Beiträge zur Geographie der Alpsiedlungen in Uri
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Beiträge zur Geographie der Alpsiedlungen in Uri

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Alfred Bühler.

Die Alpregionen des Kantons Uri weisen in ihrem verhältnismässig kleinen Siedlungsraum sehr mannigfache, voneinander stark abweichende Siedlungstypen auf, die sich sowohl nach Lage und Grosse als auch nach Form und Benützung voneinander unterscheiden. Da zieren, um nur einige besonders typische Beispiele herauszugreifen, freundliche Alpdörfchen mit Kapelle und Gasthäusern die Alp Urnerboden, im grössten Gegensatz zu den äusserst primitiven, aus einer einzigen, armseligen Sennhütte bestehenden Siedlungen des Urner Oberlandes, z.B. des Meientales; da finden sich weiter in nächster Nähe beieinander warme, anheimelnde Holzbauten und kalte, kahle Steingemächer. Ohne Zweifel sind solche augenfällige Unterschiede zunächst einmal durch natürliche Gegebenheiten bedingt. Die Bodenbeschaffenheit, die Bodenformen ( Terrassen, Schwemm- und Schuttkegel, Talböden etc. ), klimatische Verhältnisse, die Ausbreitung des Waldes und die Gefährdungsmomente, wie Lawinen, Steinschlag, Rufen und Überschwemmungen, die alle von Ort zu Ort wechseln oder verschieden stark auftreten, prägen sich darin viel stärker aus als etwa in einer Gegend des Jura oder gar des Mittellandes. Diese natürlichen Faktoren lassen sich an Ort und Stelle durch Beobachtungen genau festlegen und sind für das Verständnis vieler Siedlungsmerkmale weitaus am wichtigsten. Deshalb sind sie auch in Uri schon verschiedentlich untersucht worden, wenn auch nicht speziell für die Siedlungen, sondern hauptsächlich in bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, wo aber häufig ganz ähnliche Grundlagen in Frage kommen. So sind für das Gesamtgebiet vor allem die Arbeiten von H. Rebsamen und M. Oechslin zu nennen, von denen die erstere speziell die Urner Alpen untersucht, die letztere in ebenso feiner Weise die Wald- und Wirtschaftsverhältnisse des ganzen Kantons darlegt. Beide Abhandlungen zeigen aber auch, dass die natürlichen Faktoren für das Verständnis und die völlige Erklärung aller wirtschaftlichen Verhältnisse in Uri nicht genügen. Andere, nicht ohne weiteres feststellbare Einflüsse, die man als kulturelle Grundlagen in weitestem Sinne bezeichnen kann, sind ebenfalls von grosser Bedeutung, und im folgenden soll nun versucht werden, speziell für die Siedlungen der Alpregion solche Zusammenhänge mit kulturellen Erscheinungen eingehender aufzuklären, als dies bis jetzt geschehen ist. Dabei wird allerdings auch immer wieder auf die natürlichen Grundlagen zurückgegriffen werden müssen, ist doch eine jede Siedlung das Resultat des Zusammenspieles aller dieser Kräfte, die ja nicht einzeln, sondern erst in ihrer Gesamtheit ein charakteristisches, lebensvolles Bild ergeben. Ferner sollen sich die Ausführungen, die auf Begehungen der Urner Alpen in den Jahren 1922-1929 fussen, vorderhand auf den Bezirk der Bürgerkorporation Uri, d.h. auf den Kantonsteil unterhalb der Schöllenen, beschränken * ). Es handelt sich dabei ausschliesslich um Niederlassungen im Bereich der Grossviehalpen, da Schaf- und Ziegenweiden in Uri fast völlig siedlungsleer sind.

I. Siedlungsgrösse.

Die verschiedene Grosse ist eines der auffälligsten Unterscheidungsmerkmale der Urner Alpsiedlungen. A. Püntener weist für die Jahre 1905 bis 1908 im Bezirk Uri 96 Grossviehalpen aus, wobei unter einer Alp eine wirtschaftliche Betriebseinheit zu verstehen ist, die meistens mehrere Weidegebiete oder Staffeln mit besondern Siedlungen umfasst 2 ). Heute werden schätzungsweise 210 dieser Staffeln benützt. Sie sind mit annähernd 1900 Gebäulichkeiten besetzt, die aber ganz ungleichmässig verteilt sind. Schuld daran tragen einmal die verschiedenen Eigentumsverhältnisse. 25 der erwähnten Alpen, davon 23 im Unterland gelegene, sind Privatbesitz in den Händen eines einzelnen oder einiger weniger Bauern. Da ist überall ohne weiteres verständlich, dass sich die Zahl der Bauten ungefähr nach der der Eigentümer richtet. Deshalb weisen weitaus die meisten dieser Weideplätze nur je eine Sennhütte und einen Stall auf. Wo sich dagegen viele Älpler finden, z.B. auf Obhäg im Schächental, steigt sofort auch die Gebäudezahl beträchtlich ( 17 Sennhütten, 33 Ställe ). Häufig gehören mehrere Stallbauten einem einzigen Besitzer, weil ein einzelner Gaden oft zu klein ist, um alles Vieh zu fassen, oder aber weil solche an verschiedenen Stellen eines grossflächigen Weideplatzes angelegt werden. Seltener, z.B. auf Obhäg, kommt es vor, dass zwei oder mehrere Älpler gemeinsam Bauten besitzen. Von Staffeln ohne Sennhütte, die sich ebenfalls hin und wieder finden, wird die Milch zur Verarbeitung in die benachbarten Berggüter gebracht, wo auch das Aufsichtspersonal schläft.

Ähnliche Verhältnisse wie auf den Privatweiden trifft man auf den Gemeindealpen, von denen Püntener vier aufzählt, und die alle in der Gemeinde Flüelen und im Schächental liegen. Die Alp Franzen z.B., die von einem einzigen Pächter bezogen wird, weist eine Sennhütte und einen Stall auf; die Alp Gruonwald dagegen, die von einer grösseren Zahl von in Flüelen, Altdorf und Bürglen wohnhaften Korporationsbürgern benützt wird, 14 Hütten und 15 Ställe.

