alphornweisen aufgeführt werden, wie sie an Ort und Stelle niedergeschrieben wurden.

Älphormveisen aus Wallis, hauptsächlich aus Oberwallis.

Notirt 1866 und mitgetheilt durch Herrn A. de Torrenté

in Sitten.

7.

Allegro.

Ausführung des Trillers — meist missglückend.

Schweizer Alpen-Club.20

Szadroiosky.

bezüglich Letzterer von kräftigen jungen Leuten die sich viel wiederholenden Mittelfiguren oft erstaunlich in die Länge gesponnen werden. Von einigen Bläsern, die ich beobachtete, wurden die Mittelfiguren bis zur langen Dauer von 12 Secunden für einen Athemzug ausgedehnt — gewiss eine erstaunliche pneumonische Leistung, besonders wenn man noch in Berücksichtigung zieht, dass das Alphorn viel Luftverbrauch beansprucht, und gewöhnlich ein geübter Bläser mit einer Dauer von 8 bis höchstens 10 Secunden für einen Athemzug übrig genug hat.

Ich kann von den Alphornweisen nicht scheiden, ohne an die Figuren einen Vergleich anzulegen mit einem berühmten Meisterwerk der reinen Instrumentalmusik, auf das oben schon hingedeutet wurde; nämlich mit Beethoven's Pastoral-Symphonie. Die Alphornweise der Notation 10 zeigt genau den Anfang des vierten Satzes der Pastoral-Symphonie, überschrieben: « Hirtengesang. Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm.»10 Die Klarinette führt das Motiv ein, und das Hörn antwortet in sinniger Weise, in genauer Imitation, eine Quinte tiefer:

Ein anderes Beispiel gibt die Notation 8 bei dem + Zeichen, von Takt 4 bis zur Fermate. Diese Alphornweise stammt aus Wallis, wie bei den Exempla bemerkt Alphormveisen.

ist. In der Pastoral-Symphonie, im ersten Satz, welcher die Ueberschrift trägt: « Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande », tritt ein der Walliser Alphornweise rhythmisch ganz ähnliches, figürlich sehr verwandtes Motiv auf, das von der Bratsche und dem Cello,11 und später vom Cello allein ausgeführt wird:

Bratsche.

( Cello eine Octave tiefer. )

Wenn es in 's Bereich dieser Arbeit fiele, könnten noch mehrere der Volksmusik entnommenen Motive aufgezählt werden, welche der grosse Meister zum Aufbau seines herrlichen Werkes benützte. Diese wenigen Aushebungen sprechen übrigens schon genug. Ich wollte durch dieselben hauptsächlich nur zwei Punkte zu begründen suchen: 1 ) Bei den Bergvölkern herrscht eine grosse Verwandtschaft, um nicht zu sagen Identität, in den Rhythmen und Figuren ihrer Musik. Offenbar und ohne Zweifel hat Beethoven die citirten Weisen den österreichischen Schalmeienbläsern entnommen, oder dem Alphorn, sofern Letzteres im Anfange dieses Jahrhunderts in den Bergen des Wiener Beckens noch vorhanden war und seitdem verschwunden ist. Und sollte auch der unwahrscheinliche Fall vorgekommen sein, dass Beethoven ( der, wie nachgewiesen ist, nie in der Schweiz war ) die Alphornweise der Notation 10 aus der Schweiz erhalten hätte, z.B. durch die Vermittlung des ( jüngst ver- storbenen ) Prof. Dr. Troxler in Aarau, der als Studirender in Wien noch vor der Entstehung der Pastoral-Symphonie freundschaftlich mit Beethoven verkehrte und « ihm oft und viel vom Rheinfall, vom Rigiberg und Pilatus, von dem ganzen Bereich des Vierwaldstädter-See's mit den geschichtlichen Erinnerungen erzählen » musste,12 wie sollte Beethoven dazu gekommen sein, aus einer der entlegensten Gegenden des Wallis solche Alphornweisen zu beziehen?

Bei der Annahme einer Wirklichkeit des ersteren Falles darf der Umstand gar nicht auffallen, dass sich die Alphornweise 10, wie ich sie 1855 niederschrieb, etwa vom Jahre 1802 an getreu erhalten habe, da bei den Bergvölkern in den meisten Fällen ein conservatives Forterben ihrer Lieder und Musikstücke beobachtet wird. Bezüglich der Letzteren, der Alphornweise aus Wallis, ist doch wohl anzunehmen, dass sie erst durch die gegenwärtige Arbeit zum ersten Male den Weg aus ihrer stillen und entlegenen Heimath in die Oeffentlichkeit findet.

So berühren sich Rhythmen und musikalische Figuren aus dem Central-Älpengebiete mit jenen in den äussersten Ausläufern der Alpen Oesterreichs.

2 ) Aus dem, wenn auch vereinzelten, aber sehr bemerkenswerthen Beispiel aus der Pastoral-Sym-phonie, kann auf die Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass Notker Balbulus in gleicher und schon angedeuteter Weise Hirtenmelodien in seine Sequenzen verwebt habe, wie in den betreffenden Aushebungen bereits hingewiesen tvurde. Es ist auch gar nicht abzusehen, durch was Notker hätte gehindert werden sollen, für seine musikalischen Erfindungen zu thun, wie Beethoven für die characteristischen Scenen in seinem Werke wirklich that; d.h. der Letztere benützte diese Reminiscenzen zu characteristischen Zeich- nungen, und dem Ersteren dienten solche für eine leichtere Zugänglichkeit seiner Sequenz-Melodien, durch die Geläufigkeit der Formen in seiner gesanglich noch wenig entwickelten Zeit.

Wenn eine überfeinerte Bildung in weiteren 800 Jahren die jetzigen nationalen Hirteninstrumente sammt deren Weisen durch andere ersetzen lässt, so könnte bei mangelnden Nachweisen auch der Zweifel aufgeworfen werden, ob im 19. Jahrhundert die Hirten solche Weisen sangen oder auf Instrumenten bliesen, wie sie der Beethoven'sehen Pastoral-Symphonie zu Grunde liegen. Für uns aber herrscht als Thatsache, was den Nachfolgenden Zweifel werden könnte.

Die jetzige Verbreitung des Alphorns in der Schweiz erstreckt sich nur auf einzelne Berggegenden.

In Graubünden findet sich im Prätigau und einigen seiner Seitenthäler ein zwei bis drei Fuss langes, nur wenig gekrümmtes Horn, welches « Bürkel », auch « Bürchel » genannt wird. Es ist mit Birkenrinde umwunden, woher auch sein Name, von Birke, Bürke. Ein gleiches Horn ist auch auf einigen Glarner Alpen im Gebrauch, und heisst dort « Büchel ». Der Ton dieses verkleinerten Alphorns ist jenem des eigentlichen Alphorns kaum ähnlich zu nennen, ist heiser und entbehrt des Glanzes; auch ist das Instrument tonlich nicht weittragend. Die von mir kennen gelernten « Bürkel » sind ohne grössere Sorgfalt gearbeitet und sehr mühsam anzublasen. Ein anderes, noch kleineres und nur s. g. Ruf horn, das im Prätigau, Davos u.a. O. vorkommt und « Gucha » genannt wird, soll blos Erwähnung finden, um nicht unter die Alphörner gezählt zu werden. Dagegen findet sich das eigentliche Alphorn grossen Formats auf einigen Alpen des Oberlandes, von Ilanz an aufwärts, wo es von den Sennen als Signalhorn viel gebraucht wird. In jüngster Zeit, Frühling 1867, wurde ein hübsches Alphorn aus dem Berner Oberlande nach Flims ( im Bündner Oberlande ) verpflanzt und soll auf die schöne Alp des Flimsersteins kommen.

Mit diesem, durch seine Form und eine schöne Aussicht bemerkenswerthen Felsenvorsprung in grossen Dimensionen, ist das Alphorn schon durch eine schöne Sage aus der Bündner Geschichte verknüpft. An der vorderen Seite der massigen, senkrechten Felsenwände des Flimsersteines laufen fast blutrothe Streifen eines mit Eisenoxyd gefärbten Kalktuffes herab. Professor Theobald theilt folgende Sage mit: « Als Graf Rudolph von Montfort in 's Land einfiel, um die Herrschaft Belmont zu erobern, stand ein Hirte auf der Felsenkante und sah den Feind kommen. Da blies er in sein Horn, um die Thalleute zu warnen, lauter und immer lauter, bis er sah, dass die Mannen der bedrohten Burg die Thore schlössen. Aber die gewaltige Anstrengung hatte ihm die Blutgefässe der Brust zersprengt; blutend und sterbend sank er zusammen, und die Blutstreifen blieben zum Zeichen an der Felswand zurück.»13 Der kriegerische Eroberungszug des Grafen Rudolph von Montfort geschah, nach Sprecher's Chronik, am 12. Mai 1352. In den Rahmen dieser Sage passt nur das Gessner'sche 11 Fuss lange Lituum alpinum.

Im Gebiete des Viencaldstätter-Sees findet sich das Alphorn nur vereinzelt, u. A. auch an der Rigi. An letzterm Ort wird dasselbe in der unmittelbaren Nähe der Touristen und Besucher des Kulms geblasen. Dass dabei das Alphorn nicht zur Geltung kommen kann, ist selbstverständlich; die einzige erzielte Wirkung ist das Trinkgeld für den Bläser. Dagegen ist in der Umgebung von Schwyz ein fein gearbeitetes verkleinertes Alphorn vorhanden, das nach Art der grossen Trompete einen am Tonrohr anliegenden länglichen Bogen besitzt. Der Ton ist nicht übel, das Ganze aber doch nur eine Spielerei. Das von mir untersuchte Exemplar ist im Besitz unseres Clubgenossen, Herrn Forstinspector J. Coaz in Cliur.

Im Serner Oberland befinden sich ungefähr 12 bis 14 Stationen für Alphornbläser, u. A. beim Staubbach; oberhalb Dorf Wengern, gegenüber Mettenberg; oben am Reichenbach; oben am Alpbigel, gegenüber dem Eiger, auf dem " Wege nach " Wengern-Scheidegg, von Grindelwald aus; an der Strasse nach Grindelwald, direct am Ufer der Lütschine; zwischen der Rosenlaui und Scheidegg; oben auf dem Faulhorn, am Fusse des Gipfels; auf der Heimwehfluh, bei Interlaken u. s. w.

