Bei den Bergbauern in Ostnorwegen
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Bei den Bergbauern in Ostnorwegen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 1 Fig. und 5 Abb. ( 18—23Von Jost Hösli

( Männedorf ) Norwegen, das Land der Fjorde! Dies ist der tief und wild zerfranste Küstensaum im Westen Skandinaviens, die ozeanische Flanke, wo sich Meer und Gebirge schauspielhaft verflechten. Ihr Lob ist gross und lockt zu Nordlandfahrten! Wer aber kennt das Binnenland des sich im Süden breit entfaltenden Halbinselreiches, sein gegen Schweden gerichtetes kontinentales Antlitz, wo unbekannte eigenartige Berge dominieren, wo in endlos weit-welligen Hochflächen Täler eingegraben sind, die fast ebenso endlos, oft über 200 bis 300 km lang von den Gestaden des Skagerrak ins Landesinnere führen? Wer hörte schon vom Leben ihrer tüchtigen Bauernbevölkerung, das in vielem dem Dasein schweizerischer Gebirgsbewohner gleicht; wer weiss um die Seterbruk geheissene Bewirtschaftung von hochliegenden Bergweiden, welche unserer Alpwirtschaft entspricht 1?

1 Der Verfasser verdankt seine Ausführungen einem dreimonatigen Studienaufenthalt im Jahre 1947, der ihm mit Unterstützung von seiten der kantonalzürcherischen Erziehungsdirektion aus dem Kredit für die Förderung des akademischen Nachwuchses ermöglicht wurde.

Der jeden Morgen von Oslo nach dem 553 Bahnkilometer entfernten Trondheim startende Schnellzug bringt den Reisenden in anderthalb Stunden via Lilleström und Eidsvoll an das grösste Binnengewässer Norwegens, an den bloss 124 m über Meer liegenden Talsee Mjösa. Kleine Dampfer, die Holz-flösse schleppen, beleben den über 100 km langen und durchschnittlich kaum 5 km breiten See.Von Wäldern, Äckern und Wiesen eingerahmt, bedecken seine Wasser eine Fläche von viermal der Grösse des Zürichsees. An ihrem innern Ende liegt Lillehammer. Die 5500 Einwohner zählende Kleinstadt ist ein bekannter Marktplatz des anschliessenden Gudbrandsdalen, des vom wasserreichen Lagen durchflossenen Haupttalabschnittes. Die lockere, von lichten Parkanlagen durchsetzte dorfähnliche Siedlung von zumeist einstöckigen bretterverschalten Holzhäusern birgt das von Anders Sandvig geschaffene, 1904 eröffnete berühmte Freilichtmuseum von Maihaugen, ein imposantes, nachahmungswertes Denkmal der althergebrachten Bauernkultur der östlichen Gebirgstäler. Typische und sorgfältig ausgestattete Gehöfte, Handwerkerwohnungen, Fischerhütten, Alpsiedlungen u.a. m. vermitteln in reizvoller Anlage ein eindrückliches Bild vom bodenständigen Bauerntum vergangener Jahrhunderte. Ihm, wenn auch durch moderne Wandlungen verblasst und verflacht, begegnet man draussen in der Landschaft, an den sonnigen Hängen, wo auf bebauter Scholle die durch mächtige rotfarbige Scheunen auffälligen Höfe ruhen.

Wir erinnern uns an das Emmental. An den wechselnd steilen Talflanken liegen oft in lockerer Streu, dann wieder häufig zu ausgesprochenen Reihen gruppiert die behäbigen Wohnstätten altüberlieferter Bauerngeschlechter mit gutem Klang. Es sind die Höfe, die Gards. In der Taltiefe, an der Bahn- und Strassenflucht wachsen dem Emmentaler Schachendorf ähnliche Siedlungskerne mit Kirche, Post, Bahnhof, Schulhaus, Gasthöfen, Handwerkerbuden und Verkaufsläden. Den sicheren Rand der wassergefährdeten und schattigeren Talsohle säumen bescheidene, Plass geheissene Armleute- und Neu-landhöfe. Wir denken an Gotthelf, an die von ihm charakterisierten Bauerngestalten, an ihr Gehaben und Gebaren und tun nicht falsch, wenn wir Ähnliches auf das Leben im nordischen Gebirgstal übertragen. Am Hang lebt der wohlhabende, aristokratische Bauer; im Tal hausen die auf Nebenerwerb angewiesenen Nachkommen von Taglöhnern, welche einst als erfahrene Landarbeiter, sog. « husmanns » ( Häusler ), den Althöfen durch Rodungen im Talgrund und am Schattenhang Ausbauland erschlossen haben. Erst 1928 hat ihnen der Staat die gesetzlichen Grundlagen zur Ablösung der mit bescheidenem Umschwung versehenen Plass vom Grundbesitz der Grossbauern geschaffen.

