Bergfahrten im Zillertal
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Bergfahrten im Zillertal

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON S. WALCHER, WIEN

Mit I Bild ( 52 ) Die Zillertaler Berge sind das Herzstück der österreichischen Alpen und wahrscheinlich das volkstümlichste Berggebiet Tirols. Viel besungen von den Einheimischen und Fremden, viel besucht und bestaunt, bietet es dem bescheidenen Wanderer, aber auch dem anspruchsvollen Alpinisten eine Fülle der schönsten Ziele.Von alten und neuen Fahrten sei hier erzählt. Allen aber, die da kommen, steigen, sich freuen und von den hohen Bergen Ausschau halten, sei es nach Norden zu den silbergrauen Felsburgen des Karwendeis oder nach Süden hinüber zu den roten Bergen Südtirols, allen wünsche ich, dass es ihnen so ergeht, wie es mir noch immer ergangen ist, dass sie beim Abschied fröhlich zurückwinken und rufen - Auf Wiedersehenund dass auch bei ihnen der alte, nette Spemannsche Spruch Wahrheit wird, der da heisst:

« Wer da geht ins Zillertal, kommt gewiss ein zweites Mal. » Vor einigen Jahren, zu Ende des Monates Juli, zog es mich wieder einmal in das Reich der Zillertaler Berge. Ingenieur Eduard Mayer, der « Viertausender-Mayer », wie er von seinen Freunden genannt wird, war mein Begleiter. Von Mayrhofen gingen wir das Stillupptal hinein, eines der schönsten und lieblichsten Täler der Zillertaler Alpen, und stiegen langsam hinauf zur prächtig gelegenen Kasseler Hütte, in der wir verabredungsgemäss mit Ingenieur Karafiat und dessen Tochter Dorli zusammentrafen. Unterkunft und Verpflegung liessen keine Wünsche offen, und da wir auch sonst in jeder Weise gut betreut wurden, waren wir recht zufrieden und freuten uns sehr auf die kommenden Fahrtentage.

Vordere und Hintere Stangenspitze, 3120 m und 3227 m 1 Die Überschreitung dieser beiden hübschen Felsgipfel bildete den Anfang unserer Fahrten. Den Aufstieg auf die Vordere Stangenspitze vollzogen wir über den kurzen Westgrat und gingen dann 1 Höhenangaben und Namen nach der Karte des Zillertales, mittleres und westliches Blatt 1:25.000. Herausgegeben vom Österreichischen Alpen-Verein.

über den unschwierigen Verbindungsgrat hinüber zur Hinteren Stangenspitze. Das Wetter war recht schön, und so bereitete der Gang über Fels und Firn viel Vergnügen. Zum Abstieg von der Hinteren Stangenspitze benützten wir eine steile Geröllrinne, die bei Punkt 3210 der Alpenvereinskarte nach Westen hinabzieht und in der Karte noch als Eis- bzw. Firnrinne eingezeichnet ist. Hier sei bemerkt, dass die Gletscher in diesem Jahre bis in die höchsten Lagen hinauf vollkommen schneefrei waren, ein Umstand, der manchmal die Überwindung einer Stelle erleichterte, oft aber auch schwieriger gestaltete. Die Überschreitung der beiden Stangenspitzen ist von der Kasseler Hütte bequem in fünf bis sechs Stunden auszuführen, vermittelt einen guten Überblick über die Berge des Stilluppgrundes und ist als Vorübung für grössere Fahrten sehr zu empfehlen.

Wollbachspitze, 3210 m Auch dieser Gipfel ist von der Kasseler Hütte aus ein lohnendes Ziel. Wir hatten die Absicht, den Berg vom Stangenjoch zum Wollbachjoch zu überschreiten, mussten aber unser Vorhaben am östlichen Stilluppkees aufgeben, denn dichter Nebel verhinderte jede Sicht auf den Eisbruch, der den Zugang zum Stangenjoch verteidigt. Wir stiegen daher, dem Kompass folgend, über den Gletscher hinauf zum Wollbachjoch und erreichten über den Südwestgrat ohne Schwierigkeiten den Gipfel. Nun hob sich überraschend der Nebel, die Sonne zauberte Licht und Schatten in die Landschaft, die Farben leuchteten hell auf, und ehe wir es uns versahen, war wieder der schönste Tag gekommen. Was konnte es da Vernünftigeres geben, als sich ein schönes, behagliches Plätzchen zu suchen und soviel als möglich vom « gold'nen Überfluss » immer wieder neuer Bergherrlichkeit in sich aufzunehmen!