Am meisten heimisch ist das Alphorn in Oberwallis, wo es sehr zahlreich vorkommt. Besonders im Bezirk Gans findet sich das Instrument fast in allen Gemeinden, und wird — wie mir Hr. A. de Torrenté schreibt — fleissig von den Hirten geblasen.

In dem national-musikalisch sonst so regem Appen-jzell beider Rhoden habe ich das Alphorn nirgends gefunden.

Im Hochgebirgstheile des Kantons St. Gallen wurde mir nur ein einziges Alphorn bekannt, ober dem Wallensee, auf der Alp Säls, in der Churfirsten-Kette. Der Pächter der Alp ( Zeller ) und seine Sennen benützen es fleissig als Signalhorn für die Viehheerden. Die dortige Gebirgsbildung ist für den Alphornton ungemein günstig. Ich hörte einmal in den Frühstunden den Alphornbläser auf Säls bis zum Felsvorsprung zwischen Büls und der Tschingeln — eine directe Entfernung ( nach Dufour-Karte ) von nahezu IV4 Stunden. Von den Sennen auf der Alp Lösis wurde mir mitgetheilt und versichert, dass man in stillen Sommernächten und wenn die Heerden zuoberst der Alp seien, das Sälser Alphorn bis zu den Hütten der Lösisalp höre, demnach in einer directen Entfernung von fast zwei Stun- den.

Die Wanderer, denen die guten akustischen Verhältnisse, besonders auch die überraschend schönen Echo's in der Churfirsten-Kette bekannt sind, werden mit mir die Möglichkeit eines so weit getragenen Tones zugestehen, wenn dabei angenommen wird, dass in diesem Falle der Alphornbläser wohl auf dem Felsvorsprung herwärts Säls. etwa am Pfade nach Alp Schwaldis zu, seinen Standpunkt eingenommen haben wird.

Sehr zu bedauern ist, dass sich das Alphorn in den Schweizerbergen nicht einer grösseren Verbreitung zu erfreuen hat. Wenn Herr A. de Torrenté in seinen Mittheilungen noch besonders bemerkt: « Sogar die Kühe kehren gemüthlich zu ihren Hütten zurück, wenn Abends der Hirt sein Instrument hören lässt, » so ist damit ein Zweck berührt, um desswillen allein schon eine grössere Pflege des. Alphorns zu wünschen wäre. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch das Alpvieh durch die Töne irgend eines Instrumentes so gut « gemüthlich » angeregt wird, wie dies beim Menschen der Fall ist. Die Erfahrung lehrt, dass die Thiere gerne Musik hören. Die Frage dürfte nicht schwer zu beantworten sein, ob der Gebrauch des Alphorns in der Bergwelt auf die Geselligkeit des Alp-viehes, auf dessen eigenstes instinktives Leben einen wohlthätigen Einfluss ausübe, dass es die geringe Mühe reichlich lohne, die Alpheerden an die Weise des Horns zu gewöhnen, sie durch dieselbe zu rufen und überhaupt zu leiten und zu beherrschen, anstatt mit Steinwürfen.

Schliesslich möge noch erwähnt werden, dass das Alphorn, wo es in katholischen Gebieten vorkommt, regelmässig des Abends geblasen wird als Zeichen zum Abendgebet. Wo ich diesen Gebrauch fand, wurde die Alphornweise dreimal in kurzen Intervallen wiederholt.

Anschliessend an diesen Gebrauch möge auch eine schöne Sitte Erwähnung finden, welche auf mehreren Alpen des Bezirkes Sargans ( St. Galler Oberland ) heimisch ist. Dort tritt mit einbrechender Dunkelheit ein Senne vor die Alphütte und singt einen längeren Gebetspruch, dessen musikalische Form nach Art der katholischen Litaüeien, aber ganz eigenthümlich gestaltet ist. Dieser Gebetspruch wird jeden Abend gesungen, und selbst Schneegestöber oder Sturm hindert den Senn nicht an der Ausübung des religiösen Gebrauchs. Die Art und Weise des Vortrages dieses „ Alpsegens ", die Dunkelheit, das vieltönige Geläute der Heerdenglocken — alles vereint macht auf den Hörer einen tiefen und unverwischbaren Eindruck. Tritt noch der Fall hinzu, dass auf einer ausgedehnten Alp zwei oder mehrere Besitzungen — « Stösse » — sind, so wird die ganze Eigenthümlichkeit noch dadurch erhöht, dass man den Gesang der Sennen von den andern « Stossen » her wie ein geisterhaftes Echo in die Nacht ausklingen hört. Die Reihenfolge des Absingens vom « Alpsegen » ist in den Rechtsamen der einzelnen Stösse verbrieft, und die Sennen sind auf den Vorrang so sehr eifersüchtig, dass schon blutige Händel erfolgten, wenn sich ein Senn des folgenden Stosses etwa beigeben liess, in übungswidriger Freiheit den « Alpsegen » vor seinem « berechtigten » Vordermann abzusingen.

Gebetspruch und Sangweise scheinen uralt zu sein. Da Letztere meines Wissens noch nie veröffentlicht wurde, so mögen Spruch und Weise zusammen durch unser Clubbuch den Weg in die Oeffentlichkeit finden.

Ssadroivsky.

14.

Alpsegen auf der Alp Lasa,

am Gebirgsstock der « grauen Hörner », im Bezirk Sargans,

Kanton St. Gallen.

Nach eigener Notirung vom B. August 1864.

Langsam. Dreimal gesungen.

A - ve Ma - ri - a!

Singend gesprochen.

Rhythmisch gesungen.

Bhüets Gott und un - ser lieb

Li - ber, Hab und Gut und al -les Bhüets Gott und der lieb hei - lig

Der wol hier uf - wa - chi Bhüets Gott und un - ser lieb hei - lig

Der wol hier uf - wa - chi Bhüets Gott und der lieb heilig

Mit seinen

Herr Je - sus Christ, was hier - um ist. Sanct Jö - ri, und hö - ri! Sanct Mar - ti, und war - ti! Sanct Gall, Gotts-heili-gen all! Sanct Pe - ter:

Bhüets Gott und der lieb hei - lig

SanctPeter,nimm die Schlüssel wol in dein rechte Hand, Bschliess wol dem Bärensein Gang,

Rhythmisch gesungen.

Dem Wolf den Zahn, Dem Luchs den Kräuel, Dem Rappen den Schnabel, Dem Wurm den Schweif, Dem Stein den Sprung!

Bhüetis Gottvor soi-eher bö - ser Stund, Dass solche Thier mögen weder kratzen noch bi - ssen, Wol sowenig, als die falschen Jn- den unsern lieben Herrgott b'schi ssen!

Bhüets Gott al - les hierin unserm Ring,

Und die lieb Muttergottes mit ih - rem Kind! Bhüets Gott al - les hierin unserm Thal,

Mit erhobener Stimme und rhythmisch gesungen.

All - hier und ü - her - all. Bhüets Gott und es wal - ti Gott, Und das thue der liebGott!

Ein im Allgemeinen weniger verbreitetes, jedoch in einzelnen Bergdistricten fleissig gepflegtes und beliebtes Instrument ist

Das Hackebrett,

gewöhnlich nur Cymbal genannt, letztere Bezeichnung jedoch nicht zu verwechseln mit Cymbel = Schallbecken, Hand-trommel oder Tamburello der Italiener.

Im Schweizer-Alpengebiet findet das Hackebrett eine besondere Pflege im Appenzeller-Land, Wallis und auf den

südlichen Abdachungen der Alpen. In der Urschweiz soll es bis zum Anfang dieses Jahrhunderts sehr verbreitet gewesen sein. Ferd. Huber fand in den zwanziger Jahren in mehreren Thälern der Urschweiz noch mehr Cymbal-spieler, als selbst im Appenzeller-Land, wo es ebenfalls früher mehr gepflegt wurde, als gegenwärtig. Die jüngeren Leute scheuen das mühevolle Erlernen des etwas schwierig zu behandelnden Instrumentes, und überliefern es dadurch der Vergessenheit.

Ursprünglich besass das Instrument eine dreieckige Form; allmälig hat es eine längliche erhalten und ist gegenwärtig ein vollständiges Oblongum geworden. Das grössere Hackebrett ist 4 Fuss lang, 3 — 3V2 Fuss breit und ungefähr 1 Fuss hoch. In den Bergen trifft man jedoch meistens Instrumente von kleinerem Umfange, etwas mehr als 3 Fuss lang, kaum 2 Fuss breit und 1 Fuss hoch. Aeussere Verzierungen finden sich selten, selbst die Appenzeller lieben an ihren Cymbalen keine bemerkenswerthen Schnörkeleien, obwohl sie die Instrumente etwas verzieren. Das Ganze sieht einem Kasten ähnlich. Der Resonanzboden geht über das ganze Instrument und ist mit zwei runden Schalllöchern versehen. Die Besaitung ist von Stahl, die Saiten selbst ruhen auf zwei Stegen und werden vermittelst Stimmstiften festgehalten. Der Saitenbezug für jeden Ton ist in der Regel dreifach, seltener zweifach, wesshalb eine Intonation schwer ist und eine andauernde Tonreinheit zu den Seltenheiten gehört. Der Tonumfang bewegt sich gewöhnlich in 4 Octaven, vom C bis zum dreigestrichenen c. Die Saiten, 147 an der Zahl bei einem dreichordanen Bezug, werden mit zwei leichten Hämmer-chen von Holz geschlagen, deren Kehrseiten mit Tuch oder Filz belegt sind, um damit ein piano auszuführen. Das Forte ist ungemein stark klingeud, schneidend, und im Zimmer auf die Dauer ermüdend.