Weitaus der grösste Teil der Grossviehweiden gehört der Bürgerkorporation Uri, deren Mitglieder auf diesen Allmendgebieten gleichmässig nutzungsberechtigt sind, insofern sie ein sogenanntes Hüttenrecht besitzen. Püntener führt 68 solcher Allmendalpen an, fünf davon gelten aber zum Teil auch als Heu- oder Heimkuhweiden, von denen später besonders die Rede sein wird. Auf diesen Korporationsalpen finden sich nun die stärksten Verschiedenheiten in der Siedlungsgrösse, was zunächst wieder, wie natürlich auch bei den Gemeinde- und Privatalpen, in natürlichen Ursachen begründet ist. Grosse, Fruchtbarkeit und damit Ertrag eines Weideplatzes, die Zahl des aufgetriebenen Viehes und die Benützungsdauer sind dafür in erster Linie verantwortlich, und in der Tat kommen solche Ursachen in den untenstehenden Tabellen zum Ausdruck. Voraussetzung für diese Statistik ist, dass es sich überall um annähernd gleich grosse Ställe handelt, was auch im allgemeinen, abgesehen von den neuesten Bauten, zutrifft. Die Weideplätze sind darin nach Weidezeit und Bestossung, d.h. nach ihrer Stuhlung in Kuhessenund nach der Zahl der auf ihnen verbrachten Weidetage, gegliedert und mit ihren Siedlungen verglichen. Zugleich ist aus später ersichtlichen Gründen eine Trennung in Unter- und Oberland vorgenommen worden, wobei die Grenze zwischen beiden etwa bei Silenen zu ziehen ist. Käsespeicher, Schweineställe und andere Alpgebäude konnten nicht berücksichtigt werden, da sie Püntener nicht durchwegs anführt. Sie vermehren aber im Unterland und im Maderanertal die Zahl der Gebäude oft recht beträchtlich. Auf x ) Nach Püntener geschieht die Stuhlung ( Schätzung ) nach folgendem Masstab: 1 Kuh = 1 Kuhessen, 1 Zeitrind ( trächtiges Tier1 Kuhessen, 1 Maisrind ( im zweiten Lebensjahr stehendes TierKuhessen, 1 Kalb = 1/3 Kuhessen.

Eine Alp, die auf 60 Kuhessen geschätzt ist, erträgt also die Sommerung von so viel Tieren, als nach der obigen Berechnung 60 Kuhessen entsprechen.

der Stössialp im Maderanertal z.B. standen im Sommer 1929 allein fünf Speicher. Im Unterland besitzt im allgemeinen jeder Älpler einen eigenen Speicher, im Gegensatz zum Oberland, wo nur zu jeder Alpgenossenschaft ein solcher gehört.

Tabelle 1.

Zahl der Sennhütten und Ställe nach Weidezeit und Beslossung. a ) Urner Unterland ( Einzelalpung ):

Weidezeit Sennhütten Ställe Bestossung Sennhütten Ställe 1—10 Tage 1 1 1—10 Kuhessen 1 2 11—20 » 2 5 11—20 » 2 3 21—30 » 4 6 21—30 » 3 2 31-—40 » 4 4 31-40 » 3 4 41—50 » 6 7 41—50 » 5 5 51—60 » 36 36 51—60 »> 3 4 61—70 » 6 6 61—70 » 8 9 71—80 » 4 5 71—80 »> 5 8 81—90 » 2 2 91—100 » 6 7 91—100 » 4 3 101—110 » 13 12 101—110 » 8 9 111—120 » 6 6 111—120 » 5 6 121—130 » 8 8 131—140 » 11 15 141—150 » 15 17 151—160 » 21 21 181—190 » 12 14 211—220 » 18 19 1051—1060 » 108 107 b ) Urner Oberland ( Genossenschaftsalpung ) Weidezeit Sennhütten Ställe Bestossung Sennhütten Ställe 1—10 Tage 1 1 1—10 Kuhessen 1 0 11—20 » 1 2 11—20 » 1 1 21—30 » 1 2 21—30 » 1 3 31—40 » 2 3 31—40 » 1 1 41—50 » 3 12 41—50 » 1 1 51—60 » 3 5 51—60 » 1 3 61—70 »61—70 » 1 1 71—80 » 1 6 71—80 » 2 6 81—90 » 1 1 91—100 » 2 2 Tabelle 2.

Zahl der Weidetage pro Sennhütte und pro Stall, a ) Urner Unterland ( Einzelalpung ):

1 Sennhütte pro1 Stall pro 0—500 Weidetage354 Weidetage253 Weidetage 501—1,000 »514 »287 » 1,001—1,500 »504 »289 » 1 Sennhütte pro 1 Stall pro 1,501—2,000 Weidetage 455 Weidetage 388 Weidetage 2,001—2,500 » 511 » 555 » 2,501—3,000 » 438 » 404 » 3,001—3,500 » 3(51 » 361 » 3,501—4,000 » 498 » 429 » 4,001—4,500 » 491 » 491 » 4,501—5,000 » 301 » 265 » 5,001—5,500 » 672 » 672 » 5,501—6,000 » 308 » 325 » 6,001—6,500 » 6364 » 6364 » 6,501—7,000 » 604 » 511 » 7,001—7,500 » 453 » 426 » 7,501—8,000 » 7992 » 7992 » 10,001—10,500 » 865 » 742 » 13,501—14,000 » 768 » 629 » 47,501—50,000 » 442 » 456 » b ) Urner Oberland ( Genossenschaftsalpung ):

1 Sennhütte pro 1 Stall pro 0—500 Weidetage 264 Weidetage 443 Weidetage 501—1000 » 718 » 512 » 1001—1500 » 830 » 591 » 1501—2000 » 1196 » 1435 » 2001—2500 » 1030 » 2224 » 2501—3000 » 851 » 423 » 3001—3500 » 1102 » 464 » 3501—4000 » 2562 » 7685 » Es zeigt sich zunächst, dass im Unterland jede Staffel, sowohl mit der Weidezeit als auch mit der Bestossung verglichen, im Mittel mindestens je eine Sennhütte und einen Stall aufweist ( Tab. 1 ), und dass die Gebäudezahl im allgemeinen mit der Bestossung zunimmt, was übrigens auch für die früher erwähnten Privat- und Gemeindealpen zutrifft. Schwankungen in der Regelmässigkeit der Zunahme sind meistens in der sehr stark wechselnden Zahl der Älpler und in dem verschieden grossen Viehbesitz derselben verursacht. Wo reiche Bauern alpen, wird eben das Maximum des Auftriebsrechtes erreicht; für das viele Vieh werden auch viele Ställe errichtet. Wo dagegen arme Bauern sommern, findet man dem geringeren Viehstand entsprechend auch weniger Ställe. Auf allen Staffeln des Unterlandes entspricht ferner die Zahl der Sennhütten meistens der der Älpler. Im Oberland dagegen trifft man im Mittel selten mehr als eine Hütte pro Staffel, und auch die Zahl der Ställe ist bedeutend geringer. Noch auffälliger werden diese Unterschiede, wenn man besonders typische Weidegebiete herausgreift. Die grösste Alpstaffel des Kantons z.B., der Urnerboden, der während 53 Tagen mit annähernd 1000 Kühen, 200 Rindern und Kälbern befahren wird, ist in Pünteners Bericht mit 108 Sennhütten und Häusern, 107 Ställen und einer Anzahl von Speichern ausgewiesen. Sie lässt sich allerdings mit den übrigen Alpen nicht direkt vergleichen, da sie zugleich Dauersiedlung ist. Aber auch auf reinen Alpstaffeln des Unterlandes, die weniger lang und stark als der Urnerboden bestossen sind, sind je 10—20 Sennhütten und Ställe keine Seltenheit. Im Oberland dagegen gab es nach Püntener nicht weniger als 69 Staffeln, also die grosse Mehrzahl, mit einer Sennhütte als einzigem Gebäude, und nur die untersten und grössten Weideplätze wiesen bedeutendere Siedlungen auf. Diese Verhältnisse treffen zum grossen Teile heute noch zu. Auch wenn man aus Weidezeit und Stuhlung der Staffeln die Zahl der Weidetage berechnet und mit der Siedlungsgrösse vergleicht, erhält man im allgemeinen ähnliche Unterschiede zwischen beiden Landesteilen: Im Unterland eine annähernd gleiche Zahl von Weidetagen ( um 500 ) pro Sennhütte und Stall, im Oberland sehr stark zunehmende Zahlen ( Tab. 2 ). Solche Gegen- Fig. 1. Schema der Viehwanderungen auf Urnerboden während der Sömmerungsperiode.

