Lange Freundschaft | Schweizer Alpen-Club SAC
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Lange Freundschaft Die Beziehung zwischen der Schweiz und Tibet

Das Alpenland Schweiz fühlte mit, als die Menschen aus dem Hochland Tibet in den 1960er-Jahren wegen der chinesischen Besetzung flüchteten. Bis heute engagieren sich Schweizer und Tibeterinnen gemeinsam für Tibet, etwa in der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft. Neben politischen und sozialen Themen steht vermehrt auch der Klimawandel im Fokus.

Tibet liegt nördlich des Himalaya und ist mit durchschnittlich 4500 Metern über Meer die höchst gelegene Region der Welt. Das spielte – neben dem generellen westlichen Antikommunismus seinerzeit – eine Rolle bei der Solidarität in der Schweiz, als China 1950 Tibet unterwarf und 1959 eine Flüchtlingswelle einsetzte. Dank den grossen Anteilnahmen «sowie der Unterstützung von Geologen, Entwicklungshelfern wie Toni Hagen, und Alpinisten wurden Hilfskomitees gegründet», heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz.

Es bildete sich eine der grössten westlichen Diasporagemeinden: Rund 8000 tibetische Menschen leben heute in der Schweiz. Und bis heute engagieren sich Menschen in der Schweiz für Tibeterinnen und Tibeter. Die grösste NGO in diesem Bereich ist die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft (GSTF), 1500 Mitglieder zählt. Mitbegründer und erster Präsident war 1983 der Geologe Toni Hagen. «Für Mischehepaare wie uns, war die GSTF prädestiniert», sagt Yangchen Büchli. Sie und ihr Mann Thomas Büchli sind kurz nach der Gründung der GSTF beigetreten und bis heute aktiv.

Das Schicksal der Kinder

Yangchen Büchli gehört zur ersten Generation von tibetischen Flüchtlingen. Sie lebte mit ihrer Familie im indischen Gangtok. Wegen einer Überschwemmung hätten sie alles verloren und seien weiter nach Dharamsala geflüchtet, wo ihre Eltern für die tibetische Exilregierung gearbeitet hätten. Sie lebte im Tibetan Children’s Village und gehörte zu den 160 Kindern, die ausgesucht wurden, um in Schweizer Pflegefamilien aufzuwachsen. Die Kinder sollten hier zur Schule gehen und ausgebildet werden, um später als Elite in ein freies Tibet zurückzukehren. «Ich erinnere mich sehr genau», sagt Yangchen Büchli. Es schneite, als sie im März 1964 als Achtjährige in Kloten ankam. Zusammen mit 18 Kindern im Alter von zwei bis acht Jahren wurde sie am Flughafen in einen Raum gebracht. «Wir hielten uns an den Händen und glaubten wir würden zusammenbleiben, wie man es uns gesagt hatte», erzählt sie. Die Kinder wurden aber auf verschiedene Familien aufgeteilt. Die Erinnerung bewegt sie, aber sie hegt keinen Groll. «Karma», sagt sie. Schicksal.

Als sie ihren Mann Thomas Büchli kennenlernte und er anfing, sich für Tibet zu interessieren, wandte auch sie sich ihrer Herkunft zu. Als junges Paar besuchten die beiden Yangchen Büchlis Eltern in Indien. Seither engagieren sie sich leidenschaftlich für Tibet. «Seit 45 Jahren geben wir unser Herzblut», sagt sie. Von 2007 bis 2009 war sie Präsidentin der GSTF, ihr Mann ist seit bald acht Jahren der aktuelle Präsident.

Das Engagement der GSTF ist vielseitig: politisch, sozial und kulturell. Es gibt eine parlamentarische Gruppe Tibet, und regelmässig werden Kampagnen durchgeführt, etwa anlässlich der Olympischen Spiele in Peking 2022 und 2008. Die GSTF engagiert sich für abgewiesene tibetische Flüchtlinge, die als Sans-Papiers in der Schweiz leben, und vergibt seit 2013 einen Kulturpreis. Mit dem tibetfocus gibt sie auch ein Vereinsmagazin heraus.