Es dient daher hauptsächlich nur als begleitendes oder füllendes Instrument und findet seine Verwendung am Zweckmässigsten bei den Tänzen der Bergbewohner, bei Aelplerfesten ( « Alpstubeten » ) im Freien, wo dem Hackebrett noch eine Geige oder Klarinette, oder beide zusammen, beigesellt sind. Emil Rittmeyer hat in seinem prächtigen Oelgemälde « Alpstubete im Appenzell Inner - Rhoden » ( nun im Besitze des St. Galler Kunstvereins ) ein solches eigenthümliche Orchester der Bergbewohner trefflich charakterisirt. Der ausserordentlich durchdringende Ton des Hackebretts ist auch für Tänze im Freien vollständig ausreichend und vermag im Verein mit Geige und besonders Klarinette, als melödie-führende Stimmen, eine anderweitige Tanzmusik zu ersetzen. Als Staffage bei nationalen Festen hat das Instrument gleichfalls beachtenswerthe Vorzüge. Selbstverständlich dient es auch als « Tanzmusik » auf den Tanzböden in den Thälern, wo es den schon herrschenden Lärm bis zur Unerträglichkeit steigert. Von Letzterem mag ein Schriftsteller ( anno 1536 ) veranlasst worden sein, das Hackebrett ein « instrumentum ignobile propter ingentem strepitum vocum » zu nennen, wras durch eigene Erfahrung theilweise unterstützt werden muss, aber immerhin nicht so schlimm erscheint wie das Urtheil des alten Aesthetikers vermuthen lässt. Die Theilnehmer an der Excursion der vierten Generalversammlung des S.A.C., September 1866, werden sich mit Vergnügen des jungen Appenzellers erinnern, der im Hofe des Weissbades die Versammlung mit seinen Musikstückchen auf dem Hackebrett ergötzte.

Der Ursprung des Hackebretts verliert sich in den grauen Vorzeiten. Das unter dem Namen « Nebel » ( römisch Nablo, im Ovid Nablium ) aus der Bibel bekannte althebräische Instrument soll das Gleiche des mittelalter-

liehen Psalter sein. Die Italiener nennen noch heutzutag ihr Hackebrett « Salterio tedesco » — deutsches Psalter. Das ältere Hackebrett, d.h. das dreieckige, ist eine Nachbildung des arabischen Kamin.14 Die Araber gelten überhaupt als die Erfinder des Hackebretts. Demnach dürften die Anfänge des Hackebretts bei uns von den mauren'schen kriegerischen Einfällen in Rhätien zu datiren sein, welche Annahme sich mehr der Wahrscheinlichkeit nähert, als eine andere Ansicht, dass nämlich das Hackebrett zu den Zeiten der Troubadours und Minstrels aus dem deutschen Flachlande in die Schweizerberge gekommen sei. Da nach Vergleichungen als zuverlässig angenommen werden kann, dass das Hackebrett arabischen Ursprungs ist, so liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass die Sarazenen das Instrument nach Rhätien brachten, von wo aus seine Verbreitung über die Bergwelt erfolgte. Ihrerseits mögen die Troubadours und Minstrels, mehr noch die Estrumanteors, vom 12. Jahrhundert an, das Hackebrett von den Mauren in Spanien nach Südfrankreich gebracht haben, von wo aus dasselbe nach den deutschen Ebenen verpflanzt wurde. Es ist anzunehmen, dass die damaligen Bergvölker das Hackebrett sofort von den Mauren zum gleichen Zweck sich aneigneten, wie es auch bei jenen im Gebrauch stand, nämlich als Musikinstrument zur Begleitung des Tanzes. Die Geschichte lehrt uns, dass die Völker von den tobendsten, pfeifenden rhythmischen Gerassel an, womit sie ihre Tänze begleiteten, allmälig zu Instrumente und Melodien übergingen und durch diese ihre Tänze musikalisch begleiten liessen, welche theils dem allgemeinen Geschmacke und dem Character des Tanzes mehr entsprachen, theils befähigter waren, die rhythmischen Accente desselben mehr zu unterstützen und hervorzuheben. Wie sich in der Kunst unserer Zeit die Phantasie immer ein weiteres Recht verschaffte und dadurch allmälig die Erfolge erzielte, die wir als unser jetziges Eigenthum bewundern, so mussten auch die damaligen Völker, und namentlich wenn sie sich schon aus einem rohen Naturzustande herausgearbeitet hatten, von einem Instrumente lebhaft für dessen Besitznahme und Pflege angeregt werden, das ihren Tänzen und Volksspielen eine so wirksame Unterstützung bot und der Phantasie für diese, wahrlich nicht geringe Seite im Volksleben, den grössten Spielraum gab.

So mags gekommen sein, dass die damaligen Bergvölker, nachdem ihnen bekannt wurde, wie die Mauren ihre Tänze mit dem klangvollen Hackebrett begleiten, keinen Gefallen mehr finden konnten an der dürftigen Weise, mit welcher sie ihren Tanzen eine Begleitung gaben, und die analog mit andern Völkern jener Zeit wahrscheinlich nur aus der Schellentrommel und vielleicht noch der kleinen Pfeife bestanden haben wird. Waren auch diese, als mehr rhythmische Instrumente, vollkommen geeignet, die tanzenden Bewegungen zu unterstützen und das Taktgefühl der Tanzenden zu befestigen, so fehlte doch, nebst dem reizvollen Klange eines begleitenden Instrumentes, eine die Phantasie erregende, die höhere Sinnlichkeit des Tanzes hervorrufende, durch gut gruppirte Rhythmen markirte Melodie, um den Tanz jenen Grad einer Vollkommenheit zu geben, der dem guten Geschmacke und der bereits eingenommenen Bildungsstufe entsprach. Das Hackebrett der Mauren besass just, was den Bergvölkern nothwendig und erwünscht war: Glanz und Schärfe des Tones, und die Eigenschaft — wohl die Hauptsache — als Instrument an sich und ganz allein mit sehr bemerkenswerther Wirkung, sowohl für Melodie, wie auch für Rhythmen, als Tanzbegleitung dienen zu können. Als solches hat sich das Hackebrett durch Jahrhunderte hin bis auf unsere Tage überall er-

Schweizer Alpen-Club.21

Szadrowsfaj.

halten, wo die modernen Tanzbegleitungsmittel noch nicht hingedrungen sind.

Die Musikstücke auf dem Hackebrett sind meistens lebhafte Ländler, jedoch häufig verkünstelt. Immerhin trifft man oft merkwürdige und unnachahmliche Weisen, deren Urform weit zurückreichen mag. Ich hörte gegen Mitte der 50er Jahre im Appenzell Inner-Rhoden vielmal einen schon älteren Hackebrettspieler, der mich immer durch das eigenthümliche Gepräge seiner Musikstückchen fesselte. Es lag ein gewisser Zug Chopin'scher Mazurken in den kurzen, nur höchst selten verzierten Stückchen. Ein auffallendes Beispiel möge selber sprechen:

15.

Langsames Ländler-Tempo.

Anfang einer Chopin'sehen Mazurka.

J1 Wie kommt der Innerrhödler Hackebrettspieler zu diesen Rhythmen?

Von ihm selbst konnte ich nur den kurzen Bescheid erhalten, dass er dieses ( und ähnliche ) Stückchen « schon lange könne ». Der Mann war und blieb sein Lebtag in dem abgeschlossenen Inner-Rhoden und war nichts weniger als gelernter Musiker. Gesetzt auch, er habe in St. Gallen, oder in den appenzellischen Molken-kuranstalten, von Klavierspielern Chopin'sehe Mazurken ge- hört, sollten diese vorübergehenden flüchtigen Anregungen auf den Mann so mächtig eingewirkt haben, dass er seine ursprüngliche Weise darnach ganz umgestaltete, und Chopin imiürte? Das ist gewiss nicht anzunehmen. Und doch lagen in den Hackebrettstückchen so viele originelle musikalische Ideen, die über den Kreis des, bei- nebens bemerkt, etwas verschnapsten alten Sennen hinausragten und so seltsam an die Chopin'sehen Mazurken anschlugen, dass nur anzunehmen ist, der Mann könne auf keinem andern Wege zu diesen landesfremden Musikstückchen gekommen sein, als durch den möglichen Fall, in seiner Jugend oder zur Zeit, wo er anfing das Hackebrett zu spielen, von irgend einem wandernden Zigeuner, bei denen das Hackebrettspiel bekanntlich in höchster Blüthe steht, einigen Unterricht erhalten zu haben. Oder sollten diese, der jetzigen appenzellischen Volksmusikweise durchaus fremden Rhythmen noch Ueberbleibsel gewesen sein von Weisen, welche vor Jahrhunderten mit dem Instrument ins Land kamen? Mag auch die Antwort hierauf verneinend lauten, so ist diese Erscheinung immerhin sehr merkwürdig und hat auch einen gründlichen Kenner und geistvollen Interpretator der ( europäisch-orientalischen ) Zigeunermusik, Dr. Franz Liszt überrascht, dem ich meine Aufzeichnungen bei seiner Anwesenheit in St. Gallen 1856 bekannt machte, und welcher in ihnen unverkennbare Trum- mer von nur den Zigeunern ursprünglich angehörenden eigenthümlichen Figuren entdeckte, die aber mit der Zeit einige kleine Abänderungen erfahren haben mochten.

Einer hat schliesslich die Stückchen vollendet, sei es nun, dass der Appenzeller Senn selbst ein nicht zur Ent-wiekelung gekommenes Genie war, und sich in auffallender Ideenverbindung in Folge gewordener Anregung die Stückchen selbst zusammenstellte; sei es, dass er sie von Zigeunern erhielt und mit der Zeit ummodelte; sei es, dass sie wirklich einzelne Beste aus uralter Zeit sind, die skh im entlegenen Appenzell traditionell erhielten: — ihre Erscheinung ist für den Musiker überraschend, ihre Rhythmen drängen zu Vergleichungen, und diese zeigen deutlich genug, dass sie einem fremden Boden entstammen, dass sie der Ausdrucksweise eines andern Volkes entnommen sind. Man muss bis zu Einem zurückgehen, der sie erfunden hat. Wer ist dieser? Wir wissen es nicht. Es bleiben nur Untersuchungen durch Vergleichungen übrig, und diese weisen hin auf Spuren einer Zigeunermusik, führen von der ursprünglich appenzellischen Weise ab und zu den Rhythmen eines ganz fremden Volkes.

Als Volksmusik, als « erste Stufe wirklicher Kunst, als naive Kunst»16 treten uns diese sonderbaren fremdländischen Hackebrett - Stückchen lebhaft anregend entgegen, den Musikweisen dieses Instrumentes, wo es noch gepflegt wird, sorgfältig nachzuspüren, um durch Aufzeichnungen namentlich Material zu Vergleichungen zu erhalten und unter Umständen der Kulturgeschichte werthvolle Beiträge zu bieten. Ich bin leider nicht in dem angenehmen Fall, Einiges aus Wallis mittheilen zu können, da mein letzter Besuch zu flüchtig war, um diesfallsige Beobachtungen machen zu können, und ich auf meinen früheren und ziemlich ausgedehnten Touren in jenen Gebieten zu meinem Bedauern die so'nothwendigen Aufzeichnungen versäumte.