Sätze können mit den früher erwähnten natürlichen Verhältnissen allein nicht begründet werden. Sie sind vielmehr der Ausdruck zweier total verschiedener Bewirtschaftungsarten. Im Unterland herrscht das System der Einzelalpung, im Oberland dagegen die genossenschaftliche Viehsömmerung. Es kann also z.B. im Schächental wohl etwa vorkommen, dass zwei oder mehrere Bauern gemeinsam miteinander alpen, meistens aber besorgt dies jeder einzelne für sich, und nie geschieht dies genossenschaftlich von allen Älplern miteinander. Im Oberland dagegen, z.B. im Maderanertal, abgesehen von Bernetsmatt, oder im Meiental, ist genossenschaftliche Alpung die Regel. Die einer Alp zugehörigen Bauern stellen die Alpknechte an, welche die Sommerung des gesamten Viehbestandes, des sogenannten Senn-tens, besorgen. Pro Staffel ist deshalb nur eine Sennhütte notwendig. Woher diese Trennung in der Bewirtschaftungsart kommt, ist nicht eindeutig festzustellen. Man möchte aber vermuten, dass sie zum Teil auf natürliche Ursachen zurückgeht. Im Unterland sind nämlich die meisten Alpen nur in Unter- und Oberstaffeln eingeteilt, in der Hauptsache wohl wegen der verhältnismässig geringen vertikalen Ausdehnung der Weidefläche. Häufig ist dann die Unterstaffel so gross, dass sie für eine recht bedeutende Viehherde genügt. Diese verteilt sich im Hochsommer auf eine oder mehrere kleinere und höher gelegene Oberstaffeln, um im Spätsommer bis in den Herbst hinein wieder auf der Hauptstaffel zu weiden. Ein typisches Beispiel für dieses System ist die Alp Urnerboden ( Fig. 1 ).

Bei solcher Bewirtschaftungsart benötigt also jeder Alpgenosse im Maximum je eine Sennhütte und einen oder mehrere Ställe in der Unter- und in der Oberstaffel, dazu etwa einen Milchkeller, Käsespeicher und Schweineställe, die aber durchaus nicht immer die Regel und häufig sehr primitiv sind. Entsprechend der stärkeren Benützung weist die Hauptstaffel natürlich grössere Siedlungen auf als die Oberstaffeln.

Auf ganz andern Grundlagen werden die Alpwanderungen im Oberland durchgeführt. Hier verunmöglicht die grosse vertikale und oft auch die bedeutende horizontale Ausdehnung der Weideareale deren Bewirtschaftung Fig. 2. Viehwanderungen im Gornern- und im Fellital während der Sömmerungsperiode.

/. Gornernalp:

1Ruppenstaffel 2Vorder-Rosti 3Rosti-Käsgruben 4Rinderboden 5Hobeng II. Felli-Waldi:

1Waldi 2Hinter-Obermatt 3Wichel 4Pörtli bloss von zwei Siedlungen aus. Die Weidefläche muss bedeutend stärker aufgeteilt werden. Es gibt infolgedessen Alpen mit acht, neun, ja sogar mit zehn Staffeln und Weideplätze, wo nur einen, zwei oder drei Tage lang gesommert wird ( Fig. 2 ). Würden nun diese Gebiete nach dem System der Einzelalpung bewirtschaftet, so müsste jeder Bauer, vorausgesetzt, dass er für sich und für sein Vieh Unterkunft haben möchte, nicht bloss im Minimum je zwei Sennhütten und Ställe, wie im Unterland, sondern im ungünstigsten Falle deren je zehn errichten, ganz abgesehen von den Nebengebäuden, wie Speicher etc. Dies wäre zu unrationell, würde die Kräfte des einzelnen übersteigen, und die Bildung von Genossenschaften war offenbar die Folge.

Ob die wirtschaftliche Trennung des Unter- und Oberlandes von jeher bestanden hat, oder ob das eine System das primäre war, kann ebenfalls nicht einwandfrei festgestellt werden. Sicher scheint jedenfalls, dass die Einzelalpung in den unteren Kantonsteilen von Anfang an bestanden hat, wenigstens weisen die mir bekannten Urkunden darauf hin. Dagegen ist der Vermutung Raum zu geben, dass im Oberland oder doch wenigstens in Teilen desselben die Einzelalpung früher ebenfalls vorherrschte, was durch verschiedene Tatsachen belegt werden kann. So ist noch heute auf allen Alpen des Oberlandes der sogenannte Stümpelerbetrieb erlaubt, d.h. ein Bauer, der dann Stümpeler genannt wird, darf für sich allein neben dem genossenschaftlichen Sennten zu gleicher Zeit und auf den gleichen Weideplätzen sommern. Wenn auch heute von diesem Recht nur noch ganz ausnahmsweise Gebrauch gemacht wird, so sind doch vielenorts, z.B. auf den meisten Staffeln des Meientales, Ruinen von Hütten und Ställen sichtbar, die zu solchen Stümpelerbetrieben gehörten und beweisen, dass diese echten Einzelalpungen früher recht ausgedehnt waren. Urkundlich steht ferner test, dass im Felli-und vor allem im Maderanertal, wo übrigens auf Bernetsmatt noch heute einzeln gealpt wird, die genossenschaftliche Viehsömmerung erst im letzten Jahrhundert zur Vorherrschaft gelangt ist. In einem Dorfgemeindebuch von Silenen sind zwischen 1725 und 1831 Dutzende von Platzvergabungen auf den Alpen für Sennhütten, Ställe und Speicher notiert, und bei der grossen Mehrzahl davon handelt es sich um Vergabungen an einen einzelnen Bauern oder vielleicht etwa an zwei oder drei Genossen, nur ganz ausnahmsweise dagegen an Alpgenossenschaften. Bei diesen letztern, die für die Alpen Griessern, Gufern, Gnof, « Läuchergen » in Etzli, Seewli und Seelegg erwähnt werden, wo überall auch Einzelvergabungen sehr häufig sind, handelt es sich übrigens meistens um Plätze für Speicher. Der einzelne Bauer benötigt eben für sich allein kaum einen ganzen Speicher; ein solcher wurde deshalb oft von allen Älplern zusammen errichtet, ohne dass genossenschaftliche Alpung Voraussetzung gewesen wäre. Ferner wurden hin und wieder auf den obersten Staffeln gemeinsame Bauten errichtet, was wegen den durch die Lage bedingten Schwierigkeiten und grossen Kosten ebenfalls begreiflich erscheint. Möglicherweise handet es sich an solchen Orten um Vorläufer der Genossenschaftsalpung. Anderseits steht aber gerade für das Maderanertal fest, dass einzelne kleine, hoch gelegene Staffeln noch bis in die letzten Jahrzehnte hinein von Einzelälplern befahren wurden, wenigstens während eines Teiles des Sommers, während sie auf den Hauptstaffeln das Vieh mit dem Genossenschaftssennten weiden liessen. Das gilt z.B. von der jetzt als Grossviehweide aufgegebenen Hüfialp. Noch heute kommt es übrigens im ganzen Gebiet der Genossenschaftsalpung nur ganz ausnahmsweise vor, dass Stallbauten genossenschaftlich errichtet werden; weitaus in den meisten Fällen sind diese im Besitz einzelner oder einiger weniger Genossen, während die Sennhütten heute durchwegs von der ganzen Genossenschaft gemeinsam erstellt werden. Vielleicht erinnert auch diese Sitte an früher allgemein übliche Einzelalpung.