Keilbachspitze, 3093 m, von Osten, 1. Begehung Dieser prächtige Gipfel reckt sich kühn und stolz aus dem steilen Eiskar empor zum blauen Himmel Seinem Locken konnten wir nicht lange widerstehen. Schon am nächsten Tag waren wir auf dem Weg zu ihm. Der Zugang zum Eiskar führt vom Kasseler Höhenweg über steiles, grobblockiges Gelände. Wir betraten das Eis beim Beginn des Grates, der vom Gipfel der Kasseler Spitze nach Norden absinkt. Der Gletscher selbst ist im oberen Teil ziemlich steil, war aber nahezu spaltenfrei. Am tiefsten Punkt des Joches zwischen Kasseler Spitze und Keilbachspitze hielten wir im Sonnenschein längere Rast. Die Umgebung ist hochalpin. Licht und Schatten, Farben und Formen schufen ein Bild, das das Herz hell aufjauchzen liess in Lebenslust und Lebensfreude.

Vom Joch steigt eine steile Kante gerade hinauf zum Gipfel unseres Berges. Links von ihr ( im Sinne des Anstieges ) ist der steile Fels gut gegliedert. Durch Rinnen, Risse, über Platten und senkrechte Stufen kletterten wir mit viel Freude und Genuss aufwärts. Manche Stelle war so schön, dass wir länger verweilten, besonders dann, wenn auf kleinen, tiefgrünen Rasenpolstern bunte Blumen sich im leichten Winde wiegten. Nach ungefähr zweieinhalb Stunden standen wir dann auf dem Gipfel. Wir freuten uns über unseren Erfolg und hielten lange, sonnige Gipfelrast. Lange blickten wir gegen Süden; dort standen ja in strahlender Herrlichkeit die Gipfel des Hochgalls und die roten Burgen der Dolomiten - ein Stück verlorenes Heimatland.

Im Süden des Berges reichen steile Schneefelder bis nahezu zur Grathöhe herauf. Da sich unterhalb von ihnen hohe Abbruche befanden, stiegen wir behutsam hinab, bis wir, nach Westen querend, den flacheren Teil des Frankbachkeeses betreten konnten. Das Frankbachjoch, das den Übergang auf die Stilluppseite vermittelt, ist vom Gletscher aus nicht leicht zu finden. Man steige nicht zu früh zum Grat hinauf, weil die Fortbewegung in dem lockeren Blockhang wenig Vergnügen bereitet. Die Übergangsstelle selbst ist durch ein eisernes Kreuz gekennzeichnet. Wenn kein Schnee liegt, wird ein geübtes Auge auch eine bescheidene Trittspur entdecken und sich darüber freuen. Der Abstieg vom Joch vollzieht sich auf einem steilen, lockeren Bratschenhang in der Richtung zu Punkt 2477. In der Ostseite dieses Felskopfes geht es ziemlich einfach hinab zu dem in der Karte eingezeichneten kleinen Gletscher, von dem aber nur mehr spärliche Überreste vorhanden sind. Den weiteren Abstieg zum Höhenweg vermittelt wieder der übliche, bewegliche Blockhang. Das grösste Hindernis der Fahrt fanden wir knapp vor der Hütte. Ein Gletscherbach führte so viel Wasser, dass seine Überschreitung eine schwierige und gefährliche Arbeit wurde; sie gelang uns erst ziemlich hoch oberhalb des Weges. Das braune, brausende Gletscherwasser stürzte mit solcher Gewalt in die Tiefe, dass nur die grössten Blöcke dem Ansturm standhalten konnten.

