Bergfahrten in der südamerikanischen Schweiz
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Bergfahrten in der südamerikanischen Schweiz

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Am Tronadór.

Nachdem im Sommer 1923 die Besteigung des Tronadór mit Dr. Reichert und dem Chilenen Andrade achtzig Meter unter dem Gipfel zusammengebrochen 1 ), suchte ich auf zwei andern Flanken nach einem guten Zugang. Dies war einige Monate später, im Herbst. Zu dieser Zeit donnern in Europas Alpen die schweren Frühlingslawinen, und die Krokusblumen schauen am Rande des Schnees hervor. Am Tronadór aber wintert 's. Weiss gepudert sind Grate und Wände, und wenn man ihn so anschaut, knöpft man seine Jacke unwillkürlich noch enger. Grosse Massen Schnee fallen nur bis auf 700 m über Meer herunter, geringe Mengen bis auf Casa Pangue, 300 m, und die Höhe des Lago Todos los San tos, 150 m.

Zwei junge Araukaner satteln drei Maultiere. Diese Einleitung zur Tronadórerforschung geschieht an einem schönen Herbstnachmittage, angesichts der schimmernden Dreitausendmeterwand unseres Berges. Ein Engländer namens Richards leitet Wohl und Wehe der Station Casa Pangue, wo der die Anden überschreitende Reisende der « Impresa Transandia del Sud » das Pferd mit der Mula vertauscht. Das Tal des Peullaflusses, das wir durchreiten, ist beinahe eben und etwa dreihundert Meter breit. Es ist mit Bachsteinen ausgefüllt, zwischen denen die Gletscherwasser des Tronadór ihren Weg nehmen. Im Trab reiten wir am Rande durch engen Wald. Man muss sehr aufpassen bei solchem Ritt, dass man nicht irgendwo hängen bleibt oder den Kopf und die Knie zerschlägt. Später reiten wir schräg rechts hinüber und befinden uns nach Überschreitung des reissenden Rio Peulla hart am Fusse des Tronadór, 350 m. Ein grosser Gletscher, mit rötlichem Moräneschutt bedeckt, liegt auf gleicher Höhe uns gegenüber. Der Donnerer hat mit seinen 3500 m Höhe also einige hundert Meter mehr Gletscher als wie der 1000 m höhere Monte Rosa, dessen Macugnagagletscher in der Ostwand bis auf etwa 1700 m heruntergeht. Der Gornergletscher bei Zermatt reicht noch hundert Meter weniger tief. Der Tronadór besitzt, was ich gesehen, sechs sehr grosse, selbständige Gletscher, von deren mannigfaltigen Verzweigungen und den kleinen Hängegletschern gar nicht zu reden. Die Hauptgletscher breiten sich vom Mittelpunkt, dem höchsten Gipfel, fächerartig nach allen Himmelsrichtungen aus. Diese Gletscher gehören ihm allein; kein anderer Höhenzug nimmt daran teil, wie dies bei den Bergen in den Alpen der Fall ist. Ganz besonders wegen dieser seiner isolierten, selbstherrlichen Stellung, verbunden mit grandiosem Hochgebirgscharakter, kommt ihm ohne irgendwelchen Zweifel kein Berg in Europa gleich. Auch die öde und gletscherarme Zentralcordillera mit dem höchsten Gipfel ganz Amerikas, dem Aconcagua ( 7040 m ), bleibt weit hinter ihm zurück. Der Cerro Tronadór ist kein Vulkan, obwohl auch er, wie ja die ganze süd- und mittelamerikanische Cordillera, etwas vulkanischen Charakter aufweist. Er ist grundverschieden von den nicht weit entfernt gelegenen Puntiagüdo, Osórno, Calbüco und Puyé-hue, welche Haupt- und Nebenkrater besitzen, also richtige Vulkane sind, wenn auch zum Teil erloschene. Soeben kehren die beiden jungen Araukaner zurück; der eine, der mich morgens begleiten wird, hat noch etwas im Wald gekundschaftet, der andere die Mulas abgesattelt und nicht allzuweit von uns entfernt festgebunden, damit der Löwe sie nicht hole, wie er meint. Derweil habe ich Holz zusammengetragen, genug für ein die ganze Nacht zu unterhaltendes Feuer; denn das Frieren lässt nicht schlafen. Wir lagern auf zahlreichen Steinen.

Früh am Morgen Aufbruch. Der jüngere Araukaner trottete mit den Mulas wieder heim, mit der Bestimmung, am übernächsten Morgen hier uns abzuholen. Die Tiere waren sehr munter, legten die Ohren zurück und schlugen fröhlich, das bekannte hiiii... schreiend, nach unbekannten Gegnern aus. Hatten sie vielleicht des Löwen funkelnde Augen vergangene Nacht aus dem Dunkel liebäugeln gesehen?... Karianka, so heisst der indianische Chilene, ist ein ausdauernder Waldläufer und Macheteur, wenn ich so sagen kann. Noch nie hat mir ein Wald so gefallen wie jener, den wir gleich vom Lagerplatz weg betraten und ungefähr zwei Stunden zu begehen hatten. Es ist der Märchenwald, von dem die Kinder träumen dunkel, geheimnisvoll, mit kleinen Schluchten, Bächlein und grossen modernden Stämmen am Boden, alles überzogen von einer dunkelgrauen, hohen Moosschicht. Was für prächtige Moosarten es dort gibtDas Rauschen des Peullabaches hörten wir näher und näher und stiegen am steilen Waldborde zu ihm hinab. Während wir rasteten, bemerkte ich eine Ente, welche gemütlich unter einem überhängenden Felsen schwamm. Da viele Steine allen Kalibers herumlagen und ich von jeher bei solchen Gelegenheiten ein böser Bube gewesen, so sah ich gar nicht ein, warum ich es nicht auch jetzt sein sollte, und die böse Absicht ward zur Tat. Hätte die schlaue Ente nicht schnell untergetaucht oder vielmehr, wäre das Wurfgeschoss nicht eines von ebendenselben haarborstigen Brüdern gewesen, welche uns in vergangener Nacht so geplagt, so hätte zum Diner auf unserm Menu « Entenbraten » gestanden. Eine halbe Stunde weiter oben, als wir Naco assen, kam ein riesenhafter Kondor geflogen, um zu sehen, ob wir Schafe seien. Da er aber bald wieder wegflog, konnten wir mit Recht annehmen, dass dies nicht der Fall sei. Etwa zweihundert Meter von uns entfernt setzte sich der Andenherrscher, dessen Flügelspannweite drei Meter und mehr beträgt, auf einen Felsen. Mit grosser Beweglichkeit lief er rechts und links über den Felsen hin, vorwärts und rückwärts, und sah überall hinunter, ob es da vielleicht etwas gäbe, was des Interesses wert wäre. So machte er den Eindruck eines Menschen und war auch so gross wie ein Mensch mittlerer Grosse. In Argentinien hatte ich einen jungen Kondor gesehen, dessen Körperhöhe ein Meter fünfzig betrug. Unser Freund hier war ein Männchen, schwarz, mit einer Reihe weisser Federn, die durch die Mitte der Flügel laufen; auch der weisse Flaumfederhalskragen und der längliche Kamm auf dem Kopfe bewiesen es. Seinen Kamm bewegte er auf und ab, so dass sein Gebaren ein höchst drolliges war. Sein kurzer Besuch ging zu Ende. Mit kräftigen Klauen stiess er vom Felsen ab, zugleich die gewaltigen Schwingen ausbreitend, und kreiste majestätisch zurück zu den Klüften des Donnerers. Kondor, König der Lüfte, Sinnbild der südamerikanischen Cordillera, komm dem Menschen nicht zu nahe, sonst rottet er dich aus, wie er es mit deinen kleinern Brüdern in Europa getan, den Steinadlern und Lämmergeiern! Wo bliebe dann dein Spiel mit dem Sturmeswind, dein stolzer Flug über der Anden höchste Gipfel? Nicht mehr würde dein Auge, das schärfste aller Augen, von hoher Warte den unendlichen pazifischen Ozean mit den schönen Inseln und den schäumenden Ufern ochauen, nicht mehr erspähen die gute Beute in den Klüften der Cordillera und auf den weiten Pampas!...

