Geologisches über die Umgebung von Thun
Von Prof. Dr. /. Bachmann.
Geologisches über die Umgebung von Thun Vortrag1, gehalten an der Generalversammlung des S.A.C., den 26. September 1875.
Tit.! Sie haben schon aus den öffentlichen Blättern und soeben aus den feurigen klubistischen Eröffnungs-worten unseres verehrten Festpräsidenten das traurige Ereigniss in Erfahrung gebracht, welches Hrn. Stabshauptmann Lehmann auf immer verhindert, vor Ihnen von seinen geologischen Arbeiten, denen er in seiner Mussezeit oblag, Zeugniss abzulegen, wie es beabsichtigt war. Dies ist auch die nächste Veranlassung, welche mir die Ehre verschafft, an dieser Stelle in ganz kurzen Zügen, soweit es die drängende Zeit gestattet, einen geologischen Gegenstand zu erörtern. Die Geologie ist ja diejenige Wissenschaft, welche neben der Topographie am innigsten mit den Bestrebungen und Zielen des S.A.C. in Berührung steht.
Sehr gerne möchte ich in diesem Augenblicke einige Worte sprechen über jene imposante im Panorama von Thun sich so glanzvoll erhebende Gebirgsmasse der Blümlisalp, nach deren blendenden Firnflächen sich die junge hiesige Sektion wohl mit Stolz benennen durfte. Allein die von mir in dem wilden Hochalpengebiete zu beiden Seiten des obern Kienthals in diesem Jahre fortgeführten Untersuchungen konnten noch zu keinem befriedigenden Abschlüsse gebracht werden.
Gestatten Sie, Tit., mir darum, auf einige höchst interessante geologische Verhältnisse der Umgebung unseres Festortes und des Thunersees einzutreten. Ich beabsichtige eine kurze Vergleichung der beidseitigen Ufer anzustellen und daran anknüpfend einige Bemerkungen über die gerade in dieser Gegend so eminent wichtige Nagelfluhbildung zu machen.
I. '
Die recht mannigfaltige und verschiedenartige Gestaltung, der Terraincharakter, von Thun's Umgebung ist, abgesehen von den durch die rührige Thätigkeit des Menschen geschaffenen Veränderungen, hauptsächlich von geologischen Vorgängen und Verhältnissen abhängig.
Unser diesjähriger Festort liegt am gegenwärtigen Ausfluss der Aare aus dem Thunersee, am Rande einer ausgedehnten Alluvialebene, der Thunerallmend, dem wichtigsten militärischen Manövrirfeld in unserm Lande. Die Anschwemmungen derselben verdanken ihren Ursprung dem Geschiebsreichthum der Kander in der auf die Eiszeit folgenden Periode bis 1712, als der wilde Bergstrom durch den Hügel von Strättligen in den See geleitet wurde.Vorher floss sie bekanntlich unterhalb Thun, gerade gegenüber der Einmündung der geschiebsreichen Zulg in die Aare. Dieser nivellirenden und aufbauenden Thätigkeit der Kander, welche die Aare immer weiter an die östliche Thalwand hinüber drängte, sie staute und selbst ihren Ausfluss aus dem See aufwärts rückte, ging die lange andauernde und in ihren Wirkungen bedeutungsvolle Eiszeit voran.
Die hauptsächlichen Erscheinungen und Veränderungen dieser Periode lassen sich mit besonderer Berücksichtigung unserer Umgebung chronologisch in folgender Weise zusammen stellen.
Mit der eintretenden Erniederung der mittlern Jahrestemperatur füllten sich die verschiedenen Verzweigungen des Aarethals mit Eisströmen; aus Gadmen, von der Grim sei, aus dem Urbachthal und von Rosenlaui her drangen die Gletscher vor, überbrückten den Brienzersee und nahmen die Zuflüsse aus den Thälern der Lütschinen auf, um vereint nordwärts sich fortzuwälzen. Entsprechend einem ausgedehnten Sammel- oder Firngebiet hatten sich auch im Hintergrunde des Kanderthal s und seiner Seitenthäler, sowie im langgestreckten Simmenthal Gletscher gebildet, welche schliesslich in der Gegend von Wimmis zusammen fliessend, eine Strecke weit als Kandergletscher parallel mit dem vorgenannten Aargletscher sich bewegten. In dem schluchtartigen Thale zwischen diesen beiden Gletscherzungen wurde mauerartig verschwemmtes Moränenmaterial abgelagert und aufgehäuft. Schon hiedurch wäre bei eintretendem Abschmelzen des Eises dem Ausfluss des damaligen Kandergletschers, der Kander, ein hinreichender Damm gebildet worden, welcher sie verhindert hätte, in den Thunersee einzumünden, wie sie es früher schon, und zwar in der Gegend gerade des heutigen historischen Delta's gethan hatte. Die erwähnte Zwischenmoräne von mehr als 1 Stunde Länge liegt nämlich, wie in der heutigen Kanderschlucht leicht zu beobachten ist, auf schiefen nagelfluh- und sandsteinartigen Kiesbänken, welche sich seewärts neigen und einem ältesten ( prseglacialen ) Kanderdelta angehören.
Aber immer strenger wurde das Klima, immer höher schwollen die Eismassen an, bis sie zuletzt ihre eigenen beim Vorrücken durch abfliessendes Schmelzwasser gebildeten Ablagerungen überdeckten und immer weiter nordwärts flössen, um in der Gegend von Bern bis Burgdorf den noch viel mächtigeren Rhonegletscher zu flankiren. Dem entsprechend wurden auch alpine Gesteinsblöcke, Fündlinge und Gletscherschutt bis in bedeutende Höhen gehoben. Es kommen solche noch über Beatenberg bei 1600™, auf der Falkenfluh ( 1109 m ), vor. Bekanntlich entstand sogar vom Aargletscher ein östlicher Abfluss über die Einsattelung des Brünig, auf dessen Höhe prächtige Schliffe sich gebildet; Schutt ( aus dem Gadmenthal ) und grosse Blöcke wurden auf diesem Umwege bis über Kerns hinaus an den Eingang ins Melchthal befördert.
Das später eintretende Abschmelzen, der sogenannte K ü c k z u g dieser alpinen Gletscher, geschah in häufigen Pausen, mit vielen Kuhestationen. Eine Unmasse von Schutt wurde fortwährend aus höhern Gegenden noch nachgeschoben und ausgestossen. Ein labyrinthisches Gewirre von Hügeln, Buckeln und wellenförmigen Erhebungen mit zwischenliegenden Seen und Tümpeln, die sich später in Sümpfe und Torfmoore umwandelten, entstand an den schrumpfenden Gletscherrändern. Die Höhe des Belp b e r g s, sowie diejenige von Thierachern und Amsoldingen gegen Blumenstein stellt eine der ausgesprochensten Moränenlandschaften der Schweiz dar.
Südlich von Thun trennten sich die beiden zungenförmigen Enden des Aar- und des Kandergletschers, ähnlich wie diess während der Periode des Vorrückens der Fall gewesen. Die bezüglichen Seitenmoränen häuften sich zu einer kolossalen Mittelmoräne auf, deren stellenweise 35 m mächtiger Schutt die obere Partie jenes auffallenden Hügelzuges bildet, welcher das alte Kanderbett, das Thälchen des heutigen Glütschbachs, vom Becken des Thunersees scheidet. Mehrere linke Seitenmoränen des Aargletschers lehnen sich zudem dieser Mittelmoräne an.
Diese Schuttwälle sind es, welche vereinigt mit der früher erwähnten Zwischenmoräne, die Kander nach dem Abschmelzen des. Eises hinderten, in den Thunersee, zu fliessen, wie vor der Eiszeit, sondern dieselbe zur Einmündung in die Aare unterhalb Thun zwangen.
Die Umgebung von Thun ist eine klassische Gegend für die erratischen und quartären Bildungen, denen ja der S.A.C. überhaupt seit längerer Zeit seine besondere Aufmerksamkeit an den meisten Orten angedeihen lässt. Und wenn Sie morgen auf unserer Fahrt nach Beatenberg das ausgedehnte, 200 Jucharten über den Seespiegel hervorragende, seit 1712 geschaffene. Delta der Kander betrachten, so mögen Sie sich erinnern, dass schon in einer viel frühern Zeit, als jener lange merkwürdige Hügelzug, welcher von Allmendingen bis über Strättligen hinaus vor die Zwieselberge und die Stockhornkette sich hinlegt, noch nicht gebildet war, in der Gegend der heutigen Kandermündung eine ähnliche Einflussstelle existirte. Wir können demnach drei verschiedene Delta der Kander auseinanderhalten, nämlich ein prseglaciales, ein p ost glaciale s ( Thunerallmend ) und das ganz moderne. An keinem andern alpinen Flusse ist bisher ein ähnlicher Nachweis gelungen, wesshalb ich Sie gerne daran erinnerte. Begnügen wir uns mit diesen wenigen Andeutungen über die jüngsten geologischen oder quartären Bildungen der nähern Umgebung von Thun. Nicht nur für die Hydrographie und das interessantere Detail der Bodengestaltung haben dieselben eine eminente Bedeutung, sondern wie überall auch für die Kultur und Fruchtbarkeit des Bodens; an die spezielle Wichtigkeit als militärisches Manövrir- und Uebungsgebiet brauche ich Sie kaum zu erinnern.