Rosswandspitze, 3158 m, Westgrat, 1. Begehung Unsere beiden Gefährten hielten es nun angezeigt, einen Rasttag einzuschalten. Mayer und ich einigten uns für einen halben Rasttag. Die andere Hälfte des Tages wollten wir für den Besuch der Rosswandspitze verwenden, eines selten erstiegenen, wild zerrissenen Felsgerüstes. Nach einem etwas späten Frühstück querten wir das weite Sonntagskar ungefähr in der Höhe der Schichten-linie 2500, überschritten den langen Westgrat der Rosswand ( ein Vorgipfel der Rosswandspitze ) bei Punkt 2578, stiegen jenseits über Platten und Schutt in das Weisskar ab und über den üblichen Blockhang hinauf zum Beginn des kurzen Westgrates, der, in der Karte gut sichtbar, vom Gipfel des Berges steil absinkt und die Rinne des üblichen Anstieges nördlich begrenzt. Nach einer kleinen Rast begannen wir die massig schwierige Kletterei, die uns zu einem schwarzen Riss brachte. Links von ihm querten wir in eine ziemlich grosse Höhle, die wir durch ein Loch in der Decke verliessen, um die Gratkante zu gewinnen. Weil wir in dieser Höhle schöne Bergkristalle fanden, tauften wir sie Kristallhöhle. Mayer baute übrigens zum Zeichen unserer Anwesenheit einen kleinen Steinmann. Der weitere Anstieg hält sich immer knapp neben oder auf der Gratkante. Früher, als uns angenehm war, die Kletterei ist sehr nett, standen wir beim Gipfelsteinmann Wieder lag rundherum die Wunderwelt der Berge Übergossen vom goldenen Licht der Sonne. Umgeben von solcher Schönheit und tiefster Stille zu sitzen und zu schauen, dünkt mich eines der köstlichsten Dinge zu sein, die uns der Gang zum Berg schenken kann.

Der Abstieg zum Vorgipfel unseres Berges, dem höchsten Punkt der Rosswand ( 3112 m ), führt tatsächlich über Riesenblöcke und schaut beim ersten Blick gar nicht so einfach aus. Wenn man aber den richtigen Weg findet, vollzieht er sich ganz gemütlich. Von ihm folgten wir seinem Westgrat, bis es angenehmer war, in das Weisskar abzusteigen. Wo wir im Aufstieg die Rosswand überschritten, wechselten wir wieder hinüber in das Sonntagskar und stiegen hinunter zur Hütte.

Grosser Löffler, 3376 m ( Nordostgrat ) Nun glaubten wir alle vier genügend eingelaufen zu sein, um die Überschreitung des Löff lers, auf die wir uns sehr freuten, mit Genuss durchführen zu können. Sie wurde auch eine unserer schönsten Fahrten. Am Vorabend bekamen wir Zuwachs. Ungefähr elf oder zwölf junge Bergsteiger und Bergsteigerinnen kamen angerückt; aus ihren Gesprächen erfuhren wir, dass sie, gleich uns, die Löfflerüberschreitung vorhatten.

Als wir am Morgen des nächsten Tages gegen 5 Uhr die Hütte verliessen, war die Jugend schon weit voraus. Wir hatten keinen Grund zur Eile; den Anstieg zum Frankbachjoch kannten wir, und das Wetter war schön. Als wir über den Blockhang zum kleinen Gletscher östlich des Punktes 2477 anstiegen, wunderten wir uns, von der Konkurrenz nichts zu bemerken; die war einfach spurlos verschwunden. Ich erwartete sie auf einmal hoch über uns auftauchen zu sehen, aber es blieb auch über uns still. Als wir aber die Höhe des Punktes 2477 erreicht hatten, siehe, da erblickten wir auf der anderen Seite des Felsrückens, tief unten am Löfflerkees, eine lange Menschenreihe, die sich langsam aufwärtsbewegte. Als sie uns erblickte, machte sie halt; ich konnte mir den Ausdruck der Überraschung in den Gesichtern der einzelnen, uns schon so hoch oben zu sehen, gut vorstellen.

Oben am Joch rasteten wir kurze Zeit, stiegen dann jenseits zum Frankbachgletscher hinab, folgten ihm ungefähr 100-150 m aufwärts, überschritten an geeigneter Stelle die ziemlich breite Randkluft und erreichten über brüchigen Fels die Höhe des Nordostgrates. Man kann dem Grat schon ab Frankbachjoch folgen, doch ist die Umgehung des ersten Teiles vorteilhafter.