Vor uns liegt ein zweiter Gletscher, dem der Peullafluss entspringt. Wenn auch dieses Gletscherkindes Lauf ein kurzer und sein Gefälle ein geringes ist ( auf 25 Kilometer etwa 200 Meter ), so hat er doch ein sehr heftiges Temperament. Dem Rande der Gletscherstürze entlang steigt rechts ein Wald weit hinauf. Diesem strebten wir zu. Zuerst übernahm ich Führung und Messerarbeit. Als Karianka mich ablöste, meinte er: es sei viel zu anstrengend, mit dem Rucksack beladen das Messer zu handhaben, und er hatte recht. Darum machten wir es so: er machetierte von nun an allein und ohne Rucksack, und ich trug jeweilen beide Rucksäcke nach. An einigen Stellen verlangte die Picada ein Kriechen wie im Kamin, und an einem Ort war uns der Löwe vorausgegangen, was uns seine Spuren verrieten. Es war gut, dass wir ihm nicht begegneten, sonst hätte ich sein Fell auch noch tragen müssen! Ich liebe die Jagd sehr, besonders auf die grossen, schwarzen Wildschweine im brasilianischen Urwald, wobei ich nie schnell genug auf einen Baum klettern kann, um sie mir von oben herab noch besser betrachten zu können. Die verhältnismässig kurze, doch sehr steile Picada kostete eine gewisse Anstrengung, und als plötzlich die Dämmerung eintrat, waren wir noch nicht aus den Waldklammern heraus. Auch hatten wir noch kein Wasser für den Mate. Mein Begleiter schien es aber schon gerochen zu haben; denn bald, nachdem er es suchen gegangen, kehrte er mit einer Kanne voll zurück. Unser Lagerplatz war originell. Bevor wir uns nur hinlegen konnten, musste mit dem Messer Platz geschaffen werden. Dieser Platz war so schräg, dass der Waldläufer Karianka sozusagen in einen Erdarbeiter verwandelt wurde. Er kratzte sich mit dem Eispickel quer zum Abhang eine kleine Mauer zurecht, legte Zweige in das feuchte Grab, eine Decke darauf, schlüpfte in den Gummischlafsack, zog Decke und Poncho darüber, und also gewappnet zog er ein ins Land der Träume. Ich hatte mich in Decken gehüllt, auf die Zeltleinwand gelegt, Kopf hoch, Füsse tief, und — rutschte die ganze Nacht hindurch den Abhang hinunter. Das jeweilige Hinauf stemmen hatte nur vorübergehenden Erfolg; denn kaum dass ich einige Minuten ruhig lag und gar ernstlich ans Schlafen dachte, rutschte ich schon wieder sachte, doch beharrlich ab. Es war kalt in jener Nacht, und zu alldem lachte noch das Vollmondgesicht durch das Gezweige.

Am folgenden Morgen blieb dem Messer nicht mehr viel zu tun übrig, und durch den Aufstieg in einer engen Bachrinne entrannen wir bald den hartnäckigen Nires und Kolihues. Der Weg war jetzt frei für den Versuch einer Besteigung des Tronadór. Zelt, Decken, zwei Eispickel, Spiritus sowie ansehnlicher Proviant wurden zurückgelassen. Wir stiegen wieder ins Tal hinab und kehrten nach einem dritten Freilager mit dem uns früh morgens abholenden Araukaner nach Casa Pangue zurück. Erst nach etwa vier Wochen sollten wir unsere Picada und die verwahrten Sachen wieder sehen.