Möge diese Selbstanklage geeignet sein, andere Touristen zur Vermeidung eines solchen Fehlers zu bestimmen.

Dass das Hackebrett in den österreichischen Alpen nirgends vorkommt, hat wohl seinen guten Grund in dem Ersatz durch die leistungsfähigere Zither.

i .i'r.7, '

Ein anderes schönes Hirteninstrument, welches dagegen in den österreichischen Alpen noch gepflegt wird, aus den

Schweizerbergen aber allmälig zu verschwinden scheint, ist

-

Die Schalmei,

von den Alten auch « Schweizer-Pfeiffen » genannt, aber fälschlich, weil die eigentliche « Schweizer-Pfeiffen » der Vorzeit, wie sie u. A. von Wirdung 1511 beschrieben wurde, die noch heute in den Bergdörfern von Oberwallis und auch in Tirol gebräuchliche Flöte ist.

Die Schalmei ( altfranz. chalemel, vom latinischen Ca-lamus, daher auch Rohrflöte, welche Bezeichnung dem'Wir-dung zum Namen « Schweizer-Pfeiffen » für Schalmei geführt haben mag ) wurde schon von den Jongleurs geblasen. Jedoch geht das Alter derselben weiter zurück. Cassiodor nennt unter den gepflegten Blasinstrumenten des 5. Jahrhunderts, neben der Sackpfeife und der Flöte, auch die Schalmei, welche Instrumente bekanntlich schon bei den Griechen heimisch waren. Nach Ambros dürfte der Ursprung der Schalmei bei den Indern zu suchen sein, indem deren Instrument « Turti » unserer Schalmei ähnlich ist.16 Wenn Zamminer die Abstammung der Schalmei bei den Hirten sucht, indem er sagt:

« Die Hirten pflegen im Frühjahr aus langen Rindenstreifen Röhren zu winden, welche sich nach unten erweitern etc von diesem Instrumente stammt die Schalmei »,17 so ist damit den Hirten mehr zugemuthet, als sie offenbar leisten können, indem das Instrument viel zu complicirt ist, um einfache Bergvölker für Erfinder, resp. Vervollkommener desselben annehmen zu können. Zur Erfindung, d.h. Ausbildung der Schalmei, wie wir das Instrument kennen, war ein Volk nothwendig, das schon anderweitig viel Musik trieb und eine Reihe ähnlicher oder verwandter Instrumente besass, wie dies z.B. bei den Indern der Fall war. Die Bergvölker kultivirten überhaupt nur wenige Instrumente mit Tonlöchern. Der ganze Bau der Schalmei weist aber auf ein im In-strumentenbaue mehr geübtes, denkendes und erfinderisches Volk hin, als die Bewohner der Alpen waren und noch sind, weist auch darauf hin, dass das Instrument seinem ganzen Character nach nicht eigentlich für die Bergwelt bestimmt war, sondern sich erst dahin verpflanzte, nachdem es den musikalischen Zwecken in der Ebene genügt hatte, und ganz besonders, nachdem es als Grundlage für eine Menge nachgebildeter Instrumente diente, aus denen wiederum unsere heutige Orchester-Hoboe hervorging. Nach ihrem Abschluss als Musikinstrument in der Ebene ( gegen Ende des 17. Jahrh. ) verblieb die Schalmei bei den Hirten Tirols und der Schweiz. Ich selbst fand in der Schweiz nur ein einziges Exemplar, und zwar zufällig 1857 bei einem Trödler in Bern. Es soll aus dem Simmenthal gekommen sein. Im Kanton Freiburg sollen noch einige Schalmeien im Gebrauch sein.Im Waadtlande und in Unterwaiden waren die Schalmeien noch bis in 's erste Viertel dieses Jahrhunderts beliebt und in Pflege, ebenso im Appenzell,

wo Ferd. Huber noch in den zwanziger Jahren einen, und wohl auch den letzten, Schalmeienbläser hörte.

Das allmälige Verschwinden dieses schönen Instrumentes ist sehr zu bedauern, weil damit auch eine Zierde des Alplebens zu'Grunde geht. Aber die Bequemlichkeit ist ein fürchterlicher Feind des Schönen. Wir haben jetzt statt Schalmeien die — Handharmonika. Aures Hominum Novitate laetantur.

Die Schalmei ist ein ausgebohrtes Rohr von ungefähr 2 Fuss Länge. Die Röhre, nach Unten etwas erweitert, ähnlich unserer jetzigen Hoboe, hat 6 Tonlöcher, mitunter auch noch i bis 2 Klappen ( am Berner Instrument fehlten die Klappen ). Das Anblasen der Schalmei geschieht aber nicht direct durch ein Röhrchen, wie bei der Hoboe, sondern dem obern dünnen Ende des Instruments wird eine, dem Trompetenmundstück ähnliche Kapsel aufgesetzt, in welcher sich ein Röhrchen befindet, das in derselben fibrirt, sobald die Luft in die Kapsel eingeblasen wird. Das Röhrchen besteht aus zwei auf einander gebundenen dünnen Rohrblättchen. Eine so feine Tonmodification, wie sie bei der Hoboe durch den Ansatz und den Druck der Lippen auf das Röhrchen erzielt wird, ist bei der Schalmei nicht möglich. Der Ton ist mehr gleichmässig stark, für kleinere Räumlichkeiten eher schreiend, wesshalb die Schalmei in den Orchestern besser und mit Recht durch die Hoboe ersetzt wurde. Dagegen im Freien, und namentlich in einiger Entfernung gehört, zeigt sich der Schalmeienton in eigenthümlicher Klangfarbe. Ich hörte das Instrument ein einziges Mal im Freien blasen, von einem österreichischen Militärmusiker in Bregenz, der es aus den Alpen mit in den Militärdienst brachte. Es ist zu lange her, um eine genauere Characteristik des Tones geben zu können.

Selbstverständlich ist die Schalmei vermittelst der Tonlöcher nicht so tonarm, wie das nur auf die Naturtöne beschränkte Alphorn. Der Tonumfang von f * bis a 2 gibt der Schalmei Spielraum genug für ausgeführtere Weisen, und stellt sie somit mehr in die Reihe der musikalischen Instrumente. Ist das Alphorn das gewaltigste und wirksamste Instrument für die Berge, so gehört die Schalmei mehr in 's Bereich des idyllischen Hirtenlebens und überhaupt in jene Kreise, die mehr gemüthlich-musi-kälisches Leben pflegen. Von diesem Gesichtspunkte aus hat das schöne Hirteninstrument bei den Hirten Tirols einen fruchtbaren Boden gefunden, und sich desshalb auch bis zur Stunde dort erhalten.

Der Schalmei soll früher in den Schweizerbergen, hauptsächlich in Appenzell und auf den waadtländer Alpen

Der Kuhreihen oder Kuhreigen

zugefallen sein, waadtländisch Rans-des- Vaches. Was wir heutigen Tages unter Kuhreihen oder Bam-des-Vaches verstehen, ist ein « Chüerlied », welches je nach verschiedenen Thälern oder einzelnen Bergdistrikten verschieden gebildet ist. Der Kuhreihen ist entweder ein « Austreibe-lied », oder ein « Chüerruf », der in früheren Zeiten bei Hirten gebräuchlicher war, als gegenwärtig. Joh. Rud. Wyss sagt, dass « die Kühreihen sonst gern mit dem vormals allgemein in unsern Bergregionen geblasenen Alphorn begleitet, oder vielmehr die blosen Melodien sehr häufig ohne Text auf demselben gespielt » worden seien.18 Bezüglich des letz- teren Punktes ist die Wyss'sehe Mittheilung wohl etwas zu elastisch;

auf dem Alphorn konnten Kuhreihen nur geblasen werden, wenn die Grenzen der akustischen Naturtöne nicht überschritten, oder mit andern Worten, wenn die Kuhreihen nach Alphornweisen gesungen wurden. Die verzierten und weitausgesponnenen Melodien der Kuhreihen, wie wir sie kennen, sind für das Alphorn unmöglich und könnten nur von einer Schalmei geblasen werden.

Die Texte dieser Kuhreihen sind höchst einfach und — wie J. B. Wyss sagt — « nichts Anderes, als ein Lied von Kühen und Kühern, ein deutsches Bukolikon, das keinen weitern Zweck des Singens oder Spielens sich vorsetzte, als den Erguss der allgemeinen Hirtenlust, die auf den Alpen so innig ist. »

Die Bezeichnung Kuhreihen ( schweizerisch Küehreye ) leitet Wyss ab vom Worte Reihen, welches auch Reigen ausgesprochen wird, und sowohl einen Gesang, ein Lied, als auch einen Tanz bedeutet. Für Ranz oder Rans vermuthet Wyss das Wurzelwort in ranner, welches in einem der schweizerisch-romanischen Idiome jauchzen, jubeln bedeutet. Ein Jubelgesang, ein Jauchzen ist auch der Kuhreihen mit seinen reichen Jodlerverzierungen. Treffend zeichnet Dr. Friedrich von Tschudi den Kuhreihen: « An diesem Tage ( der Alpfahrt ) besonders ertönt der Kuhreihen, den jeder Alpendistrikt in eigenthümlicher Weise besitzt. Es ist dies jener höchst eigenthümliche jauchzende Gesang, dessen ältester Text sich nur noch in einzelnen Versen vorfindet, während seine Melodie in stundenlangen Trillern, Jodlern, bald hüpfenden, bald gedehnten Tönen besteht. Etwas Anderes ist der einfache Jodel ( Rugguser ) der keine Worte hat, sondern blos in schnell wechselnden oft in der Tiefe anhaltenden und rasch in die Höhe stei- genden, seltsamen, melodischen Tonverbindungen besteht,

mit denen der Hirt die Kühe herbeilockt, seine Kameraden begrüsst und dessen er sich überhaupt als Fernsprache im Gebirge bedient.»19

