Bergsteigen einst und jetzt
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Bergsteigen einst und jetzt

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Von Hans Koenig

( Zürich ) Albrecht von Hallers weltberühmte Dichtung « Die Alpen » ist der Ursprung aller Alpenpoesie geworden. Es brauchte schon den Schwung eines jungen Geistbegnadeten, um die Furcht vor dem Gebirge, die damals herrschte, zu brechen und in den Bergen unserer Heimat eine Kraftquelle für Leib und Seele zu entdecken. Haller schrieb 1729 sein Lehrgedicht im Alter von 21 Jahren nach einer Alpenreise mit einem Freund, die ihn von Basel aus durch den Jura, das Wallis hinauf über die Gemmi, das Berner Oberland, den Brünig, den Vierwaldstättersee bis nach Zürich geführt hatte. Er beginnt mit dem Ausruf:

Versucht's, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser, Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab.

Haller beschrieb die Schönheiten der Alpen und die Lebensweise ihrer Bewohner als Vorbild der Naturgemässigkeit und beste Vorbedingung der Gesundheit Damit war er der erste, der den Bann gebrochen hat, der während des ganzen Mittelalters bis in seine Zeit, den Anfang des 18. Jahrhunderts, allgemein verbreitet war, die « Furcht » vor dem Gebirge. Er war damit ein Vorläufer J. J. Rousseaus und seiner Naturschwärmerei.

Bemerkenswert ist auch, dass « Die Alpen » gleichzeitig ein patriotisches Bekenntnis zur Heimat waren, das bis in unsere Zeit in der Liebe zum Vaterland und dem angestammten Boden weiterwirkt.

Freilich ging es lange, bis Haller verstanden wurde. Er hat die Gemüter heftig bewegt, und führende Geister, wie Lessing, Schiller, Goethe, haben sich mit ihm auseinandergesetzt; schreibt doch noch Schiller im « Teil » « von der Surenen schröcklichem Gebirge ».

In der Schweiz selbst fand Haller — gemäss dem altbewährten Spruch, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt — wenig Widerhall, und es ging lange, bis Schweizer sich den Bergen aus innerem Trieb und Begeisterung näherten Immerhin darf daran erinnert werden, dass 1811 durch die Gebrüder Johann Rudolf und Hieronymus Meyer von Aarau mit ihren Führern die Jungfrau und 1812 das Finsteraarhorn bestiegen worden sind. Nach einem Unterbruch von 30 Jahren wurde das Lauteraarhorn 1842 durch Escher von der Linth, Desor, Girardet und fünf Führern bezwungen, 1848 die Dufourspitze und 1850 der Bernina durch den Forstmann Coaz. Das waren alles touristische Unternehmungen. Wissenschaftlich haben die Berge schon 1574 Josias Simler ( Commentarius de Alpibus ) beschäftigt; es folgten Plazidus a Spescha, Gessner, Scheuchzer, de Saussure, Agassiz, Hugi, Studer, von Fellenberg, Aebi, Weber, deren Unternehmungen vorwiegend der wissenschaftlichen Forschung des Hochgebirges galten.

Dann setzte in der Schweiz eine touristische « Invasion » der Engländer ein, die unser Land mit seinen Bergen recht eigentlich entdeckten und im Die Alpen - 1952 - Les Alpes15 Berner Oberland und im Wallis die meisten der hohen Gipfel eroberten. Dass sie fast ausnahmslos ihre Siege mit einheimischen Führern errangen, ist verständlich. Man hatte damals noch keine guten Karten und war auf die Lokalkenntnisse der Einheimischen angewiesen. Die Engländer waren uns in manchem Vorbild. 1857 haben sie — ausgerechnet in einem Land, das keine hohen Berge hat — den Alpine Club gegründet, und 1863 folgten die Schweizer, die nicht, wie es bei uns üblich ist, ein Verein oder eine Gesellschaft, sondern etwas Besonderes, ein Klub, eben ein Schweizer Alpenklub sein wollten. Von den Engländern wurde aber nicht nur der Name « Club » übernommen, sondern auch ihre Art des Bergsteigens. Es galt als selbstverständliche Weisung, ja Forderung, Hochtouren nur in Begleitung ortskundiger Führer zu unternehmen. Wer dagegen verstiess, galt als vermessen und wurde verschrien. Sollten aber die Berge und ihr Jungbrunnen nur für solche Bevorzugte da sein, die sich die Kosten für Führer und Träger und all den teuren Proviant leisten konnten? Als daher in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts junge, aufstrebende Leute es wagten, auf eigene Faust und mit bescheidensten Mitteln Bergtouren zu unternehmen, begann ein grosses Geschrei, ja, sie wurden verfehmt. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen. Aber nehmen Sie das erste offizielle Liederbuch des SAC, « Das fröhliche Murmeltier », zur Hand, so finden Sie dort auf Seite 127 — nach der Melodie « Goldne Abendsonne » zu singen — folgendes Gedicht:

An die Führerlosen O ihr Führerlosen, wie seid ihr so schön!

Nie kann ohne Täubi euer Tun ich sehn.

Kürzlich traf ich einen, blutig comme il faut, Weil am Mönch er stürzte — ich war schadenfroh 1 Und ein andrer, lumpig, schweissig, schmutzigrot, Liess sich so begaffen an der Table d' Hôte.

Und sie renommieren, dass es kratzt und kracht — Niemand hat 's gesehen, wie sie es gemacht.

O ihr Führerlosen — wenn ich einen seh, Hoff ich, es sei keiner — aus dem SAC.

Und wer hat dieses Schmähgedicht verfasst? Kein Geringerer als der Dichter des Grindelwaldner Liedes, der bekannte Gletscherpfarrer Gottfried Strasser. Dabei möchte ich ihm — den ich noch persönlich als liebenswürdigen Pfarrherrn gekannt habe — das nicht einmal besonders ankreiden, hat er doch nur das ausgedrückt, was die hochoffizielle Meinung der begüterten Kreise des SAC war. Eine beachtete und viel kritisierte Ausnahme machte nur der St. Galler J. J. Weilenmann, ein Hüne von Gestalt, der am 12. Juli 1861 das Fluchthorn bezwang und als Alleingänger berüchtigt war.

In dieser Atmosphäre hatten es die jungen Schweizer, die den Drang nach den Bergen in sich fühlten, nicht leicht, aus eigener Kraft und mit bescheidenen Mitteln in die Berge zu ziehen. In Deutschland und Österreich hatten zwar die Gebrüder Zsigmondy und Purtscheller höchst Bemerkenswertes geleistet. Aber der Absturz von Emil Zsigmondy am 8. August 1886 an der Mei je versetzte der Sache der Führerlosen einen schweren Schlag. In der Schweiz kam es noch viel schlimmer, als am 17. Juli 1887 sechs hoffnungsvolle Leute: Karl Ziegler, Heinrich und Alex Wettstein, Gottfried Kuhn, Wilhelm Bär und Gustav Bider nach geglücktem Aufstieg durch das Rottal im Abstieg an der Jungfrau verunglückten. Auf Veranlassung der Sektion Uto fanden sie alle ein würdiges, gemeinsames Grab auf dem Friedhof Rehalp in Zürich. Leider ist dieses bei der Umgestaltung der Friedhofanlage vor einigen Jahren, weil niemand dagegen Einspruch erhob, aufgehoben worden und verschwunden.

Nach dem Jungfrauunglück ging ein Geschrei los gegen die Führerlosen, das heute geradezu als Hetze anmutet. Aber die Vorkämpfer in der Schweiz, die Brüder Charles und Paul Montandon in Bern und ihr Kreis, liessen sich von ihren Zielen nicht abbringen. In sorgfältiger Ausbildung, vorerst in den Vorbergen, dann diese Touren im Winter wiederholend, suchten sie Erfahrungen zu sammeln für grössere Taten, die ihnen dann auch gelangen. Um der Hetze « Nur mit Führern! » entgegenzutreten, kamen sie auf den Gedanken, selbst das Führerpatent zu erwerben. Musste man doch hiezu nur ein kurzes Examen bestehen und ein stattliches Verzeichnis von gemachten Touren aufweisen. Als erster versuchte dies Dr. Andreas Fischer — und siehe, es gelang ihm, weil er von den Führern als « eine vo üs » angesehen wurde. Als aber daraufhin cand. med. René Koenig von Bern, mein Vetter, sich an-meldete, gab es Krach. Der Leiter der Führerexamen — wiederum der Gletscherpfarrer Gottfried Strasser — erhob Einspruch, und der Regierungsrat des Kantons Bern musste einschreiten. So erwarb sich der Medizinstudent René Koenig am 1. Juni 1889 das « Buch als patentierter Führer im Kanton Bern », auf das er heute noch, als 82jähriger, stolz ist. Dabei hatte er nie die Absicht, als Führer tätig zu sein, aber er wollte den gehässigen Vorwürfen, selbst aus der eigenen Familie, entgegentreten, die ihm das Bergsteigen « ohne Führer » verbieten wollten.