Ich gewann Don Ricardo Roth zur Bergfahrt, und in Begleitung von vier Trägern stiegen wir in einem Tage von Peulla aus zu einem Lagerplatz, ein schönes Stück oberhalb des Depot gelegen. Feuerholz, schwierig zu finden, musste aus knietiefem Schnee herausgerissen werden und brannte im Verein mit grünen Ästen etwas kärglich. Doch waren wir mit allem Nötigen reichlich versehen. Mit sehr schweren und umfangreichen Bürden — die schon nicht mehr wie Rucksäcke aussahen — quälten wir uns am andern Tage hoch hinauf, zuletzt am Seil. Aber wegen der äusserst schlechten Beschaffenheit des Schnees, in welchem wir bis über die Knie einsanken, brachen wir die Besteigung ab. Zwei oder drei Nachtlager hätten wir noch auf Schnee und Eis verbringen müssen, und der Tronadór hätte uns bei Wetterumschlag mit winterlichem Schneesturm wahrscheinlich oben behalten. Mit einem Zeiss hatte ich an der Umkehrstelle den steilen Aufbau des Hauptgipfels genau besehen und feststellen können, dass er auch von dieser Seite her bei guten Schneeverhältnissen erreicht werden kann. Unter der wichtigsten « conditio sine qua non » verstehe ich hier abgerutschte Schneemassen, welche den Übergang von der obersten Kanzel am Fusse des wuchtigen Gipfelbaues zu den fast senkrechten Gletscherabstürzen seines Hängegletschers ermöglichen und auch über diese selbst den Zutritt gestatten zu der mächtigen, von kleinen Eistürmen gebildeten Spitze. Gegen den in einer der grössten Zeitungen der Welt, der argentinischen « La Nación », anlässlich unserer Tronadórbesteigung ( bis auf 80 Meter unter den Gipfel ) veröffentlichten Artikel, welcher über unsere Bergfahrt und die Meinung Doktor Reicherts berichtete und behauptete, der Tronadórhauptgipfel sei « absoluta-mente inaccessible », erhebe ich hiermit Einsprache, indem ich erkläre, dass der Gipfel von zwei Seiten her, wenn auch schwierig, erreicht werden kann. Die Zukunft wird dies beweisen. Noch ein Freilager auf halbem Wege nach Casa Pangue zu, also im Tal des Rio Peulla, wurde nötig. Eine natürliche Brücke, die aus einem schräg über den reissenden Bach ragenden dürren Baumstamm bestand, ermöglichte uns den Übergang, welcher eigentlich erst zwei Tage später auf Maultieren hätte stattfinden sollen. Einer nach dem andern rutschten wir im Reitsitz drüber weg; nur der letzte Chilene balancierte aufrecht, « stolz wie der Spanier ». Der Baumstamm federte, und plötzlich glitt Karianka ab, kam aber zum Glück noch in Reitsitz auf den Stamm, mit der schweren Traglast immerhin ein zweifelhaftes Vergnügen. Dreimal noch, von je einem Chilenen begleitet, erkundete ich einen Zugang zum Tronadór. Das erstemal kamen der « Sohn von den letzten Enden der Erde » — so heisst Chile, eine Bezeichnung aus dem Aymara — und ich nach zwölfstündiger Messerarbeit zu einem kleinen See. Der « Donnerer » spiegelt sich in dieser Laguna, die so verborgen, so romantisch liegt, dass mir die Gegend vorkam als eines der reizendsten Naturbilder, wenn nicht als das reizendste überhaupt, das ich bisher geschaut. Es rief den stärksten Eindruck weltentrückter, doch sehr wohl in sich selbst ruhender genügsamer Einsamkeit hervor. Rechts Hunderte von Metern hochstrebende, glattgeschliffene Granitwände, schroff in den See einfallend, ganz hinten über rote Felsen ein Wasserfall, dann ein Streifen des mit weissen Granitsteinchen übersäten Strandes, darüber weg der dunkle Wald und über diesen wiederum die prächtigen Gletscher und trotzigen Fels- und Eiswände des Tronadór. Wir gingen tags darauf mache-tierend dem Seeufer entlang oder der Bequemlichkeit halber im Wasser selbst etwa zwei Kilometer bis zu jenem Wasserfall im Hintergrund und betraten oberhalb desselben ein rundes, sumpfiges Tal, das von Granitwänden begrenzt ist. Hier musste früher auch ein See gewesen sein. Wir hatten für diesmal genug gekundschaftet und stiegen wieder ab. Gestern waren wir fünfhundert Meter zu hoch gekommen, ohne den See bemerkt zu haben. Um also unsere Picada ohne Gegensteigung von der Seehöhe aus schnell zu gewinnen, machten wir im steilen Walde den immer etwas abenteuerlichen Gang, ohne das Messer zu gebrauchen. Mein Companero, der, wie er mir erzählte, einige Jahre im berüchtigten Gran Chaco gewesen, war ein sehr ruhiger, bescheidener Mensch. Er sprach trotz der vielstündigen, harten Fahrt keines der wildrollenden Castellanoworte, die man sonst bei den Chilenen häufig genug hören kann, schlug aber mit dem Messer abergläubische Kreuze in die Baumrinden, welche Zeichen jedoch zugleich als gut sichtbare, wegweisende Picadamarkierungen dienten. So wusste er das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Es war seine erste Wanderung im südchilenischen Wald, und in Peulla soll er seinen Conpatriotas gesagt haben, es sei alles sehr schön gewesen, aber die Nacht da oben sei ihm unheimlich vorgekommen wegen der Löwen. Er sei auch in Sorge darüber gewesen, ob ich ihm geholfen hätte, falls die Löwen ihn angegriffen. Daraufhin suchte ich ihn auf und erklärte ihm, dass ich im Falle der Löwenattacke mich sehr wahrscheinlich auf den nächsten Baum begeben hätte, da ich nämlich ein Macaco sei. Das zweitemal war ich mit einem alten Indianerhäuptling, der aussah wie Sancho Panza im Don Quixote des göttlichen Cervantes, ziemlich hoch gestiegen in der Picada. Er hatte wenig Freude an der anstrengenden Waldturnerei. Wie man aber auch so alte Leute da hinauf schleppen könne, meinte er, und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Dieses Gesicht schnitt er so lange, bis es dann auch wirklich regnete. Als ich aber eine Flasche Wein, welche wir doch nicht umsonst geschleppt haben wollten, aus des Rucksacks Tiefe hervorzog, da ward das Gesicht des alten Sünders wieder eitel Sonnenschein. Doch es war zu spät: es goss weiter vom Himmel, und sehr durchnässt kamen wir in Peulla an. Es goss wochenlang. Als ich das drittemal hinaufzog, begünstigte uns das schönste Herbst- wetter .Der Wald rings um den See herum hatte ein gelbes und rotes Blätter- kleid angezogen. Noch weisser war der « Donnerer » und zeigte nur wenige schwarze Felsstellen, wo die langen Stürme den Schnee nicht angeweht hatten. Am verschneiten Strande verbrachten wir, vom grossen Feuer wohlig durchwärmt, einige jener klaren und stillen Bergmondnächte, die sich dem Gemute unvergesslich einprägen. Diese letzte Erkundigung tötete die Freude durch eine Enttäuschung. Das erstemal oberhalb des Sees angekommen, war ich nämlich einer optischen Täuschung, wie sie in ihren vielen Gestaltungen irgendwo einmal jedem Bergsteiger passiert, zum Opfer gefallen. Der Wald schien auf der gegenüberliegenden Seite der Laguna nach nur zwei, drei Kilometer bis zur Schneegrenze am Tronadór zu reichen. Wir stiegen daher nach dem Lagerplatz am andern Seende durch den Wald, bis wir nach einer Stunde plötzlich vor einem Abgrund standen. Ein trichterförmig zum Fusse des Tronadór sich erweiterndes Tal lag trennend zwischen des Bergsteigers Sehnsucht und dem Gegenstande dieser Sehnsucht, dem Cerro Tronadór. Die Entfernung betrug vielleicht zwölf Kilometer. Wir stiegen ins Tal und sahen bald, dass der erste Abschnitt, also der Wald, beim Versuch einer Tronadórbesteigung allein drei Beiwachten verlangte, was denn doch für einen gemütlichen Zugang zu viel verlangt schien. Also auch hier wieder nichts. Ein Schweizer von echtem Schrot und Korn, Herr Walzpurger, der im wunderschönen Chilcón seinen Wigwam aufgeschlagen, zeigte mir den Tronadór von einer sehr malerischen Waldstelle aus. In seiner und seines Vaqueros Begleitung machte ich eine hübsche Waldfahrt und trug dabei zum erstenmal mit Lederriemen geschnürte, indianische Fellschuhe, die Tamângos. Unser Ausflug sollte der Anfang sein zu einer in unbekannte Gebiete auf unbestiegene Gipfel führenden Reihe von Bergfahrten. Leider konnten wir diesen Plan nicht ausführen, ganz besonders wegen der schlechten Wetterverhältnisse. Ein Gang brachte uns zu den Rone ( Plätze, wo Urwald geschlagen wird ). Man muss jene gewaltigen Bäume stürzen sehen, die an die fünfzig Meter hoch sind und deren Stämme fünf, sechs Mann kaum umspannen können. Gruppenweise sahen wir diese tausendjährigen Riesen fallen. Am Abhang stehende Bäume hackt man gewöhnlich an der dem Abgrund zugekehrten Seite an und lässt den zuoberst stehenden Baum auf die angehackten fallen, so dass einer den andern durch die Wucht des Falles mitreisst Einige Axthiebe fehlen noch, und der oberste wird auf seine Genossen stürzen, das ist so berechnet... Der Indianer mit flatterndem, strähnigem Haar schlägt das lange Beil zum letztenmal tief in die grosse Todeswunde des riesigen Coihue, er lässt das Beil stecken und schaut hinauf... der Riese schwankt... der Indianer reisst das Beil heraus, tritt zur Seite, und, seiner letzten Stütze beraubt, neigt das Opfer sich dem Abgrund zu. Sausend, wie der Flügelschlag Hunderter von Wildtauben, rauscht die Krone, welche stolz Jahrhunderte in die Lande hinausgeschaut. Von der Luft gepresst, legen ihre Blätter sich zurück, und der Baum sieht aus wie vom Sturm gepeitscht, grandios I... Das letzte Band des Lebens, das ihn noch mit dem Stumpf und den nährenden Wurzeln zusammenhält, zerreisst unter splitterndem Knacken... jetzt schlägt er auf seinen Genossen nieder, baumgrosse Äste brechen und werden geschleudert, dumpf schlagen die massigen Stämme zusammen... Das ist der Todes- streich für den zweiten Giganten, der wieder den dritten erschlägt, und so einer den andern. Der Boden erzittert wie bei Erdbeben. Nach fünfzehn, zwanzig Sekunden ist alles vorüber. Ein Chaos von Stämmen, Ästen und Blättern schaut das Auge, und in den Ohren tönt noch immer das splitternde Knacken der Arme, das dumpfe Dröhnen der Leiber und das sausende Rauschen der stolzen Häupter der Urwaldriesen