IL Das übrige Relief war schon während der Eiszeit dasselbe wie- heut zu Tage. Ebenso trotzig kehrte schon damals das kühne Stockhorn seine senkrechte Nordwand dem übergletscherten Tieflande zu und wie heute stürzte die gewaltige Pyramide des Niesen gegen das Kanderthal ab. Die allgemeine Configuration des Bodens war schon vor der Eiszeit vorhanden.
Wie verschieden verhalten sich nun aber schon or 0g r a p h i seh die beiden Seiten des untern Thunersee's!
Ueher niedrige wellige Höhenzüge gelangen wir erst nach l'/î Stunden an den Nordfuss der Stockhornkette ins Thal von Stocken, zwischen Heutigen und Blumenstein. Wenige Stellen, Lücken im wahrsten und vollsten Sinne des Wortes, ausgenommen, ist der Aufstieg an dieselbe überall sehr steil. Sie bildet bekanntlich keinen einfachen Zug, sondern setzt sich aus mehreren hinter einander liegenden Ketten zusammen, welche theilweise durch tiefe Längenthäler ( Lindenthal, Bachalp, Wahlalp ) getrennt oder durch Kalkstöcke und Gräte angedeutet sind, die mit gleichem Streichen sich folgen ( Langeneckgrat; Stockenfluh, Moosfluh, Hohmad; Bärentrittfluh, Sol- und Stockhorn; Latterbach-, Walpers-berg-, Moos-, Stocken- und Loherenfluh ). In den senkrecht abfallenden Kalkköpfen der Moosfluh, Simmen-und Wimmisfluh endigt die Kette brüsk gegen das Thal des Thunersees. Wie zwei Sphinxe bewachen die Simmen- und Wimmisfluh den engpassartigen Eingang in 's Simmenthal, welches bis gegen Boltigen hinauf ein wahres Längenthal ist.
Südlich erhebt sich zwischen dem Simmenthal und Frutigen die breite Niesenkette, noch augenfälliger gegen Osten abgestutzt.
Nördlich von der Stockhornkette folgen die sanften gerundeten weichen Formen des Gurnigel mit tief eingeschnittenen runsenartigen Betten von gefährlichen Wildbächen und weiter nordwärts zu beiden Seiten des Gürbethals von Blumenstein an die niedrigen meist mit erratischem Schutte verkleideten ganz unbedeutenden Höhen von Burgistein, Thierachern und Seftigen, welch'letztere sich im Belpberg wieder etwas mehr inselartig erheben.
Ganz andere Verhältnisse finden wir auf der rechten Thalseite. Steil und terassenförmig erheben sich da die südwärts fallenden Nagelfluhlager über Thun empor bis zur Höhe der Blume.Vom hochgelegenen Plateau von Sigriswyl können wir den Sigriswilgrat erklimmen, um z.B. am Schafloch vorbei über Steilwände ins Justithal und irgend eine Lücke benützend durch eine entsprechende Wand auf die sanft abgedachten Abhänge von Beatenberg zu gelangen. Von Westen her gesehen, erinnert das Justithal jeden Laien an irgend ein Aufrissthal im topographischen Jura und selbst ohne Berücksichtigung des Gesteinscharakters wird man bald gewahr, dass von einer viel mehr als theoretischen Fortsetzung der Stockhorn- und Niesenkette auf dem rechten oder nördlichen Seeufer keine Bede ist. Leichthin überzeugt man sich im Gegentheil, dass die Kalkkette des Morgen- und Abendbergs, die sich weit südlich vom Niesen dann im Dreispitz fortsetzt, den Felsen des Beatenberg, Nieder- und Gemmenalphorn u. s. f. entspricht. Schon in der Geologie der westlichen Schweizeralpen ( 1835 ) hat der Schöpfer der Alpengeologie, Herr Prof. B. Studer, die Ketten der beiden Seiten des Justithals zu der Gebirgsmasse des Wildhorns gerechnet und wohl getrennt von denjenigen des Niesen und Stockhorns.
Ich kann meine zunächst bloss orographischen Bemerkungen nicht schliessen, ohne noch besonders darauf hinzuweisen, dass in der Kette des Stockhorns die vieltausendjährige Unbill der Verwitterung sich unendlich entschiedener ausspricht, als auf der rechten Seite des Thunersees irgendwo, wohlverstanden mit Berücksichtigung aller Verhältnisse. Die Jedermann, welcher zum ersten Mal von Norden her die Stockhornkette betrachtet, auffallenden einzelnen Stöcke oder Hörner sind ja nichts anderes, als Ueberreste von langgezogenen Kalkgräten, welche einstmals eine Verbindung der heutigen Ueberbleibsel oder Ruinen vermittelten. Bei der geringen Erhebung — allerdings unter Anderm auch Folge der grossartigen Degradation — müssen wir uns auch wundern über die gar beträchtlichen Vertikaldifferenzen auf ganz geringe Horizontaldistanzen. Es gibt kaum ein anderes verhältnissmässig so abruptes und coupirtes Kalkgebirge. Alles scheint darauf hinzudeuten, dass die Stockhornkette, wenn auch nicht in ihrer heutigen Form, ein recht altes Gebirge oder Festlandsgebiet sei.
III.
Die geologischen Unterschiede zwischen beiden Ufern des Thunersees sind weit bedeutender, als sich selbst aus dem Anblicke einer geologischen Karte zu ergeben scheint. Es werden auf denselben in der Kegel die versteinerungsführenden Schichten nach ihrer Bildungszeit oder nach dem geologischen Alter colorirt. Wenigstens in dem kleinen Maasstabe der gebräuchlichen Uebersichtskarte von Studer und Escher von der Linth lassen sich Unterschiede nicht andeuten, welche durch Verschiedenartigkeit der Bildungsräume bedingt sind, nach Tiefenverhältnissen, Beschaffenheit des Grundes, Natur des abgesetzten Materials und dadurch veranlasste Eigenthümlichkeiten der thierischen und pflanzlichen Bevölkerung einzelner Meeresgebiete. Darum kann es wohl gestattet sein, auf die einzelnen Hauptabtheilungen der geologischen Bildungen mit besonderer Berücksichtigung der angedeuteten Verhältnisse, welche in der Geologie als Facies bezeichnet werden, kurz einzutreten.
Schicken wir auch hier die Stock hornkette voraus.
Es lassen sich an dieser Gebirgsmasse, welche mit ähnlichen Eigenthümlichkeiten in die Freiburger- und Waadtländer-Alpen, und über den Genfersee nach Savoyen fortsetzt, folgende wichtigere Formationen erkennen:
A. Quartärbildungen.
B. Tertiärbildungen.
a. Gemeine, mergelige und plattige Molasse. Diese tritt nur an den Nordrand der Kette, zu welcher wir hier auch die Erhebungen des Gurnigels rechnen, heran, allerdings mit südfallender, unter die altern Schichten des Gurnigels einschiessender Lagerung. Man schliesst bekanntlich daraus, dass die letzte Hebung der Alpen jünger sei, als die Ablagerung der Molasse. Unterhalb vom Gurnigelbad, welches noch auf Molasse ruht, lieferten diese Schichten beim Laas vereinzelte Pflanzenreste, welche anderwärts für die untere Süsswassermolasse charakteristisch sind.
b. F lys h. Jüngere eocäne Schiefer, Sandsteine und Mergel mit Fucoiden, Chondriten, Helminthoiden und kleinen Nummuliten am obern Gurnigel. Diese in kollektivem Sinne des Wortes als Flysch bezeichneten sehr verschiedenartigen Gesteine bilden den ganzen Zug des Gurnigels und Seelibühls und treten am Südfuss der Stockhornkette wiederum im Simmenthal auf.
C. Kreidebildungen.
a. Obere Kreide ( Seewerschiefer ). Rothe mergelige Kalkschiefer mit Inoceramen, seltenen Seeigeln und zahlreichen mikroskopischen Foraminiferen; es sind dies die sogenannten rothen Platten am Eingang in 's Simmenthal, am Westende der Burgfluh, ob Latterbach u. s. f., immerhin nur auf der Südseite der Kette.
Die mittlere Kreide fehlt vollständig.
b. Untere Kreide ( Neocomien ); graue, plattige, durch Feuersteinknauer wulstige Kalksteine mit muscheligem Bruche und zahlreichen eigenthümlichen Versteinerungen ( Ammonites Kouyanus, grosse Crioceras-Arten, Belemnites bipartitus u. s. f. ) besonders am Ganterisch. Diese Schichten sind muldenförmig zwischen die obern Jurabildungen eingelagert und ziehen an den beiden Stockenseen vorbei gegen das Gantrisch-Chumli.
D. Jurabildungen.
Die genaue Feststellung der Grenze zwischen Kreide-und Jurabildungen ist sehr schwierig, da besonders auf der südlichen Abdachung der Kette ( ob Weissen-burgbad, an der Moos- oder Miesch- und Walpersbergfluh ) intermediäre Schichten auftreten, welche durch fast vollständigen Mangel an Versteinerungen uns Verlegenheiten bereiten. Die angedeutete Schwierigkeit wird noch durch den Umstand erhöht, dass die Ausbildung der entschiedenen obern Juraschichteu differirt,, je nachdem sie ungefähr durch die Mitte der ganzen Kette oder in ihren südlichem Partien entstanden.
