Bergfahrten in Ceylon
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Bergfahrten in Ceylon

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON WALTER SIEVERS, ZÜRICH

Mit 1 Zeichnung, 1 Kartenskizze und 5 Bildern ( 50-54 ) « Ceylon ist die Perle am Ohr Indiens » ( Indisches Sprichwort ) Die Vielfalt der grossenteils unberührten Landschaften auf dieser herrlichen Tropeninsel ist so überwältigend, dass jeder Naturfreund ihrem Zauber verfällt.

In der Mitte des Eilands erhebt sich ein ausgedehntes, höchst interessantes Gebirgssystem, das zu durchstreifen ich mir vornahm. Auf einer umfassenden Orientierungsreise im Jahre 1966 sah ich die vielen schönen Berge « von unten ». Der Wunsch, einige der vielgestaltigen Gipfel zu erreichen, wurde übermächtig. Ich sah aber auch, dass das Bergsteigen in dem fremden, von wildem Dschungel 6 Die Alpen - 196 » - Les Alpes81 überzogenen Land keine Kleinigkeit sein würde. Doch der Reiz, ins Unbekannte vorzudringen und mancherlei Gefahren in Kauf zu nehmen, war gross, und so stand ich im Winter 1967 wieder auf Ceylons Boden, diesmal hauptsächlich als Bergsteiger.

Der ganze Grundsockel und die meisten Gebirgserhebungen in Ceylon bestehen aus uralten, vorkambrischen Gesteinen - meist Biotitgneis oder Granit -, denen ungefähr in der Mitte der Insel ein breiter Gürtel von Sedimenten - Quarzite, Schiefer und kristalliner Kalk - aufgelagert ist. Keinerlei vulkanische Elemente sind hier zu finden. Viele Gipfel und Rundhöcker in den Bergen sind Härtlinge aus Biotitgneis, die ganz merkwürdige abgerundete Formen aufweisen und sehr schwer zu ersteigen sind. Solche Rundhöcker finden sich in grosser Zahl in den Ebenen am Rande des Gebirges. Sie verleihen der Landschaft einen eigenartigen Charakter. Diese isolierten Felsklötze dienten in alten Zeiten vielfach als Festungen, Kultstätten oder Tempel und sind zum Teil weltberühmt ( Sigiriya, Mihintale, Dambulla u.a. am Rande der grossen Zentralebene oder die herrlichen Kataragama-Berge im Süden ).

Das ganze zentrale Gebirge baut sich von Norden her in einigen ausgeprägten Stufen immer höher auf und fällt gegen Süden in einem gewaltigen Steilabsturz fast unmittelbar gegen die Tiefebenen ab. Hier stellt man auf kurze Distanz einen Höhenunterschied von rund 2400 Meter fest. Im Osten und Nordosten ( Knuckle Mountains ) ist das Gebirge wild zerklüftet und sehr schwer, teils gar nicht zugänglich.

Dichter, undurchdringlicher Urwald bedeckt das ganze Bergland, vielerorts bis zur Gipfelregion. Es gibt hier keine eigentliche Baumgrenze, da die Erhebungen ohnehin nicht sehr hoch sind ( die höchste Erhebung Ceylons, der Pidurutallagala, ist nur 2526 m hoch ).

Diese Bergwälder sind von unvorstellbarer Schönheit, am schönsten an den regenreichen Südabhängen, von den Horton Plains bis zu dem noch unbetretenen Tropenwald von Sabaragamuwa. Hier findet man unzählige Baumarten, von denen Terminalia, ein für Ceylon typischer endemischer Riesenbaum, Exemplare von 50 bis 60 Meter Höhe hervorbringt. Daneben gibt es eine Unmenge herrlicher Farne aller Gattungen, von zierlichen Zwergen bis zu solchen mit 10 Meter langen Wedeln, Baumfarne, Cycas ( eine Urweltpflanze ), dann eine reiche Auswahl von Sträuchern und niedern Pflanzen. Im Halbdunkel dieser Wälder blühen prachtvolle Orchideen in grosser Zahl, darunter auch Vanille. Mit zunehmender Höhe werden die Bäume niedriger, krüppelhaft, von Wind und Wetter zerzaust und über und über voll von Flechtenbärten und Lianen.

Durch eine solche Wildnis muss sich der Bergsteiger hinauf kämpfen, wenn er einen Gipfel erreichen will. Das ist nicht leicht; es braucht viel Zeit und Geduld und etwas Mut, lauern doch allerlei Gefahren im Dickicht: eine grosse Kollektion von Schlangen und sehr oft auch Leoparden.