Der Calbüco.

Ensenada ist der Ausgangspunkt für die Besteigung dieses interessanten, noch immer tätigen Vulkans ( 2015 m ), dessen Basis vom Stillen Ozean bis zum Llanquihue reicht. Die von Puerto Varas nach vier Stunden Dampferfahrt hier angekommenen Reisenden der Suiza Sud - Americana werden vom zuvorkommenden Herrn Meyer empfangen und nach einem ganz einfachen Frühstück mit Autos, Wagen und Pferden auf reizendem Wege längs des Osórno nach dem zwei Stunden entfernten Petrohué am Lago Todos los Santos gebracht. Dort hört das Reich Meyers auf, und dasjenige des Don Ricardo Roth beginnt. Ensenada besteht aus drei Häusern, die zwischen dem Osórno und Calbüco eingebettet sind. Trotzdem es zwischen diesen beiden schlummernden Feuern liegt, geht es doch ruhig und idyllisch zu, und nur an den Kombinationstagen, zwei- bis dreimal in der Woche, gleicht das Leben dort einer vulkanischen Eruption. In rasender Eile werden Hunderte von Wünschen der anspruchsvollen Reisenden erfüllt, Gepäckstücke und Menschen in Wagen und Autos verstaut, zum Teil auf Pferde hinauf geschoben, und hat es vor fünf Minuten noch gewimmelt wie in einem Ameisenhaufen, so herrscht jetzt philosophische, weltvergessene Ruhe. Was lebt, sind nur noch die plätschernden Wellen des Llanquihue, die flimmernde Luft auf heisser Lava sowie die stolz flatternde, sehr hübsche rot-weiss-blaue Landes-flagge mit weissem Kreuz in blauem Feld, die als vermeintliches Lebewesen von einer kleinen Wolke blutdürstiger schwarzer Tâbanos angegriffen wird. Die ganze Gegend steht im Zeichen der Lava. Nicht aber, dass diese nun öde und langweilig wäre... im Gegenteil, sie ist mit Strauchwerk, darunter die köstliche Murta, und Bäumchen durchsetzt. Zu gewissen Zeiten sieht man überdies viele wohlriechende, weisse Orchideen, und weisse, rosarote bis purpurrote grosse Beeren hängen in traubenförmigen Klumpen schwer von den Zweigen meterhohen Strauchwerkes herab. Die eigenartige Lavavegetation ist mir lebhaft in Erinnerung. Es wachsen da auch grosse, herrliche Wälder, die weit an den Vulkanhängen hinaufziehen und auf einer einige Meter hohen Humusschicht — wer weiss, wie die sich auf der Lava gebildet haben mag — prächtig gedeihen und die Gegend sehr freundlich gestalten.