Ob im gesamten Oberland ähnliche Verhältnisse bestanden haben, wie sie auf Grund der erhaltenen Aufzeichnungen hauptsächlich für die Gemeinde Silenen belegt sind, entzieht sich meiner Kenntnis, da mir entsprechende Nachrichten aus anderen Gemeinden nicht bekannt sind. Überlieferungen lassen aber vermuten, dass wenigstens auf den Gurtneller Alpen ganz ahn- liehe Zustände vorhanden waren, so dass es sich in den erwähnten Gebieten, wenn nicht um Reste einer früher im ganzen Oberland vorhandenen Einzelalpung, doch sicher um einen breiten Übergangsgürtel gegen das Unter-landsystem handelt. Im ersten Falle wäre dann anzunehmen, dass sich im obern Kantonsteil mit seiner starken vertikalen Weideausdehnung die Genossenschaftsalpung als die rationellere Betriebsart aufgedrängt hat, während sich diese Notwendigkeit im Unterland mit seiner geringeren Reliefenergie nicht als so stark erwiesen hat, dass sie gegen die in der Bevölkerung sehr tief verwurzelte Tradition hätte aufkommen können.

Aus dem Bestreben heraus, den Nutzen der Korporationsalpen allen Bürgern möglichst gleichmässig zukommen zu lassen, ergeben sich altüberlieferte Rechte und Bräuche, die ihrerseits wieder auf die Ausbildung, namentlich auf die Grosse der Siedlungen bedeutenden Einfluss haben. So war es früher im Bereich der Gemeinde Wassen und damit auch auf den bis weit ins 19. Jahrhundert hinein dazugehörigen Gesehener Alpen üblich, die Korporationsbürger den einzelnen Alpen alle zehn Jahre durch das Los zuzuteilen, im offensichtlichen Bestreben, bei der Weidenutzung niemanden zu benachteiligen. Dieser periodische Wechsel der Alpgenossen hatte aber zur Folge, dass die Alpsiedlungen ausserordentlich stark vernachlässigt wurden. Kein Bauer interessierte sich z.B. für Stallbauten auf den Staffeln, da er ja nach Ablauf von 10 Jahren mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder einer andern Alp zugeteilt wurde, und aus dem gleichen Grunde errichtete man nur ganz primitive und möglichst wenige Sennhütten ( Fig. 3,4 ). Dies ist der Grund, warum noch heute die Alpsiedlungen der Gemeinden Göschenen und Wassen zu den kleinsten und unansehnlichsten des Kantons gehören, trotzdem die Sitte der Verlosung an beiden Orten schon seit einer Reihe von Jahren verschwunden und die Zuteilung zu den Alpen heute eine dauernde ist.

Auch das System der Wechselalpen geht auf das Bestreben zurück, die Verteilung der Allmendnutzung möglichst gleichmässig zu gestalten. Es ist in ausgeprägter Form noch heute im Maderanertal vorhanden und von H. Rebsamen ausführlich dargestellt worden. Dort werden die Staffeln Hohlenbalm, Blindensee, Sass, Butzli und Balmenschachen abwechslungsweise von je zwei Alpgenossenschaften benützt, wobei rechtlich genau festgelegt ist, von wann bis wann die einzelnen Sennten die gemeinsamen Weideplätze befahren dürfen. In der Hauptsache handelt es sich um verhältnismässig niedrig gelegene und deshalb früh schneefrei werdende Staffeln der sogenannten Rupletenalpen ( Gufern, Stössi, Griessern etc. ), auf denen man den hochgelegenen und deshalb spät schneefrei werdenden Golzeralpen das Recht der Benützung im Frühjahr eingeräumt hat. Die Folgen sind nun aber auch hier, wo niemand allein verantwortlich ist, Verwahrlosung der Staffeln und ganz unbedeutende Siedlungen, da natürlich nur die allernotwendigsten Bauten errichtet werden.

Hin und wieder werden besonders ergiebige Weideplätze von mehreren Sennten gemeinsam und zu gleicher Zeit benützt, so z.B. auf Hinterbalm im Maderanertal, wo deshalb zwei Sennhütten stehen. Doch ist heute diese Sitte am Verschwinden. Noch erinnern aber Hüttenruinen in Brunni, auf dem Etzliboden und im Gornerntal an solche stärkere Bewirtschaftung, welche also eine Vermehrung der Niederlassungen zur Folge hatte ( Fig. 3 ).

Rechtliche Überlieferungen beeinflussen schliesslich auch die Siedlungen von Oberkäsern im Maderanertal, einer Privatalp, wo aber die drei Golzer-alpen Bernetsmatt, Stäfel und Gnof im Herbst das Weiderecht besitzen, und wo deshalb neben den Bauten der Eigentümer auch Hütten dieser Alpen stehen.