Was nun folgte, war in jeder Hinsicht für uns ein voller Genuss. Die Kletterei ist nirgends so schwierig, dass man sie im stillen verwünscht, aber auch nirgends so unschwierig, um enttäuscht zu sein. In bunter Reihenfolge wechseln die verschiedensten Kletterstellen. Fast unentwegt geht es auf der Gratkante selbst empor; nur ab und zu zwingt eine ungangbare Stelle zu einem kleinen nördlichen oder südlichen Ausweichen. Hielten wir aber einmal eine kurze Rast, dann flog der Blick ungehindert hinüber zu den Bergen im Süden und hinauf zum « Lichtabgrund » des wolkenlosen Himmels, in dessen Mitte strahlend die Sonne stand. Knapp unterhalb des Gipfels steigt der Grat nochmals fast senkrecht an. Etwas nördlich der Kante kletterten wir in steilen, ein wenig lockeren Platten aufwärts, rechts von uns die Gipfelrinne, die steil zum Löfflerkees hinabzieht. Wenige Seillängen brachten uns wieder auf die Höhe des Grates, und einige Minuten später reichten wir uns auf dem Gipfel die Hände. Nicht ganz sechs Stunden hatten wir vom Frankbachjoch bis zum Gipfel gebraucht; für eine Viererseilschaft keine schlechte Zeit.

Gegen 16 Uhr verliessen wir den Gipfel. Der Abstieg über das steile, wegen seiner Spalten sehr gefürchtete Floitenkees vollzog sich glatt. Ohne viel suchen zu müssen, fanden wir den besten Durchstieg durch die Brüche und landeten etwas nach 18 Uhr bei der Greizer Hütte.Von unseren Konkurrenten haben wir nicht mehr viel gesehen. Als wir schon hoch am Grat waren, sahen wir sie noch am Frankbachkees bei der Randkluft. Da sie bei Einbruch der Dunkelheit noch immer nicht gesichtet wurden, liess die Hüttenwirtin das Licht im Gastzimmer brennen, um ihnen den Abstieg etwas zu erleichtern. Ingenieur Karafiat, dessen Zimmer gleich neben dem Hütteneingang lag, hatte dann noch ein freudiges, mitternächtliches Erlebnis; er konnte die wohlbehalten eingetroffene Jugend begrüssen.

Lapenspitze, 2992 m Der nächste Tag war für die Rückkehr zur Kasseler Hütte bestimmt Oben auf der Lapenscharte konnten aber Mayr und ich der Versuchung, die Lapenspitze zu besteigen, nicht widerstehen. Wir mussten dabei die Erfahrung machen, dass der letzte Teil des Anstieges, der Übergang vom Vor-zum Hauptgipfel, durch einen frischen Felsbruch bedeutend schwieriger geworden ist. Unsere Gipfelrast war nicht von langer Dauer, denn der lange Weg hinüber zur Kasseler Hütte stand uns ja noch bevor.

Unsere beiden Gefährten waren inzwischen schon weit voran. Der Höhenweg hinüber zur Kasseler Hütte ist ja recht nett, aber, wie alle « Höhenwege », führt auch er, mehr als angenehm ist, hinauf und hinab, und gerade dort, wo uns eine Weganlage am erwünschtesten gewesen wäre, auf der Stirnmoräne des Löfflerkeeses, verschwand unser Weg ganz. Die Überschreitung des tobenden Gletscherbaches machte uns wieder viel Mühe und gelang erst wieder in der Nähe seines Ursprunges. Ein gemütlicher Hüttenabend, zu dem die vorsorgliche Hüttenwirtin viel beitrug, schloss den Tag.

Gigalitz, 3002 m, Ostgrat, 1. Begehung Der nächste Tag war ein Rasttag. Wir haben ihn dazu benützt, um über das östliche Stilluppkees die Gfallenspitze, 2956 m, und die Grüne Wand, 2946 m, zu ersteigen. Das sind zwei nette, bescheidene Berge, aufweichen ein Bergsteiger, besonders dann, wenn das Wetter schön ist, auf die anständigste Art und Weise einen Rasttag verbringen kann, dessen Inhalt nur zwei Tätigkeiten füllen: Schauen und Kauen.