Texte und Melodien von verschiedenen Kuhreihen wurden veröffentlicht von G. J. Kuhn,20 Professor J. R. Wyss und Ferd. Huber,21 Dekan J. B. Häffliger,22 Sigmund v. Wagner,23 Tarenne,24 u. A. Die Namen der verschiedenen Kuhreihen bezeichnen zugleich die Gebirgsgegenden, wo sie entweder entstanden oder eine Heimath gefunden. In den genannten Schriften finden sich z.B. Kuhreihen der Simmenthaler, der Emmenthaler, der Entlibucher, der Appenzeller, Ranz-des-Vaches des Ormonds, des Alpes de Gruyères u. s. w. In der durch Huber's Mitwirkung edirten Sammlung von Melodien zu Kuhreihen finden sich neben offenbar überarbeiteten und nicht immer glücklich zugestutzten Tonweisen einige Andere, deren originelles Gepräge ein hohes Alter verräth und den Freunden und Kennern der Volksweisen ein hohes Interesse abgewinnt. Andere dagegen sind sehr unbedeutend, mehrere geradezu nichtssagend. So trägt z.B. in G. J. Kuhn's « Volksliedern », Ausg. 1806, pag. 90, die Melodie vom Kuhreihen, « Bueb, mer wey uf d's Bergli trybe », die reinste Katzenjammerstimmung. Keine Spur findet sich vom Ausdrucke jener Freude und Lust, die ihre Befriedigung nur im schwungvollsten Jauchzen findet. Was aber musikalisch im genannten, und in noch einigen andern nicht genannten, Kuhreihen geboten wird, ist unächt, ist überhaupt nur das langweilige Produkt irgend eines stüm-perhaften Musikers, den Gott nun wohl selig haben wird. Mit solchen, unter der Firma nationaler Weisen, im Kreise urkräftiger Brüder siech und erbärmlich umherschleichenden Melodien ist aber der Pflege des wahren nationalen Bergliedes nicht gedient. Es wäre die dringende Aufgabe> durch eine Herausgabe von ächten schweizerisch-nationalen Kuhreihen.

Bergliedern dergleichen scriptura mala gründlich hinwegzufegen, und zwar mit jener scharfen Kritik, wie der treffliche Prof. Dr. Anton Henne in St. Gallen eine Textsamm-lung begonnen hat. An Arbeit fehlt 's just nicht.

Leider übersteigen Auszüge textlicher und musikalischer Natur den für die gegenwärtige Arbeit bestimmten Raum. Jedoch ein Muster möge ein bescheidenes Plätzchen finden, nämlich der Anfang des

16.

Ranz-des-Vaches des Ormonds.*5 Texte patois.

Langsam.

i—^-

f f f.

Les Ar-mail - lis dé Co-lom - bet - ta dé bon ma-

tin se son lé - va,

ah,ahLioba,

Lioba por t'a - ri - aLioba, Lioba,

por t'a - ri - a. Ve-ni-dé to-té, pé-ti-té,

grozzé, è bliantz é né-ré d'zouvèn éau-tré Szaärowsky.

de - zo stou tza-no, yo, yi - é a - rio de-zo stou

1

EEüfd?

trimblio, yo yi - étrin-zo —

Lioba,

Lioba! por t'a - ri — aLioba, Lioba!

por t'a - ri

Die Hirten der Colombetta, Sind früh schon aufgestanden! Höh! Höh! Kühe, Kühe, zum Melken. Kommt alle, kleine und grosse, " Weisse und schwarze, junge und alte, Unter diese Eiche, wo ich euch melke, Unter die Espe, wo ich ( die Milch ) gerinnen Kühe, Kühe! Zum Melken!

lasse.

Es ist damit aber nicht zu verstehen, als ob die Sennen jedesmal ihr Alpvieh mit einer so langen musikalisch-deklamatorischen Ansprache zu gewinnen suchen, gefälligst auf den Melkplatz oder in die Schirmhütten zu kommen — der Kuhreihen lebt als Volksweise unter den Sennen fort, und findet nur bisweilen bei besondern Anlässen und « musikalischen Stimmungen der Sennen » seinen Gebrauch.

Die Appenzeller besassen früher einen originellen Kuhreihen, von dem man nur noch Bruchstücke hört. Er beginnt mit den Worten « Wänd-er iha, Loba? Allsamma mit Nama » u. s. w.26 Ich bezweifle, ob er noch vollständig existirt. Die von Huber mitgetheilte Tonweise ist höchst wunderlich. Einzelne Theile daraus hörte ich von Appenzeller Sennen, jedoch mit vielen Varianten. Hierauf bezüglich dürfte Wyss das Richtige getroffen haben, wenn er sagt, dass die Kuhreihen als Ergüsse der allgemeinen Hirtenlust zu betrachten und als solche aber die Kinder einer glücklichen Stunde seien, wo der Poet auf den Alpen oder im Dorfe kein anderes Richtmaas kennt, als sein Herz und sein Ohr.

Es ist oben ein Musikstück „ Kuhreihen " erwähnt worden, das früher in den Bergen auf der Schalmei gespielt worden sein soll. In der That existirt ein Musikstück Kuhreihen, in den Veröffentlichungen meistens mit Ranz-des-Vaches überschrieben, mit dem es aber, was seine Abstammung aus den Bergen betrifft, seine eigene Bewandtniss haben dürfte. Uns interessirt dasselbe durch eine an seine Existenz geknüpfte Erzählung:

Es soll nämlich einst in Frankreich bei Todesstrafe verboten gewesen sein, die Melodie des Kuhreihens den in dortigen Diensten stehenden schweizerischen Truppen vorzuspielen, weil diese heimatliche Weise die Soldaten so sehr mit Heimweh erfüllt habe, dass sie desertirt seien.

Ich habe mich bemüht, über diese Erzählung Aufschluss zu bekommen, bin aber nicht so glücklich gewesen, einen Beweis für die Richtigkeit dieser Mittheilung auffinden zu können. Das grosse achtbändige Werk des Barons de Zur-Lauben27 enthält trotz einer an Weitschweifigkeit grenzenden Genauigkeit in der Untersuchung und Darstellung der diesfallsigen Verhältnisse seit der Constitution du Corps Helvétique ( 1616 ) auch nicht die leiseste Andeutung über den fraglichen Punkt.

Ebenso bei May de Bomainmotier. Auch neuere Schriftsteller, u. A. Zell-weger,28 Hottinger,29 Karl Morell,30 J. Amiet31 u. s. w. nebst persönlichen Anfragen bei Historikern brachten mich nicht über die Grenze der einfachen Erzählung hinaus. Der " vortreffliche Historiker Karl Morell fand sich durch meine Anregung zu Nachforschungen veranlasst — sein leider allzufrüh erfolgter Tod vernichtete meine Hoffnungen. Es bleibt nun einer begünstigteren Hand vorbehalten, die Dokumente beizubringen. Ein Anhaltspunkt hiefür scheint vorhanden zu sein. Herr Antiquar Sprecher in Chur theilte mir mit, dass er vor einigen Jahren ein sehr seltenes Werk besessen und nach Utrecht verkauft habe, nämlich Kriegsartikel von Holland, etwa 1740 bis 1750, in welchem er das betreffende Verbot, den Kuhreihen bei den in holländischen Diensten stehenden Schweizertruppen zu spielen, gelesen habe. Meine Bemühungen um Gewinnung eines Exemplars blieben leider erfolglos. Durch diese Notiz sei aber auf die « Kriegsartikel » aufmerksam gemacht. Aus weiter unten entwickelten Gründen zweifle ich nicht an einem Verbot des Kuhreihens im Sinne der Erzählung; selbst die Todesstrafe dürfte kaum als eine blösse Phantasiezugabe zur Erzählung anzunehmen sein, da ja bekanntlich die strenge Militärjustiz nicht nur allein Desertionen, sondern auch die Verleitungen dazu mit dem Tode bestraft. Im nicht ganz zutreffenden Sinne, aber doch als Analogien anzunehmen, sind Fälle dokumentirt, wo gewisse Melodien nicht gespielt oder gesungen werden durften, so z.B. im Mittelalter das Notkerische « Media vita », weil man diesem Gesänge eine Zauberkraft zuschrieb, als könne man sich dadurch vor dem Tode sichern und dem Gegner den Unter- gang bereiten.

Desswegen sah sich das Concilium von Cöln im Jahre 1316 ( Can. 21 ) genöthigt, zu verbieten, dass Jemand ohne die Erlaubniss seines Bischofs, gegen irgend einen Menschen das « Media vita » absingen dürfe.32 Zur Zeit des Patriziats in der Schweiz waren alte Volkslieder verboten,33 aus keinem andern Grunde, als die aus dem Singen der alten Volkslieder hervorgehenden Stimmungen und Anregungen zur Freiheit zu unterdrücken. Auf dem mehr politischen Gebiete begegnen wir in Deutschland einem Verbote des französischen Freiheitsliedes « die Marseillaise », dessen blosse Melodie schon verpönt ist; in Polen einem Verbote des « Boze cos Polske », in Ungarn gewisser Czârdâs u. s. w. Im Grunde laufen alle diese Verbote mit jenem des Kuhreihens bei den Schweizertruppen in den gleichen Punkt zusammen: Unterdrückung der durch eine gewisse Tonweise auflodernden Stimmungen zur Desertion, zur Revolution.

Die Sage bezeichnet das fragliche Musikstück « Kuhreihen » als appenzellisch. Es heisst von demselben, dass die Weise « die bekannte schweizerische Nationalmelodie » sei,34 dass im « Appenzell noch der ursprüngliche ächte Kuhreihen gewöhnlichsein soll»35 u. s. w. Nach- richten, die auf eine Verwechslung mit dem gesungenen Kuhreihen beruhen, wobei noch zu bemerken, dass auch dieser keineswegs eine bekannte schweizerische Nationalmelodie ist. Seit 1850 habe ich die schweizerischen Hochgebirgsgegenden viel durchwandert, habe auch einen vieljährigen Aufenthalt in St. Gallen zu häufigen Excursionen in 's nahe Appenze Her-Land benützt, aber nirgends jemals eine Tonweise des Kuhreihens blasen oder singen gehört, wie solche von Schilling 36 u. A. mitgetheilt wird. Gelegentlich bemerkt, fand ich auch nicht mehr den in Weigl's Oper « die Schweizerfamilie » vorkommenden Kuhreihen, der Szadroiüsky.

ebenfalls aus Appenzell kommen soll. Wo ich mich auch in der Schweiz, persönlich und brieflich nach der Heimat des ersteren erkundigte, wollte man nichts von einem solchen Musikstücke wissen. Ferd. Huber in St. Gallen, den ich ebenfalls um Auskunft in dieser Sache ansprach, theilte mir Ende der 50er Jahre die Notirung eines Kuhreihens mit, dessen Tonweise von der Schilling'sehen Notirung etwas abweicht. Huber erhielt diese Notirung zur Zeit seines Aufenthaltes als Lehrer im v. Fellenberg'schen Institute in Hofwyl ( in den zwanziger Jahren ) durch einen alten Militairmusiker in Bern, der als solcher langjährig mit früheren Schweizerregimentern in französischen Militair-diensten stund.