Ähnlichkeiten mit dem Emmental bestehen auch im Detail des Hofbildes. Hier wie dort fällt die Vielzahl der zum Hof gehörenden, oft verschiedenen Jahrhunderten entstammenden Gebäude auf. Sie lenken den Blick in die Vergangenheit und zeugen vom sippenhaft organisierten Leben einer ehemals ausgesprochenen Selbstversorgungswirtschaft. Davon erzählen Trygve Gul-branssens Romane « Und ewig singen die Wälder » und « Das Erbe von Björn-dal ». Zu Wohnhäusern gruppieren sich die Scheunen mit Stallungen für Pferde, Gross- und Kleinvieh, Speicher für Milch und Milchprodukte, für Speisen, Kleider und Vorräte aller Art, ferner Schuppen für Geräte und Wagen. Alte Gehöfte weisen oft noch besondere Feuerhäuser auf, wo man einst Brot, Käse und Schweinefutter zubereitete. Auch gehörten früher Trocknungshäuser für das Getreide, Badestuben und Schmieden zu den « autarken » Einzelsiedlungen. Höfe mit 5 bis 10 Gebäuden sind die Regel, seltener sind solche, die gegen 20 Gebäulichkeiten umfassen. Auffällig reiches Gepräge tragen gewöhnlich die Speicher, « die grossen Schatzkammern », ähnlich wie Gotthelf für das Emmental im zweiten Teil von « Anne Bäbi Jowäger » berichtet.

Erstaunlich sind die Übereinstimmungen in der Wirtschaftsform. Wie der Emmentaler Bauer, so ist auch der ostnorwegische Höfler weder reiner Ackerbauer noch reiner Viehbauer. Gras- und Ackerflächen mengen sich an den öfters recht steilen Berghängen zu bunter, grossparzellierter Flur. Über 60 % des Kulturlandes stehen unter Pflug. Rund 40 % entfallen auf Kunstwiesen mit Kleegrasmischung, die wechselweise mit Ackerfrüchten angepflanzt werden. Diese nehmen wenig mehr als 20% der Kulturfläche in Beschlag, wobei zu neun Zehnteln Futtergetreide, vor allem Gerste, ferner Hafer und Mischfrucht, gepflanzt wird. Der Anteil Naturwiesen tritt mit einem Fünftel des Kulturlandes stark zurück. Damit offenbaren sich die innern Landschaften des norwegischen Ostlandes als wahre Kerngebiete eines ausgesprochenen Kunstfutterbaues, genau so, wie das Emmental auf einer agrargeographischen Karte der Schweiz zur Geltung kommt. Das im Herbst Tausende von Heinzen ( hesja ) zierende Getreide und Gras wird in mächtige Scheunen eingebracht. Ihre oft alle andern Gebäude weit übertreffenden Ausmasse veranschaulichen den grossen Futterbedarf und damit die Bedeutung der Viehwirtschaft. Sie ist die weitaus wichtigste Existenzgrundlage der Betriebe. Der Jahreswert ihrer Erzeugnisse für ganz Norwegen übertrifft rund 9 mal denjenigen der für die menschliche Ernährung bestimmten Anbaufrüchte ( Schweiz 1939: ca. 3 mal ). Innerhalb der Viehwirtschaft gilt das Interesse der Bauern in erster Linie der Milch, weshalb diese vorwiegend Kühe halten. Mit dem selbst aufgezogenen Jungvieh können höchstens die abgehenden Milchtiere ersetzt werden. Die Milch wird in der Regel in die vielerorts bestehenden Talsennereien gebracht, wo man Käse und Butter für die Städte des Südens fabriziert. Die erste Käserei ( meieri ) des Ostlandes wurde 1865 eröffnet, 30 Jahre später waren bereits 47 Sennereien vorhanden. Diese Entwicklung stellt eine weitere Parallele zum Emmental dar, wo sich ja seit Ende der 1820er Jahre Hand in Hand mit einer Intensivierung der Bodennutzung die Talsennerei mächtig ausbreitete. Interessanterweise gründen die norwegischen Bestrebungen zum Teil auf direkten Beziehungen zur Schweiz. Um 1850 liess die Gesellschaft für Norwegens Land- und Forstwirtschaft in unserem Lande Käser und Küher anwerben, um die schweizerische Art der Milchverwertung einzuführen. Noch heute erzählen die Bauern im obersten Talabschnitt des Gudbrandsdalen, im grossen Gemeindegebiet von Dovre, vom längst verstorbenen Schweizer Scherrer, der eine Norwegerin ehelichte, im Lande verblieb und dank seiner Tüchtigkeit grosses Ansehen genoss. Auch der Pulsschlag einer Konzentration und Rationalisierung der Talkäserei, welche später die Zahl der « Hütten » zugunsten grösserer Betriebe mit grösserem Einzugsgebiet verminderte, so wie das eindrücklich im Emmental geschah, ist im Entwicklungsgang der nordischen Käserei zu spüren. Ebenso verursachte ihr Aufkommen weitschichtige Umwälzungen im landwirtschaftlichen Betrieb, welche auch die sömmerliche Weidewirtschaft im Gebirge berührten.