Nach diesem ruhevollen Tag begann aber für Mayer und mich wieder die Arbeit. Ingenieur Karafiat und Tochter stiegen hinab in das Stillupptal, um die Heimreise anzutreten, während wir beide unsere schweren Säcke über den Höhenweg hinübertrugen zur Lapenscharte, um sie jenseits unter einem grossen Felsblock zu verbergen. Dann standen wir auf der Schartenhöhe und suchten nach einer Möglichkeit, die uns auf eine anständige Art auf den Grossen Gigalitz bringen konnte. Ungefähr 200 m unterhalb der Lapenscharte, auf der Stilluppseite, führen einige grüne Bänder zu jenem Grat hinauf, der gerade zum Gigalitzturm ansteigt. Wir wählten das untere Band, erreichten die Grathöhe und stiegen über sie aufwärts. Anfangs war die Kletterei unschwierig, änderte sich aber bald. Eine steil aufgerichtete Platte in grosser Ausgesetztheit war das erste Hindernis. Vorsichtig erreichte ich ihre Höhe. Auf ihr, unsicher stehend, bemerkte ich, dass die Fortsetzung des Grates eine kirchdachsteile, riesige Platte bildet, deren rechte, nördliche Kante weit überhängend über eine tiefe Schlucht hinausragt. Dieses waagrechte, ca. 25 m lange, sehr ausgesetzte Gratstück zu erreichen, war schwierig, seine Überkletterung aber ein wahrer prickelnder Genuss. Als ich das Ende, des Reitgrates erreichte, war das Seil gerade zu Ende, und mit einem freudestrahlenden Gesicht kam Mayer nach. Über Rippen und steile Wandstufen stiegen wir nun ziemlich gerade zur Scharte nördlich des Gigalitzturmes an, überkletterten den schönen Verbindungsgrat zum Hauptgipfel und erreichten bald darauf den Steinmann.

Im Abstieg verfolgten wir den ziemlich deutlich ausgeprägten Grat, der nach Südwesten in das Floitental hinabzieht. Seine Begehung bietet keine Schwierigkeiten, erfordert aber Aufmerksamkeit und einen sicheren Geher. Erst ziemlich tief unten konnten wir von der Grathöhe in das Kar absteigen, durch das der Weg von der Greizer Hütte zur Lapenscharte führt. Der Anstieg zu unseren versteckten Säcken war nicht gerade angenehm, konnte aber die Freude über die gelungene Giga-litzüberschreitung nicht trüben.

Westliche Floitenspitze, 3194 m, und Schwarzenstein, 3368 m Der nächste Tag erforderte dringende Näharbeiten, denn mancherlei an uns war schon recht defekt geworden. Damit uns dieser unfreiwillige Rasttag nicht zu schwer fiel, schickte der himmlische Wettermacher nachmittags ein sehr beachtenswertes Gewitter, das uns die Annehmlichkeit einer warmen Hüttenstube recht anschaulich demonstrierte.

Am anderen Morgen aber waren wir zur frühen Stunde schon wieder unterwegs. Bildet die Lapenscharte den Übergang vom Stilluppgrund in den Floitengrund, von der Kasseler Hütte zur Greizer Hütte, so vermittelt der Tribbachsattel den Übergang vom Floitengrund in den Zem- grand, von der Greizer Hütte zur grossen, schönen Berliner Hütte. Wer Bergsteiger ist, wird diesen Übergang kaum ausführen, ohne die beiden Gipfel oder zumindest den Schwarzenstein zu besuchen. Freilich ist das Durchfinden durch die Brüche und durch das Spaltengewirr des Floitenkees nicht ganz leicht und hat schon manche Partie in arge Verlegenheit gebracht. Auch wir mussten verschiedene Irrwege in Kauf nehmen, ehe wir den oberen, spaltenlosen Gletscherboden betreten konnten. Am Tribbachsattel umhüllte uns plötzlich dichter Nebel. Trotzdem stiegen wir über den netten Südgrat hinauf zum Gipfel der westlichen Floitenspitze, freilich nur, um im Regenschauer wieder zu unseren Säcken zurückzukehren. Im Aufstieg über den steilen Eishang zum Sattel zwischen Schwarzenstein und Gr. Mörchner lichtete sich aber wieder überraschend der Nebel, und als wir den Gipfel des Schwarzensteins selbst betraten, schien die Sonne von einem nahezu wolkenlosen Himmel So konnten wir gemeinsam mit einem Mädchenpensionat und einem Klubkameraden noch eine recht angenehme Gipfelrast halten. Gegend Abend hielten wir dann Einzug in das komfortable Haus der Berliner.

Turnerkamp, 3418 m, Ostgrat Der Turnerkamp ist wohl der formenschönste Gipfel der Zillertaler Alpen. Seine Besteigung ist auf keinem Weg unschwierig und erfordert einen guten Bergsteiger. Der mehr als 2 km lange Ostgrat zählt zu den längsten Klettereien des Zülertales.

