Phänomen der Tiefe | Schweizer Alpen-Club SAC
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Phänomen der Tiefe Interview mit der Permafrostforscherin Jeannette Nötzli

Der Hitzesommer 2022 sorgte für viele neue Rekorde bei der Auftauschicht des Permafrosts. In der Tiefe hat ein einzelner heisser Sommer keinen Einfluss, aber der kumulierte Effekt in den letzten 20 Jahren ist deutlich.

Das jüngste Beispiel ist die Chamonna Tuoi CAS. Die Hütte zuhinterst im Val Tuoi im Unterengadin blieb diesen Winter aus Sicherheitsgründen geschlossen. Vom Piz Buin Pitschen droht ein Felssturz. Probleme tauchten aber schon vor rund 20 Jahren auf. «Die ersten spürbaren Auswirkungen betrafen den Hüttenweg zur Schreckhornhütte SAC, er musste wegen Murgängen mehrmals verlegt werden», sagt Peter Mani, Fachexperte für Naturgefahren und Mitglied der Hüttenkommission des SAC.

In den letzten Jahren häufen sich die Fälle, in denen Hütten oder Zustiege durch Felsstürze oder instabilen Grund gefährdet sind. Die Mutthornhütte SAC und die Rothornhütte SAC müssen an neuen Standorten aufgebaut werden, das Refuge des Bouquetins CAS wird versetzt, und die Capanna di Sciora CAS ist seit dem Bergsturz am Pizzo Cengalo geschlossen. Der Grund für die Probleme ist auftauender Permafrost im Zuge des Klimawandels. «Es sind komplexe Zusammenhänge, aber es ist ganz klar: Die Erwärmung der Atmosphäre zeichnet sich ab», sagt Peter Mani. «Internationale Expertengremien prognostizieren eine weitere Erwärmung der Erdoberfläche von 2 bis 5 °C bis zum Jahr 2100», schreiben Jeannette Nötzli und Stephan Gruber im Beitrag «Alpiner Permafrost – ein Überblick» im Jahrbuch 2005 des Vereins zum Schutz der Bergwelt.

Bei 56 SAC-Hütten gibt es Permafrost

Der SAC will deshalb klären, welche Gefahr das Auftauen des Permafrosts für die Hüttenstandorte mit sich bringt und welche Massnahmen getroffen werden können. Einen ersten Schritt dieser Studie hat Peter Mani nun im Auftrag des SAC gemacht. Es ging darum, festzustellen, bei wie vielen Hütten Permafrost wahrscheinlich vorkommt. Dabei diente ihm die Hinweiskarte für Permafrost und Bodeneis vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) als Grundlage. «Ich habe die Karte mit den Hütten überlagert und geschaut, wie hoch der Anteil an Permafrost im Umkreis von 100 Metern ist», sagt Peter Mani. Man könne beim Permafrost nicht einfach von der Höhe ausgehen. Denn laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) muss in der Schweiz oberhalb der Waldgrenze grundsätzlich mit Permafrost gerechnet werden.

Bei 56 der 153 offiziellen SAC-Hütten gibt es innerhalb dieses Radius Permafrost. Die regionale Verteilung der Hüttenstandorte mit Permafrost ist sehr ungleich: Über 40 Hütten befinden sich im Wallis, knapp 10 im Kanton Bern.

Weitere Untersuchungen sind vorgesehen

Auf der Hinweiskarte Permafrost und Bodeneis gibt es zudem Hinweise darüber, ob es sich um eisreichen Permafrost handelt. «Es gibt eisreichen Permafrost im Lockermaterial. Taut er auf, kann es auch bei schönem Wetter zu Murgängen kommen», sagt Peter Mani. Ein Problem entsteht auch, wenn Hütten auf solchem Grund gebaut wurden, dann könne es zu Setzungen kommen. Dies ist etwa beim Refuge des Bouquetins oder bei der Rothornhütte der Fall. Zum Glück sind solche Prozesse eher träge. Anders verhält es sich mit Permafrost in Felsen. Peter Mani unterscheidet zwischen kompaktem und zerklüftetem Felsen, in letzterem gibt es ebenfalls Eis. «Das Eis ist wie der Zement», sagt er. Wenn das Eis schmilzt, drohen Felsstürze. Die Analyse von Fels- und Bergsturzgefahren ist aber nicht Teil der Permafroststudie des SAC. «Vermutlich gibt es im hochalpinen Raum fast oberhalb jeder Hütte Felsen mit Permafrost und damit auch potenzielle Gefahren», sagt er.

In einem weiteren Schritt wird der SAC zusammen mit dem SLF entscheiden, wo Detailuntersuchungen gemacht werden. «Es kann rasch aufwendig werden», sagt Peter Mani. Denn um mehr über den Permafrost herauszufinden, «muss man in den Boden schauen». Man könne Bohrungen vornehmen oder mithilfe von Seismik oder Geoelektrik den Boden untersuchen.

Frau Nötzli, wie hat sich der Hitzesommer 2022 auf den Permafrost ausgewirkt?

