«Ich hatte nie Komplexe als Jurassier» | Schweizer Alpen-Club SAC
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«Ich hatte nie Komplexe als Jurassier» Interview mit Didier Cuche

Nach einer langen und erfolgreichen Karriere auf höchstem Niveau hat Didier Cuche 2012 seine Ski in die Ecke gestellt. Der Exskirennfahrer sprach mit uns in der Bonne Auberge in Les Bugnenets, wo er aufgewachsen ist.

Didier Cuche, wir sind in der Bonne Auberge in Les Bugnenets. Welche Bedeutung hat dieser Ort für Sie?

Hier bin ich geboren und aufgewachsen, und hier habe ich Skifahren gelernt. Meine Mutter lebt immer noch hier, und ich wohne zwei Kilometer entfernt, im Berner Jura. Wenn ich hier bin, werden Erinnerungen an meine ganze Jugend wach.

Im Val-de-Ruz sieht man immer noch Transparente, auf denen Sie abgebildet sind. Was ist das für ein Gefühl?

Die Unterstützung der lokalen Bevölkerung war für mich immer wichtig. Diese Transparente verschwinden nach und nach, die Zeit vergeht. Manchmal frage ich mich, ob sich die Leute nicht trauen, sie abzunehmen, weil sie wissen, dass ich immer noch da bin … (lacht). Ich bin sehr stolz, ein Kind dieser Region zu sein. Noch stolzer bin ich, wenn meine sportliche Karriere die lokale Jugend motivieren kann, etwas zu wagen.

Ihre Karriere als Skirennfahrer hat Sie während fast 20 Jahren rund um den Globus geführt, aber Sie sind immer wieder an den Fuss des Chasseral zurückgekommen. Haben Sie nie daran gedacht, sich woanders niederzulassen, nur schon aus praktischen Gründen?

Die Trainings in den Alpen fanden in Blöcken von vier bis fünf Tagen statt, es war nicht nötig, vor Ort zu wohnen. Und ich habe mich hier immer sehr wohlgefühlt. Im Winter kann man über der Nebelgrenze Ski fahren, und im Sommer ist es angenehm kühl. Ob ich diesen Ort vermissen würde, wenn ich anderswo leben würde, müsste ich zuerst ausprobieren.

2015 wurden Sie Mitglied der SAC-Sektion Bregaglia. Warum?

Meine Frau Manuela kommt aus dem Bergell. Als wir uns kennenlernten, waren wir viel in den Bergen unterwegs, und ich habe mich nicht nur in sie verliebt, sondern auch in diese Gegend, in den Badile, den sie als 16-Jährige bestiegen hat. Manuela war bereits Mitglied der Sektion Bregaglia, also warum nicht auch ich? Der SAC vermittelt gesunde Werte: In den Bergen bewegt man sich zu Fuss, man nimmt seine Abfälle mit, man hat einen grossen Respekt gegenüber der Natur. Das sind Werte, die wir unseren Kindern weitergeben möchten.

Schwankt Ihr Herz zwischen dem Chasseral und dem Badile?

Im Moment fühle ich mich hier wohl, wir sind gerne als Familie um den Chasseral unterwegs. Unsere beiden Kinder sind gut zu Fuss, sie fahren gerne Ski, und wir klettern ein bisschen mit ihnen. Wenn sie eine Leidenschaft für das Bergsteigen entwickeln sollten, werde ich sie vielleicht begleiten.

Als Skiprofi bewegten Sie sich in einer eher künstlichen Bergwelt. Ist Ihr Beitritt zum SAC der Anfang einer neuen Beziehung zu den Bergen?

Ich habe enormen Respekt vor Felsen und unberührten Schneehängen. Das sind Elemente, die ich kaum kenne. Ich habe mit Skitouren angefangen und unternehme Touren im Jura. Das ist auch ein Skisport, aber man geht anders daran heran. Man nimmt sich Zeit für den Aufstieg, macht Pausen, um mitten in der Natur zu picknicken. So geniesse ich die Berge weiterhin, einfach auf andere Weise.

In den letzten Jahren hat Sie noch etwas anderes umgetrieben. Sie haben sich offen gegen ein Windparkprojekt im Regionalpark Chasseral ausgesprochen. Ist die Windkraft nicht ein notwendiges Opfer?

Wenn sich das Opfer lohnt, bin ich der Erste, der Ja zur Windkraft sagt. Ein Windpark ist für die Betreiber dank den Quersubventionen durch die Kundengelder sehr rentabel. Aber die Produktivität von Windkraftanlagen, auch der neuesten Generation, ist lächerlich gering. Wenn man zudem bedenkt, wie viel produziert und wie viel zerstört wird, ist es Unsinn. Man muss die Auswirkungen auf die Vogelwelt und die Biodiversität berücksichtigen, ganz zu schweigen von den Beeinträchtigungen für die Anwohnenden. Im Projekt, gegen das ich mich gewehrt habe, war die nächstgelegene Windturbine 700 Meter von meinem Haus entfernt geplant.

Wie soll das Netto-null-Ziel bis 2050 erreicht werden?

Wir müssen damit beginnen, den Verbrauch zu senken und die Energieverschwendung zu bekämpfen. Zum Beispiel, indem man die Isolation von Gebäuden stärker fördert. Dann muss das verfügbare Geld gerechter verteilt werden. Man muss erneuerbare Energien mit Potenzial fördern, die geringere Auswirkungen auf die Umwelt haben als die Windkraft. Mit den Solarpanels auf dem Dach meines Hauses reduziere ich meine Abhängigkeit vom Netz bereits um die Hälfte.