Als wir um 5 Uhr morgens zum Ostgrat aufbrachen, leuchtete noch der volle Mond. Der Aufstieg über das Hornkees zum Trattenjoch brachte uns nur im mittleren Teil einige Schwierigkeiten. Wir mussten einen Bruch östlich umgehen und kamen dabei auf wasserüberronnene, steile Platten. Unangenehmer als diese Passage waren die Funde, die wir etwas später am oberen Gletscher machten. Zwischen den Trümmern eines abgestürzten Flugzeuges aus der Kriegszeit lagen auch noch, vom Eis wohlkonserviert, Teile eines menschlichen Körpers.

Um 8 Uhr standen wir am Trattenjoch und begannen nach kurzer Rast die lange, aber sehr abwechslungsreiche Kletterei. Der Aufstieg über den Ostgrat ist bestimmt schön, aber er führt nicht unmittelbar zum Gipfel. Ungefähr 300 m unterhalb wird der Grat ungangbar und zwingt zu einer Querung der Südostwand bis zur Rinne, durch die der Normalweg vom Trattenbachkees führt. Durch ihren obersten Teil erreichten wir um 15 Uhr nachmittags den stolzen Gipfel des Turnerkamps.

Obwohl unsere Rast, mit Rücksicht auf den langen Rückweg, nur eine kurze war, schenkte sie uns doch köstliche Minuten. Wieder einmal war ein alter Wunsch in Erfüllung gegangen, wieder einmal folgte einer langen, harten Arbeit das köstliche Gefühl der Entspannung, das, zusammen mit der Schau über ein weites, herrliches Bergland, den Bergsteiger so wunschlos glücklich machen kann, wenn auch nur für flüchtige Minuten, denn: alles Lebens Gesetz ist ruheloses Wandeln, Formen und Gestalten, Werden, Sein und Vergehen.

Der Abstieg durch die Gipfelrinne zum Trattenbachkees war nicht angenehm. Die Rinne endete auf einem recht steilen, schwarzen Eishang, der dazu noch mit Sand bedeckt war, durch den die Zacken der Eisen nicht immer durchdringen konnten. So musste ich, aus Gründen der Sicherheit, eine ziemlich grosse Anzahl von Stufen schlagen, bis ich den oberen Rand des Schrundes erreicht hatte, über den dann eine leidlich gute Brücke führte. Der weitere Abstieg über das Trattenbachkees, entlang des Ostgrates, vollzog sich dann reibungslos; nach einem kurzen, aber nicht ganz mühelosen Anstieg standen wir um 7 Uhr abends wieder am Trattenjoch. Als wir über den unteren Teil des Hornkeeses der Berliner Hütte zustrebten, stand der silberne Mond wieder hoch am Himmel.

Feldkopf ( Zsigmondyspitze ), 3087 m Der Feldkopf oder die Zsigmondyspitze, wie sie nach ihrem ersten Ersteiger, Emil Zsigmondy, auch benannt wird, ist das Matterhorn des Zillertales und daher wie dieses heiss umworben, viel besucht, von allen Seiten erstiegen und auf keinem Wege völlig unschwierig.

Der Besuch dieses Berges sollte für uns beide eine Erinnerungsfahrt werden. Mayer hatte den Berg vor vielen Jahren mit seiner Frau erstiegen, ich musste vor 16 Jahren beim Beginn des langen Querganges umkehren, weil die Felsen vollkommen vereist waren und hoher Neuschnee für mich ein Weitergehen unmöglich machten.

Mit Rücksicht auf die Anstrengungen des vergangenen Tages und die Kürze der Fahrt verliessen wir erst um 13 Uhr die Hütte und stiegen langsam hinauf zum Schwarzsee. Ein rasch aufsteigendes Gewitter liess uns gerade noch so viel Zeit, einen grossen Felsblock unterhalb des Einstieges zu erreichen. Unter ihm glaubten wir vom Regen hinlänglich geschützt zu sein, bis uns ein kühles Gefühl im Nacken bewies, dass das Wasser immer seinen Weg zur menschlichen Haut findet. Bald waren wir eingehüllt in graue Nebelschleier, die von den roten, zuckenden Blitzen magisch durchleuchtet wurden. Schon wollten wir den Rückzug antreten, als uns ein rasch eintretendes Aufhellen noch verweilen liess.

