«Ich habe schon viele Tränen gesehen, vor Freude und vor Angst» | Schweizer Alpen-Club SAC
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«Ich habe schon viele Tränen gesehen, vor Freude und vor Angst» Hans Gerber

Seit über 15 Jahren tourt der Emmentaler Hans Gerber mit dem SAC-Kletterangebot für Schulen, climbing@school, in der ganzen Deutschschweiz. Er hat mit weit über 100 000 Kindern geklettert und ist dabei selbst ein bisschen Kind geblieben.

Eine Viertelstunde vor der vereinbarten Verabredung steht er noch auf dem Kran in der Kletterhalle Sumiswald und schraubt an einer Route. «Hallo, bist du der Housi?» – «Nein, der ist nicht da», sagt er. Das ist sein Ruf: Nie weiss man genau, ob er es ernst meint. Hans Gerber, den alle nur Housi nennen, ist im Emmental aufgewachsen und hierher zurückgekehrt. Er spiele auch gerne mit dem Berndeutschen, das manchmal etwas sarkastisch sei. Aber das ist nur eine Seite von ihm. Eine andere geht so: Noch während er die kleine Kaffeemaschine in der Kletterhalle bedient, ist das Gespräch voll im Gang; ein Blick auf die Uhr verrät später, dass bereits drei Stunden vergangen sind. Inzwischen hat Hans Gerber eine Menge über das SAC-Kletterangebot für Schulen, climbing@school, erzählt: über Kinder, die ihn Jahre später wiedererkennen, über ausgebrannte Lehrkräfte und Klassendynamiken.

Seit über 15 Jahren arbeitet der 55-Jährige für climbing@school. Für eine Woche wird jeweils die mobile Kletterwand in einer Schule aufgebaut, und die Schülerinnen und Schüler können in betreuten Lektionen klettern. Er sei ganz am Anfang reingerutscht. Mittlerweile macht er praktisch alles allein und tourt in der ganzen Deutschschweiz. Er transportiert die Anlage, baut sie meist in Zusammenarbeit mit freiwilligen Eltern auf und gibt Kletterunterricht. Bis zu 30 Wochen pro Jahr ist er so unterwegs, und er rechnet aus, dass er bis heute mit weit über 100 000 Kindern geklettert ist. «Es gibt wohl niemanden auf dieser Welt, der mit mehr Kindern geklettert ist.»

Einblick in die Gesellschaft

Dabei geht es um sehr viel mehr als ums Klettern. Es geht um Kommunikation, um Vertrauen, um das Übernehmen von Verantwortung und um Emotionen. Der langjährige Kontakt zu Kindern und Jugendlichen gewähre ihm einen Einblick in unsere Gesellschaft. Die meisten Kinder seien beim Sichern zum ersten Mal mit einer Situation konfrontiert, bei der ihr Handeln direkte und sehr schlimme Folgen haben könnte. «In unserem Leben gibt es überall Geländer, und in der gruseligen virtuellen Welt hat nichts Konsequenzen», sagt Hans Gerber. Für viele Kinder sei das Klettern aber schlicht ein grossartiges Erlebnis. «Das war der schönste Tag in meinem Leben», habe ihm ein Schüler einmal gesagt. Wobei das super Gefühl und der Bereich, wo es einem gar nicht mehr wohl sei, sehr nahe beieinanderliegen würden. «Ich habe schon viele Tränen gesehen, vor Freude und vor Angst», sagt Hans Gerber. Und: «Wenn man mit Kindern arbeiten will, muss man selbst noch ein bisschen Kind sein.» Ist er das? Ja, zumindest reize es ihn immer noch, selbst über jede Mauer zu springen.

Helden in der Bergsteigerfamilie

Er ist ein Bewegungsmensch, «ein Getriebener», wie er sagt. Heute Vormittag hat er bereits 100 Kilometer auf dem Rennvelo zurückgelegt. Als Jugendlicher hat er wettkampfmässig Langlauf betrieben. Auch mit dem Bergsteigen kam er früh in Kontakt. Seine Mutter stamme aus einer Bergsteigerfamilie, zwei Onkel seien beim Bergsteigen tödlich verunglückt. «Sie waren meine Helden», sagt Hans Gerber. Von der Mutter hat er das Skifahren gelernt. Und zum Sportklettern kam er, als er ins Emmental zurückkehrte. In Huttwil gab es eine kleine Kletterhalle. Die Leute dort seien gut mit den Franzosen vernetzt gewesen, die das Indoorklettern schon gekannt hätten. Heute ist er selbst engagiert, unterhält die Routen in Sumiswald und hilft auch in der Kletterhalle Langnau mit.

Mit climbing@school ist Klettern auch ein grosser Teil seines beruflichen Engagements geworden. Daneben arbeitet er für die Firma Kreativ Training, die Outdoorerlebnisse für Firmen oder Schulen anbietet. Der Frage, was er beruflich ursprünglich gemacht habe, weicht er aus und erzählt, wenn ihn jemand frage, was er arbeite, antworte er: «Ich arbeite nachts am Flughafen Kloten, damit ich tagsüber klettern kann.» Da blitzt der Housi, bei dem man nie weiss, ob er es ernst meint, wieder auf.

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