Jeannette Nötzli: Der Permafrost war nahe der Oberfläche an allen Messstandorten überdurchschnittlich warm. Gemessen wird an über 30 Standorten in den Schweizer Alpen, das ist das Schweizer Permafrostmessnetz PERMOS. An zwei Dritteln der Bohrlochstandorte haben wir zudem neue Rekorde der Mächtigkeit der Auftauschicht gemessen. Für die warmen Verhältnisse war aber auch das frühe Ausapern im Frühling relevant.

Was bedeuten diese Rekorde?

Permafrost ist ein Phänomen, das bis in grössere Tiefen reicht. Das heisst, Temperaturänderungen an der Oberfläche erreichen die tieferen Schichten mit zunehmender Verzögerung. Bis in einer Tiefe von 10 Metern dauert es ungefähr ein halbes Jahr. Weil 2021 ein eher kühles Jahr war, haben wir in diesem Jahr in 10 Metern Tiefe sogar eine Abkühlung gemessen. In grösserer Tiefe, 20 Meter und mehr, hat ein einzelner heisser Sommer keinen Einfluss mehr, und es zeigt sich die langfristige Entwicklung des Permafrosts. Wir beobachten in den Schweizer Alpen in den letzten 20 Jahren einen klaren Trend von zunehmenden Permafrosttemperaturen und der Abnahme des Eisgehalts im Untergrund.

Wie schnell wirkt sich ein Hitzesommer auf das Auftauen und die damit verbundenen negativen Folgen wie Steinschlag, Murgänge oder Senkungen aus?

Ein Hitzesommer wirkt sich unmittelbar auf die oberen Meter und die Tiefe der Auftauschicht aus. Eine mächtigere Auftauschicht kann zum Beispiel zu kleineren Felsstürzen im Sommer und Herbst führen. Für die generelle Stabilität von steilen und dauernd gefrorenen Gebirgsflanken ist jedoch nicht ein einzelner Sommer entscheidend, sondern die Klimaentwicklung.

Das heisst, der SAC muss damit rechnen, dass es künftig bei noch mehr SAC-Hütten Probleme mit auftauendem Permafrost gibt?

Wir gehen davon aus, dass die beobachtete Entwicklung weitergeht und sie sich sogar noch weiter beschleunigt. Selbst wenn man die Klimaerwärmung jetzt stoppen könnte, würde sich die Erwärmung im Permafrost in der Tiefe noch weiter fortsetzen. Man kann aber nur sehr generelle Aussagen machen. Wo und wann die Veränderungen im Einzelfall konkrete Auswirkungen auf Naturgefahren oder die Infrastruktur haben, können wir nicht voraussagen. Da spielen auch weitere Faktoren wie die Geologie oder der Eisgehalt des Untergrunds eine wichtige Rolle.

Ist der Sommer 2022 vergleichbar mit dem Hitzesommer 2003?

Klimatisch gesehen ist der vergangene Sommer der zweitwärmste je gemessene Sommer in der Schweiz. Nahe an der Oberfläche sind die Bedingungen im Permafrost in den beiden Jahren vergleichbar. In der Tiefe gibt es aber einen grossen Unterschied, dort ist es deutlich wärmer als noch vor knapp 20 Jahren. Hier sehen wir den kumulierten Effekt der vielen heissen Sommer in den letzten 20 Jahren. In 10 Metern Tiefe hat die Temperatur um ca. ein Grad zugenommen, in 20 Metern Tiefe um ca. 0,5 Grad. Da der grösste Teil des Permafrosts in den Schweizer Alpen sogenannter warmer Permafrost ist, die Temperatur also nur wenige Grade unter null liegt, ist das bereits eine relevante Erhöhung.

Hat das späte Einschneien den Effekt des heissen Sommers abgeschwächt? Oder ist das bloss ein Tropfen auf den heissen Stein?

Langfristig ist es wahrscheinlich ein Tropfen auf den heissen Stein. Wenn der Schnee spät kommt, kann der Permafrost auskühlen, wenn der Schnee im Frühling lange bleibt, kann er den Boden vor höheren Lufttemperaturen isolieren. Für eine Trendumkehr reicht es aber nicht. Wenig Effekt hat der Schnee zudem in steilen Felswänden. Sie werden vor allem durch die Lufttemperatur beeinflusst, und diese war in den letzten Monaten überdurchschnittlich hoch.

Autor / Autorin

Anita Bachmann

Was ist Permafrost genau?

Permafrost bedeutet so viel wie permanenter Bodenfrost und ist Untergrundmaterial wie Fels oder Schutt, dessen Temperatur dauerhaft unter null Grad bleibt. In hohen Gebirgen wie den Alpen ist Permafrost ein verbreitetes Phänomen, schreiben Jeannette Nötzli und Stephan Gruber im Beitrag «Alpiner Permafrost – ein Überblick» im Jahrbuch 2005 des Vereins zum Schutz der Bergwelt. «In der Schweiz enthalten ca. 5% der Landesfläche wahrscheinlich Permafrost», heisst es. Die Unsicherheit, wo es überall Permafrost gibt, hängt damit zusammen, dass man ihn nicht sieht. Denn er befindet sich «unter einer bis zu mehreren Metern mächtigen Auftauschicht, die im jahreszeitlichen Wechsel positive und negative Temperaturen aufweist».

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