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«Es ist nützlich, zu zeigen, dass Träume wahr werden können» Der Waadtländer Bertrand Piccard spricht über Abenteuer und die Zukunft der Menschheit

Wie sein Grossvater und sein Vater zeigt der Abenteurer und Psychiater Bertrand Piccard, was möglich ist. Nach seinen Weltumrundungen im Ballon und im Solarflugzeug setzt er sich heute für einen wirtschaftlich rentablen Umweltschutz ein. Im Interview erzählt er, dass er von weiteren Flügen um die Welt träumt.

Bertrand Piccard, sehen Sie die Berge lieber von unten, wenn Sie mittendrin stehen, oder von oben?

Ich würde sagen, von oben. Als Kind wollte ich Bergsteiger werden, aber ich merkte schnell, dass das nichts für mich war. Ich hatte Höhenangst. Das belastete mich, denn ich wollte ein grosser Abenteurer werden wie mein Vater und mein Grossvater. Ich musste einsehen, dass die Chancen dafür nicht gut standen, wenn ich mich nicht traute, auf einen Hügel zu steigen.

Das hat sich dann aber schnell geändert.

Das stimmt. Alles änderte sich im Juli 1974. Ich war gerade 16 Jahre alt geworden und ging in den Sommerferien nach Les Diablerets. Dort sah ich einen Deltaflieger und wusste sofort: Das ist mein Ding! Das würde mich von meiner Höhenangst und meiner Schüchternheit befreien. Ich fing auf der Stelle mit Fliegen an. Es war Liebe auf den ersten Blick, trotz einer Bruchlandung auf dem Dach eines Chalets beim ersten grossen Flug. Das hat mich nicht abgeschreckt, und ich habe weitergemacht. Das Fliegen hat mich völlig verändert. Damals stieg man zudem oft zu Fuss auf, denn das Material wog weniger als 15 Kilo. Heute bringt ein Deltadrachen 45 Kilo auf die Waage, ohne Gurtzeug und Rettungsfallschirm. Das war der Anfang meiner Beziehung zu den Bergen.

Zu den Bergen, aber auch zu Extremsituationen. 1985 wurden Sie Europameister im Drachenfliegen. Was ist Ihnen von dieser Erfahrung in Erinnerung geblieben?

Mich faszinierte am Drachenfliegen, dass man wegen des Risikos konzentriert bleiben und alles richtig machen muss. Es gibt keinen Raum für Angstfantasien, Absturzpanik und Schwindelgefühle. Diese Augenblicke sind von einem intensiven Selbstvertrauen geprägt. Es sind aussergewöhnliche Augenblicke.

Ist dieses Gefühl von Selbstvertrauen vergleichbar mit dem, was Extremkletterer und Bergsteigerpioniere erleben?

Bei allen Extremsportarten ist man in solchen Momenten sehr nahe bei sich. Das Gefühl, im eigenen Körper zu existieren, erhöht unsere Leistungsfähigkeit. Deshalb wollte ich auch Psychiater werden, um Patienten dabei zu helfen, existenzielle Krisen zu bestehen, indem sie ihre eigenen inneren Ressourcen besser nutzen.

Gibt es einen Bergsteiger, der Sie besonders geprägt hat?

Edmund Hillary, den ich im Explorers Club kennengelernt habe und der als Erster auf dem Gipfel des Mount Everest gestanden ist. Erstbegehungen interessieren mich besonders, mehr als Rekorde, denn man kann dabei nicht im Voraus wissen, ob sie möglich sind. Niemand kann einem sagen, was zu tun ist. Eine Schweizer Seilschaft, die im Jahr zuvor aufgeben musste, hatte Edmund Hillary und Tenzing Norgay auf dem Weg zum Everest einige Sauerstoffflaschen zurückgelassen. Aber niemand wusste, wie man auf den Gipfel gelangen konnte. Der Weg war nicht vorgespurt. Reinhold Messner bestieg den Gipfel später ohne Sauerstoff, und auch in diesem Fall wusste niemand, wie das zu schaffen war.

Sind Geschwindigkeitsrekorde im Alpinismus auch Pionierleistungen?

Sportlich gesehen sind diese Rekorde beeindruckend, aber mich haben Erstbegehungen am stärksten geprägt. Bei den Rekorden der letzten Jahre waren die Routen bereits erschlossen, sie wurden nur noch nie so schnell zurückgelegt. Das sind keine Erstbegehungen oder Erkundungen. Aber in sportlicher Hinsicht sind sie ausserordentlich. Ich wäre dazu nicht in der Lage und bewundere sie.

Von Bergsteigern sagt man oft, dass sie das Nutzlose erobern. Denken Sie, dass alpinistische Leistungen ebenso viel Aufmerksamkeit verdienen wie wissenschaftliche?

Jede Art von Erforschung hat einen hohen Wert. Wenn es einen unberührten Gipfel gibt, wird ein leidenschaftlicher Bergsteiger versuchen, ihn zu besteigen. Wenn jemand sagt, das sei nutzlos, dann ist er einfach kein Entdecker. Wozu ist es gut, am Südpol und am Nordpol zu stehen? Ich würde sagen, es ist nützlich, um zu zeigen, dass man dorthin gelangen kann. Es ist nützlich, zu zeigen, dass Träume wahr werden können. So kann man zeigen, was möglich ist.