Genau hier, auf der anderen Strassenseite des Restaurants ihrer Eltern, standen Sie Ende der 1970er-Jahre das erste Mal auf den Ski. Wer hat Sie dazu gebracht?

Mit zweieinhalb Jahren drehte ich mit den Ski bereits Runden um unser Haus. Auf dem Bauernhof nebenan wohnte ein Skilehrer aus Neuenburg. Er hat mich zum ersten Mal zum Skilift mitgenommen. Meine Eltern waren mit dem Restaurant und dem Bauernhof zu beschäftigt. Mit meinen Brüdern und den Nachbarskindern fuhren wir dort den ganzen Tag lang Ski. Manchmal vergassen wir die Zeit und kamen zu spät, um im Restaurant auszuhelfen. Bald darauf traten wir in den Skiclub Chasseral-Dombresson ein, wo man uns gut betreut hat.

Sie waren zwölf Jahre alt, als 1987 die alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Crans-Montana der Schweiz einen Medaillensegen bescherten. War diese Zeit für Ihre spätere Karriere von Bedeutung?

Es war eine Zeit, in der praktisch jedes Rennen einen Erfolg brachte, wie übrigens auch heute wieder. Neben den vielen Medaillen für die Schweiz an den Weltmeisterschaften 1987 in Crans-Montana erinnere ich mich auch an das Desaster, als Joël Gaspoz die Goldmedaille im Riesenslalom verpasste, weil er ein paar Tore vor dem Ziel stürzte. Die Faszination rund um diese Wettkämpfe war für mich zweifellos ein Antrieb.

Von Les Bugnenets bis auf die internationale Bühne ist es ein weiter Weg. Hat Sie Ihre jurassische Herkunft dabei eher behindert oder gefördert?

Es stimmt schon, der Jura sorgt im alpinen Skisport eher für Schmunzeln. Aber viele sind von den Hängen überrascht, die wir hier haben. Man kann sehr schöne Rennen organisieren. Die Saison ist kürzer als in den Alpen, aber solange es Schnee hat, kann man Ski fahren wie anderswo. Ich hatte nie Komplexe als Jurassier. Und wenn man internationales Niveau erreicht, gibt es keine Unterschiede mehr, wir sind alle Schweizer und stammen aus einer Bergnation.

Ihre Karriere war lang und zuletzt sogar äusserst erfolgreich. Gibt es dennoch etwas, das Ihnen gefehlt hat?

Olympisches Gold in Salt Lake City, das habe ich knapp verpasst! Könnte ich das Rad der Zeit zurückdrehen, würde ich etwas mehr abbremsen, um das Tor nicht zu verpassen. Ich erinnere mich an diesen Augenblick, als wäre es gestern gewesen. Es gab viele solche Momente, die man akzeptieren muss. Aber vielleicht würde ich anders reden, hätte meine Erfolgsbilanz anders ausgesehen.

Auch von Verletzungen sind Sie nicht verschont geblieben. Haben sie Sie manchmal zweifeln lassen?

Ich trug vier schwere Verletzungen davon, die Art von Verletzungen, die eine Laufbahn beenden können. Doch es kam nie so weit, dass ich aufhören wollte. Es klingt ein bisschen verrückt, aber ich habe den Eindruck, dass diese Verletzungen nötig waren, damit ich auf das nächste Level kam. Meine erste Verletzung brachte mich um meine erste FIS-Saison, die zweite ging meinem Eintritt in den Weltcup 1993 voraus, die dritte meinem ersten Weltcupsieg im Jahr 1998, und die vierte erlitt ich vor dem schönsten Teil meiner Laufbahn zwischen 2007 und 2012. Diese Verletzungen haben dazu geführt, dass ich meinen Sport viel kontrollierter ausübte. Erst gegen Ende meiner Karriere habe ich die perfekte Balance zwischen Kontrolle und Lockerheit erreicht.

Fehlt Ihnen der Wettlauf um Hundertstelsekunden?

Heute renne ich meinen Kindern hinterher, das ist andere eine Herausforderung … (lacht). Alles hat seine Zeit. Das Adrenalin fehlt mir nicht besonders. Ich habe eher Lust, meine Erfahrungen zu teilen und weiterzugeben.

Sie engagieren sich stark für den Nachwuchs. Würden Sie es gerne sehen, wenn Ihre Kinder in Ihre Fussstapfen treten würden?

Ich wäre sicher stolz darauf, aber sie müssen ihren Weg selbst finden. Wenn sie es wirklich möchten, würde ich sie unterstützen, aber auf keinen Fall dränge ich sie zu irgendetwas. Wenn sich der Traum, Skichampion zu werden, erfüllen soll, dann muss es der Traum der Kinder sein, nicht derjenige der Eltern.

zur Person

Didier Cuche wurde 1974 in Les Bugnenets im Neuenburger Jura geboren. In seiner fast 20-jährigen Karriere hat er 21 Siege und 67 Podestplätze im Weltcup errungen. Als Spezialist für schnelle Disziplinen gewann er sechs Kristallkugeln, davon vier in der Abfahrt, eine im Super-G und eine im Riesenslalom. Mit fünf Siegen in der Streif in Kitzbühel hält er den Rekord für die meisten Siege auf dieser berühmten österreichischen Piste. Heute lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern im Alter von acht und fünf Jahren in seiner Heimatregion. Neben seiner Tätigkeit als Redner und Markenbotschafter engagiert er sich stark für die Förderung des Skinachwuchses und ist Präsident des Regionalverbandes der Schneesportclubs Giron Jurassien sowie Mitglied des Stiftungsrats von Passion Schneesport, einer Stiftung, die junge Talente aus bescheidenen Verhältnissen fördert.

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