Um 17 Uhr standen wir dann beim Einstieg und wenig später beim Beginn des langen Querganges. Mayer wunderte sich über die Vergänglichkeit einstiger Herrlichkeit. Wo er vor vielen Jahren noch schöne Bänder und Leisten fand, war jetzt nur loses, höchst unsicheres erdiges Zeug vorhanden. Um dieses unangenehme Stück zu vermeiden, stieg ich vom ersten Drittel des Querganges über eine sehr steile, aber feste Quarzwand direkt zum grossen Band hinauf. Dass der Feldkopf ein Modeberg geworden ist, erkennt man nicht nur aus den Eintragungen im Hüttenbuch der Berliner Hütte, sondern auch an der Glätte des Gesteins beim sogenannten Floitentritt. Als wir am Gipfel standen, war vom Gewitter nichts mehr zu merken. Der Himmel leuchtete im Abendlicht der Sonne, in den Gründen lagen weisse Nebelballen, und tiefe Stille umgab uns. Als wir das letzte Stück des Weges zur Hütte hinabliefen, begann der Mond bereits wieder seine Silberdecke über das Bergland zu breiten.

Grosser Greiner, 3199 m ( Südostgrat ) Der Grosse Greiner ist « einer der schneidigsten Felsgipfel der Zillertaler Alpen und eine der schönsten Klettertouren des Urgebirges ». So steht es nicht nur im « Hochtouristen » \ es ist auch tatsächlich so. Und trotzdem ist der Greiner fast ein unerschlossener Berg, vielleicht sogar ein einsamer. Das macht, dass der Zugang zu ihm von keiner Seite mühelos ist und die vorhandenen Wegbezeichnungen mehr in der Karte als wirklich vorhanden sind.

Die Überschreitung des Greiners von der Berliner Hütte zum Furtschaglhaus sollte für diesmal die Abschiedsfahrt vom Zillertal werden; sie hätte sehr leicht auch zur Abschiedsfahrt vom Leben werden können.

Trotz der teilweise vorhandenen Wegspuren und Bezeichnungen ist der Anstieg von der Berliner Hütte zum kleinen Greinerkees, besonders entlang der Greinersonnwand, nicht ganz einfach. Der Anstieg aber vom Greinerkees zur Reischbergscharte, so meinte Mayer, wäre nur dem möglich, der sehr gut « Schrofengehen » kann. Tatsächlich ist es schwierig, in und neben der sehr steilen, lehmigen, brüchigen und nassen Rinne die Scharte zu erreichen.

1 Der Hochtourist von Purtscheller und Hess, Band V Als wir morgens die Hütte verliessen, war das Wetter einwandfrei. Leider verschlechterte es sich während unseres Aufstieges zusehends, und bald mussten wir feststellen, dass von zwei Seiten Gewitter im Anzug waren. Da sich während einer kurzen Rast in der Reischbergscharte der Himmel wieder etwas lichtete, beschlossen wir, rasch weiterzugehen. Die Kletterei ist im höchsten Grad genussvoll und brachte uns ziemlich schnell höher. Trotzdem musste ich auf der Höhe des Punktes 3133, wo sich Südost- und Ostgrat vereinigen, feststellen, dass wir den Wettlauf mit dem Gewitter verloren hatten. Rasch wurde es um uns dunkel; ein unwirscher Wind fauchte uns um die Ohren, und die ersten Blitze durchzuckten die schwarze Wolkenwand im Westen. Bei dem kühnen Felsturm, den man das « Rossi » nennt, merkte ich plötzlich, wie sich meine Kopfhaare sträubten, und dabei war mir, als würde mein ganzer Körper von unzähligen Nadeln gestochen. Schleunigst stieg ich die Seillänge wieder hinab zu meinem Gefährten. Wir standen in der Nordostflanke eines Turmes, der einen kleinen Überhang hatte. Rasch verstauten wir unser Eisenzeug ein Stück unterhalb des Turmes auf seiner anderen Seite. Dann bemühten wir uns, die Nische unter dem Überhang etwas zu vergrössern, indem wir einige lose Blöcke entfernten. Eng aneinandergekauert, mit meinem, auf der Innenseite mit Gummi überzogenen Regenmantel zugedeckt, harrten wir der kommenden Dinge. Die liessen nicht lange auf sich warten. Blitz folgte auf Blitz, der Regen rauschte, und der Sturm zerrte an unserem Mantel. Immer kürzer wurden die Intervalle zwischen Blitz und Donner, bis wir überhaupt keine mehr bemerkten und eingehüllt waren in einem ununterbrochenen Flammen und Knattern, das so hart und laut war, dass die Ohren schmerzten. Einmal aber war die Helle so intensiv, dass sie durch den Mantel drang; gleichzeitig traf uns beide ein harter Schlag, der den ganzen Körper erschütterte. Etwas durcheinandergerüttelt versuchten wir, unsere Glieder zu bewegen, aber siehe, es war nichts geschehen und alles heil. Zwei Stunden sassen wir so in « Hangen und Bangen » und warteten auf das Ende. Langsam hörte dann das Rauschen des Regens auf, und Blitz und Donner wurden seltener. Da krochen wir vorsichtig aus unserer Umhüllung. Der Anblick, der sich uns nun bot, war unbeschreiblich. Würde ein Maler versucht haben, diese Farben festzuhalten, kein Mensch hätte ihm geglaubt, dass er sie wirklich erblickte. Noch lag tiefes Dunkel über dem grössten Teil des Berglandes, aber schon drang durch das Wolkengefüge da und dort das Licht des Tages, schimmerte das Blau des Himmels und zuckten rotgolden die Strahlen der Sonne. Die ganze Welt um uns schien hineingestellt in ein wogendes Meer der unwahrscheinlichsten Farben, Farbtöne und Lichtreflexe.