Durch dieses Gelände jagten wir in einer Nacht zu Pferde dem Calbüco zu. Trotzdem der Mond schien, blieb einer meiner Gefährten an einem Aste hängen und stürzte. Mein Kamerad und ich, die wir etwas voran-ritten, hörten ängstliche Rufe, warfen die Pferde herum, sahen aber, an der Stelle des Sturzes angelangt, gar bald, dass Mann, Ross und Rucksack nichts gebrochen hatten. Also aufgesessen und weiter! Als das fahle Licht des Mondes in der Morgendämmerung verschwand, ritt das Faktotum des trans- andinischen Unternehmens, der gute Lucho, mit den zusammengebundenen Pferden heim zur Ruhe, während die von vulkanischen Ideen beseelten Wanderer bergwärts zogen. Ein Tier lief über die moosbedeckte Lava. Ich wollte wissen, was es war, und warf das lange Messer danach, ohne es zu treffen. Der Erfolg war verblüffend; das Tier zeigte die Front, und unter Zischen spritzte es eine Wolke feiner Feuchtigkeit gegen den Neugierigen. Dies war nun seinerseits ein Fehlschuss, und zu meinem Glück; denn davon getroffen, hätte ich gewiss die Kleider schnell abgeworfen und wäre in Adams Kostüm auf den Vulkan gestiegen. Es war nämlich ein Stinktier ( Zorrino ). In Argentinien tat mein Pferd einmal plötzlich einen grossen Seitensprung, dessen Ursache ich sofort erkannte; sie war ein Zorrino, der aus der Brusthöhle eines verwesten Pferdekadavers zwischen den Rippen hindurch wie aus einem Fenster schaute. Das kleine Ungeheuer, vor dem alles flieht, ist etwa hasengross und hat ein hübsches, langhaariges, schwarzes Fell mit weissen Linien. Der Geruch seiner Verteidigungsdusche spottet der Gerüche anderer « Parfums ». Wir kamen zum indianischen Huenu-Huenu, zum « Fluss der vielen Windungen ». Den Namen Fluss verdient er wohl erst nach grossen Niederschlägen, dann holt er sich aber mitunter seine Opfer. Die Leichen zweier chilenischer Brüder, denen er mitsamt ihren Pferden den Tod in seinen reissenden Fluten gegeben, hatte ich vor einiger Zeit in einem Ochsenkarren in Ensenada ankommen sehen. Tief hat der Huenu-Huenu hier sich durch die verschiedenen Lavaströme des Calbüco hindurchgefressen. Der Ort dürfte für einen Geologen sehr interessant sein. Die beinahe senkrechten und zerbröckelnden Borde sind etwa hundert Meter hoch. Wir ersteigen allmählich drei Terrassen. Die dritte, mit Lavablöcken übersäte, ist von einem Bach, der heisses Wasser des Calbüco führt, tief durchfurcht. Weiter unten trifft sein heisser Guss den kalten Huenu-Huenu, und lauwarm vereint werden die beiden in den Rio Petrohué gespieen. Dem Abgrund des auf der ganzen Linie dampfenden Baches entlang stapften wir durch den Winterschnee und wurden durch glatte Felsschliffe, über die sich der Bach in zwanzig Meter hohem Wasserfall herunterstürzt, nach rechts gedrängt. Oben kehrten wir wieder links zu ihm zurück und nahmen an einer Stelle, wo man leicht absteigen kann, ein Bad. Wir waren entzückt von dessen Romantik! Mit der Hand war der Schnee zu erreichen, und wir stacken bis zum Halse in den Strudeln des genau für ein heisses Bad erwärmten Wassers. Den Ausflug bis hierher habe ich noch einige Male wiederholt, besonders dieses Bades wegen. Um seinen Ursprung kennen zu lernen, sprangen und kletterten wir zur Seite des Baches ein Stück weit hinauf. Ich machte meine Begleiter auf die Gefahr des Steinschlages aufmerksam, und kaum waren wir unter einem Felsvorsprung angelangt, als hinter uns einige Steine herunterrollten, die beinahe dem einen den Kopf eingeschlagen hätten. Wie im nordamerikanischen Canon, fliesst der Bach hier in einer tiefen, dunklen Schlucht. Überall hat er in die feste Lava glatte Wannen geschaffen, wie man sie bei Gletscherbächen in Europa sieht. Bis zu einer steil abfallenden Wand kletterten wir und sahen in der Mulde den Ursprung des Baches. Er quillt unter einer grossen Masse Schnee hervor und erhält die Wärme gewiss von zwischen der Lava heraufsteigenden heissen Schwefelgasen und vom auf heisse Lava hinuntergerieselten Schmelzwasser. Wir kehrten zur Bade-stelle zurück und machten uns an die etwas verspätete Besteigung des Calbüco. In etwa fünf Stunden erreichten wir die Kraterstelle. Der Aufstieg bot viel Interessantes. Er führte uns über rauchende Lavablöcke, die manchmal fünf Meter hoch waren. Bevor wir zu einem steilen, schwarzen Lavagrat kamen, den ich zum Anstieg wählte, durchquerten wir einen ausgedehnten Firn und übersprangen am Seil heiss dampfende Löcher und Spalten. Meinen Begleitern musste ich sehr oft zureden, um sie zu neuem Angriff zu bewegen. Es war überhaupt für mich schwer oder unmöglich, in der Suiza Sud-Americana Begleiter zu bekommen, die vom selben Bergfahrergeiste beseelt waren und auch Erfahrung besassen. Endlich kamen wir oben an, nachdem wir den zuletzt allzu steilen Grat verlassen, einen harten Schneehang durchquert und einige heikle Lavatürme überwunden hatten. Der Krater war mit Schnee ausgefüllt. Von hier aus hatten wir alles zu Fuss zu gehen bis Ensenada, wo wir nach beinahe zwanzig Stunden ankamen. Um meinen über den Erdmagnetismus nicht gerade sehr gut unterrichteten leichtsinnigen Kameraden eine Lehre zu geben, rutschte ich an einem massig steilen Abhang auf dem harten Schnee ab und rief ihnen von unten herauf zu, sie sollen es nur nachmachen, das sei hier eine sehr hübsche Abfahrt. Der erste, ein langer Mensch, überschlug sich seiner ganzen Länge nach und kam, Kopf voran, auf dem Rücken heruntergekollert, der zweite folgte in einer andern ebenso komischen Haltung. Die Schuld hierfür lag an einer weichen Schneestelle, in die man während der Fahrt plötzlich einbrach. Ich hatte sie auf die Falle aufmerksam gemacht. Da die Abrutschstelle durchaus gefahrlos war, konnte ich mir das Lachen, welches ich für sehr gesund halte, wohl gestatten. Besonders freute mich der Anblick ihrer Augen, welche sie aus den Höhlen hervortreten liessen, ähnlich wie die Schnecken ihre Stiel-augen. Der Vulkan Calbüco ist sehr launisch; den einen Tag raucht er stark, den andern schwach. Die letzte grosse Eruption soll er vor dreissig Jahren gehabt haben. Er machte den Tag zur Nacht, und die meisten Umwohner flohen in Angst. Augenzeugen erzählten mir davon.

Der Osórno.