Dieser Kuhreihen zeigt sich in folgender Gestalt:

17.

Langsam und getragen.

Allmälig bewegter.

Kuhreihen.

i > Langsam.

T--—j11h4- ip

*

TH " 1

Allmälig bewegter.

r-t=fi^.fa=ii^K±1

L1^_.

Bis zum Zeichen stimmt Schilling's Notation mit der Huber'sehen über ein. Von hier an zeigt die Erstere einfachere Formen, als sei sie absichtlich gekürzt worden, während die Letztere etwas phantasievoller sich weiter spinnt. Im Ganzen zählt die Huber'sche Notirung 68 Takte,

Schweizer Alpen-Club.22

während die Schilling'sehe nur 50 enthält. So wichtig diese Differenz auch scheinen mag, so fällt sie doch nicht sehr in 's Gewicht, da die Hauptfiguren sich gleich bleiben und die vergrösserte Taktzahl des Einen durch Wiederholungs-figuren gegen das Ende zu entsteht. Stammt der Kuhreihen überhaupt und wirklich aus den Bergen, so liesse sich aus den weiter ausgesponnenen Figuren in der Huberschen Mittheilung nur entnehmen, dass irgend ein « Spielmann », indem er in guten Stunden den Kuhreihen seinen Landsleuten in der Fremde als schöne Erinnerung an heimatliches Leben vorspielte, selbst in selig-überfliessenden Gefühlen die so sehr anheimelnden und wohl auch Heimweh hervorrufenden Jodlerfiguren weiter ausdehnte, in welcher Form das Ganze dann eine entsprechende Niederschrift erfuhr. Dies ist der für meine Ansicht in dieser Sache allein berechtigte Punkt, woran sich die Resultate meiner Untersuchungen knüpfen lassen. Eine so ausführliche kritische Beleuchtung zu geben, dass daraus entnommen werden könne, welche von den beiden Notirungen den Kuhreihen als acht zeige, kann ich mir nicht anmaassen. Thatsache ist, dass die Figuren, einzeln betrachtet, sich in den Gesängen und nationalen Musikstücken der schweizerischen Bergvölker finden; aber auch Thatsache ist, dass der Kuhreihen als ein ganzes Musikstück weder in der Huber'schen, noch in jener etwas einfacheren und kürzeren Form der Schilling'sehen Notation nirgends in der Schweiz als eine bei den Bergvölkern gebräuchliche nationale Melodie existirt. Gesetzt, das Musikstück hätte sich erst in der neueren Zeit verloren, so kann ich doch nicht unerwähnt lassen, dass Ferd. Huber, der einer früheren Zeit angehört, ( geboren in St. Gallen 1791, gestorben daselbst 1863 ) und sich bekanntlich viel mit dem Sammeln von nationalen Bergliedern und Musikstücken beschäftigte, mir wiederholt erklärte, er habe den Kuhreihen nach der in Händen habenden Notation nie in den Bergen vernommen, wohl aber einzelne Figuren desselben in Liedern, Jodlern etc. So habe ich auch seit der Gründung des Schweizer Alpen-Clubs jede Gelegenheit benützt, über diesen Punkt Aufschluss zu bekommen — und Freunde und Clubgenossen werden mir wohl zu gute halten, wenn ich sie bisweilen nicht wenig belästigte, aber auch hier von forschenden und theilweise musikkundigen Clubisten nur erfahren können, dass sie den Kuhreihen nirgends, weder früher noch jetzt, gehört haben.

Ich wage desshalb eine, bereits schon gegen Musiker in der Schweiz und befreundete musikkundige Clubisten geäusserte Ansicht hier öffentlich auszusprechen, dass ich nämlich dafür halte, der also bekannte Kuhreihen, « das Musikstück », habe keine Abstammung aus den; Bergen anzusprechen, sondern sei in der Fremde, und zwar speziell bei den schweizerischen Truppen im Auslande, aus schweizerisch national-musi-kalischen Figuren zusammengestellt worden, und habe erst durch heimkehrende Spielleute und vielleicht ganz besonders in Anregung durch das schon erwähnte Verbot, den Kuhreihen bei den Schweizerregimentern im Auslande zu spielen, den Weg in die Schweiz gefunden. Daheim mag das Musikstück, dessen Bezeichnung mit Kuhreihen oder Ranz-des-Vaches den Grund dafür in den das Gemüth und die Erinnerungen an die heimatlichen Weisen so tief anrührenden Reminiscenzen gefunden haben wird, um die Zeit des Anfanges des 18. Jahrhunderts, oder auch erst nach der Blüthezeit des französischen Einflusses auf die Schweiz, bei Schalmeienbläsern oder Sackpfeifenspielern ( Corna musa ) der Berge eine Aufnahme erhalten haben, der aber kaum ein langes Heimatsrecht zugemessen werden dürfte, da schon zwischen den Jahren 1818 und 1832.

wo Huber bereits Volksweisen sammelte und einige werthvolle Publikationen veranstaltete, also im günstigsten Falle nach etwa 100 Jahren, in den am meisten der Musik- und Gesangpflege hingegebenen Gebieten Bern, Urschweiz und Appenzell, von Huber keine Spur mehr von einer Form eines Kuhreihens entdeckt wurde, die sich mit seiner, resp. des Bernischen Spielmanns Notation hätte vergleichen lassen.

Ein Gesichtspunkt ist ferner wichtig: Die genaue Prüfung des Kuhreihens muss mit unabweisbarer Bestimmtheit erkennen lassen, dass ein Musikstück von so gegliedertem Bau und mit so feinen Accenten nicht das Produkt einfacher Hirten sein kann. Die Analogie mit dichterischen Erzeugnissen im Volke reicht hier nicht aus. Auf dem musikalischen Gebiete genügt die Phantasie oder die Begabung, die für ein leidliches oder selbst gutes Volks-gedicht hinreicht, für die Erfindung einer Tonweise nur zum Theil; für den andern Theil sind Bedingungen vor- handen, welche eine musikalische Bildung erfordern, oder wo sie wirklich erfüllt sind, eine solche voraussetzen. Die ganze Anlage des Kuhreihens drängt die Ueberzeugung auf, dass hier andere als Hirtenhände geschaffen haben, dass — der Kuhreihen mag entstanden sein, wie er will, schliesslich eine musikalische Hand die letzten Feilenzüge über ihn streichen liess. Ob nun die Zusammenstellung des Musikstücks aus national-musikalischen Formen nur durch einen Spielmann geschah, oder, was als wahrscheinlicher anzunehmen, ob sich die Weise erst allmälig herausbildete, in welchem Falle die Schilling'sche Notirung als die ältere zu betrachten wäre, bleibt sich ziemlich gleich. Genug, wir wissen, dass dieser Kuhreihen thatsächlich in Frankreich, sowie auch in Holland, bei den Schweizerregimentern im Gebrauch blieb bis zur Auflösung dersel- ben, und ich zweifle keinen Augenblick an einen so mächtigen Eindruck dieser Tonweise auf Einzelne in den Schweizerregimentern, dass sie heimwehbefangen die Fahne verliessen.

In die Klasse der Schalmei gehört auch ein in früheren Zeiten in den Bergen beliebtes und vielgepflegtes, nun ziemlich selten gewordenes Instrument, die alte eigenthümliche

Sackpfeife.

Es dürfte fast schwer werden, für das Instrument die richtige Bezeichnung zu finden, da dasselbe von Zeit zu Zeit und von Volk zu Volk andere Einrichtung bekam und unter verschiedenen Namen bekannt wurde. Je nach seiner Grosse und dem Lande seines Gebrauches finden wir das Instrument unter dem Namen polnischer Bock, Dudelsack ( deutsch ), Sackpfeife ( wahrscheinlich schweizerisch ), Cornemuse pastorale und = d' Italie ( französisch ), Corna musa ( allgemein. in Italien und Spanien gebräuchlich ), Musetto und Zampugna pastorale ( speziell in den Apeninnen ), Piob ( soll schottisch seinund im Alterthum bei den Griechen unter Symphoneia ( übrigens ein Allgemeinname für alle Instrumente, welche einige Töne zugleich hören liessen ), und bei den Römern unter dem Namen Tibia utricularis ( Schlauchpfeife ).

Im Gebiete der Centralalpen findet sich die Sackpfeife, resp. die Corna musa auf den südlichen Abdachungen als beliebtes Hirteninstrument. Weiter herein in die Schweiz erstreckt sich dasselbe nicht mehr; schon seit mehr als anderthalbhundert Jahren ist 's verschwunden. Nur allein im Kanton Freiburg soll sich die ( französische ) Corne muse bis in die neuere Zeit erhalten haben, und auf ihr der Ranz-des-Vachesgespielt worden sein.

Sichere Feststellungen hierüber wurden mir nicht möglich.