Auf welchem Wege man das Gebirge erreicht, über die Hänge oder der allmählich ansteigenden Talrinne folgend, immer wird einem der Wechsel der Bodenbedeckung eindrücklich. In grossen Zügen wenig verfälscht und kaum gestört, reihen sich auf grosse Strecken der zumeist einförmig gestalteten Talhänge die Pflanzengürtel zu einem klassischen Stockwerkbau, der denjenigen des Alpentales an Klarheit und Übersichtlichkeit weit übertrifft. Über den zusammenhängenden Kulturflächen der sonnenexponierten Hänge liegen in über 800 m Höhe die Reste des Nadelwaldes. Einst hatte dieser die Täler bis auf den Weg des rinnenden Wassers gekleidet. Feuer und Axt des Kolonisten aber haben ihn in Jahrhunderte altem Kampf auf die höheren, meist steileren Hanglagen mit schmächtiger Bodenkrume zurückgestutzt und auf die Schat-tenflanken gebannt, deren Talsäume nur von Rodungsinseln in lockerer Streuung durchsetzt werden. Über 900 m klingt der mit schlankstämmigen Fichten und Föhren bestockte Wald in lichtes Birkengehölz aus, das bis gegen 1000 m Höhe erreicht und dann schnell in niederwüchsigen Busch übergeht und mit Krüppelformen bis gegen 1100 m klimmt. Knietiefe Strauchvegetation, Kriechbirke und Kriechweide, Wacholder, Heidekraut und Beerengestrüpp füllen die Lücken der nordischen Baumpioniere und machen mit zunehmender Höhe blassgelben Flechtenteppichen und filzigem Graswuchs Platz, zwischen denen immer wieder das nackte, verwitternde Gestein heraussticht. Über 1500 bis 1600 m säumen bereits mühsame Schutt- und Blockfelder die kahlen Gipfel.

In 900 bis 1000 m Höhe ist zumeist die markante Kante des Taltroges erreicht. Der Blick verliert sich in die meerhafte Weite eines gleichförmigen, flachwelligen Hochlandes. Das ist das einsame und unwirtliche Fjell, in Gross-wie Kleinformen ein Werk der schleifenden und schürfenden Gletschermeere der Eiszeiten. Abflusslose Wannen mit langgestreckten Seenketten, mit Tümpeln und Mooren wechseln mit weiträumigen Schwellen, über denen massige, gerundete Kuppen thronen. In der Ferne leuchten die durch Firnnischen zackig gegrateten, darum alpin anmutenden Gipfel der höchsten Berge Skandinaviens. Im Westen blinken die flachen Eisfelder von Jotunheimen ( Galdhöppigen 2469 m ), im Nordosten ragt das Heimatland von Peer Gynt, die Bergwelt von Rondane ( Rondeslottet 2183 m ) in den unendlich weitgespannten, vielgesichtigen Himmel.

Das Fjell ist karges Gebirgsland. Seine flächenhafte Ausdehnung prägt ganz Norwegen. Sie widerspiegelt sich im riesigen Anteil des landwirtschaftlich unproduktiven Areales, das fast drei Viertel der Landesfläche einnimmt ( Schweiz: 22,5 % ). Ein Viertel ist mit produktivem Wald bestanden, und nur knappe 4% ( Schweiz: 52,8% ) sind landwirtschaftlich produktiv, so die ausgedehnten Talschaften Süd- und Ostnorwegens, die wie ein weitmaschiges Netz schmächtiger Adern das Hochland durchweben.