Wir hatten den Vulkan Osórno, 2660 m, bereits auf einer Erkundung von Ensenada aus kennen gelernt. Ich will nun über seine vollständige Besteigung berichten, die ich mit zwei blutjungen Begleitern unternahm. Der eine war der fünfzehnjährige Sohn Reicherts ( meines Begleiters am Tronadór ), der andere ein vierzehnjähriger Araukaner, namens Cumicân. Es gehört sich, die beiden wackern Burschen zu nennen, die, von mir eingeladen, frohen Mutes die nicht allzu leichte Bergfahrt mitmachten. Von Cayutüe aus ruderten wir in fünf Stunden nach Petrohué. Auf dem Wege dorthin von hohem Wellengang und starkem Wind überrascht, liefen wir den Strand an, vertrieben uns die Zeit mit Lassowerfen — der kleine Indianer war ein Meister darin — und beendigten nach zwei Stunden unsere Bootfahrt bei ruhigerem See. In Petrohué blieben wir die Nacht im Häuschen eines Uruguayers englischer Abkunft. Er wohnt dort sehr einsam am Flusse, nimmt sich als Angestellter der Impresa freundlichst der Reisenden an und ist überdies Maler. Es war vielleicht nicht recht von mir, ihn mit seinen selbst-geschnitzten und bemalten Schachfiguren zu besiegen; denn später öfters zum Spiel von mir aufgefordert, erklärte er jeweilen, Kopfweh zu haben. Doch tat dies seiner allgemeinen Liebenswürdigkeit keinen Abbruch. Wir schliefen in der Stube bei geheiztem Ofen sehr gut, setzten unsere Ruderfahrt um drei Uhr morgens fort und gelangten leicht an jenen Punkt, wo der Aufstieg am Osórno ohne Waldhindernisse und Zeitverlust am besten seinen Anfang nehmen konnte. Die dunkle Nacht machte den richtigen Abstand vom Ufer schwierig. Beim geeignetsten Arenal stiessen wir im Morgengrauen an Land, zogen das Boot weit über das Ufer hinauf und befestigten es. Arenales sind hier breite Lavasandschluchten, durch welche die oft sehr starken Wassermengen des Osórno abfliessen. Die Fluten sind dann getrübt von grossen Mengen Schlemmsand und es dürfte unmöglich sein, bei gar nicht hohem Wasserstand zu Pferd einen solchen Arenal zu überschreiten. Die Wucht des schweren Sandes würde das Pferd niederreissen. Die Arenales sind aber nicht bloss Wasserstrassen, sie sind gewissermassen auch Waldstrassen und gestatten so dem Bergsteiger leichte Zugänge.Der Tag schien sehr heiss zu werden, und da voraussichtlich kein Wasser anzutreffen war, banden wir uns Nalkas auf die Rucksäcke. Es sind dies die dicken Stengel der schon erwähnten riesigen Pangue-Pflanze, die zu den Rhabarberarten gehören dürfte.Von der äussersten Schutzhaut befreit, schmecken die saftigen Nalkas angenehm säuer-lich, wirken durststillend und sind überdies nahrhaft. Über die Ränder kleiner Schluchten stiegen wir zum Sattel empor. Er bildet eine weite ziemlich ebene Depression zwischen dem Osórno und dem Caülle ( Pferd ).

Hier hatte ich im Winter Ski gelaufen und allein den Osórno, solange die Steigung es erlaubte, mit Ski begangen. Wo es zu steil ward, hatte ich die Ski zurückgelassen und war hernach zu Fuss bis etwa 200 Meter unter den Gipfel gekommen. Leider hatte ich weder Eispickel noch Steigeisen bei mir gehabt; darum zwang mich das Eis zur Rückkehr; aber nicht nur das Eis, auch der hohe Pulverschnee, in welchen ich, wo er zusammengeweht war, tief versank... Und noch etwas, was ich hiermit beichte: eine Flasche Wein! Sonst sehr gegen den Alkoholgenuss während des Aufstieges, fiel ich hier der Sünde anheim. Doch wie es so geht: noch nie hat eine Flasche Wein mir so gut geschmeckt! Der Durst war zu entsetzlich gewesen. Ich stieg wieder ab, und trotzdem meine ungeübten Knie nicht recht wollten, schnallte ich die Ski an. Der Schnee war allerdings prachtvoll, aber aus dem oben erwähnten Grunde konnte ich die weitschleudernde Zentrifugalkraft bei zwei Telemark sehr bald feststellen. Diese Winterfahrt ist meine erste in der südamerikanischen Schweiz gewesen und hat mich belehrt, dass es hier Zweitausender gibt, die an Eis und Schnee den Viertausendern der Alpen in nichts nachstehen! Wie muss da erst der noch viel südlicher gelegene Cerro Valentino mit seinen viertausend Metern aussehen...! Es würde sich sehr lohnen, eine gut geschulte Bergsteigerexpedition dorthin zu entsenden und den gewaltigen Berg anzugreifen.

Das Suchen nach einem günstigen Lagerplatz führte uns um die Flanke des Osórno herum. In einem Sanjón, einer der tiefen wasserführenden Schluchten, hielten wir an und fanden in dem hier noch wachsenden Gestrüpp Brennholz. Nach kalter Nacht setzten wir den Aufstieg fort. Über steile Hänge feiner schwarzer Schlacke gewannen wir nach zwei Stunden den Gletscher. Der kleine Indianer, der nun doch etwas schüchtern die Eishänge hinaufschaute, musste seine Mokassins mit einem Paar meiner genagelten Schuhe vertauschen. Das Seil wurde angelegt. Und in hartem Schnee und Eis lange Zeit Stufen schlagend gelangten wir zwischen Eisspalten empor nach sechs Stunden zum Gipfel. Ein einziger, zwanzig Meter hoher Lavahang, zehn Meter unter dem höchsten Punkt gelegen, zeigt, dass der« Grosse Backofen », wie der indianische Osórno übersetzt heisst, noch nicht ganz tot ist. Noch sind die Steinchen heiss, noch raucht er, und wer weiss, ob der « Backofen » nicht eines Tages seine heissen « Brote » ins Tal schieben wird. Wir strebten gleich zur Spitze. Nicht lange verweilten wir oben; denn trotz des schönen Wetters blies der Wind mit grosser Gewalt, so dass der junge Indio, dessen Poncho wie ein Segel wirkte, zehn Meter weit geschleudert wurde. Ich zog ihn wieder heran am Seil und schüttelte den beiden braven Bergkameraden die Hand. Vielleicht zweihundert Meter ins Geviert lag ein beinahe ebener Platz vor uns, die Kraterstelle. Keine Lava war zu sehen, nur Schnee und Eis. Der Platz würde sich zum Tanzplatz eignen, besonders da der Schnee hart ist wie ein Parkettboden. Wenn ich wieder einmal den Osórno besteige, werde ich dies mit einigen hübschen Chileninnen tun, deren es genug gibt und die dem Lande Chile als der « Tierra de las mossas bonitas » ( Land der schönen Mädchen ) Ehre machen. Wir werden dann den Rekord der Originalität aller Tanzplätze der Welt schlagen! Angesichts Hunderter unbestiegener Gipfel, der Seen Llanquihüe, Rupanko, Puyehùe, Ranco und Todos los Santos, sowie des insel-reichen Stillen Ozeans, 2600 Meter zu Füssen, werden wir hoch auf dieser weissen Eisinsel inmitten der dunkeln Waldregionen ein Fest feiern mit Queca-und Quadrillatänzen, das seinesgleichen sucht! Auf der Eisbarriere über den Feuerschlünden werden sich die neuesten Tänze aneinanderreihen, und die moderne Sensationslust wird unsere Herzen höher schlagen lassen!...