Am südlichen Absturz der imposanten Alpenmauer erhebt sich als wundervoll ebenmässige Gneispyramide der Sri-Pada, 2240 Meter, in der Nähe von Ratnapura, dem Edelsteinzentrum von Ceylon. Diesem exponierten Berg, dem « Matterhorn in Kleinformat », galt nun meine erste Bergfahrt. Da der Aufstieg von Ratnapura aus sehr lang und beschwerlich ist und etwa acht bis neun Stunden Anmarsch erfordert, entschloss ich mich, den Berg von Norden her anzugehen.

Mein ständiger treuer Chauffeur Frank, ein Singhalese aus Colombo, brachte mich im Wagen von Kandy aus in das Hochland von Hatton. Die einzige Gelegenheit zum Übernachten bot sich in einem völlig abgelegenen Bergdorf, in Bogowantalawa, wo ich in einem halbzerfallenen Regie-rungsrasthaus eine ganz passable Unterkunft fand. Von hier aus machte ich eine Trainingstour zum Totupola-Kanda, dem dritthöchsten Berg der Insel. Wegen der fortgeschrittenen Tageszeit erreichte ich den Gipfel aber leider nicht mehr. Dafür machte ich Bekanntschaft mit den liebenswürdigen Eingeborenen in den hochgelegenen Teeplantagen. Es sind ausser den neugierigen, aufgeschlossenen Singhalesen meist Tamilen aus Südindien, die als die besten Arbeitskräfte im Lande gelten.

Am ersten Märzmorgen um 4 Uhr verliessen wir das Dorf und fuhren auf kurvenreicher Strasse über einen Pass hoch über dem Laxapana-Stausee nach Maskeliya am Nordfuss des Sri-Pada. Maskeliya ist ein kleiner, aber sehr belebter Touristenort, und der Sri-Pada, ein heiliger Berg der Buddhisten, wird von hier aus häufig bestiegen. Auf seinem Gipfel soll sogar ein Fussabdruck von Buddha zu sehen sein.

Ein guter Weg führt von hier aus in ein prachtvolles Hochtal, flankiert von senkrechten Gneiswänden, zuerst noch durch tiefgrüne Teeplantagen, dann durch dichten Buschwald immer steiler bergan. Man überquert einige klare Bergbäche in tiefen Schluchten; dann geht es auf einem äusserst mühsamen, sehr steilen granitenen Pfad in der Nordwand direkt bis zum Gipfel hinauf. Vier Stunden dauert das anstrengende Klettern; weiter oben gibt es keinen Waldschatten mehr. Unbarmherzig brennt die heisse Äquatorsonne auf den schweisstriefenden Körper. Nur einmal stiess ich auf einen kühlen Brunnen, der allerdings kein Trinkwasser lieferte, und war recht froh, als ich um 10 Uhr endlich auf dem schmalen, isolierten Gipfel stand.

Eine grandiose Aussicht, die leider im Süden von einer schweren Wolkenschicht verdeckt war, belohnte meine Mühe. Tief unten lag ein Meer von düsterem Grün: der endlose Urwald, allenthalben überragt von schönen Berggipfeln. Man blickt in tiefe, einsame Täler hinab und schaut im Norden über das ganze Bergland hinweg bis dorthin, wo sich die letzten Zacken in zartblauem Dunst verlieren. Senkrecht stand die Sonne am Himmel, fast keine Schatten mehr werfend. Hier oben verzehrte ich meinen spärlichen Proviant, eine Handvoll Bananen und eine Kokosnuss, dann machte ich mich bald an den Abstieg, da von Süden her schon weisse Nebel um die Felsen brodelten. Hier ist das niederschlagsreichste Gebiet der Insel; fast täglich gibt es heftige Gewitter. Das stundenlange Abwärtsspringen über die hohen Gneisstufen machte sich in einem ordentlichen Knieschiotter bemerkbar, und oft musste ich stehenbleiben, um die Muskeln zu entspannen. Auf nur 6,4 Kilometer Distanz ist doch ein Höhenunterschied von rund 1000 Metern zu überwinden! Froh und glücklich über meinen ersten Berg in Ceylon kam ich am frühen Nachmittag in Maskeliya an, wo mich Frank in Empfang nahm.