I. Oberer Jura ( Malm ). Siidflanlte der Stockhornkette.
a. Diceratien ( Corallien, Kimmeridgien ). Auf der Seite des Simmenthals bestehen die jüngsten Juragesteine aus grauen massiven Kalksteinen, welche die Hauptmasse der Simmen- und Burgfluh darstellen und sich klippenförmig bei Latterbach ( Hahnentschinggen ) und ob Erlenbach vorbei ziehen. Sie sind hier überall von den sogenannten Seewerschiefern der obern Kreide direkt und konkordant überlagert. Die untern Kreidebildungen fehlten demnach hier von Anfang an oder wurden später zerstört oder überschoben und so verdeckt, was übrigens nicht wahrscheinlich vorkömmt.
Nach zahlreichen in den letzten Jahren gewonnenen Petrefakten gehören diese Kalke dem sogenannten D ic er a t i e n, einer oberjurassischen Korallenkalkbildung an. Eine Menge von abgeriebenen Nerineen und andere Schnecken, Muscheln und Brachiopoden neben Korallen- Geologisches über die Umgebung von Thun. 38$ und Steinschwämmen werden im Berner Museum aufbewahrt und sind von Hrn. Ooster eigens beschrieben und abgebildet worden ( Nerinea Voltzi, Purpuroidea Tschani, Diceras arietina, Münsteri, Escheri, Cardium corallinum, Pachyrisma Beaumonti u. s. f. ).
Es ist dies eine für die Alpen sehr wichtig gewordene Facies der obern Jurabildungen, welche auch am Salève vertreten ist und mit ähnlichen organischen Merkmalen auf der Trosalp am Mürtschenstock, in den Ostalpen, in Mähren, Polen u. s. w. vorkömmt, während man im topographischen Jura keine bestimmt damit parallelisirbaren Schichten kennt. Von den in unserm Gebiete gefundenen Petrefakten treffen wir allerdings manche Arten auch im Jura, aber muthmasslich in altern Abtheilungen.
b. Kimmeridgien.
Bei der W i m m i s b r ü e k e, in den Kellern des Schlosses von Wimmis und an andern Stellen werden die vorgenannten Korallenkalke von schwarzen deutlich geschichteten Kalksteinen unterteuft. Dieser Zone gehört das interessante, aber leider zu einer rentabeln Ausbeutung zu wenig mächtige Lager von Steinkohlen in der Klus ob Boltigen an, welche auch noch viel weiter südwestlich, z.B. bei Darbon, Val d' Abondance, wieder auftauchen. Rhynchonella trilobata, Austern, Mytilus suprajurensis, Modiola scalprum, Pholadomyen, Cero-myen u. s. f., liessen diese Schichten schon frühe als Repräsentanten des Pterocerien der Kimmeridgebildungen, z.B. von Le Banne bei Pruntrut erkennen.
Pflichtet man dieser Auffassung bei, so ist es überraschend, zugleich bewusst zu werden, dass Geschöpfe,.
welche im topographischen Jura vor denjenigen des Kimmeridgien gelebt haben, nämlich ein Theil der Fauna des üiceratien, hier an der Kette des Stockhorn später auftreten oder dass umgekehrt ein Theil der Fauna unseres Kimmeridgien der Wimmisbrücke in unsern Gegenden früher existirte, als in den damaligen Meeresgebieten des heutigen topographischen westschweizerischen Jura. Es müssen nothwendig entweder nach der einen oder der andern Richtung Wanderungen stattgefunden haben.
Müttelzoxie der Stooklioriiliet-t©.
Es ist ungeheuer frappirend, dass man in der Mittelzone der Stockhornhette ( Wahlalpgrat, Hohmad, Mentschelenspitz ), keine Spur der eben beschriebenen obern Jurabildungen findet. Weiter westwärts allerdings gegen die Saane, am Moléson z.B., treten vergleichbare Formationen in der sogenannten titlionischen Stufe auf, welche aber wieder eine andere Facies, namentlich einen bedeutenden Reichthum an Ammoniten zeigt.
Hier, in unserm Gebiete dagegen, erscheint der obere Jura oder Malm durch knollige, mergelige, rothe und graue Kalksteine repräsentirt, deren Versteinerungen aber auf die mittlern und untern Stufen des Oberjura hinweisen. Es werden dieselben in der neuem Stratigraphie als Zone des Ammonites bimammatus und A. transversarius unterschieden. Früher Messen die hieher gehörigen Lager Châtelkalk, Studer. Von diesen Bildungen ist hinwiederum an der Südflanke der Stockhornkette keine Andeutung vorhanden.
Wir sehen mit Vergnügen einer detaillirteren Schilderung dieser ausserordentlich interessanten und wichtigen Verhältnisse durch Herrn Gilliéron in Basel entgegen.
IL Mittlerer Jura ( Dogger ).
Der mittlere Jura ist besonders auf der Nordabdachung der Kette mächtig, wenn auch petrographisch in ermüdender Einförmigkeit entwickelt. Die Gesteine sind graue Mergelkalke und Schiefer. Zahlreiche Petrefakten, besonders Ammoniten, gehören verschiedenen anderwärts getrennten Unterabtheilungen an, und finden sich besonders auf Blattenheid, Lägerli, im Sulz- und Eüfigraben. Wichtiger sind Ammonites tripartitus, maorocephalus, Parkinsoni, Moorei, Mar-tinsi, Humphriesianus, Murchisonae u. A. Die beiden letztgenannten Arten nehmen allerdings auch wie anderwärts ein tieferes Lager ein und entsprechen dem Ba-jocien anderer Gegenden, während der obern Abtheilung eine längst bemerkte Vermengung von Arten angehört, welche in manchen andern Gegenden auf verschiedene Schichten vertheilt sind.
III. Unterer Jura ( Lias ).
Die obere Abtheilung dieser sonst sehr wohl entwickelten und petrefaktenreichen Formation gestattet keine scharfe Begrenzung gegen den untersten Dogger.
Besonders über dem Fallbach bei Blumenstein, an der Südabdachung des Langeneckgrates erscheint zunächst der obere Lias prächtig entwickelt und zwar auffallend übereinstimmend sowohl nach 25 Gestein als organischen Einschlüssen mit demjenigen des topographischen Jura und Schwabens. Ammonites serpentinus, bifrons, Belemnites acuariüs, Estheria Bronni u. v. a. Arten liegen in bituminösem Mergelschiefer wohl erhalten.
Der mittlere und untere Lias haben ebenfalls viele Versteinerungen geliefert; aus letzterm rühren namentlich eine Menge von arieten Ammoniten her, die in Blöcken zerrütteter Schichten auf der Blume n-stein-Allmend gewonnen wurden.
E. Triasbildungen.
Die ältesten an der Stockhornkette auftretenden Schichten gehören der obern oder Jüngern Trias an. Schwarze dichte petrefaktenreiche Kalksteine, körnige und dolomitische Kalke, Rauhwacke ( corgneule ) und schliesslich Gyps sind die wichtigsten Gesteine. Nach den vorkommenden Organismen gehören sie den sogenannten rhätischen Schichten ( Rhätien, Ober-keuper, Kössener-Schichten, Zone der Avicula contorta ) an. Avicula contorta, Pecten valoniensis, Plicatula intustriata, Terebratula gregaria und Spiriferina uncinata sind besonders bezeichnend.
Diese Triasschichten treten hauptsächlich in drei Zonen oder Zügen auf, welche selbstverständlich den tiefsten Aufbruchslinien der ganzen Kette folgen. Am deutlichsten ist die mittlere von Ba c h alp, über obere und untere Wahlalp, gegen Züge gg u. s. f. Die nördliche zieht sich vom Neunenenfall über Wirt-ne r n gegen Blumenstein und von da sehr stark verbreitet über Z w i e se l b e r g, über die Kander bis an den Thunersee südlich von Einigen; auch der Rust wald und der Spi ez berg gehören hieher. Die Gegenwart des Gypses in verdeckter Tiefe gibt sich besonders zu beiden Seiten der Kander ( Reutiger-allmend und Gesigen ) bis gegen den Thunersee durch zahlreiche Erdtrichter und Einstürze zu erkennen: sehr bezeichnend heisst eine hieher gehörige Stelle am Thunersee « im Ghei ». Die dritte oder südliche Triaszone erstreckt sich von der Schopfallmend oberhalb Erlenbach über die Hausallmend und die Klusiallmend bis in die Gegend von Günzenen oberhalb Reutigen, von wo dieselbe sich in der Tiefe mit den vorgenannten gegen die Kander zu vereinigen muss.
Alle vorher erwähnten ( Jüngern ) Ablagerungen müssen demnach im Grossen und Ganzen muldenförmig in die Triasbildungen eingelagert sein.