Wir verlassen den Gipfel. Die beiden jungen Begleiter dachten nicht an Tanz; sie litten sehr unter der grossen Kälte. Wir stiegen deshalb etwas ab und krochen zur warmen Lava unter das überhängende Eis, wo wir auch vor dem Winde geschützt waren. Hier war der Eingang zur Hölle: Durch einen Eiskeller, von dessen Wänden grosse Eiszapfen herunterhingen, sahen wir in einen tiefen schwarzen Schlund, der horizontal unter den Eismassen des Gipfels einmündete und mit den Kratertiefen die Verbindung zur Aussenwelt herzustellen schien. Den Abstieg beginnend fragte mich der vierzehnjährige Cumicân, ob wir denn eigentlich wieder hinunterkämen, worauf ich ihm antwortete, wahrscheinlich kaum, was ihn aber nicht zu beruhigen schien. In der obern Hälfte war der Schnee gleich geblieben, während er in der untern durch die Sonne erweicht einen schnurgeraden direkten Abstieg ermöglichte. Meine Begleiter wollten zuerst nicht so recht ins Zeug, bis ich ihnen zurief, der Schnee sei gut und sicher, sie sollten nur das Seil loslassen und 26 die Hacken fest in den Hang einschlagen. Ich hatte auf der ganzen Fahrt die Steigeisen an. Wir gelangten flott zum Rande des Gletschers, entledigten uns des Seils und rutschten in den Schneemulden längs der Schlackenhänge ab. Auf dem Heimweg sammelten wir farbige Bims- und Lavasteine. Der junge Indianerhäuptling zischte immerzu Liedchen zwischen den Zähnen durch, wohl deshalb, weil er sich um seinen erwarteten tödlichen Absturz betrogen sah.

Weit war der Weg in heisser Sonne bis zum Todos los Santos. Neben dem Boot am Strande wurde gefeuert und zu Nacht gegessen. Dann ruderten wir nach Petrohué zu unserm Einsiedler zurück. Er war schon zu Bett gegangen. Als wir in die Hände klatschten, erschien er mit der Kerze, sehr erstaunt, dass wir den Osórno bestiegen hatten. Das Zimmer war bevölkert von Tausenden kleiner Stechfliegen. In der Dunkelheit sind sie ruhig. Jetzt aber, über die Störung ihrer Nachtruhe durch das Kerzenlicht erbost, machten sie sich über dasselbe her und löschten es im Nu aus. Mit Verlust einiger Hundert Fliegen-leben brachten sie dies zustande. Im Angesichte des von bläulichem Dunste zart umwobenen Osórno ruderten wir früh morgens nach Cayutüe zurück. Der Proviant war ausgegangen. Doch der kleine Cumicân wusste Rat. Er warf seine lange, steinbeschwerte Angelschnur in die Mündung eines der vielen Bäche, die in oft hohen Wasserfällen von den Bergen sprudeln. Auf dem Grunde dieser Bäche fand ich viel Gold, das in der Sonne gar prächtig glänzte; doch, sah ich genau hin, war es stets bloss eine Art Glimmerschiefer; es ist eben nicht alles Gold, was glänzt. Nach einigen Minuten hatte er drei ziemlich grosse Fische gefangen, für jeden einen. Wir stiessen an Land und brieten sie in Bambusstöcke eingeklemmt am Feuer. Ein wohlschmeckendes Mahl bildete den epikureischen Schluss der so schönen Osórnofahrt.

Der Nahuel Huapi und seine Berge.

Es wird mir schwer Worte zu finden, welche einer gerechten Schilderung des Nahuel Huapi-Sees und seiner Umgebung entsprechen. Wählt man solche, die bei Naturschilderungen gäng und gäbe sind, so sagen sie zu wenig; wählt man solche, die der stärksten Bewunderung entspringen, so könnte man leicht in den Verdacht kommen, überschwenglich zu sein... Nahuel Huapi und ihr Berge rings herum, mit eurem Gebieter, dem Tronadór, wir reichen euch die Siegespalme! Wer euch sieht von hoher Warte, der schweigt still, und durch seine Seele schwingt die Unendlichkeit... Erhabenes Naturbild, tief prägt deine unberührte Schönheit sich in unser Gemüt, und traurig versinken vor dir die bisher geschauten Bilder! So empfand ich auf einer der jungfräulichen Monjas am Nahuel Huapi. Aber nicht lange hatte ich dieses Empfinden dort oben; denn der Wind warf mich fast hinunter, und ich musste mich in die Gipfelfelsen krallen, damit er das nicht tun konnte, was er vorhatte. Desto besser und ruhiger erging sich die Betrachtung der grossartigen Szenerie während unseres achtstündigen Rittes vom Pferde aus. Wir, Doktor Stefani und ich, waren von dem Landsmann des Doktors, dem Schweizer Buoi, Maior domo der Niederlassung « Far West » am Puertl Sâbana, zu einigen Tagen Aufenthalt und zu dem genussreichen Ausritt eingeladen worden. Bei einer Gruppe von Cerco-Arbeitern, die ihre Zelte am Fusse der « Klosterfrauen » aufgeschlagen hatten, liessen wir die Pferde weiden. Hier flochten wir die kurze Fusswanderung ein. Der Feinschmecker Stefani verzichtete aber auf die vollständige Besteigung und liess sich auf halber Höhe schnaubend nieder, während Buoi die Arbeiten seiner Drahtzaunleute prüfte. Wieder vereint zogen wir einige der weissen, von der Sonne gebleichten Ochsenschädel heran, wie sie auf dem argentinischen Camp häufig zu finden sind, setzten uns zwischen die Hörner auf die Höhle des vormaligen Ochsenhirns und tranken am Feuer den Mate. Einer der Arbeiter erzählte mir, er sei bereits auf jener Monja bis wenige Meter unter den höchsten Punkt gekommen, hätte aber den Überhang zu erklettern sich nicht getraut. Vor solchen Kleinigkeiten sollte man sich, so nahe am Ziel, denn doch nicht abhalten lassenWeite verdorrte Zwergwaldbestände glänzen silbern auf grünen Matten. Hier leuchtet im Winter mehrere Meter hoher Schnee. Wir reiten durch das Wunderland eines herrlichen Naturparks, in welchem unser Gastgeber, in Zusammenarbeit mit dem ernstheitern Don Quixote des « Far West », Herrn Ardüser, ebenfalls Schweizer, prächtige Reit- und Fusswege hat herrichten lassen. Stetsfort liegt der Nahuel Huapi vor uns. Er ist etwa sechzig Quadratkilometer grösser als der Genfersee in der Schweiz, umfasst also 630 km2 und liegt 750 Meter über Meer. Alle Seen, welche es immer seien und wo sie immer liegen mögen, haben ihre lockende Eigenart. Der Nahuel Huapi vereinigt alle nur denkbaren Vorzüge. Seine dunkelblauen Wasser spühlen die weite baumlose Pampa und schicken ihr den grossen Rio Limay zu; sie dringen in den Brazo de la Tristeza, den Arm der Traurigkeit, und halten Zwiesprache mit den gewaltigen einsamen Wäldern, über welche hinweg des « Donnerers » Firne grüssen; sie schlagen an die steilen Felsenufer des wilden Brazo Puerto Biest und begleiten mit ihren Wellenliedern die rauschende Musik der schäumenden Wasserfälle; sie pflegen der beschaulichen Ruhe in versteckten lieblichen Buchten, wie sie liebende Herzen nur immer wünschen mögen, und umtosen mit weissem Gischte zahlreiche Inseln und Halbinseln; sie führen der Fische Nahrung und laben das wilde Rind und den Löwen. Rehe und grosse Hirsche in den Wäldern, Rotfüchse, leichte füssige Guanacos und Strausse auf steinigen Höhen und zwischen den dornigen Venéos durchstreifen Ufer und Sierras des Nahuel Huapi, und hoch über ihnen allen, an den schneeigen Stirnen der Felsgiganten, kreisen die Kondore mit ruhigen Schwingen.