Für den nächsten Tag hatte ich eine Tour auf den höchsten Berg der Insel vorgesehen, den Pidurutallagala, 2526 Meter. So fuhren wir nach kurzer Rast unserem nächsten Ziel entgegen: nach Nuwara-Eliya, einem Höhenkurort auf etwa 1900 Meter Höhe. Das waren 48 Kilometer schönster Fahrt aufrecht guter Strasse, vorbei an vielen imposanten Wasserfällen, tiefen Schluchten und stillen Bergseelein. Überall eine Fülle von herrlichen Blumen, an den Berglehnen Teeplantagen, so weit das Auge reicht! In die Landschaft verstreut, die auffallenden Gebäude der Teefaktoreien oder kleine Siedlungen, dann wieder schöne Wälder oder Gruppen von prachtvollen Blütenbäu- men ( Stenocarpus, Spathodea campanulata ) mit grossen orangefarbigen Blüten. Bei Nanu-Oya überquerten wir den höchsten Punkt der ceylonesischen Eisenbahn; dann ging es in eine der lieblichsten Landschaften der Welt hinein: in das mit herrlichen Seen geschmückte Hochtal von Nuwara-Eliya. Dort gibt es gute Hotels, so dass für eine erholsame Unterkunft gesorgt war.

Ein Erlebnis ganz besonderer Art, eine der schönsten Touren, die ich je gemacht habe, war die Besteigung des Pidurutallagala. Unmittelbar am östlichen Rand der Ortschaft, bei St. Andrews, führt ein gut gangbarer Weg, den einst die Engländer angelegt haben, in den Urwald hinein. Anhand der Landkarte, die ich im Survey-Departement in Colombo gegen Unterschrift erhalten hatte, konnte ich mich gut orientieren.

Trotz massigem Anstieg gewann ich schnell an Höhe, doch bald « verlotterte » der Weg und ging in ein steiniges, jetzt aber trockenes Bachbett über. Dies war die einzige Möglichkeit, überhaupt weiterzukommen Ein Bergdschungel, voll von unbekannten Geheimnissen! Keinem einzigen Menschen begegnete ich fürderhin. Ich war allein mit der gänzlich unberührten Natur. In Ceylon gibt es noch viele solche Gebiete, die selten, oft sogar noch nie von eines Menschen Fuss betreten worden sind. Manchmal wurde es mir allerdings etwas unheimlich, wenn plötzlich im Dickicht ein Ast krachte oder wenn es verdächtig im Unterholz raschelte. Doch unentwegt pirschte ich mich weiter bergan, immer auf der Hut, ob nicht irgendwo ein geflecktes Fell in den Bäumen sitze oder eine der vielen grossen Schlangen mir den Weg streitig mache. Gelegentlich erschreckten mich ein paar Hulman-Affen; sonst war es still, unheimlich still in dieser grünen Wildnis. Hie und da schaukelten riesige Schmetterlinge durch die spärlichen Lichtungen, oder prachtvoll gefärbte Wildhühner rannten eilig vor mir her. Einmal traf ich auf eine liebliche, mit hohem Illuk-Gras bewachsene Lichtung, durch die ein klares, kühles Bächlein gurgelte. Ich musste eine Weile im frischen Wasser marschieren, da kein Ausweichen möglich war. Ein wilder Wirrwarr von Lianen machte mir viel Mühe. Teilweise schaffte ich mir mit dem Messer einen Durchgang. Nach diesem dornigen, verfilzten Hindernis lichtete sich der Dschungel, und ein letztes steiles Wegstück führte nun direkt zum Gipfel hinauf, wenn man hier überhaupt von einem Gipfel sprechen kann; denn die höchste Erhebung Ceylons besteht aus einer gewölbten Kuppe, die mit hartem Illuk-Gras bestanden und von Felsen durchsetzt ist.

Eine unfassbar schöne Landschaft tat sich da vor mir auf! Die Aussicht bei wolkenlosem Himmel war geradezu überwältigend! In völliger Einsamkeit stand ich auf der hohen Warte und liess meinen Blick über das fremde Land schweifen. Nach allen Seiten reichte die Fernsicht über 240 Kilometer weit; man überblickt das ganze Bergland der Insel, vom Adam's Peak im Südwesten über den Totupola und Kirigalpotta bis zu den fernen blauen Kataragama-Bergen ganz im Südosten, dann von den wilden, noch unerforschten Nilwala-Zacken im Uva-Gebirge zum Golf von Bengalen, das riesige Dschungelgebiet der Mahaweli-Ganga, des grössten Stromes von Ceylon ( auf der Landkarte ein weisser Fleck !), bis zu den Knuckle Mountains, zwischen deren Zacken hindurch man noch den Sigiriya-Felsen am Rande der grossen Zentralebene erkennt, nördlich das Bergland von Kandy, und im Westen reicht der Blick über das Hatton-Hochland bis zum Indischen Ozean! Zwei Stunden verweilte ich auf dem herrlichen Berg und konnte mich an der Schönheit der tropischen Landschaft nicht sattsehen.