Als eine weitere, sehr wichtige Grundlage für die Ausbildung der Siedlungen muss die Art des gehaltenen Viehs genannt werden. Im Unterland gibt es drei grosse « Hirtenen » oder Rinderalpen, die alle nur mit Galtvieh ( Rinder und Kälber ) und mit Pferden bestossen werden dürfen, und daneben sind ungefähr zehn weitere Alpen oder Alpteile geringeren Umfanges vorhanden, für welche dieselben Vorschriften bestehen. Alle diese Weideplätze sind fast ausnahmslos nur mit einer Hütte und einem kleinen Stall besetzt, wobei die erstere den Hirten als Unterkunft dient, der letztere für die Kühe, welche das Alppersonal mitnehmen darf, und, insofern der Platz noch reicht, für krankes Vieh bestimmt ist. Erst in neuester Zeit ist auf der Ruosalp ein grosser Musterstall für das gesamte Vieh errichtet worden, während Surenen eine gute Hütte und einen Krankenstall besitzt und Fiseten dieses Jahr ebenfalls solche Bauten erhalten soll. Im Oberland fehlen heute solche Galtviehalpen. Zwar werden gegenwärtig im Etzlital die Staffeln Stock, Stein, und Weitenalp nur mit Rindern und Kälbern befahren, aber an allen drei Orten stehen Gebäulichkeiten in grösserer Zahl, die darauf hinweisen, dass es sich um ehemalige Kuhweiden handelt, die nur wegen der schweren Zugänglichkeit oder wegen des geringen Ertrages heute nicht mehr als solche benützt werden. Aus Mitteilungen einheimischer Gewährsmänner ist aber zu schliessen, dass es früher auch im Oberlande richtige « Hirtenen » gab, die offenbar ähnliche Siedlungsverhältnisse aufwiesen wie die des Unterlandes. So soll es früher im Meientale auf Bärfallen eine « Chalbere », d.h. eine Kälberweide, gegeben haben, wo auch Pferde aufgetrieben wurden, ferner zwei Ochsenweiden auf der Schattenseite des Tales. Im Etzlital liegt die Staffel Rossboden, wo wiederholt Pferdehufeisen gefunden wurden 1 ). Dieser Platz war also vielleicht auch eine « Hirte », was um so eher anzunehmen ist, als im Silener Gemeindebuch erst im Jahre 1808 eine Platzvergabung für Alp-gebäulichkeiten auf dieser Staffel erscheint. Heute sind alle genannten Plätze entweder als Grossviehweide aufgegeben oder den andern Alpen zugefügt worden und schliessen sich diesen auch in den Siedlungsverhältnissen an.

Neben den Alpen im engern Sinne werden auf der Korporationsallmend die Heim- oder Heukuhweiden ausgeschieden, Weideareale, die häufig in der Nähe von Hauptsiedlungen gelegen sind, fast durchwegs übernutzt werden und deshalb im Ertrag immer mehr zurückgehen. Abgesehen davon, dass im Frühjahr und im Herbst alles Gross- und Kleinvieh auf ihnen weidet, hat jeder Korporationsbürger das Recht, darauf während des Sommers eine beschränkte Zahl von Grossvieh aufzutreiben ( 1-2 Kühe, deren Milch meistens direkt verbraucht wird, oder 1-3 Kälber ). Püntener führt ver- schiedene Heimkuhweiden des Unterlandes an, erwähnt aber keine im Oberland; M. Oechslin nennt im Bereich der Korporation Uri 42 solche Weideplätze. Aesch und Brunni im Schächental besitzen nach Püntener förmliche Alpdörfchen mit 40 und 30 Gebäuden. Das sind aber Ausnahmen, und gerade die Heimkuhweiden des Oberlandes sind bedeutend weniger stark mit Bauten besetzt, in den Gemeinden Göschenen und Wassen sogar völlig siedlungsleer. Das Maderanertal stellt auch in dieser Beziehung wieder ein Übergangsgebiet dar, wo diese Weiden, früher allerdings mehr als heute, oft recht ansehnliche Niederlassungen trugen. So werden im Silener Gemeindebuch seit 1782 Platzvergabungen auf der Heukuhweide Baumgarten erwähnt für Hütten, Gaden, Keller und « Rinderhütten », allein zwischen 1805 und 1826 z.B. für zehn Gebäude, während sich heute an diesem Orte nur noch zwei halb zerfallene Ställe vorfinden. Ganz ähnliche Verhältnisse trifft man auch auf der Heukuhrütti, wo heute nur noch drei relativ gut erhaltene Ställe stehen, dagegen sieben Gemäuer an die früher ausgedehntere Besiedlung erinnern ' ). Viele Grossviehweiden besassen oder tragen noch jetzt Siedlungen, die nicht oder nicht ausschliesslich dem Alpbetrieb dienen, die aber doch erwähnt werden müssen, weil sie in der Alpregion liegen. Da sind vor allem die Heimwesen der sogenannten Geissbauern zu nennen, d.h. Familien, die vom Frühjahr bis gegen Neujahr, oft sogar dauernd, im Alpgebiet wohnen. Die auf den früher erwähnten Heimkuhweiden Aesch und Brunni vorhandenen Wohnhäuschen gehören zu solchen Siedlungen, ebenso fanden sich auf Baumgarten und Heukuhrütti solche Bauten. Aber auch auf den eigentlichen Alpstaffeln sind sie noch heute vorhanden, namentlich gut ausgeprägt im Maderanertal auf den Hauptstaffeln. Sie sind es, welche die Niederlassungen Etzliboden, Porthüsli, Stössi, Gufern, Balmenwald und Balmenschachen zu kleinen Alpdörfchen vergrössert haben. Auf Stössi z.B., das 1929 im ganzen 24 Gebäude aufwies, stehen sechs Wohnhäuschen, zu denen mindestens je ein Stall gehört, so dass höchstens die halbe Siedlung aus reinen Alpbauten besteht. Aber auch kleinere Staffeln weisen solche Geissbauernheimwesen auf. So ist z.B. auf Griessern noch heute ein solches Wohnhäuschen mit zugehörigem Gaden vorhanden, und urkundlich lässt sich belegen, dass dort 1825 und 1827 Hausplätze vergeben wurden ( Fig. 5 ). Ferner steht fest, dass die Niederlassungen auf dem Lungenstutz, die zum Teil zu Dauersiedlungen ausgewachsen sind, ursprünglich auf Alpgebiet angelegt wurden, gerade so wie Balmenwald und Balmenschachen, von denen ersteres heute ebenfalls wieder während des ganzen Jahres bewohnt wird ( Fig. 5 ). Vereinzelt fanden sich Geissbauernsiedlungen auch in Fellenen und Gornern ( Fig. 3, 4 ), fehlen aber in den obersten Urnertälern völlig, gerade so wie im Unterland, abgesehen von dem später besonders zu erwähnenden Urnerboden. Nach den Aufzeichnungen im Silener Archiv begann diese Art von Besiedlung im Maderanertal und damit wohl auch an andern Orten erst in der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie hängt mit der in jenen Jahrzehnten recht starken Bevölkerungszunahme zusammen, die sich unter anderm auch darin äussert, dass in der gleichen Periode die obersten Alpstaffeln mit Gebäuden besetzt, also ausgiebiger bewirtschaftet wurden. Es ist leicht verständlich, dass hauptsächlich der ärmere Teil der Bevölkerung gezwungen war, diese abgelegenen und besonders rauhen Wohnsitze aufzusuchen. Da Schafe und vor allem Ziegen ihren Hauptbesitz darstellten ( daher der Name Geissbauern ), fiel ihnen dies verhältnismässig leicht. Sie liessen sich von der Korporation einen Haus- und einen Gadenplatz geben und bauten dort ihren primitiven Wohnsitz. ( Noch jetzt stehen die meisten Alpsiedlungen auf Allmendboden, der immer Besitz der Korporation bleibt; zum Teil gilt dies bis heute auch für Bauten in den Dauersiedlungen. ) Ziegen und Schafe wurden auf die Fig. 5. Alpsiedlungen im Maderanertal. Höhenlinien nach Aufnahmen des Kraftwerkes Amsteg der S. B. B.