Mit den Erfolgen und ihrem taktvollen Auftreten, wobei als Hauptregel galt: nur nicht hinter einer Führerpartie nachlaufen, erwarben sich die Führerlosen nach und nach Achtung und Anerkennung. Die Jüngeren, die gegen Ende der neunziger Jahre in jugendlichem Eifer und mit dem Schillerschen Spruch:

Und setzet ihr nicht das Leben ein — Nie wird euch das Leben gewonnen sein!

auszogen, hatten es schon leichter. In ihrem jugendlichen Sturm und Drang wollten sie von Führern überhaupt nichts wissen. In jener Zeit ihrer Entwicklung, da man durch Haus und Schule aufs engste gebunden war, bildeten ja gerade kleine Bergtouren die einzige Gelegenheit, einmal ohne Bemutterung und Lehreraufsicht sich zu tummeln. Da sollte man noch an das Gängelband eines Führers sich binden lassen! Das widerstrebte uns im Innersten. Was wir junge Berner in Bern waren, das verkörperte in Zürich die « Alpina Turicensis ». Und man muss heute anerkennen: es gelang ihnen allerhand. Mit den Erfolgen wurden sie frecher. Sie packten neue Probleme an, suchten neue Aufstiegsrouten, die man vorher nicht für ratsam gehalten hatte, gab es doch einen « normalen » Weg. Nun, sie suchten nach ihrem neuen Wahlspruch:

Der Berg ist wie ein Frauenzimmer — Von einer Seite kriegt man 's immer!

Sie wagten einfach, und hie und da gelang es. Diese Entwicklung wurde unterstützt durch die Gründung des Akademischen Alpenclubs Zürich ( AACZ ) 1896, der es sich als erster zur Aufgabe machte, seine Jünger systematisch in die Berge einzuführen und anzulernen; ein Vorbild, das später grosse Nachahmung fand. In jener Zeit, 1902, erschien vom SAC aus der « Clubführer durch die Glarner Alpeni>. In diesem wurden zum erstenmal die Besteigungsgeschichte und die begangenen Routen jedes wichtigen Berges beschrieben. Das war eine grosse Erleichterung, die das mühsame Zusammensuchen der Beschreibungen früherer Besteigungen ersparte und sofort die notwendige Orientierung brachte. Als zweite gleichartige Publikation erschien der « Clubführer der Urner Alpeni> ( 1905 ), der von Mitgliedern des AACZ bearbeitet worden war. Nach diesen Vorbildern hat das CC des SAC dafür gesorgt, dass wir jetzt eine Reihe vorzüglicher Klubführer durch unsere Berge besitzen.

Aber auch diese Entwicklung erlitt ihre Rückschläge. In Bern erfielen nacheinander von den Besten:

Paul Koenig, stud, iur., am Grenzgletscher, 1902 Egon von Steiger, stud, iur., am Balmhorn, 1903 Ernst Krebs, cand. med., am Doldenhorn, 1904 Paul Baumgartner, Pfarrer in St. Stephan, am Türmlihorn, 1913 Walter Bühlmann, Arzt, bei einer Skiübungsfahrt am Gurten, 1907.

In Zürich ging es nicht besser: Salinger und Koppelhuber von der Alpina Turicensis und dem AACZ erfielen am Mürtschenstock. Der Schreibende kann leider auf eine lange Reihe von Bergfreunden hinweisen, mit denen er öfter am Seil verbunden gewesen war und die alle in den Bergen verunglückt sind. Es sind ihrer 28! Was er im Nachwort zur Herausgabe der « Technik des Bergsteigens » schrieb, hat noch heute Geltung:

« Der Bergtod ist unerbittlich; er hascht nach jedem, wenn er hiezu Gelegenheit hat. Ich mag die Kette der Alpen betrachten, von wo aus ich will — .wenn sie am schönsten erglänzt, so bleibt der Blick an einem Gipfel oder Firn haften, über den die Erinnerung an den dort abgestürzten Freund der Berge wie ein flüchtiger Schatten hinwegzieht. » Seither sind noch zwei Kameraden verunglückt, deren Verlust mir sehr schmerzlich ist: August Gysi von Bern am Rottalhorn und Walter Mittelholzer an der Stangenwand. Wer weiss, wie schwer es hält, im Alter neue Freunde zu gewinnen, mag ermessen, was das für mich bedeutete.