Welche Formationen begegnen uns nun auf der rechten Thalseite oder an dem nördlichen Ufer des See's? Dieselben werden uns weniger nach den geologischen, den Synchronismus oder die Gleichzeitigkeit der Bildung andeutenden Bezeichnungen, als nach Ausbildung und Bedeutung von den erwähnten der Stockhornkette verschieden erscheinen. Es sind folgende:
A. Quartärbildungen.
B. Tertiärbildungen.
a. Nagelfluh, mit Sandsteinen und Mergeln ( Molasse ). Schon der Anblick der nächsten Umgebung Thuns auf der zu besprechenden Thalseite, ein Gang in die Kohleren oder dem See entlang bis gegen Ralligen oder die Ersteigung der Blume lassen die grosse Mächtigkeit und Bedeutung der angeführten Gesteine erkennen, welche in südfallenden Bänken und Lagern entgegentreten. Nach den Lagerungsverhältnissen zu der nördlicher auftretenden Meeresmolasse ( Austernlager von Häutungen, östlich ob Münsingen ), sowie nach mehrfach ( Kohleren, Eritz ) aufgefundenen Pflanzenresten gehören diese kolossal anschwellenden Nagelfluh- und Molassegebilde der untern Süsswassermolasse an.
b.Molasse von Halligen. Nach Heer's Untersuchung der in dieser an die nördlich vorliegende Nagelfluh anstossenden Molasse vorkommenden Pflanzen ist dieselbe der altern Abtheilung der untern Süsswassermolasse beizurechnen.
c. Fly s eh. Diese auch hier sehr wichtige eocäne Bildung ist besonders auf der Südabdachung der Kette des Nieder- und Gemmenalphorns, an der B r ä n d l i se gg und im Habke.renthal entwickelt. Auf höchst interessante an diesen Flysch geknüpfte Vorkommnisse von fremdartigen Granitblöcken und neueste Entdeckungen von Kaufmann kann hier nicht eingegangen werden.
d. Nummulitenkalk und Quarzsandstein, am Niederhorn und ob Merligen mit schwachen Stein-kohlenlagern. Der Quarzsandstein bildet zu beiden Seiten des Justithals die obern, thurm- und erkerartig verwitterten Ränder der steilen felsigen Thalwände.
Als eine untergeordnete Einlagerung wahrscheinlich in den Flysch betrachtet man gewöhnlich den Ta- veyanazsandstein, welcher die Dallenfluh am Wege von Sigriswil ins Justithal bildet und von da bis Merligen an den See hinunter zieht. Auch weiter östlich ist dieselbe, auf der andern Thalseite gar nicht angedeutete, immer noch räthselhafte Bildung von Rütimeyer auf der Zettenalp nachgewiesen worden. Der nach der Alp Taveyanaz am Südwestabhang der Diablerets so geheissene Sandstein ist sehr feuerfest und wird unter dem Namen G ü lt st ein verwendet, ist aber nicht zu verwechseln mit dem ächten Gült, oder Lavezstein der innern krystallinischen Alpen, welcher wesentlich ein Talkschiefer ist.
Weder dieser Taveyanazsandstein, noch die eocänen Quarzsandsteine und Nummulitenkalke sind in der Stockhornkette nachweislich.
C. Kreidebildungen.
a. Obere Kreide ( Seewer Kalk und Schiefer ). In der Mulde von Kreidegesteinen der Sigriswyl- gräte treten namentlich gegen Merligen hinunter, im Op e t e n g r ab en, schiefrige, graue Kalkmergel auf, welche die « rothen Platten » der Gegend von Wimmis und Latterbach repräsentiren.
b. Mittlere Kreide ( Gault, Albien ) ist meines Wissens in unserm Gebiete noch nicht sicher nachgewiesen, wohl dagegen in der geologischen Fortsetzung desselben gegen Südwesten, nämlich in der Kette des Morgenberghorns und Dreispitz.
c. Untere Kreide. Diese Abtheilung erscheint viel vollständiger und mit ganz anderer Facies ausgebildet, als auf der linken Seeseite.
Der obern Region der untern Kreideformation entspricht das Urgonien ( Schratten- oder Rudistenkalk ), welches an der Stockhornkette durch vollständige Abwesenheit glänzt. Es bildet mächtige, senkrecht abstürzende, auf der Nordseite der Kette gegen Bern im Sommer durch Kahlheit, im Winter durch Schneemangel zwischen den durch weichere ältere und jüngere Gesteine bedingten Terrassen ausgezeichnete Flühe aus einem grauen splittrigen Kalkstein. Dieselben Lager treten zu beiden Seiten des Justithals und seewärts unter Beatenberg auf. Namentlich in heruntergestürzten Blöcken bei der Leerau wurden als charakteristische Petrefakten Janira quinque- costata, Radiolites Blumen-bachi, Caprotina ammonea, Nerineen und Korallen erbeutet.
Bios der Felsart nach sind allerdings die Gesteine der Simmen- und Burgfluh sehr ähnlich und konnten diese zudem um so leichter zu falschen Deutungen Veranlassung geben, als in den Latterbachflühen wie an andern Stellen eine direkte Ueberlagerung durch obere Kreide vorhanden ist. Den entscheidenden Ausschlag geben aber immer bestimmte Petrefakten.
Als Neocomien und Valengien können wir hier füglich sehr mächtige von Merligen an durch das ganze Justithal bis gegen die Sichel aufgeschlossene mergelige und kalkige Ablagerungen zusammen fassen. Sowohl in petrographischer wie auch in palseonto-logischer Beziehung ist die Facies dieser Ablagerungen eine von derjenigen der Stockhornkette im Ganzen recht verschiedene.Von oben nach unten finden wir zähe, Schwefelkies und Glaukonit haltige Kalksteine, knollige in gleichbankiger Folge abgelagerte, mauerartig verwitternde Kalke und schliesslich dünnschiefrige Mergel mit häufigen zum Theil verkiesten Petrefakten. Wir erwähnen Terebratulina biauriculata, Terebratula hippopus, Pecten Dumasi, Ammonites Thurmanni, sub-fimbriatus, Ancyloceras Studeri, Nautilus Eequienianus, Belemnites latus, pistilliformis, welche allerdings nicht alle das gleiche Lager haben.
In den schwarzen, an der Fisch balm bei Merligen zu Bruchsteinen exploitirten kieseligen Kalksteinen kommen bisweilen kleine Höhlungen vor, welche mit Steinöl gefüllt sind.
Die erwähnten Schiefer bilden den Kern des antiklinalen aufgerissenen Schichtengewölbes, durch welches das Justithal bedingt ist; an der Sichel im Hintergrunde des Thales sind sie vielfach geknickt und gebogen, während die massiven Kalkbänke der obern Abtheilung und des Urgonien sich in ungestörtem Zusammenhange ihnen auflagern.] D. Jurabildungen.
Ganz im Gegensatz zu der Mächtigkeit und Mannigfaltigkeit der jurassischen Gesteine an der Stockhornkette und selbst zu der wiederum eigenthümlichen Ausbildung dieser Formation in der Kette des Dreispitz ( Wetterlatte, Engel ), konnten bis jetzt am rechten Ufer des Thunersees nur die untersten Schichten des Lias und unbedeutende Fortsetzungen des obern Jura in der Seite der Ralligstöcke und des Niederhorns erkannt werden. Das Vorhandensein unterer Liasschichten am Seeufer bei Sundlauenen wurde von Rüti- meyer seiner Zeit durch Auffindung von Ammonites hisulcatus nachgewiesen. Ganz nahe der untersten Süsswassermolasse bei Ralligen tritt weiter ein kleines schon 1825 von Prof. Studer signalisirtes Riff von Châtelkalk ( nach der Gesteinsart, da seither darin entdeckte Belemniten keine sichere Bestimmung gestatten ) auf, welches als der letzte Ausläufer der breiten Stockhornkette, zunächst der mittlern Zone derselben, betrachtet werden darf.
E. Triasbildungen.
Vergleichbar und zum Theil identisch mit den obern Triasbildungen der Stockhornkette und ihrer östlichen Vorhügel bis an den Thunersee sind auf der Nordseite der Ralligstöcke besonders durch die Nachforschungen des Petrefaktensammlers G. Tschan in Merligen Schichten bekannt geworden, welche als tieferes Glied der noch in einzelnen Andeutungen vorhandenen Stockhornkette aufgefasst werden müssen. Auf Bodmialp nämlich kommen späthige und aderige Kalksteine vor, welche neben charakteristischen Versteinerungen unserer einheimischen rhätischen Stufe noch Formen geliefert haben, welche bis jetzt erst aus den östlichen Alpen beschrieben waren, aber auch dort der Grenze zwischen Lias und Trias angehören.
Die Parallele mit den westlicher vorhandenen obern Triasschichten wird noch ermuthigender durch den auf der Nordseite des Thunersees auftretenden Gyps in naher, aber nicht vollkommen feststellbarer Nachbarschaft mit dem oben erwähnten Châtelkalk, da Bergschutt und Vegetation die Stratifikation verdecken.
IV.