Weide getrieben, nicht nur im Sommer, sondern auch im Wald bis weit in den Winter hinein. ( Diese Gewohnheit der Waldweide ist wohl auch der Grund, warum die Bodenstaffeln des Maderanertales, die alle mitten im Waldgebiet liegen, so stark bevorzugt wurden. ) Ausserdem wurde Wildheu gesammelt und schliesslich auch Heu erhalten auf sogenannten « Rütenen », besonders ertragreichen Plätzen auf Alpboden, die ebenfalls von der Korporation vergeben und dann eingehagt wurden. Sowie die Kartoffel allgemein bekannt und eingeführt wurde, liessen sich diese Geissbauern bei ihren Heimwesen auf Alpboden auch Gartenplätze vergeben ( Fig. 5; für das Maderanertal werden Kartoffelgärten zum erstenmal 1781, für Silenen 1745 erwähnt ). Häufig wurden dazu grosse Felsblöcke benützt, auf denen diese Gärtlein vor allem gegen Überschwemmung und Verschüttung ziemlich gesichert sind und wo offenbar auch die Durchwärmung des Bodens eine ausgiebigere ist.

So sind mir allein aus dem Etzliboden fünf solche Steinvergabungen bekannt. Die Dorfgemeinde Silenen vergabte z.B. im Jahre 1789 « dem Jacob Eller der Rosstein im forderen Etzliboden fir Eigen hartt ( Erde ) und bauw ( Dünger ) darauf zu thuon fir ein gärttli ». Noch heute sieht man solche oft nur mit Hilfe einer Leiter erreichbare Anlagen fast in allen Urner Tälern, so z.B. bei Husen im Meiental, unterhalb der Lägni im Maderanertal am Weg zum Hotel S.A.C., und unterhalb Wiler ( Gurtnellen ) zwischen Reuss und Gotthardstrasse.

Die Geissbauern besassen auf diese Weise alles Notwendige zu einem freilich recht einfachen Leben, ohne aber auf eigenem Grund und Boden zu wohnen. In früherer Zeit standen ihnen auch mehr als heute allerlei weitere Erwerbsmöglichkeiten offen. Da sei vor allem das Kristallsuchen, das « Strahlen » genannt, das in erster Linie den Siedlungen im mineralienreichen Etzlital, neben den schon erwähnten auch der Kreuzsteinrüti, zu ihrer Grosse verholfen hat, ferner das Graben und Brennen von Enzianwurzeln und das « Kohlen », die Herstellung von Holzkohle. So vergabte die Dorfgemeinde Silenen im Jahre 1801 « dem Joseph Zberg im tägerlohn blatz zu einem änzen hausli im fordern Etzlyboden », und 1802 ist im Gemeindebuch wiederholt von « anzen brönren » im Etzlital die Rede. Kohlplätze lagen vor allem in der Nähe der Hauptsiedlungen. Im Maderanertal sind aber solche urkundlich auch auf Alpboden erwähnt, so 1765 « hinder der Heren limi auf dem kolblatz » ( im Etzlital ) und 1829 « Im Lungenberg bei dem Kohlplatz hinter dem Stäfelispeicher beim Griesserbrunnen ». Auch kleine Sägereien wurden hin und wieder im Alpgebiet errichtet. In Urkunden des Silener Archives wird 1752 eine « sagen auf dem rinder stafell », 1788 eine solche « im lungen thall » und 1816 in « Rupleten » erwähnt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war eine Sägerei im Etzlital im Betrieb, und noch heute ist eine solche während des Sommers im Balmenschachen im Maderanertal im Gange.

Gegenwärtig sind die Geissbauernsiedlungen am Verschwinden, zum Teil schon zerfallen und kaum mehr als Ruinen sichtbar. So sind diese Niederlassungen in Gornern und Felli völlig verlassen, und auch im Etzli- und im Maderanertal traf oder findet man noch jetzt Ruine an Ruine1 ). Die Abnahme der Gebirgsbevölkerung machte sich hier in erster Linie bemerkbar, wo arme Leute siedelten, die in der Regel das Hauptkontingent der Auswanderer stellen. Dann aber ist als ein sehr wichtiger Grund die Einführung des eidgenössischen Forstgesetzes im Jahre 1876 zu nennen, welches die Waldweide strenge verbietet und damit die Ziegenhaltung ausserordentlich stark be-einflusste2 ). Die noch heute vorhandenen Geissbauernsiedlungen im Maderanertal verdanken ihr Fortbestehen zum Teil modernen Erwerbsmöglichkeiten. So mögen die Nähe des Hotels S.A.C. und das damit verbundene bescheidene Auskommen als Führer oder Träger in der Hauptsache Schuld daran sein, dass Balmenwald und -schachen bis heute besiedelt sind, von andern Niederlassungen aus wieder das in ausgiebigem Masse betriebene Beeren- sammeln, während die Häuschen auf Stössi, Lungenstutz, Gufern und an andern Orten, die zum Teil verbessert oder neu erbaut wurden, alljährlich an Ferienleute vermietet werden.

Grösser als die Geissbauernsiedlungen sind die Alpdörfchen auf dem Urnerboden. Hier wohnten im Januar 1930 32 Familien mit 158 Personen, die sich zum Teil eigenes Land erworben haben, zum Teil aber auch Rütenen zur Heuproduktion von der Korporation zu Lehen erhielten und neben Schmal- auch Grossvieh besitzen. Die riesigen Weidegebiete und die gute Zufahrtsmöglichkeit auf der Klausenstrasse haben wohl den Bestand dieser Siedlungen bis in die Gegenwart verursacht.

Als moderne Faktoren, welche die Siedlungen der Alpregion verändert haben, mögen schliesslich Bestrebungen zur Verbesserung der Alpwirtschaft und der Fremdenverkehr genannt werden. Dank weitgehender Aufklärung über den Wert guter Alpbauten und dank reichlicher Subventionen von Bund, Kanton und Korporation sind in den letzten Jahren ungefähr 60 neue Gebäulichkeiten errichtet worden, die aber nur vereinzelt eine Vergrösserung der Siedlungen zur Folge gehabt haben, da sie meistens auf Kosten alter, ungenügender Bauten erstellt wurden. Der Fremdenverkehr endlich hat an verschiedenen Stellen, vor allem im Schächental, auf dem Urnerboden und im Maderanertal zur Anlage von Hotelbauten im Alpgebiet wie auch ganz vereinzelt zum Bau von Ferienhäusern geführt.