Die Corna musa, wie sie die Pifferari zu uns bringen und in den Strassen der Schweizerstädte produciren, hat in der Regel vier Pfeifen, nämlich einen tiefen Schnarrer, der eintönig und in der That zum Verzweifeln monoton ist; einen mittleren Schnarrer mit zwei Tönen ( in diesem Falle ist die Tonröhre getheilt ), und eine Schalmei, gewöhnlich von schreiendem Ton. Ein Ledersack dient als Windreservoir für alle Pfeifen und erhält den Windzufluss vom Spieler durch Anblasen vermittelst eines engen Rohres. Die drei Töne der beiden Schnarrer sind feststehend und entsprechen einer Accordlage wie

Wem das Pech widerfährt, nach einem vierzehnstündigen Marsche einen solchen unverrückbar feststehenden schnarrenden Accord eine glockenhelle Stunde lang anhören zu müssen, wie es mir widerfuhr im Sommer 1864 am Lago di Acqua Fraggia, auf der Alp unterm Passo di Val del Lago, der darf getrost zu Marsyas und Mazeppa sprechen: « Ich bin, ohn'weitere Bitte, in Eurem Bunde der Dritte. »

Auf den südlichen Alpen spielt in der Regel noch ein anderer Hirte die kleine Pfeife, mit einem durchdringenden Tone. Die Pifferari dagegen stellen eine Anzahl Pfeifen und eine gewisse Art verkleinerte Schalmei zusammen, die mit den Grundtönen der Corna musa eingestimmt sind und originell, wenn auch auf die Dauer für den Hörer ermüdend zusammenklingen. In dieser Richtung unter- stützt, erringt sich die Corna musa noch einige Bedeu tung.

Nach anderen Gesichtspunkten hin ist deren Verschwinden aus den Bergen nicht zu bedauern.

Der geniale Komponist Franz Schubert hat im Trio des dritten Satzes seines Streichquartettes in G, opus 161, die originellen Tonweisen der Pifferari in höchst gelungener Imitation, auch bezüglich des eigenthümlichen Zusam-menklanges, benützt.

Die in früherer Zeit vielgenannte, dichterisch mehr als in der Wirklichkeit bekannte alte

Hirtenflöte,

die aber der Beschreibung nach wie die Klarinette geblasen wurde, und in der Grosse unserer heutigen Bassklarinette ähnlich gewesen sein mag, ist gänzlich verschwunden. Ob sie jemals allgemeiner war in den Schweizerbergen, konnte nicht ermittelt werden. Dass sie aber in der östlichen Schweiz, namentlich im Kanton Appenzell, geblasen wurde, ist durch Huber bekannt, welcher dort noch einen Bläser fand. Er rühmte den schönen schmelzenden Ton, der eine Stellung zwischen Klarinette und Hoboe eingenommen habe. Die Zeit dieser Entdeckung waren die dreissiger Jahre. Das Instrument habe 7 Grifflöcher gehabt und oben ein hölzernes Mundstück von eigenthümlicher und sehr sonderbarer Bildung, indem nämlich der Lippenrand einem verkleinerten Trompetenmundstück ähnlich, die Röhre für den Luftstrom jedoch mehr nach der Form der Klarinettenschnäbel gewesen sein soll.

Als ein noch in manchen Berggegenden gebräuchliches Instrument ist die

Kleine Querflöte

zu nennen, die in manchen Berggemeinden von Oberwallis, und bisweilen auch bei festlichen Anlässen in Inner-Rhoden, mit Begleitung der Trommel gespielt wird. Mit diesem Accompagnement hörte ich sie auch am Vierwaldstätter-See und im Waadtlande. Der Gebrauch von Flöte und Trommel reicht zurück bis in die grauesten Zeiten und findet sich bei allen Völkern. Auch bei den Bergbewohnern Oesterreiehs ist diese Zusammenstellung heimisch; jedoch wird die Querflöte mehr im Verein mit Geige und Bass gebraucht. Die Tonweisen in der Schweiz, in der Zusammenstellung von Pfeife und Trommel, sind überaus feurige und höchst originelle Märsche, wie ich noch selten eine Marschmelodie hörte. Sie gestalteten sich mir immer als die lebhafteste Illustration zu dem characteristischen Liedchen in Goethe's Egmont: « Die Trommel gerührt, das Pfeifchen gespielt », und es kam mir immer vor, als schaue aus den frischen, übermüthig herausfordernden Marsch-stückchen die Anregung zum tveltbekannten Soldaten-lieddien.

Ein schönes Instrument entbehren die schweizerischen Bergbewohner, und können sich scheint 's auch nicht mit demselben befreunden, wie mehrere gescheiterte Versuche für dessen Einbürgerung zeigen; nämlich

Die Zither,

dass allbekannte Nationalinstrument der nördlichen Bergknappen und der Bergbewohner des bayerischen Hoch- landes und der österreichischen Alpen, von Tirol bis Niederösterreich.

Leider ist das Instrument, seit es salonfähig geworden, eine stolze Buhlerin, die ihre rührend einfache heimatliche Weise von sich geworfen und nun gefallsüchtig in Kreisen sich bewegt, deren fremde Formen dem von Hause aus höchst einfachen Bergkinde nicht recht anpassen wollen, trotz allem Aufwände von Künsteleien und täuschender Geziertheit. Was soll man dazu sagen, wenn auf der Zither die Tellouverture gespielt wird? Der grosse Haufen findet dies « sehr interessant », und die Zither — buhlt weiter. Kommt dann ein einfaches Bergkind mit seinen tiefgemüthlichen Tonweisen und in seiner natürlichen ungeschminkten Einfalt, so muss es sich gefallen lassen, als ein armselig Ding wieder heimgeschickt zu werden. In der grossen Welt aber herrscht die in Sinnlichkeit ausgeartete Schwester in dem widerlichen Kleide einer erbuhl-ten Anerkennung. Mit der heimatlich national-einfachen Weise fiel auch das schlichte Gewand. Ueber allmälig reichere Mittel gebietend, erfrechte sie sich den Aufblick zur Harfe und zum Klavier. Gehätschelt von feinen Händen, bewundert von Leuten, die für alle Erscheinungen das gleiche überfliessende Entzücken in Bereitschaft haben, stieg sie verächtlich über den « Plebs » hinweg, und im Taumel einer unbegrenzten Selbstüberschätzung und einer beispiellosen Anmaassung, bis hinauf in die höchsten Regionen der Oper, wo sie vom hochragenden Baume mit seinen üppigen Formen mit frechen Händen die schönsten Früchte riss. Schimmernd in verschwenderischer Pracht, auf purpurnen Kissen ruhend, mit Sorgsamkeit vor jedem Lüftchen bewahrt, fährt sie in coquettem Selbstgefühl von Salon zu Salon.

Daheim aber, in den stillen Thälern, zieht ihre schmucklose Schwester in den Armen eines frischen lebensfrohen Aelplers von Hütte zu Hütte, kaum genug geschützt vor Aeolus zudringlichen Liebkosungen.

Im einfachsten Gewände, im anspruchlosesten Sichselbstgenügen lebt sie mit ihren simplen Tonweisen in den trauten heimatlichen Kreisen fort, und entzückt ab und zu einen Wanderer, dem das Herz noch offen geblieben für die Empfänglichkeit einer nationalen Einfachheit und Natürlichkeit.

Mehr empirisch und kaum durch Noten erben sich die ursprünglichen Zither-Ländler in ihrer eigentlichen Heimat fort. Was als Zither-Ländler durch den Druck in die grosse Welt kam, ist meist verkünstelte Waare und hat auf nationalen Ursprung und eigentlich nationales Gepräge keinen Anspruch. Es beweist dies von selbst schon der Umstand, dass die eigentliche Bergzither beträchtlich weniger Saiten hat, sechs- bis höchstens neun-chörig, während die Salonzither ihren Tonumfang sogar bis zum Bass-C ( Pedal-Zither ) ausdehnte und noch immer in der Erweiterung begriffen ist. Gegenwärtig erhält die Salon-Zither einen Bezug von 30—40 Saiten, wovon auf die Töne in der Discantlage je zwei Saiten kommen.

Die Zither ist unbestritten ein wirkungsvolles Instrument, so lange sie die ihr zukommenden Formen des ge-sangvollen Ländlers nicht überschreitet. Sobald sie aber die einfache und langsam vorgetragene Tonweise gegen hüpfende und rasch wechselnde Figuren tauscht, wird sie zum Zerrbild....

„ Das Trailern ist bei mir verloren; Es krabbelt wohl mir um die Ohren, Allein zum Herzen dringt es nicht. "

( öoethe 's Faust, II. Theil.;

Von den allgemein gebräuchlichen und überhaupt modernen Instrumenten finden sich bei den Alpenbewohnern häufig

Die Klarinette, Die Geige und Der Bass,

eigentlich „ das Basset ", ein Mittelding zwischen dem Cello und einem kleinen Contrabasse. In dieser Zusammenstellung, wozu bisweilen noch eine Trompete kommt, bilden sie die « nobelste Tanzmusik » in -vielen Bergdörfern. Nicht selten findet man für diesen Zweck auch nur drei Blechblasinstrumente: Solotrompete, eine grössere Trompete und eine Posaune. Die Spieler sind aber in der Regel « fahrende Musikanten », die ihre « Profession » abwechslungsweise mit dem Schnapstrinken ausüben, je nachdem die Gelegenheiten zum guten Verdienst günstig sind. Mit dem « Basset » auf dem Rücken, der Fidel an der Seite, und der Klarinette in der Tasche des zerfezten Rockes ziehen sie von Spelunke zu Spelunke und finden hie und da einen « warmen Musikfreund », dessen Kunstenthusiasmus nicht an das spärliche Maas einer « einzigen Flasche » gebunden ist. Von diesen Leuten hört man mitunter höchst originelle Musikstücke, die den Tanzweisen einer längst-verschwundenen Zeit angehören, und sich neben den modernen Polkas etc. sehr sonderbar ausnehmen. Ich hörte einmal ein solches Trifolium in Gersau mehrere Musikstücke spielen, die ganz die Form und den Character der alten ernsthaften Sarabande trugen. Dass diese Musikstücke aus einer Zeit stammen sollten, wo die Sarabande in der Schweiz getanzt wurde, etwa aus der Periode der französischen Ambassade, ist wohl kaum anzunehmen. Aber merkwürdig ist 's immerhin, dass sich die Form dieses alten und ursprünglich einem spanischen Tanzrhythmus ( Zara- bande ) angehörenden Musikstückes überhaupt in der Schweiz, und zwar bei Dorfmusikanten ( 1855 ) gefunden hat.

In den belebteren Bergdörfern der österreichischen Alpen wird zur Geige und dem Bass noch die Ztverch-flötesl gespielt, welche dort die Stelle der bei uns gebräuchlichen Klarinette einnimmt. Im Vereinsarchiv österreichischer Musikfreunde befinden sich mehrere Musikstücke für Zwerchflöte, Geige und Sass, die in Tirol aufgeschrieben wurden; auch vieles für Flöte allein. Bei dieser Gelegenheit muss noch bemerkt werden, dass das genannte Vereinsarchiv auch sehr viele Volksmelodien mit Text, besonders auch kirchliche, sammeln liess und aufbewahrt.58 Dürfte für uns eine neue Anregung sein zur Vervollständigung und Weiterführung der durch Kuhn, Wyss und Huber begonnenen Sammlungen.