Zum Schlüsse meines Aufenthaltes in der südamerikanischen Schweiz erlebte ich in der Nähe des Rio Limay auf der Estancia San Ramón eine Reihe unvergesslicher Tage der Jagd, des Reitens und des Bergsteigens. Herr Lexow hatte mich dorthin eingeladen. Er ist der vorbildliche Leiter jener vorbildlichen Estancia der Vieh- und Schafherden ( fünftausend Rinder und fünfzehntausend Schafe ). Mehrere hundert Pferde stehen den aus Indianern, Chilenen und argentinischen Gauchos zusammengesetzten Untergebenen Lexows zur Verfügung, dem Capatâs ( Oberknecht ) allein fünfzig Pferde. Das ganze zu dem Anwesen gehörende, mit Drahtzaun begrenzte Gebiet umfasst 300 Quadratkilometer.

Bei Emilio Frey war ich auch zu Gaste. Er ist Direktor des Nationalparkes und wohl der beste Kenner des Nahuel Huapi. ( Der Nationalpark ist hier eine grosse waldige Berggegend am Nahuel Huapi, welche von Herrn Morena in Buenos Aires der argentinischen Nation geschenkt wurde, mit der Bedingung der Schonung und Erhaltung im Naturzustand, also ein Institut ähnlich dem des schweizerischen Nationalparkes. ) Frey besitzt eine reizende Villa am See, inmitten von Tannen, etwa zwanzig Minuten ausserhalb Bariloche, welches das einzige Dorf am Nahuel Huapi ist, aus Holzhäusern besteht und einige hundert Einwohner zählt. Der Bau einer Eisenbahn und mit ihr die direkte schnelle Verbindung zum Atlantischen Ozean dürfte bald verwirklicht sein. In einigen Jahrzehnten werden dann an den Gestaden des Nahuel Huapi viele Tausende wirken und schaffen, Hotels werden gebaut werden, sogar Klubhütten, und bei der Tronadórbesteigung, falls man nicht gar hinauffährt, werden zahlreiche Partien sich begegnen... Wer weissDer fünfzigpferdige grosse Mercedes rast im Schneegestöber durch die Pampas Argentiniens... An den Ausläufern der Cordillera de los Andes ist er in tiefe Täler hinuntergestiegen, hat metertiefe Flüsse begangen und steile Hügel erklommen. Vorbei rast er nun an einsamen Menschen, die schon monatelang auf Wanderschaft sind, vorbei an Tropillas und ihren mit Fellen hoch beladenen gewaltigen Karossen, bespannt von zahlreichen Maultieren, vorbei an den Gerippen jener armen Zug- und Reittiere, die der Erschöpfung auf langer Reise erlegen sind, vorbei an rosig blühenden Pfirsichbäumen entsetzlich verlassener Gehöfte, vorbei an vertrockneten Salzseen und an runden Lagunas, worin die Flamingos sich baden. Das ratternde Gespenst hat die Herden halbwilder Schafe, Rinder und Pferde aufgescheucht. Vor ihm fliehen die hirschgrossen Guanacos und schnellen Strausse, das Gürteltier und die Wildgans. Träumerische Augen halbzivilisierter, dunkler Pampas-indianer schauen auf das dahinsausende Geschöpf der modernen Kultur, und herablassend grüssen die besten Reiter der Welt, die stolzen Gauchos. Nur wenige treten zur Seite mit ihren feurigen Creollopferden. In farbige Ponchos gehüllt, mit breitkrempigen Hüten, langhaarigen Ziegenfellen bis zu den Hüften, und mit den an die weissen Segeltuchhalbschuhe, die Alpar- gâtes, geschnallten faustgrossen, klingenden Sporen sind sie die Gebieter der unermesslichen Pampas. Unaufhaltsam dringt das Ungetüm durch die Wüste Neuquens. Stunden um Stunden, Tage verrinnen... Soweit das Auge reicht, nichts als die kleinen Halbkugeln der dornenreichen Venéos und anderer stacheliger Pflanzen; sie gleichen den Wellen des Meeres, und die durch sie hindurch sich windende Maschine gleicht dem Schiffe, welches das unendliche Meer durchkreuzt... Blutrot, gleich ungeheurem Waldesbrande, lässt die Pampassonne das zerrissene Wolkenchaos leuchten... zum letztenmal... Langsam steigt sie empor unter dem Horizonte des Meeres der Pampa, und dem neuen Tag entgegen gleiten wir, dem Lärm der Grossstadt zu...

H. Hafers de Magalhöes.

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