Zu vollständiger Aufklärung über die eben versuchte Vergleichung der beidseitig an den Thunersee stossenden Formationen ist es aber auch nothwendig, noch auf die Lagerungsverhältnisse kurz einzutreten. Auch hierin lässt sich bei beidseits vorhandenen grossen Unregelmässigkeiten, Störungen und ganz gewaltigen Dislocationen ein auffallender Unterschied wahrnehmen. ( Vergi, die Profile. ) Gehen wir zunächst von der zuerst durch Studer präcisirten und immer mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnenden Voraussetzung aus, dass das Alpengebirge bei seiner vortertiären Hebung ähnlich wie gegenwärtig ein grösserer Theil des Jura aus einem System von wellenförmig auf einander folgenden gewölbeartigen Schichtenfalten und dazwischen liegenden Mulden sich zusammensetzte. Es war dies das Alpenland der miocänen oder Molasseperiode. Nach Ablagerung der Nagelfluh und Molasse trat bekanntlich erst die schliessliche, die heutigen Lagerungs- und Niveauverhältnisse bewirkende Hebung des europäischen centralen Gebirgszuges ein. Die vorher einfach aufrechten Schichten,gewölbe wurden besonders auffallend dem äussern Rande des Alpengebirges entlang nordwärts übergekippt und sogar über einander geschoben. Diejenigen Gewölbe, welche keine seitliche Ueberstürzung oder Umbiegung erlitten, wurden wenigstens stärker gehoben und wohl auch tiefer hinein « aufgerissen », wenn auch die spätere Erosion viel zur Erweiterung beigetragen haben muss.
Das Justithal erscheint uns,.um die diesfälligen Angaben gerade auf der Nordseite des Thunersees zu beginnen, als ein typisches antiklinales Thal, wie im Gebiete der Molasse etwa das Entlebuch bei Marbach und Escholzmatt. Die Schichten des Südschenkels dieses Gewölbes fallen schwach gegen den Thunersee und das Habkerenthal zu; das letztere ist durch die viel weichem und leichter zerstörbaren Flyschgesteine bedingt, welche da in der Mulde gegen die südlichere Kette des Brienzergrates zusammen gepresst, steil aufgerichtet und verschiedentlich geknickt erscheinen.
Wie überall, dem ganzen Nordrande der Kalkalpen entlang, den kleinen Aubrig in Schwyz vielleicht allein ausgenommen, gestaltet sich aber der Nordschenkel dieses Gewölbes gegen das vorliegende Nagelfluh- und Molassegebiet sehr complicirt.
Zunächst folgt eine winkelig zusammengepresste Mulde ( Berglikehle, Revier zwischen Ralligstöcken und spitzer Fluh, Opetengraben gegen Merligen ), in welche der nächst liegende Nordschenkel des Justithalgewölbes geknickt ist. Statt dass wir weiter nördlich von dieser sehr stark überkippten Mulde ein zu erwartendes, wenn auch nordwärts gerichtetes, also liegendes und seine Concavität nach Süden, den Alpen zu wendendes Gewölbe finden, sind wir höchstens im Stande, einzelne Glieder des Südschenkels dieses Gewölbes zu erkennen. An Stelle dieser selbst theoretisch nur mit Mühe zu vervollständigenden Schichten stossen wir auf den Taveyanazsandstein und in der östlichen Fortsetzung auf Bodmi- und Zettenalp in unmittelbarer Nachbarschaft desselben auf untersten Lias und rhätische Schichten mit verhältnissmässig reicher Fauna und nach ihren Charakteren ganz mit den entsprechenden Bildungen der Stockhornkette und der Vorarlbergeralpen übereinstimmend.
Gyps, als Fortsetzung desjenigen der Nordflanke der Stockhornkette, sowie graue Kalksteine, welche mit den signalisirten sogenannten Châtelkalken der Stockhornkette übereinstimmen, und auch einige wenige bezügliche Petrefakten geliefert haben, treten zwischen Merligen und Kothenhühl auf und tauchen offenbar aus grösserer Tiefe empor, während der grösste Theil der sie früher begleitenden Schichten zurück geblieben und überschoben wurde oder wenigstens nicht entblösst erscheint. Mit Berücksichtigung mannigfaltiger anderer Verhältnisse dürfen wir nämlich wohl schliessen, dass in frühern Zeiten die Stockhornkette, wenigstens was ihren jurassischen und triasischen Theil betrifft, sich auch bis auf diese Seite des Thunersee's und noch viel weiter ostwärts gezogen habe.
Die Grenze zwischen Kalkgebilden älterer Perioden und der vorliegenden Nagelfluh ist meines Wissens nirgends mit grosser Klarheit entblösst und es blieben darum in allen bisherigen Versuchen der Darstellung der Stratifikation der Nordseite der Ralligstöcke un-ausgefüllte Lücken.
In der Basis des oben erwähnten Châtelkalkes findet man am Wege von Merligen nach Sigriswyl über dem Ralligschlosse südfallende Molassesandsteine, deren Pflanzen nach Heer und deren Conchylien nach Ch. Mayer der ältere aquitanischen Stufe ( untere Süsswassermolasse ) angehören. Statt dass sich irgendwo eine erwartete, sei es gewölbe-, sei es muldenförmige Umbiegung der Schichten beobachten liesse, erscheinen dieselben im Gegentheil nördlich gestutzt und stossen discordant mit .den vorliegenden zunächst horizontal liegenden Nagelfluhbänken zusammen. Von jeher ist dies als eines der räthselvollsten Lagerungsverhältnisse mit Recht bezeichnet worden. Die Beobachtung wird zudem auf der Nordseite der Ralligstöcke gegen die Sigriswylerallmend und namentlich gegen Ralligen und Merligen hinunter durch mächtige Schuttmassen erschwert; auf der Seite gegen den Thunersee haben wir das Material eines bedeutenden Bergsturzes vor uns, welcher ja auch, der Sage nach, die Stadt Roll am damaligen Wendelsee begraben haben soll.
Die Nagelfluhlager bleiben unter dem Plateau von Sigriswyl, wie besonders seit einigen Jahren an dem neuen Strassenanschnitt zwischen Gonten und Merligen zu beobachten ist, horizontal; erst weiter nordwärts beginnt die früher schon erwähnte grossartige Gewölbebildung dieser so mächtigen Ablagerung, indem wir bis unterhalb Thun südfallende und weiter nordfallendo Lagerung finden. Die breite westwärts abstürzende Falkenfluh erscheint als verflachter Kern dieses riesigen Gewölbes.
Noch viel beträchtlichere Unregelmässigkeiten und Ueberschiebungen zeigt uns die Stratifikation der Stockhornkette.
Gehen wir blos von der orographischen und geologischen Mulde des untern Simmenthals aus, so finden wir hier zunächst unter den senkrecht aufgerichteten, an den Berg sich anlehnenden Flyschschichten in normaler Aufeinanderfolge die obere Kreide, das eigenthümliche Corallien, die Kimmeridgebildung, die schiefrigen Gesteine des Dogger, nach einigen Andeutungen auch den Lias und schliesslich die obersten Triasgesteine, Rhätien und Rauhwacke. Wir haben es offenbar mit dem Südschenkel eines aufgerissenen Gewölbes mit so viel als senkrecht gestellten oder sogar nach Süden überkippten Schichten zu thun. Der zu erwartende Nordschenkel ist aber lange nicht mit derselben Vollständigkeit repräsentirt. Statt eine symmetrische Wiederholung der genannten Bildungen zu treffen, gelangen wir bald auf eigenthümliche, der Grenze zwischen Jura- und Kreideperiode angehörige Kalkmassen und dann auf die muldenförmig eingelagerten Gesteine der untern Kreide mit senkrechter Schichtenstellung. Der Umstand, dass in dieser letztgenannten Mulde die obere Kreide wenigstens auf eine weite Strecke gegen Westen fehlt, scheint darauf hinzudeuten, dass das betreffende Gebiet schon nach Ablagerung der untern Kreideschichten als Festland gehoben worden sei — wieder eine Thatsache, welche auf ein höheres Alter der Stockhornkette hinweist.
In der nördlichen Basis dieser Mulde sollten wir die Malmbildungen treffen. Statt dessen folgen nördlich der Streichungslinie der Stockhornkalke, im Sträussle, die Schichten des Mitteljura oder Dogger und mit Uebergehung abermals des Lias auch die obere Trias. Wir sind wieder im Kerne eines Gewölbes angelangt, welcher durch den früher angedeuteten Zug von Gyps, Rauhwacke und Rhätien von der Bachalp über Wahl- alp nach Zugegg und Morgeten streicht. Der Nordschenkel dieses Gewölbes ist wohl entwickelt, was das Auftreten der mittlern Juragesteine, den Dogger betrifft; auch der oberjurassische Châtelkalk gehört dazu. Es können aber diese selbst als muldenförmig eingebettet betrachtet werden; denn nördlich davon erscheint das dritte geologische Kettensystem durch den Lias des Langeneckgrates und namentlich die triasischen Bildungen von Blumenstein bis an den Thunersee angedeutet.