Fassen wir ganz kurz die Ursachen der verschiedenen Siedlungsgrösse zusammen, so sind neben den natürlichen Grundlagen in erster Linie die beiden total voneinander verschiedenen Wirtschaftssysteme der Einzel- und der Genossenschaftsalpung zu nennen, die sich heute im Maderanertal vermischen, was wiederum in der Grosse der dortigen Siedlungen zum Ausdruck kommt. Diese Systeme sind zum Teil ebenfalls auf natürliche Ursachen zurückzuführen, in ihrer heutigen Ausbildung aber hauptsächlich in der Liebe der Bevölkerung zum Althergebrachten begründet. Weitere Ursachen liegen in den wechselnden Vermögensverhältnissen der Bauern, in dem Bestreben, den AUmendnutzen allen Berechtigten gleichmässig zukommen zu lassen, und in den daraus entstandenen Sitten und rechtlichen Bestimmungen; ferner in der Art des gehaltenen Viehs und in der Besetzung des Alpbodens durch Niederlassungen, die nicht in erster Linie oder überhaupt nicht der Alpwirtschaft dienen. Moderne Einflüsse, wie Fremdenverkehr und Alpver-besserungsbestrebungen, machen sich vorläufig noch wenig geltend, gerade die letztern setzen aber in neuester Zeit mit Macht ein.

II. Siedlungsform.

Neben der Siedlungsgrösse ist auch die Siedlungsform der Alpnieder-lassungen in Uri sehr wandelbar. Schon eine oberflächliche Beobachtung zeigt aber, dass hier in überwiegendem Masse die natürlichen Faktoren, vor allem auch die schon früher erwähnten Gefährdungsmomente, eine ausschlaggebende Rolle spielen. Schutzlage und Anpassung an die geschützten Orte prägen sich von Siedlung zu Siedlung in intensivster Weise aus. Da solche Verhältnisse schon wiederholt untersucht worden sind, soll hier von ihnen abgesehen und vielmehr versucht werden, festzustellen, was für andere Grundlagen für Bauweise und Benützungsart der Alpsiedlungen massgebend sind und damit auch die Siedlungsform beeinflussen. Zunächst das Baumaterial. Werden im Unterland sozusagen alle Alpbauten fast ausschliesslich aus Holz erstellt, so trifft man von Silenen an gegen den Gotthard zu immer häufiger neben den hölzernen auch steinerne Gemächer, im Meien- und im Göschenertal sogar fast ausschliesslich. Es liegt nahe, diese Gegensätze mit der Lage der Alpen zum Wald in Zusammenhang zu bringen, wie dies durch H. Rebsamen geschehen ist, und in der Tat wechselt das Baumaterial z.B. im Etzlital heute genau mit der Überschreitung der Waldgrenze. Noch auf dem Etzliboden bestehen alle Gebäude aus Holz, darüber aber, von Rossboden an im Talboden und ebenso an den Seitenhängen, ausschliesslich aus Stein. Das gleiche gilt in der Hauptsache für das Maderanertal. Sogleich fallen aber auch interessante Ausnahmen in die Augen. Frutt, die gerade auf der Waldgrenze gelegene Staffel am Ausgang des Brunnitales, besitzt in der Hauptsache Steinbauten. Auf Hinterbalm in Brunni dagegen, schon weit über der Waldgrenze, stehen wieder ganz oder teilweise aus Holz hergestellte Gemächer. Ebenso finden sich auf den Stäflen unterhalb der Windgällen-clubhütte ( vordere Stäfelhütten ), noch heute zerfallene Hütten mit Holzoberbau. Andernorts im Oberland, z.B. in Gornern oder gar im Meien- oder Göschenertal, bestehen die Alpbauten ausschliesslich aus Stein, unbekümmert um die Lage zum Wald. Dieser kann also für die Wahl des Baumateriales nicht überall massgebend sein. Weitere Gründe sind auf wirtschaftlichem Gebiete zu suchen, und zwar trifft man im allgemeinen im Bereich der Einzelalpung, also vorwiegend im Unterland, Holzbauten, im Oberland, im Bereich der Genossenschaftsalpung, dagegen Steinbauten. Als ein Übergangsgebiet erweisen sich wieder, wie früher schon, Maderaner-, Etzli- und Fellital, die erstens in den untern Lagen sehr waldreich sind, dann aber, wie schon früher bemerkt wurde, wahrscheinlich bis ins letzte Jahrhundert hinein Einzelalpung aufwiesen. ( Ausser den schon angeführten urkundlichen Belegen dafür sei beigefügt, dass auf der Stäfelalp noch heute mehrere Sennhütten und Hüttenruinen stehen, was auf frühere Einzelalpung hinweist, ebenso wie entsprechende Mitteilungen von Gewährsleuten aus dem Tale. Ferner wird auf Bernetsmatt noch jetzt einzeln gealpt. ) Mitgeholfen an der Errichtung von Holzbauten hat vielleicht auch die gerade im Maderanertal sehr stark verbreitete Sitte des Wildheuens, welche vor allem auf Hinterbalm zum Bau der wohnlicheren Holzgemächer geführt hat.

Überall auf den Staffeln, wo die Genossenschaftsalpung schon lange betrieben wird, und wo gar noch die Zuteilung auf die Alpen nach dem Los üblich war ( Göschenen, Wassen ), findet man noch heute jene unglaublich primitiven, aus Steinen aufgeschichteten Bauten, die kaum den Namen Hütte verdienen, vielmehr eher einem Trümmerhaufen gleichen. Als rühmliche Ausnahmen können einzig Riental und Hinterfeld im Meiental genannt werden. Genau gleich einfache Steingemächer stehen auf Staffeln, die von zwei Sennten abwechslungsweise befahren werden, wo deshalb niemand ein besonderes Interesse daran hat, komfortablere Hütten zu errichten ( z.B.

Butzli, Maderanertal ). Nur das Dach besteht auch bei den Steinbauten überall aus Schindeln, meistens aus Bretterschindeln, die fast immer mit Steinen beschwert sind ( Steindächer fehlen in ganz Uri ). Sie stellen zusammen mit den Tragbalken des Daches die wertvollsten Teile dieser Bauten dar und werden deshalb auch besonders sorgfältig behandelt. Im Etzlital z.B. stützt man im Herbst durchwegs das ganze Dach von innen her mit Balken, um ein Eindrücken durch die winterliche Schneelast zu verhindern, und in Brunni wie auch in den obern Reusstälern deckt man die Hütten ab und schichtet die Schindeln in einem Winkel des Gemäuers auf, so dass späte oder frühe Besucher der Alp oft den Eindruck erhalten, vor Ruinen zu stehen.