Das Gestein hier oben besteht aus kristallinen Kalken, Urgesteinen und Sedimenten. Merkwürdigerweise gibt es hier viele uralte knorrige Rhododendron-Bäume von 4 bis 5 Meter Höhe, die mit prachtvollen tiefroten Blüten geschmückt sind. Dann blühen überall schöne lila Cistrosen, eine Menge Bergblumen und viele gelbe Senecio-Büsche. Und ringsum, alles überdeckend, der lückenlose Urwald!

Für den Abstieg wollte ich einen andern Weg einschlagen, aber es gelang mir nicht ein einziges Mal, den Bergwald zu durchdringen. So wanderte ich auf der Aufstiegsroute abwärts und kam ohne Zwischenfall zum Ausgangspunkt zurück. In einer von phantastischem Pflanzenwuchs überwucherten Schlucht nahm ich im kühlen Bergbach ein erfrischendes Bad. An den Steilhängen standen überall herrliche Baumfarne, die ihre riesigen Wedel weit über die vielen Wasserfälle spreizten. Das Spiel von flutendem lichtem Grün und tiefen Schatten bot ein Bild überirdischer Schönheit!

Den Abend dieses erlebnisreichen Tages verbrachte ich im Hotel als Gast des Lordmayors von Nuwara-Eliya. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass ein Europäer allein in den unheimlichen Bergen herumstapfe. Es gab eine grosse Gesellschaft; auch zwei Reporter aus Colombo waren anwesend, die mich über meine Unternehmungen hier und natürlich auch über die Schweiz gehörig ausfragten. Der viele Arak und Toddy ( Palmschnaps ), die laufend kredenzt wurden, stellten meine nächste Tour ziemlich in Frage. Trotzdem wollte ich am andern Tag dem Hakgala-Peak einen Besuch abstatten.

Am Morgen regnete es ausgiebig; doch mein Chauffeur Frank stand schon früh mit dem Wagen bereit zur Abfahrt. Er nahm gar keine Rücksicht auf das Wetter. Also fuhren wir nach Süden durch das schöne Hochtal und gelangten schon nach einigen Kilometern zu der wilden, abweisenden Felsmauer des Hakgala. Am Osthang des Berges, in etwa 1800 Meter über Meer, befindet sich einer der schönsten und interessantesten botanischen Gärten der Welt von vorwiegend alpinem Charakter. Eine Beschreibung dieses Naturwunders würde allein ein ganzes Buch füllen! Von da aus wollte ich einen Aufstieg versuchen, aber nach vieler Mühe schien die Sache aussichtslos: kein einziger gangbarer Pfad liess sich finden, denn die Wildnis in der mit schroffen Felsen durchsetzten Flanke des Berges ist unbeschreiblich. Weil ich allein war, konnte ich das Risiko eines Aufstieges nicht in Kauf nehmen, zumal es in diesem Bergdschungel von Leoparden wimmelt. ( Ich hatte zwar die Furcht vor diesen grossen Katzen einigermassen verloren seit einem Erlebnis, das mir im Süden der Kataragama-Berge beschert war. Dort stand ich einmal plötzlich einem grossen Leoparden auf drei Schritte gegenüber! Dieser sauste in einem gewaltigen Sprung - nicht auf mich zu, sondern in entgegengesetzter Richtung in das dornige Gebüsch und verschwand, so schnell er konnte !) Doch - man kann ja nie wissen! So quälte ich mich wieder mühsam die paar hundert errungenen Meter abwärts und verzichtete schweren Herzens auf diese Tour.

Noch viel wäre zu erzählen über das herrliche Hochland der Horton-Plains mit vielen leichteren Touren, wie World's End, Ella Rock, Kirigalpotta und wie sie alle heissen. Aber es würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen.

Reich an grossartigen Bergerlebnissen, die mir in diesem zauberhaften fremden Land zuteil geworden waren, kehrte ich im März über Ratnapura nach Colombo zurück, in der Hoffnung, dieses Paradies möge immer so unberührt bleiben, wie es heute noch ist.

Feedback