Als Nordschenkel dieses bis auf den Triasgyps aufgerissenen Gewölbes sollte zunächst wenigstens eine symmetrische Wiederholung der Juraschichten und theoretisch das ganze Massiv der Stockhornkette nochmals folgen. Alle diese mächtigen Schichtencomplexe sind aber in der Tiefe zurückgeblieben, überschoben oder zerstört worden Nördlich von dieser für die Gebirgsbildung so bedeutungsvollen Spalte erscheinen die südwärts unter die Kette einschiessenden eocänen Gesteine des Gurnigels, welche als den Flyschschichten des Simmenthals entsprechend bezeichnet werden dürfen. Die ganze Stockhornkette könnte demnach auch als ein einziges grossartiges Gewölbe aufgefasst werden, welches den eocänen Flyschmantel gesprengt und sich zugleich noch dreifach gefaltet hätte. Diese Annahme kann aber nicht in so einfacher Weise gemacht werden, weil wenigstens im ganzen östlichen Theile der Kette schon die obere Kreide und der Flysch im Innern oder auf der Höhe derselben fehlen, so dass äusserst wahrscheinlich schon nach Ablagerung der untern Kreide eine erste mit Faltenbildung verbundene Hebung ein- getreten sein muss; eine zweite Hebung folgte dann der eocänen Zeit und die dritte und letzte fällt in die Zeit nach Ablagerung der Molasse. Immerhin liefert uns die Stockhornkette eines der interessantesten und complicirtesten Beispiele von Faltengebirgen. Eindring-licher kann kaum ein anderer Gebirgszug auch den Satz beweisen, dass seine jetzt geknickten und über einander hinweg geschobenen Schichten früher bei noch ungestörter Lagerung über einen viel bedeutenderen horizontalen Raum sich ausgebreitet haben müssen, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Unter die eocänen Schichten des Gurnigels schieben sich, wie schon früher angegeben wurde, die Sandsteine und Mergel der untern Süsswassermolasse concordant ein und bilden die nördlich vorliegenden, niedrigen, weichen, bewaldeten Hügelzüge zwischen den Flussthälern, schon hiedurch auf eine ganz andere Zusammensetzung des Felsgrundes und seiner Lagerungsverhältnisse hinweisend. Von den auf der andern Seite des Aarethals so wichtigen Nagelfluhmassen treten hier kaum Andeutungen auf; erst südlich von Schwarzenburg erscheinen gegen Guggisberg unbedeutende Lager.
V.
Nach dieser parallelisirenden Vergleichung der auf beiden Seiten des Thunersees in unserer nähern Umgebung auftretenden geologischen Bildungen und deren Lagerungsverhältnisse, erlaube ich mir noch kurz etwas näher auf die merkwürdige Nagelfluh einzutreten.
Die Nagelfluh ist ein wesentliches und wichtiges Glied der Molassebildung, welche zunächst das grosse Thal zwischen Alpen und Jura ausfüllt. Die jetzt allgemein in der Wissenschaft gebräuchliche Bezeichnung scheint ihren Ursprung einer sehr trivialen Vergleichung und Naturauffassung zu verdanken. Man hat darunter die verschiedenen Conglomerate der Molasseperiode zu verstehen, welche aus mannigfaltigen, ihrer Herkunft nach fremdartigen, kalkigen, sandsteinartigen und krystallinischen, besonders quarzitischen, granitischen und porphyrischen Rollsteinen bestehen, welche durch Molasse-Sandsteine und Mergel verkittet sind. Unsere Nagelfluh ist demnach in der Regel leicht zu unterscheiden von Jüngern, der Quartärperiode angehörigen, landläufig auch Nagelfluh geheissenen festen Conglomeraten, deren Gerolle aber entschieden alpinen Ursprungs sind oder selbst wieder aus lichter Nagelfluh stammen und weitaus am häufigsten durch Kalksinter mit einander verkittet erscheinen. Ebenso auffallend wie dieser Unterschied in der Zusammensetzung ist die Verschiedenheit des orographischen Charakters und der Beschaffenheit, des Aussehens der Felswände, je nachdem sie aus lichter Nagelfluh oder aus quartären Conglomeraten bestehen.
Ohne einlässlichere Bekanntschaft schon mit der geologischen Zusammensetzung des schweizerischen Mittellandes lehrt uns ein Blick auf eine geologische Karte unseres Landes, dass die Nagelfluh ihre hauptsächliche Verbreitung am Nordrande der Kalkalpen findet. Die Emmenthalerberge bis zum Thunersee und Napf, Rigi und Rossberg mit ihren nördlichen Ausläufern, Speer, Gäbris, Schnebelhorn und Hörnli sind von den wichtigsten Punkten. Schon dieses Auftreten der grössten Nagelfluhmassen, in deren Gebiet die berühmtesten Aussichtspunkte gehören, lässt es gewiss auffallend erscheinen, dass trotz der unmittelbaren Nähe der Kalkalpen und der krystallinischen Alpen, welche doch zur Molasseperiode bereits trockenes Festland bildeten, das Material der Nagelfluhgerölle nicht aus Gesteinen dieser Gebiete stammen soll. In der That liessen sich bis zur Stunde nur wenige Gesteinsarten mit solchen aus den innern Kalkalpen, von denen die Stockhornkette durch die mächtige Niesenkette getrennt ist, oder aus dem krystallinischen Gebiete auffinden. Bei den fortgeschrittenen geologischen Studien in den genannten Gebieten erscheint es wohl nicht zu kühn, zu behaupten, dass an keiner Felswand der Alpen, in keinem Flussbette, auf keiner Gletschermoräne solche granitische oder porphyrische Gesteine vorkommen, wie sie in der bunten Nagelfluh zu den häufigsten gehören. Dagegen ist von jeher eine grosse Aehnlichkeit namentlich rother porphyrischer Gerolle mit Gesteinen des Schwarzwaldes erkannt und auch zur Spekulation verwerthet worden.
Nur nebenbei soll hier daran erinnert werden, dass die Nagelfluh aus Gerollen von der verschiedensten Grösse bestehe und darum beim Feinerwerden des Korns vielfache Uebergänge in gemeine Molasse zeigt, welche ja auch als Bindemittel figurirt; die Molasse ist in der That nur eine feiner zertrümmerte Nagelfluh.
Die petrographische Natur der Nagelfluhgeschiebe ist wohl eine sehr mannigfaltige, konnten doch auf der verhältnissmässig kleinen Strecke, wo die Nagel- 26 fluh zwischen Gonten und Merligen beim Bau der neuen Seestrasse angeschnitten wurde, über 200 mehr oder minder verschiedene Handstücke geschlagen werden. Ohne uns auf Détails einlassen zu wollen, können wir als häufiger anführen hellfarbige, grünlichen Feldspath und dunkeln Glimmer führende Granite, Gneiss mit silberweissem Glimmer, eigenthümliche dioritische und diabasähnliche Gesteine, auch mit porphyrischer Ausbildung, dann besonders graue fettglänzende Quarzite,, welche okerige Flecken und noch frisches Schwefelkies führen, identisch mit Goldquarzen vieler Lokalitäten, sodann eocäne oder Flyschsandsteine, röthliche und graue dichte Kalksteine, übereinstimmend mit Châtel-und Neocomienkalken und schwarze, dichte und brecciöse Kalksteine der rhätischen Stufe der Stockhornkette. Wir haben hier eigentliche bunte Nagelfluh ( N, polygénique ) vor uns.
Schon wiederum ein etwas anderes Gepräge zeigt die Fortsetzung der zunächst berücksichtigten Nagelfluhmassen des Nordufers des Thunersee's in den verschiedenen Partien des Emmenthals, ja schon der Sammelgebiete der Zulg und Rothachen. Hier treten zu mehr als 5O°/o ähnliche und namentlich weisse Quarzite auf, oft mit von Brauneisenoker, dem Verwitterungsprodukt von Schwefelkies und Eisenspath, austape-zierten oder ausgefüllten Hohlräumen, dann aber rothe Quarzporphyre und Porphyrgranite, sowie namentlich serpentinähnliche Gabbrogesteine, Variolite u. v. a t schon lange aus der Emme bei Burgdorf bekannt.
Vom Vierwaldstättersee an finden wir bis zum Bodensee vorherrschend Kalknagelfluh, wie z.B. am Rigi, namentlich in deren tiefern oder altern Lagern.
Seit langer Zeit wurde von Spezialgeologen, welchen zugleich eine umfangreiche Kenntniss anderer Gegenden zu Gebote stand, bemerkt, dass in dieser Kalknagelfluh Gerolle vorkommen, welche mit den Liasgesteinen Vorarlbergs übereinstimmen und dass die in kalkiger und bunter Nagelfluh so verbreiteten rothen und braunen Abänderungen von Jaspis- und hornsteinartigem Quarz ebenfalls in Vorarlbergischem Lias eingebettet sich finden. In Kalkgeröllen wurde unter Anderm ein für den genannten Lias charakteristischer Ammonit, nämlich Ammonites Regnardi, entdeckt.
Um die Wichtigkeit dieser Thatsachen für unsere weitere Schlussfolgerung schon jetzt anzudeuten, bemerke ich, dass zwischen dem Typus der Ausbildung der Jura- und Triasstufen der Stockhornkette einerseits und der Alpen Vorarlbergs anderseits berücksichtigens-werthe Analogien, zum Theil die überraschendste Uebereinstimmung herrschen; die hauptsächlichen Versteinerungen führenden Kalkbänke des Rhätien Vorarlbergs und der Stockhornkette z.B. sind identisch.