Rasch brachten wir unsere Sachen in Ordnung, und schon stieg ich wieder zum « Rossi » hinauf. Knapp unterhalb des Gipfels musste ich nochmals ein Stück zurück; die elektrische Spannung war hier noch so gross, dass sie schmerzte. Wenige Minuten später war die Erscheinung vorbei und der Gipfel erreicht. Diesmal war die Gipfelrast nicht lange; über das obere Stück des Westgrates kletterten wir schnell hinunter und stiegen dann, teilweise Wegspuren folgend, durch die Südostflanke des Berges hinab in das Reischbergkar.

Die Gewitter hatten sich inzwischen etwas verzogen, so dass Mayer noch eine Reihe ganz prächtiger Farbaufnahmen machen konnte, die leider nur den einen Nachteil haben, dass sie nicht reproduziert werden können. Im Furtschagelhaus hielten wir kurze Rast und eilten dann durch das Schlegeistal hinaus zur Dominikushütte. Wieder rauschte der Regen, und wieder rollte der Donner. Jetzt aber waren Blitz und Donner weit weg von uns, und nur das Nass des Regens rieselte über unsere Haut. In der Dominikushütte warteten wir das Ende des Regens ab und schritten dann hinaus zum Wirtshaus Breitlahner, wo wir den Tag beschlossen.

Weit offen stand das Fenster meines Zimmers; frische und würzige Luft drang herein, und das Licht des Mondes geisterte durch das Dunkel der holzgetäfelten Stube. In der Mitte des Bildes aber, das der Fensterrahmen aus der nächtlichen Landschaft schnitt, stand der kühne Gipfel des Grossen Greiners. War das ein gutes und sonderbares Gefühl, als ich das weiche Federbett über die Ohren zog, als wohlige Wärme den Körper durchströmte und im Lichte der Erinnerung das Gewitter am Greinergrat dahinschwand wie ein böser Traum.

Am nächsten Morgen zogen wir bei schönstem Wetter hinaus nach Ginzling und Mayrhofen. Blau war der Himmel, weisse Wolken zogen gegen Süden, Blumen blühten in den Wiesen, und vor den Fenstern der alten Bauern- und Wirtshäuser leuchteten tiefrot die Blüten der Begonien. War es da ein Wunder, dass mein Gefährte weit zurückblieb, weil er immer wieder versuchte, all die bunte Herrlichkeit festzuhalten? So fügte auch er « Bild zu Bild zum bunten Mosaik der Stunden fern vom Tag der Fron », Bilder, die uns helfen, Tage und Stunden aus der Vergangenheit zu heben, dass sie, vom Lichte der Erinnerung überstrahlt, wieder zur Wirklichkeit werden, wenn man dereinst anhebt zu erzählen: « Es war einmal... »

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