Am Saume der grossräumigen Naturlandschaften des Fjells, über dem Gehängeknick der Taltröge begegnet der Wanderer den letzten, in der Weite des Raumes sich verlierenden Vorposten menschlicher Kulturarbeit. Schon im Nadelwald, häufiger aber in der Birkenregion und besonders an ihrer oberen Grenze liegen in zaunumhagten Wiesen kleine Gehöfte, die Seter-siedlungen. Nur selten wagen sich die braungebrannten, grasbedeckten Blockhütten in die holzarmen und rauhen Höhen vor. Auffällig ist die Vielzahl der Gebäude, sie gehören meist mehreren Alpbetrieben an. So gibt es Seter-plätze, die weit über 10 einzelne Seterhöfe zählen. Ein Vergleich mit den schweizerischen Alpdörfchen drängt sich geradezu auf. Im besonderen erinnern die Seter an die Monti alpivi des Puschlavs, wo Wieseneinschläge ebenfalls die Regel sind. Wie im Alpengebiet, in Graubünden, Uri, im Wallis und Tessin, so verraten auch hier die zahlreichen Setersiedlungen den ausgesprochenen Einzelbetrieb, bei dem jede Familie, die Vieh alpt, dasselbe womöglich selber begleiten, hegen und pflegen lässt. Vergebens späht man nach stattlichen Herden aus, mit viel Glück begegnen einem hier und dort kleine Gruppen weidender Tiere, die nicht selten im dichten Zwergstrauchgestrüpp einer urchigen Naturweide versteckt bleiben. Auf den einzelnen Alpbetrieb entfallen durchschnittlich nicht mehr als 6 Haupt Rindvieh, wovon 1 bis 2 Stück Jungtiere und das übrige Kühe sind. Tagsüber bewegt sich das Alpvieh frei, die Hirtengestalt mit Stecken und Salztasche fehlt dem Fjell, die Viehhut ist in keinerlei Weise notwendig. Ziegen und Schafe bewegen sich völlig uneingeschränkt, so wie unser Schmalvieh in den « Wildenen » verschiedener Alpengebiete. Das Fjell ist eine einzige grosse « Wildi ». Sie ist aber alles andere als schroff und gefährlich, die wilden Tiere sind ausgestorben, und was wohl die Hauptursache der sympathischen Sorglosigkeit bedeutet: Weidegrenzen, die überschritten werden könnten, existieren nicht. Es gibt weder Grenzmauern noch Alpzäune, es ist allein der weite Raum, der das Vieh zusammenhält, der unsichtbare Grenzen schafft. Auch bestehen keine von Seter zu Seter verpflichtenden Bestimmungen, welche die Daten von Alpfahrt und Alpentladung festlegen. Die Weide ist so weit, dass jeder, der Alprechte besitzt, bringe er sein Vieh früher oder später als andere zu Alp, auf die volle Rechnung kommt. Die Nacht verbringt das Grossvieh gewöhnlich im Stall ( fjöss ), denn der Mist ist für die Pflege der eingezäunten Heuwiesen nötig, die Winterlfutter für den Heimbetrieb liefern.

Treten wir in die meist langgebaute Alphütte ( stugu ) ein, so überrascht uns der Empfang. Das mehrteilige Innere birgt weder rauchgeschwärzte « Dunkelräume » noch vierschrötige, bärtige und wortkarge Gesellen. Jüngere oder ältere Frauen, die im Haushalt des Hofes abkömmlich sind, regieren als gastfreundliche Sennerinnen ( budeie ) auf dem Seter. Sie laden Gäste gern zu Kaffee und selbstgemachtem Gebäck ein. Überall, in der Milchkammer ( bu ), in der Sennküche ( selsgard ) und besonders in der eigentlichen Alpstube ( sei oder stuv ) ist die ordnende Hand der Frau zu spüren. Die Wohnlichkeit der Seterhütte unterscheidet sich kaum von der Häuslichkeit des Talhofes. Da schmücken frische Wacholderzweige die Planken der Stubenböden, an den rohen Balken prangen auf bunten Papieren farbige Bilder und Photographien der Angehörigen, kleine Konsolen mit Papierblumen und mannigfache Papier-draperien teilen die Flucht der nur durch kleine Fenster unterbrochenen Wände auf. Auf einfachen Gestellen liegen Geschirr und Besteck mustergültig angeordnet, wie zur Inspektion bereit. Die in einer Ecke gelegene, cheminée-artige Feuerstelle ( peis ) ist blank getüncht. Wo nicht ein vierter Raum als besonderes Schlafzimmer dient, da schmiegen sich einfache Bretterverschläge in die übrigen Nischen. In der reich ausgestatteten Seterstube sind sogar Nähmaschine und Grammophon, Sofa und Lehnstuhl zu finden.