In Bezug auf die horizontale Verbreitung und das Verhältniss der Nagelfluh zur Molasse muss des Nähern noch auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam gemacht werden. Dieselbe erscheint nämlich in mehr oder weniger ausgedehnten dreieckigen Partien, welche ihre Aehnlichkeit mit Deltabildungen auf den ersten Blick zu erkennen geben.
Von Genfersee bis zum Bodensee können wir folgende wichtigere Nagelfluhdelta auseinanderhalten:
n. Kalknagelfluh von Vivis und Châtel St. Den y s bis L u t ry, deren Gesteine vorherrschend aus den südöstlich vorliegenden Kalkalpen vom Typus der Stockhornkette stammen; h. Kalknagelfluh von Guggisberg ( Guggershorn ) und Rüschegg bis gegen Schwarzenburg; drei wichtigere Lager, von denen das eine erst beim Bau einer neuen Fahrstrasse nach Guggisberg bei Kalkstetten durchschnitten wurde und der marinen Molasse angehört, bestehen weitaus zum grössten Theil aus rauhen Flyschsandsteinen der südlich aufsteigenden Gurnigelkette und Hellstadteck und aus seltenem bis kopfgrossen hellen dichten, muschelig brechenden Kalksteinen der Stockhornkette, während quarzitische und granitische Geschiebe mit rothem Feldspath nur ganz sporadisch darin vorkommen.
c. Die bunte Nagelfluh, welche vom Thunersee durch das bernische Emmenthal, das Entlebuch zieht und nördlich bis in die Gegend von Affoltern reicht, mit der Blume und dem Napf.
d. Die kalkige und bunte Nagelfluh der Rigi, des Rossberges und Zugerberges.
e. Der ausgedehnte Nagelfluhbezirk, bunt und kalkig, welcher sich vom Wäggithal an durch das Toggenburg und Appenzell nordwärts bis in die Nähe von Winterthur nach Kyburg erstreckt, mit Speer, Hund-wylerhöhe, Gäbris, Schnebelhorn, Hörnli u. s. f.
f.* Streifen von Kalknagelfluh zwischen Bregenz und Immenstadt.
Die ganze Struktur des Nagelfluhgebirgs, das häufige Vorkommen von Uebergussschichtung ( structure torrentielle ), die vielfachen Uebergänge in Molasse, die nordwärts auffällige Verkleinerung der Gerolle weisen mit grosser Bestimmtheit darauf hin, dass wir Ablagerungen von Flüssen, welche ihr Material von der Nordseite der Alpen her brachten, vor uns haben. Die einzelnen Nagelfluhbänke, welche in der Gegend von Bern, am Gurten, Bantiger und Ostermundigerberg noch vorkommen, zeigen nur hasel- und wallnussgrosse Gerolle; am Belpberg und östlich von Münsingen werden dieselben schon faustgross, während sie am Thunersee kopfgross sind und selbst 2 m im Durchmesser halten.
Woher sind denn diese geschiebsführenden Flüsse gekommen, welches ist denn das Stamm- oder Muttergebirge der Nagelfluh, wenn doch nur der kleinste Theil ihrer Gerolle mit Gesteinen der heutigen Alpen übereinstimmt?
Diese und ähnliche Fragen wurden schon frühe aufgeworfen und ihre Beantwortung versucht durch Aufstellung verschiedener Hypothesen.
Leopold von Buch liess die Gerolle der Nagelfluh aus dem Innern der Erde heraufsteigen. Für ihn war die Nagelfluhkette eine in der Tiefe durch Reibung bei dem Ausbruch unterirdischer Mächte entstandene und nach der Bildung der Molasse und somit der ganzen Tertiärformation gewaltsam hervorgetretene Masse. Es darf Einem auffallen, wie häufig man diese unhaltbaren Vorstellungen noch jetzt aus dem Munde der Laien hört. Die Struktur des ganzen Gebildes, dor Wechsel von Nagelfluhbänken und Molasse, das Vorkommen von Ueberresten von Pflanzen und Thieren, wie die Beschaffenheit und Natur der Rollsteine zeigen, dass die Nagelfluh im Wasser und zwar hauptsächlich durch Flussablagerungen, gleichzeitig mit Molasse entstanden sein müsse.
Die Aehnlichkeit mancher bunter Nagelfluhgerölle mit Schwarzwaldgesteinen führte auch zu der Annahme, welche noch Vertreter findet ( Greppin ), dass das Material derselben aus dem Schwarzwaldgebiete stamme. In diesem Falle müssten aber die dem Schwarzwalde nähern Nagelfluhbänke eine grössere Menge solcher bunter Geschiebe enthalten, als diejenigen näher den Alpen; es müssten zweifelsohne, wenigstens wenn man den unabweisbaren Wassertransport zugibt, nach den Gesetzen der Schwere die in grösserer Nähe des sup-ponirten Stammgebietes abgelagerten Gerolle die gröbsten sein und mit grösserer Entfernung auch an Grösse abnehmen. Von Beidem ist aber gerade das Umgekehrte vorhanden; je näher dem Südrande der Nagelfluhmassen, um so bunter und um so gröber werden die Gerolle.
Von Studer und Escher von der Linth wurde zuerst bestimmter ausgesprochen, dass die Gerolle der Nagelfluh von einem untergegangenen Gebirge herstammen müssen. Nach ihrer Hypothese hat sich dem Nordrande des damaligen Alpenlandes entlang eine Kette von Vorbergen hingezogen, welche aus bunten Graniten, Porphyren, Gabbro, Serpentin u. s. f. bestanden. Die Verwitterung und Zerstörung dieser Hügel lieferte besonders der an ihren Rändern thätigen und nagenden Brandung die Materialien zur Geröllbildung in dem zwischen Alpen und Jura sich ausdehnenden Binnensee oder Meeresarm. « Die grobem Kiesel, welche die rückkehrende Brandung näher an der Küste liegen liess, lieferten die Bestandtheile der Nagelfluh, der feinere Schlamm und Sand gab der Molasse und den Mergeln ihre Entstehung. Weiter vorspringende Landzungen oder Inseln oder alpinische Ströme mögen das stärkere Vordringen der Nagelfluh im Emmenthal und Toggenburg erklären. » Parallel dem Alpenrand entstand nachher ein Riss, mit theil-weiser Senkung der gespaltenen Vorberge, so dass die zurückgebliebenen Reste zu immer mächtiger anschwellenden Geröllablagerungen Gelegenheit und Raum fanden. In Folge eines von den innern Alpen ausgehenden gewaltigen Seitendrucks wurden später die benachbarten Kalkschichten über die Küstenbildung weggeschoben, die Nagelfluh selbst gefaltet und die letzten Spuren ihres Muttergebirges durch die immer weiter nordwärts sich überlegenden Kalkfalten überdeckt.
Eine geistvolle Erweiterung dieser Annahme verdanken wir Heer, welcher dieselbe mit der vorher erwähnten Hypothese der Herkunft der Nagelfluhgerölle aus dem Schwarzwald und mit einer andern eigenthümlichen Erscheinung der vortertiären Geographie und der dadurch bedingten Vertheilung von Thier-und Pflanzenformen auf eine Weise in Verbindung brachte, wie sie nur unserm grossen Meister möglich war. Er versucht nämlich in erster Linie die Verschiedenheit der Thierwelt der Jura- und Kreidezeit westlich und östlich von einer Linie zwischen Basel und Gotthard durch eine Meerenge zu erklären, welche zwischen der damaligen Alpeninsel und dem Schwarzwälder Festland bestanden haben muss. Ein Ausläufer des Schwarzwaldes habe sich bis in die Gegend des Napf gezogen. Am Anfange der Molasseperiode wurde dieser submarine Kücken trocken gelegt und konnte so besonders im obern Emmenthal das Material zur Geröllbildung liefern, deren Gesteinsarten unsern Alpen fremd sind.
Wir haben gesehen, dass als Stammgebirge des Materials der Nagelfluh und Molasse ein verschwundenes Gebirge vorausgesetzt werden muss. Damit soll allerdings ja nicht etwa in Abrede gestellt sein, dass auch aus den damaligen innern Alpen und vom Jura her Zuflüsse in die stehenden Molassegewässer stattgefunden haben, was durch mehrfache Belege erwiesen ist. Das hauptsächliche Stammgebirge der Nagelfluh muss sich dem Nordrande der damaligen Alpen entlang gezogen haben; von da aus gingen die grössern, je nach Wassermenge und wechselnden Gefällsverhältnissen gröberes oder feineres Geschiebe führenden, deltabildenden Ströme. Auf der Nordseite der Gurnigel- und Stockhornkette sahen wir die Nagelfluh von Guggisberg bei weitem vorherrschend aus Gesteinen der genannten vorliegenden Berge gebildet. Es wurde darauf hingewiesen, dass allem Anscheine nach die Stockhornkette ein älterer Gebirgszug sei, als die auf der Nordseite des Thunersees auftretenden Kalkketten. Mehrfach können Gesteinsarten kalkiger Natur auch unter den Gerollen der Nagelfluh östlich vom Thunersee mit triasischen, jurassischen und Neocom-gesteinen der Stockhornkette, welche gegenwärtig am Thunersee in der Tiefe zurückbleibt, identifizirt werden. Es mögen hieher namentlich auch helle Kalksteine gehören, welche als aus dem topographischen Jura stammend bezeichnet werden. In der Kalknagelfluh. der Ostschweiz treffen wir neben solchen Gerollen vom Stockhorntypus Gesteine aus Vorarlberg. Mehrere Kalkbildungen Vorarlbergs, besonders die rhätischen und liasischen, zeigen in Habitus und organischem Charakter viele Analogien mit solchen der Stockhornkette, erstere-sogar vollständige, die leichteste Verwechslung ermöglichende Uebereinstimmung.