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«Seit 45 Jahren geben wir unser Herzblut.»
Yangchen Büchli,
ehemalige Präsidentin der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft

Der «dritte Pol» schmilzt

Erst seit den 2000er-Jahren lebt eine Tibeterin in der Schweiz, die ihren Namen zum Schutz ihrer Familie und ihrer Verwandten in der Heimat nicht nennen möchte. Sie ist in einem abgelegenen Dorf in einer Bauernfamilie in Osttibet aufgewachsen und hat in einer Arbeit das Leben und die Arbeit der bäuerlichen Gemeinschaften beschrieben. Die Bauernfamilien halten Kühe, Pferde, Yaks und Zongs, von denen sie viel profitieren. Die Tiere werden nicht nur gemolken, auch der Mist ist wertvoll. «Der Kuh- und Yakmist wird jeden Morgen im Stall gesammelt. Er wird zum Teil an die Hauswände geklebt oder auf die Wiesen gelegt, um an der Sonne zu trocknen. Wenn dieser gut getrocknet ist, brauchen wir ihn, um auf dem Kochherd Feuer zu machen und zu kochen. Holz ist bei uns Mangelware», schreibt sie. Interessant ist auch, wie die Arbeit auf den Feldern organisiert ist, auf denen Gerste und Erbsen angebaut werden: Vorderhand arbeitet jede Familie für sich, anschliessend helfen sie sich gegenseitig. «Wer zuletzt ist mit der Arbeit, bekommt die Hilfe aller Dorfbewohner.» Die Landwirtschaft ist mit viel Handarbeit verbunden, weshalb alle mitarbeiten, auch die Kinder. Die Autorin selbst hat als Kind ebenfalls viel gearbeitet und ist nur drei Jahre zur Schule gegangen.

Doch auch im Osttibet steht die Zeit nicht still. Mittlerweile arbeiteten nicht mehr alle Dorfmitglieder in der Landwirtschaft, viele hätten eine Arbeit in der Stadt, sagt sie. Vermehrt würden die Kinder aus ihrem Dorf nun auch weiterführende Schulen in der Stadt besuchen. Und noch etwas falle ihr auf: Als sie ein Kind war, habe es viel Schnee gegeben, der den ganzen Winter liegen geblieben sei. Jetzt gebe es nur noch ein paar Mal Schnee pro Winter. Die Klimaerwärmung lässt die Gletscher im Himalaya, den «dritten Pol», rasant schmelzen. Wie in den Alpen erhöhen sich die Temperaturen im tibetischen Hochland überproportional.

Der Klimawandel, der Bau von grossen Stauseen, die schwindende Biodiversität und der Raubbau von seltenen Erden durch die Volksrepublik China treiben auch die GSTF immer mehr um. In zahlreichen tibetfocus-Beiträgen und Artikeln auf der Website des Vereins wird über die Probleme berichtet. An den nationalen Klimademos lief Yangchen Büchli an vorderster Front mit, um mit einem Plakat auf die Probleme aufmerksam zu machen.

Die Jungen abholen

Bei all ihrer Dringlichkeit sind die Klima- und Umweltthemen auch eine Chance für die GSTF. Denn die Solidarität für die Menschen aus und in Tibet aufrechtzuerhalten, ist eine Herausforderung. «Nur noch die ältere Generation hat einen direkten Bezug, die jüngeren haben es nicht direkt miterlebt», sagt Yangchen Büchli. Im vergangenen Jahr sei dem Verein aber ein Coup gelungen, der Globi Verlag habe das Buch Globi bei den Yaks herausgegeben. Laut Thinlay Chukki, Repräsentantin des Dalai Lama, hofft man, «dass die Schweizer Kinder durch dieses Buch etwas über die tibetische Kultur, die tibetischen Werte und die tibetische Lebensweise lernen und es gleichzeitig den Weg ebne, um die wunderbare Freundschaft zwischen Schweizerinnen und Schweizern und Tibeterinnen und Tibetern zu fördern, die bis in die 1960er-Jahre zurückreicht, als die Schweiz tibetische Flüchtlinge mit offenen Armen in ihrem Haus und in ihrem Herzen aufnahm».

Autor / Autorin

Anita Bachmann

So halfen der SAC und andere Alpinisten

Nebst dem Geologen Toni Hagen, der auch in der Zeitschrift «Die Alpen» geologische Berichte über den Himalaya publizierte, wurden unter anderem auch der SAC und einzelne Alpinisten in der Flüchtlingshilfe aktiv. Der SAC übernahm das Patronat für die Gründung eines Tibeterhauses, wo tibetische Lamas untergebracht werden sollten. Es sollte «als geistiges Réduit für die Elite eines Bergvolkes» dienen. Auch der erfolgreiche Höhenbergsteiger und ehemalige Zentralpräsident des SAC Albert Eggler arbeitete in der Flüchtlingshilfe. Albert Eggler leitete 1956 die Schweizer Himalaya-Expedition, der die Erstbesteigung des Lhotse gelang. 1963 war er im Auftrag des Schweizerischen Roten Kreuzes in Indien, um die Aufnahme von tibetischen Flüchtlingen in der Schweiz vorzubereiten.

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