Auch die Benützungsart der Bauten ist sowohl für die Wahl des Bau-materiales als auch für die Bauform häufig von grosser Bedeutung. Im allgemeinen werden die für die Aufnahme der wertvollen Alpprodukte bestimmten Gebäude, die Käsespeicher, am sorgfältigsten ausgeführt. Fast durchwegs, auch im Bereich der Genossenschaftsalpung, sind es solide, sogar mit einem Fussboden versehene Holzblockbauten. Allerdings stehen diese Speicher im Oberland, etwa von Gornern an, nicht mehr auf Alpboden, sondern in den Talsiedlungen und kommen deshalb an diesen Orten im Siedlungsbild der Alpen nicht zum Ausdruck. Im Gebiet der Genossenschaftsalpung sind auch die wenigen vorhandenen Ställe recht sorgfältig ausgeführt, häufig ebenfalls als Holzblockbauten. Wie schon früher bemerkt wurde, werden aber diese nur ausnahmsweise von der ganzen Genossenschaft gemeinsam, meistens vielmehr von einem einzelnen Bauern oder einigen wenigen Genossen zusammen errichtet, wobei also offenbar echt menschliche Motive, vor allem die Überlegung, dass die Bauten nur für das eigene Vieh bestimmt seien, mitspielten. Heute sind aber diese Alpställe, die meistens ein hohes Alter aufweisen, an vielen Orten, auch im Gebiet der Einzelalpung, recht baufällig und durchaus keine Zierde der Alpstaffeln mehr. Die im Bereich der Genossenschaftsalpung von allen Bauern gemeinsam errichteten Sennhütten sind das Produkt äusserster Sparsamkeit, einräumige Rauchhütten im Gegensatz zum Unterlande, wo das Bewusstsein, für sich selbst zu bauen, und die Notwendigkeit, selbst in den Gemächern zu wohnen und zu arbeiten, immerhin häufig zu komfortableren Bauten mit Wohn- und Arbeitsraum, Milchkeller und Schlafgaden geführt hat. Die Teilwände der Hütte, wo sich die Feuergrube befindet, sind aber auch hier überall wegen der Feuersgefahr aus Stein errichtet1 ).

Die Erstellung von Subventionsbauten hat überall eine vorteilhafte Änderung gebracht. Durch das Kulturamt Uri werden fast ausschliesslich Steinbauten mit Holzoberbau errichtet, die alle mit Schindeldach versehen sind. Trotz ihrer grossen Zweckmässigkeit weichen sie in ihrer äussern Gestalt nur sehr wenig von der bisher üblichen Bauweise ab und fügen sich deshalb dem Gesamtsiedlungsbild harmonisch ein. Wellblechdächer sind meines Wissens nur ganz vereinzelt verwendet worden.

Verhältnismässig solid gebaut sind schliesslich auch die Wohnhäuser und Gaden der Geissbauern auf dem Urnerboden. Meistens handelt es sich um verkleinerte Typen der in den Hauptsiedlungen üblichen Holzblockbauten. Die Wohnhäuser sind fast immer einstöckig und weisen im Innern nach vorn eine Stube und etwa noch eine Kammer oder ein Nebenstübli auf, nach hinten durch die ganze Breite des Hauses die Rauchküche, häufig noch jetzt mit offenem Herdfeuer und ohne Kamin. Hin und wieder finden sich unter dem Dache weitere Kammern. Bei den primitiveren Wohnhausformen fehlt oder fehlte doch bis vor kurzem der Keller. Das Haus stand auf Steinoder Holzsockeln annähernd einen halben Meter über dem Boden1 ). Aus diesem Grunde wurden früher besondere Bauten, die sogenannten « Kalten Keller », erstellt, die in alten Bauplatzvergabungen sehr häufig auftreten. Es handelte sich meistens um Stein-, selten um Holzbauten, die an besonders kühlen Orten angelegt wurden und hauptsächlich der Milchspeicherung dienten. Vor allem bevorzugte man dafür dauernd beschattete, häufig im Wald gelegene, zerklüftete Bergsturz- und Trümmerhaldengebiete, oft auch Balmen, wo sich leicht kalte Luftströmungen bilden. Diese Keller trifft man vor allem häufig im Bereich der Einzelalpung, wo die Milch häufig einige Tage gespeichert werden muss, bis die genügende Menge zur Käsebereitung beisammen ist. Eine ganze Reihe davon liegt z.B. hinter Unterschächen am Weg gegen Aesch. Man findet sie aber auch im Bereich der Genossenschaftsalpung. Urkundlich werden sie für das Maderanertal sehr häufig erwähnt, was wieder auf ein Ubergangsgebiet zur Einzelalpung hinweist. Heute sind sie sehr stark zurückgegangen und oft nur noch als Ruinen oder gar nicht mehr sichtbar, z.B. auf Heukuhrüti.

Sozusagen auf jeder Staffel findet man einen Schweinestall. Meistens wird dazu etwa ein alter, zerfallener Gaden benützt, hin und wieder auch eine Balm, so z.B. eine recht interessante, mit Steinen und Erde bis auf die Türöffnung zugemauerte, auf der Blackialp am Bristenstock, und nur selten, höchstens etwa auf Privatalpen oder bei Subventionsanlagen, besonders zu diesem Zwecke errichtete Bauten.

Bis vor wenigen Jahren traf man in den Alpsiedlungen auch sogenannte Rinder- und Geisshütten. Unter den ersteren sind wahrscheinlich Ställe für Rinder und Kälber auf den Heimkuhweiden zu verstehen, die letztern sind mit dem Rückgang der Ziegenhaltung wenigstens im eigentlichen Alpgebiet fast völlig verschwunden. Einige interessante Geisshütten in alter, primitiver Bauweise stehen oberhalb Waldiberg am Ausgang des Maderanertales auf Allmendboden. Es sind Holzblockbauten aus unbehauenen Rundhölzern, wie sie sonst bei Ställen nicht mehr vorgefunden werden.

Die vorstehenden Beobachtungen zeigen, dass sowohl die Siedlungsgrösse als auch Bauart und -material, Benützungsweise und dadurch die Siedlungsform nicht nur durch natürliche Grundlagen, sondern auch durch andere Faktoren beeinflusst werden. Vor allem sind es wieder die beiden Wirtschaftssysteme der Einzel- und der Genossenschaftsalpung, die sich darin auswirken, und ferner auch Tradition und rechtliche Bestimmungen. Erst aus diesen Gründen heraus lässt sich häufig das Fortbestehen alter Haus-und Siedlungsformen bis auf den heutigen Tag völlig verstehen. Dies an einzelnen Beispielen nachzuweisen und damit also kulturelle Einflüsse im weitesten Sinne auf die heutigen Alpsiedlungen aufzudecken, war der Zweck der vorliegenden Untersuchung.

Quellen und Literatur.

1. Dorff Gmeindt-buch der Hern Kirchgnossen zu Sillenen. Gemeindearchiv Silenen.

2. A. Bühler, Das Meiental im Kanton Uri. Bern 1928.

3. M. Oechslin, Die Wald- und Wirtschaftsverhältnisse im Kanton Uri. Beiträge zur geobotanischen Landesaufnahme, 14. Bern 1927.

4. A. Püntener, Alpinspektionsbericht der Korporation Uri 1905—1908, herausgegeben vom Bauern verein Uri.

5. H. Rebsamen, Zur Anthropogeographie der Urner Alpen, Wetzikon 1919.

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