Sollte es nun zufällig sein, dass die-mächtigste Entwickelung der Nagelfluh gerade in jenen Bezirk zwischen Thuner-und Bodensee fällt, in welchem die Stockhornkette f e li i t, von deren eigenthümlicher Facies doch vielfache Gerolle in der Nagelfluh vorhanden sind und welche wiederum in einzelnen eigenthümlichen Gliedern im Vorarlbergischen angedeutet erscheint?
Wir erlauben uns, aus diesen Verhältnissen den Schluss zu ziehen, dass die während der Molasseperiode noch weiter ostwärts sich erstreckende Stockhornkette-einen Bestandtheil des Muttergebii-ges der Nagelfluh dargestellt habe. Dieselbe war tiefer, bis auf den krystallinischen Kern, aufgebrochen und bestand aus den bunten granitischen, porphyrischen und metamorphischen Gesteinen neben kalkigen Felsarten, wie wir sie jetzt auf sekundärer Lagerstätte in der Nagelfluh noch finden. Dass die Kalkschichten eine äussere Um- hüllung oder Bedeckung gebildet haben dürften, scheint daraus hervorzugehen, dass am Rigi z.B. die altern Nagelfluhbänke vorherrschend von kalkiger Zusammensetzung sind, während erst die Jüngern, die bei tiefer eindringender Erosion blos gelegten Gesteine krystallinischer Natur in grösserer Menge enthalten.
Schade ist es wohl, dass dieser Gebirgszug, den die Geologie aus den bis zum feinsten Schlamme zertrümmerten Ueberresten wieder zu reconstruiren versuchen könnte, nicht mehr existirt. Unser Land möchte sich dann in Bezug auf Metallreichthum etwas anders und zwar günstiger verhalten. Es ist eine bekannte Thatsache, dass manche schweizerische Bäche und Flüsse goldhaltigen Sand führen. Immer sind es aber solche, welche ihren Ursprung in Nagelfluhgebieten nehmen. Ich erinnere nur an die grosse und kleine Emme mit ihren zahreichen Zuflüssen, an die Lutheren u. s. f. Es ist unzweifelhaft, dass diese Blättchen und Schüppchen von Gold aus Quarzitgeröllen der Nagelfluh des Napf und des obern Emmenthals stammen. Wenn auch Quarzgerölle den Hauptbestandteil der Felsart darstellen, so enthalten doch wahrscheinlich nur äusserst wenige derselben Goldeinschlüsse, vergesellschaftet zunächst mit Schwefelkies. Diese einzelnen Gerolle lieferten auf langwierigem Transport in den Wildbächen zertrümmert das Gold in losen Partien. In den Rückständen des gewaschenen Goldsandes kommen noch eine Reihe anderer Minerale vor, wie Granat, Zirkon, Magneteisenerz, Chromeisenerz und möglicherweise Platin, wenigstens nach gerüchtweisen Andeutungen. Diese Vergesellschaftung von Mineralen Geologisches über die Umgebung von Thun. 41] ist es, welche in andern Gegenden, wie in Australien, Brasilien, am Ural die goldreichsten Reviere charakterisirt. Selbstverständlich ergibt sich hieraus auch sogleich, dass ein vernünftiger Mensch nie daran denken kann, in den Quellgebieten solcher goldsandführenden Flüsse und Bäche nach diesem edeln Metall zu suchen. Das in nächster Linie zugängliche Stammgebirge dieses Goldsandes ist ja selbt nur das Produkt der Zerstörung und unendlicher Zertheilung und Verschwemmung einer frühern Gebirgsmasse, die allerdings höchst wahrscheinlich stellenweise durch einen beträchtlichen Erzreichthum sich auszeichnete. Gegenteilige, leider noch vielfach in einzelnen Köpfen spuckende Hoffnungen können sich, um einen Vergleich anzuwenden, zur Belehrung vorstellen, dass ihre Absicht, im Nagelfluhgebirge mit Erfolg nach Gold zu graben, vergleichbar wäre dem Unternehmen, z.B. die Sand- und Schlammablagerungen des atlantischen Oceans auf Gold zu ex-ploitiren, weil in denselben Ströme münden, deren Wurzeln in goldführenden Gegenden sich ausbreiten.
Nur ungerne habe ich mich schliesslich auf den Boden von blossen Muthmassungen oder Hypothesen begeben. Aber ich erachtete es selbst für den Fortschritt der Wissenschaft und der geologischen Kenntniss unseres Bodens für förderlich, wenn auf diese eigenthümlichen Verhältnisse hingewiesen und gelegentlich neuerdings darauf aufmerksam gemacht würde, dass man in der Geologie daran denken könne, längst untergegangene Gebirgszüge zu rekonstruiren. Eines der Hauptziele der modernen Geologie besteht ja darin, die frühere Geographie, die frühere Vertheilung von Wasser und Land, die Eigenthümlichkeiten der Beschaffenheit des jeweiligen in jedem Zeitraum der Entwickelungsgeschichte der Erde vorhandenen Globus terraqueus nachzuweisen. Wie in historischen Zeitfolgen die politischen Grenzen, Bezugsquellen und Verhältnisse immerwährend und stetig ändern, so geschah es auch im Laufe der erdgeschichtlichen Vorgänge in Bezug auf Vertheilung von Wasser und Land, Richtung und Regime der Ströme, klimatische Verhältnisse und dadurch bedingte Eigenthümlichkeiten der organischen Welt.
Wollen Sie indessen, Tit., die gemachten Auseinandersetzungen als einen Versuch betrachten, der zu weitern Nachforschungen und Ueberlegungen anregen möchte. Wie für einen wohlwollenden Zuhörer schon aus meinen einleitenden Bemerkungen zu entnehmen war, konnte ich nicht beabsichtigen, ein abgerundetes Schlussbild bisher gemachter oder abgeschlossener Untersuchungen zu entwerfen. Sind wir überhaupt irgendwo am Schlüsse angelangt? Wäre die Menschheit nicht sehr unglücklich und bedauernswerth, wenn durch dogmatische Feststellungen allen weitern Forschungen sollte Stillstand und Tod geboten werden können? Der Naturforscher hat zuerst Thatsachen zu ergründen und soll erst nachher dieselben zu deuten versuchen. Jedes Jahr, jede folgende Untersuchung vermag neue Fingerzeige zu einer richtigem Deutung zu liefern. Nie erlahmender Eifer wird schliesslich zur Erreichung unerwarteter sicherer Ziele führen.
Wichtigere Literatur.
1825. Studer, B., Beiträge zu einer Monographie der Molasse. Bern.
1834. Studer, B., Geologie der westlichen Schweizeralpen. Heidelberg und Leipzig.
1850. Mütimeyer, Ueber das schweizerische Nummulitenterrain mit besonderer Berücksichtigung des Gebirgs zwischen dem Thunersee und der Emme. ( Denkschrift der Schweiz, naturforschenden Gesellschaft. ) 1853. Studer, JB., Geologie der Schweiz.B.ern.
1857. Brunner-v. Wattenwyl, Geognostische Beschreibung der Gebirgsmasse des Stockhorns. ( D. d. S. N. G. ) 1872. Favre, E., Note sur la géologie des Ealligstöcke. ( Archives des sciences rat. phys. et. nat. Genève. ) Erklärung der Profile.
I. Schematischer Durchschnitt durch die Stockhorn- und Gurnigelkette von Süd nach Nord.
a. Därstetten 719™. b. Simme, c. Loherenhorn, 1850°. d. Bärrbodenfluh, 1916°. e. Untere Wahlalp, 1392°. f. Hohmad, 2679 m. g. Langeneckgrat. h. Gurnigel.
m. Molasse. F. Flysch. S. Seewerschiefer ( obere Kreide ). Cr. Untere Kreide. M. Oberjura ( Malm ). Co. Corallien ( Diceratien ). K. Kimmeridgien. D. Dogger. L. Lias. Eh. Bhätisch. G. Gyps und Eauhwacke.
IL Desgleichen durch das nördliche Ufer des Thunersees.
a. Habkerenthal. b. Brändlisegg. c. Niederhorn, d. Justithal, e. Ralligstöcke. f. Dallenfluh. g. Ralligen. h. Blume.
m. Molasse von Ralligen, n. Nagelfluh. F. Flysch. T. Taveyanazsandstein. N. Nummulitisch. S. Seewerschiefer. IL Urgonien. Cr. Untere Kreide. M. Oberjura. L. Lias. Eh. Khätisch. G. Gyps.