Mit wahrem Hochgenuss muss mitgetheilt werden, dass der hochgehaltene Gegenstand fahrender Sängerinnen, sehnsüchtig schmachtender Nähmamsellen und « gebildeter » Kö-chinnen, nämlich die Guitarre, niemals in den Händen eines Mädchens « ab den Bergen » angetroffen wurde, so sehr auch der Zupfkasten in den Städten und in vielen Wirthschaften der schweizerischen Niederungen heimisch ist, oder wenigstens an der Wand hängt. Möge auch das Instrument, das so nichtssagend und doch so verbindlich ist, nie den Wreg in die Kreise naiv gemüthlicher Alpenbewohner finden.

Der Naturforscher spürt den thierischen und pflanzlichen Besten einer untergegangenen Weltperiode nach, und studirt an den aufgefundenen Dokumenten einer verschwundenen Zeit die Aehnlichkeiten der Physiognomien mit jetzt lebenden Thiergattungen oder Pflanzenformen, um aus diesen stummen Zeichen ein Bild von den Naturverhältnissen der verschiedenen Perioden des Erdkörpers zu gewinnen.

Ungleich schwieriger gestaltet sich die Aufgabe des Musik-kultur-Historikers, der auf seinem Gebiete und bei seinen Untersuchungen der alten Tonweisen, nach ihrem Melodien-bau und ihren Rhythmen, die Erreichung eines ähnlichen Zieles anstrebt, ein Bild zu gewinnen von der Art und Weise, wie frühere Völker ihren Gefühlsstimmungen einen musikalischen Ausdruck gaben. Aber nur auf den umständlichsten Wegen kann er in den Besitz der nothwendigen Dokumente gelangen — durch Notirungen. Leider aber ist dieses Feld für den Einzelnen ein mit ungemeinem Zeitverlust verbundenes, neben einer öfters sehr spärlichen Ausbeute. Lassen wir uns die mitunter undankbare Ameisen-arbeit nicht verdriessen. Dem vortrefflichen Ferd. Huber verdanken wir eine Anzahl Niederschreibungen von nationalen Weisen, und ganz besonders einige Tänze von der eigenthümlichen Art der Appenzeller,39 für Geige, Hackebrett und Bass. Von letzterer Art habe ich eine verhältnissmässig schöne Anzahl ebenfalls niedergeschrieben. Im Ganzen ist leider das Niederschreiben von alten und eigenthümlichen Musikstücken und Volksmelodien sehr versäumt worden. Zwar werden gegenwärtig die Texte alter Volkslieder gesammelt, und erfahren dabei auch die jeweiligen « Singweisen » ihre möglichste Berücksichtigung; allein gerade die letztere bietet dem Sammler so grosse Schwierigkeiten, dass nur die Mitwirkung von tüchtigen Musikern, oder gut musikalisch gebildeten Touristen, das schöne Ziel erreichen lässt. Dieses Ziel aber sollte sich dahin gipfeln, mit der Zeit eine grössere oder auch vollständige Sammlung von Liedern zu erhalten, wie sie von den Bergvölkern gesungen werden, zugleich als Fortsetzung der Kuhn-Wyss- Hùber'sehen Sammlungen, und etwa nach dem Muster, wie Freiherr v. Ditfurth Volkslieder der Ebene sammelte und herausgab.40 Nur auf diese Weise kommen wir allmälig in den Fall, der Musikgeschichte jenes schätzbare Material bieten zu können, dessen sie zur Ausfüllung einer noch bestehenden Lücke bedarf.

Ganz abgesehen von Forschungen, kann es dem gebildeten Touristen und Freunde der Alpenwelt gewiss nur zur Freude und zum Interesse werden, in den Liedern und Musikstücken eines Volkes, die so ganz dem Gemüthsleben desselben entsprungen sind, eine reiche Gelegenheit zu finden, die Empfindungs-, Anschauungs- und Ausdrucksweise der Gesammtmasse eines Volkes kennen zu lernen, das in seinen diesfallsigen Erzeugnissen auf der Stufe einer « naiven Kunst », und auf dem breiten vollen Leben einer schlichten Natürlichkeit basirt, jene allgemeine Verständlichkeit und befähigte Zugänglichkeit bietet, welche die Kunstpoesie und Kunstmusik auf ihrer isolirten Höhe nicht zu geben vermag. Im Sinne des bildenden Interesses erinnere ich an die, zwar bei anderer Gelegenheit gesprochenen, aber für unser Thema ihre volle Anwendung findenden Worte unseres ausgezeichneten und verehrten Clubgenossen Dr. Friedrich v. Tschudi:^1 „ Unstreitig wächst der Werth und Genuss der Hochgebirgstouren für jeden Einzelnen in demselben Maasse, in welchem seine Beobachtungen an Vielseitigkeit, an Schärfe und an prac-tischem Gehalte gewinnen. "

Anmerkungen.

1. H. Szadrowsky, Nationaler Gesang der Alpenbewohner. Jahrbuch des Schweizer Alpen-Clubs B. L, 1864, pag. 504.

2. A. " W. Ambros, Geschichte der Musik. B. II., pag. 112.

3. AnseIm Schubiger, Sängerschule St. Gallens. Exempla Nr. 40, pag. 39.

4. Ambros, Geschichte der Musik. B. II., pag. 104. Schubiger, Sängerschule St. Gallens, pag. 54.

5.a. O., pag. 42.

6. Friedrich Zammmer, Die musikalischen Instrumente in ihrer Beziehung zu den Gesetzen der Akustik, pag. 367.

7. Schilling, Encyclopädie der Tonkunst. B. YL, pag. 398.

8. F erdin an d H über's Selbstbiographie. St. Galler Blätter für häusliche Unterhaltung und literarische Mittheilungen. Jahrg. 1863, Nr. 3 und 4.

9. Nach Ferdinand Huber's mündlichen Mittheilungen.

10. Partitur. Quartausgabe von Breitkopf & Härtel. pag. 145.

11. Desgleichen, pag. 14 und 47.

12. Briefliche Mittheilungen von Prof. Dr. Troxler an mich, aus dem Jahre 1857.

13. Prof. G. Theobald, Das Bündner Oberland, pag. 21.

14. Ambros, Geschichte der Musik. B. I., pag. 114.

15. „ Der singende Hirte ist nicht Object, sondern schon Sub-ject der Kunst. Besteht sein Lied aus messbaren, geordneten, wenn noch so einfachen Tonfolgen, so ist 's ein Produkt des Menschengeistes, ob es nun ein Hirtenjunge erfunden hat oder Beethoven. " Dr. Eduard Hanslick, Yom Musikalisch-Schönen, pag. 92.

16. Ambros, a. O. B. L, pag. 77.

17. Zamminer, a. O. pag. 229.

18. J. R. W y s s, Texte zu der Sammlung von Schweizer-Kuh-reihen und Volksliedern. Yierte AufL, Bern 1826, pag. 12.

19. Dr Friedrich v. Tschudi, Das Thierleben der Alpen-weit. Sechste Aufl., pag. 537.

20. G. J. Kuhn. Yolkslieder. Bern, erste Ausg. 1806, zweite Ausg. 1819.

21. J. R. " Wyss und Ferd, Huber, Sammlung von Schwei-zer-Kuhreihen und Volksliedern. Bern 1826.

22. J. B. Häff liger, Schweizerische Yolkslieder nach der Luzernischen Mundart. Luzern 1813.

23. Sigmund v. Wagner, Acht deutsche Kuhreihen. Bern 1805.

24. Tarenne, Eecherches sur le Ranz - des-Yaches. Paris 1813.

25. J. K. Wyss, a. O. pag 53.

Die Melodie bei Huber: Sammlung von Sehweizer-Kuh-reihen. 1826. pag. 32, Nr. 15.

26. Mitgetheilt bei J. R. Wyss, a. O. pag. 38.

Die Melodie ebenfalls in Huber's „ Sammlung etc.". pag. 13, Nr. 9.

27. Baron de Zurlauben, Histoire militaire des Suisses au service de la France etc. Paris 1751.

May de Romainmotier, Histoire militaire de la Suisse etc. Lausanne 1788.

28. Zellweger, Geschichte der diplomatischen Verhältnisse der Schweiz mit Frankreich, von 1698 bis 1784. St. Gallen 1839.

29. Hottinger, in seinen betreffenden Mittheilungen über die Schweizerregimenter.

30. Karl Morell, die Schweizerregimenter von 1789—1792. St. Gallen 1858.

31. J. Ami et, Kulturhistorische Bilder aus dem schweizerischen Volks- und Staatsleben zur Blüthezeit des französischen Einflusses etc. St. Gallen 1862.

3 2. Schubiger, Sänger schule St. Gallens. pag. 56. 38. Karl Morell, Die Helvetische Gesellschaft, Winterthur 1862. pag. 17 ff.

34. Schilling, Encyclopädie der Tonkunst. 1837. B. IV., pag. 258.

35. H. A. Pier er, Universallexikon. Dritte Ausgabe. 1843. B. 17, pag. 49.

36. Schilling, a. O. Druckjahr 1837. Beilage zu B. IV.

37. In einer brieflichen Mittheilung aus Oesterreich, der ich diese Notiz entnehme, steht Zwergflöte geschrieben. Ich nehme an, dass es besser oder eigentlich Zwerch-flöte heissen soll, Zwerch von quer.

38. Briefliche Mittheilungen von Herrn F. Pohl in Wien, deren Uebermittelung ich der Güte des Herrn Dr. Anton v. Ruthner verdanke.

39. J. R. Wyss und Ferd. Huber, a. O. Melodienbuch, pag. 95. und 96.

40. Franz Wilhelm Freiherr v. Ditfurth, Fränkische Volkslieder mit ihren zweistimmigen Weisen, wie sie vom Volke gesungen werden. Aus dem Munde des Volkes selbst gesammelt. Leipzig 1855.

41. Dr. Friedrich v. Tschudi, Alpwirthschaftliche Streiflichter. Jahrbuch des Schweizer Alpen-Club, B. I. 1864. pag. 466.

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