Was in der inner- und südalpinen Schweiz bloss spurenhaft als Überbleibsel erhalten blieb, in den österreichischen Alpen hingegen noch ausgedehntere Verbreitung besitzt, das ist in Norwegen noch wie zu Frühzeiten die Regel: die an und für sich einfache Wartung des Viehs und die Verarbeitung der Milch ist Sache der Frau. Der Mann hat die « schwere » Arbeit ( onn ) zu leisten; er ist Ackerbauer, auch Jäger, Fischer und Holzer. Seine Pflichten auf dem Seter beschränken sich auf die notwendigen Reparaturen an den Gebäuden, auf die Pflege der Wiesen und auf ihre Mitte August fällige Ernte. Im Herbst hat er den Holzvorrat für die Sennküche aufzubereiten und im Winter das in den Seterscheunen geborgene Heu auf pferdebespannten Schlitten ins Tal zu führen.

Die Milch wird auf eine uns unbekannte Art zu einem besonderen Käse verarbeitet. Mittels der Zentrifuge, einer nordischen Erfindung, wird sie entrahmt und die Magermilch mit Lab ( löpe ) geschieden. Der ausfallende Käse-stoff wird zeitweise zu wenig gepflegtem Magerkäse für Hausgebrauch geformt und auch etwa mit Kümmel gemischt. Meistens wird er aber dem Rindvieh verfüttert; nirgends hält man Schweine auf dem Seter. Der im Sennkessi verbleibenden wasserflüssigen grünlichen Sirte ( mysewomit der Schweizer Käser die Schweine tränkt — wird der anfänglich gewonnene Rahm zugesetzt, von dem man auch etwa Butter für den Selbstgebrauch zubereitet. Sirte und Rahm brodeln nun 6 bis 7 Stunden lang über holz-fressendem Dauerfeuer, bis alles Wasser verdampft ist und eine breiige, vom gebrannten Milchzucker braunrot gefärbte Masse zurückbleibt. Diese wird mit Stöpseln bearbeitet, was mit zunehmender Erkaltung viel Kraft erfordert. Schlussendlich knetet die Bäuerin den zähgewordenen Teig in einfache würfelförmige Holzformen ein. Auf diese Weise entsteht der norwegische Edelkäse, Rauost ( Rotkäse ), häufiger aber Gjetost ( Ziegenkäse ) geheissen, da man ihn früher vorzüglich aus Ziegenmilch herstellte. In 4 kg schweren Würfeln — das Kilo kostete im Sommer 1947 rund 4 1/2 Kronen — kommt der eigenartige, im Geschmack süssliche, am besten mit dem Rückstand beim Aussieden der Butter ( « Trusne » ) zu vergleichende Käse als sehr begehrtes Erzeugnis in den Handel. Wie der waschechte Glarner auf Schabzieger schwört oder der Schweizer im allgemeinen auf prima Emmentaler oder Tilsiter reagiert, so reagiert der Norweger auf den uns geschmacklich nicht ohne weiteres überzeugenden Gjetost, der in dünnen Schnitten auf das Brot gelegt wird.

In moderner Zeit hat der Bau von Autowegen nach den Seterplätzen zu vorteilhaften Änderungen geführt, die berufen sind, den seit Ende des letzten Jahrhunderts erfolgten starken Rückgang der Seterwirtschaft aufzuhalten und die dem alten Zweig bergbäuerlicher Nutzung neuen Aufschwung geben können. So sind schon viele Fjellbetriebe zu blossen Milchlieferanten der Talsennereien geworden, deren Autos während einer bestimmten Saison täglich die bereitgestellte Milch einsammeln. Da werden Butter und Käse nur noch in geringen Mengen und lediglich für den Eigenbedarf hergestellt. Die bessere Wegsamkeit erlaubt die Verwendung von landwirtschaftlichen Maschinen. Da und dort ist die Mähmaschine auf dem Seter eingezogen, und nicht selten wird das an den Heinzen getrocknete Heu in Ballen gepresst und mit Lastautos gleich zu Tale geführt. Das Auto bringt aber auch den Schneehuhn-jäger und den Forellenfischer, den Feriengast und den Wintersportler ins Gebirge.Viel besuchte Hotels und zahlreiche Ferienhäuschen liegen versteckt an den Seen und im Birkenwald. Immer mehr wird die herbe Fjell-Landschaft zum bevorzugten Reiseziel des naturverbundenen Norwegers.

Literatur: Amund Heiland: Norges land og folk. Topografisk-statistikBeskrivelse over Kristians Amt, Kristiania 1913.

Norges Statistiks Sentralbyra: Jordbrukstellingen 1939, 3 Hefte, Oslo 1940, 1941 und 1942.

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