Sie sind mit Ihren beiden Weltumrundungen in die Geschichte eingegangen, wie Hillary oder Messner. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie 1999 mit Ihrem Ballon starteten?

Im Juli 1969 erlebte ich innerhalb von zehn Tagen, wie mein Vater mit seinem Tauchboot zu einem einmonatigen Tauchgang im Golfstrom aufbrach und wie Apollo 11 zum Mond flog. Als ich mit dem Breitling Orbiter startete, erinnerte ich mich an diese Tage und an meine Träume von einem Leben als Entdecker. Es war dasselbe Gefühl. Niemand hatte das zuvor gemacht. Andere hatten es versucht, aber sie waren gescheitert. Ich war selbst schon zweimal gescheitert. Man wusste also nicht einmal, ob es möglich war. Das zwingt einen, kreativ zu sein.

Nach Ihrer Weltumrundung im Solarflugzeug im Jahr 2016 wollten Sie mit Ihrer Stiftung Solar Impulse zeigen, dass es möglich ist, Umweltschutz und wirtschaftliches Wachstum zu vereinbaren. Funktioniert das?

Heute gibt es technische Lösungen, die viel effizienter sind, die also mit einem geringeren Einsatz von Energie und Ressourcen ein besseres Resultat erzielen. Bisher hat die Solar Impulse Foundation bereits rund 1500 Lösungen ausgezeichnet, die in diese Richtung weisen. Unsere Zielgruppe sind Politiker und Unternehmer. Sie müssen verstehen, dass Umweltschutz nicht mehr unbedingt etwas Undankbares und Teures ist, das Opfer erfordert, sondern Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftlich rentabel sein kann.

Wenn es technische Lösungen gibt, muss man die Menschen dann noch dazu ermutigen, ihre Gewohnheiten zu ändern und zum Beispiel auf das Auto zu verzichten, um in die Berge zu fahren?

Wenn die Änderung der Gewohnheiten bedeutet, auf grosse SUV zu verzichten, dann ist das sehr sinnvoll. Man braucht keinen Panzer, um Ski fahren zu gehen. Aber wenn das bedeutet, Mobilität und Freiheit einzuschränken und die Freude am Leben zu verringern, dann schafft man mehr Widerstand als Zustimmung. Wenn wir sagen, dass wir leichtere Autos brauchen, die sauberer sind und weniger Energie verbrauchen, ist das mehrheitsfähig. Für mich zählt die Qualität der Ergebnisse mehr als die Ideologie.

Ist es sinnvoll, auf das Elektroauto zu setzen?

Elektromobilität ist eine gute Sache, vorausgesetzt, man nutzt das Fahrzeug auch, um Sonnen- oder Windenergie zu speichern und diese bei Nachfragespitzen, also abends, wieder ins Netz einzuspeisen. Dann braucht man keine Gaskraftwerke oder Stromimporte aus deutschen Kohlekraftwerken. Die Reduktion der CO2-Emissionen rechtfertigt den Einsatz von Lithium und anderen seltenen Metallen für die Batterien. Aber um das zu erreichen, müssen wir unsere Energiepolitik überarbeiten.

Wenn wir gerade von Energiepolitik sprechen: Das Parlament hat die Bewilligung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen in den Alpen erleichtert. Landschaftsschützer waren dagegen.

Wir brauchen den Dialog, um bessere Lösungen zu finden. Aber wir müssen auch unterscheiden zwischen dem, was endgültig ist, und dem, was vorübergehend ist. Wenn wir heute mit Blick auf die ökologische Wende auf einigen Bergen Solarpanels installieren, ist das für mich keine Gefahr für das landschaftliche Erbe. Denn wenn wir bessere Lösungen finden, können wir vielleicht in 20 Jahren die Panels entfernen und die Landschaft wiederherstellen, wie sie war. Beim Ausbau der Wasserkraft müssen wir manchmal zwischen dem Schutz der Landschaft und der Zukunft der Menschheit wählen. Es ist unverständlich, dass sich manche Umweltschützer gegen erneuerbare Energien wehren. Früher waren es die rechten politischen Parteien, die dagegen waren.

In den letzten Jahren ist es still geworden um Sie. Werden Sie bald ins Rampenlicht zurückkehren?

Ich plane eine Weltumrundung mit einem solarbetriebenen Luftschiff und eine weitere mit einem Wasserstoffflugzeug. Gegenwärtig arbeite ich an diesen beiden Projekten. Und natürlich an den Projekten der Solar Impulse Foundation.

Autor / Autorin

Alexandre Vermeille

Steckbrief

Bertrand Piccard ist 1958 in Lausanne geboren und hat den Abenteuergeist seines Vaters Jacques und seines Grossvaters Auguste geerbt. In den 1980er-Jahren wurde er während seines Psychiatriestudiums ein Pionier des Hängegleiter- und Ultraleichtflugzeugfliegens. 1999 gelang ihm mit Brian Jones die erste Weltumrundung ohne Zwischenlandung im Ballon. 2016 folgte im Rahmen des Projekts Solar Impulse mit André Borschberg die erste Weltumrundung mit Zwischenstopps in einem Solarflugzeug. Heute setzt er sich mit der Stiftung Solar Impulse für rentable Technologien zur Reduzierung von CO2-Emissionen, Energie- und Wasserverbrauch und Verschmutzung ein.

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