Der Gegensatz zwischen Führern und Führerlosen hat sich nach und nach weitgehend ausgeglichen, besteht aber immer noch. Man begegnet sich gegenseitig mit Achtung und Respekt vor den Leistungen. Was aber geblieben ist und stets bleiben wird, das ist der innerliche Leistungsunterschied zwischen einer Tour mit Führer und einer Tour, die man selbst führt auf eigene Verantwortung und aus eigener Kraft. Der erzieherische Wert des führerlosen Gehens kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist etwas total anderes, ob ich einen Kameraden habe, der vorangeht und die Verhältnisse kennt, oder ob ich allein auf mich und meine Kenntnisse, Fähigkeiten und Kraft angewiesen bin. Es gibt da für den verantwortlichen Leiter so viel zu überlegen und vorzubereiten, von dem der Führertourist gar nichts weiss. Für den Führerlosen ist jede Besteigung, die er macht, in gewissem Sinne eine Erstbesteigung. Er kennt den Weg nur « theoretisch » und muss ihn suchen. Dabei läuft er Gefahr, sich zu verhauen, von der richtigen Route ab- und in Schwierigkeiten zu kommen. Wenn dann sein Ehrgeiz ihn reizt: Da sind andere durchgekommen, also werde ich es auch können, so wird es gefährlich. Man könnte verschiedene Beispiele erwähnen, wo gerade diese Einstellung die Ursache des Unglückes war.

Dr. Carl Egger, zeitweiliger Redaktor der « Alpen », hatte nicht unrecht, als er bei der Besprechung des Buches « Vom goldenen Lächeln des Monte Rosa » von Dr. Julius Kugg ( « Alpen » XVIII 1941, S. 36 ) schrieb: « Kugy vertritt den Standpunkt des zwischen zwei erstklassigen Führern verpackten Touristen, der den ungeheuren Auftrieb des Wagemutigen, des Selbständigen nicht kennt. » Diese Worte haben Dr. Kugy schwer getroffen, aber man muss sagen: « Ce n'est que la vérité qui touche. » Die heftige Entgegnung von Dr. Kugy in seinem letzten Buche « Aus vergangener Zeit », wo er als « Jupiter tonans » auftrat, war unberechtigt. Bei aller Hochachtung, Verehrung und Freundschaft, die ich für Dr. Kugy hege, musste das einmal ausgesprochen werden. Nicht nur Führer und Führerlose, sondern auch Geführte und Führerlose müssen sich gegenseitig verstehen. Wie sollte das nicht möglich sein, verfolgen sie doch alle das gemeinsame Ziel: Das Suchen und Finden des Weges in die Höhe.

Wenn ich die Wandlungen überprüfe, die ich selbst im Laufe der Jahre durchgemacht habe, so sind sie beträchtlich. Wollte ich in den ersten Jahrzehnten überhaupt nichts von Führern wissen und alles selbst machen — sonst hatte ich keine Freude daran —, so kostet es mich jetzt keine Überwindung mehr, einmal einen Anderen, Jüngeren vorangehen zu lassen. Dennoch interessiert mich dabei immer noch die einzuschlagende Route und noch mehr, wie es einer macht. Auf das Rucksacktragen bin ich jedoch nicht mehr scharf. Man rutscht so nach und nach auf den Standpunkt, seine abnehmenden Kräfte zu schonen, um in möglichst guter Verfassung den Gipfel zu erreichen. Dann ist man auch besser fähig, die Pracht des Hochgebirges zu erleben, die tiefen Eindrücke in sich aufzunehmen und auf sich wirken zu lassen und sie als Kraftreserven für Pflicht und Arbeit mit nach Hause zu nehmen.

Eine Frage hat mich oft beschäftigt: Wer ist der bessere Bergsteiger, der durchtrainierte und gerissene Führerlose oder der Führer, der ein aufgewachsener Bergler ist? Auf Grund langjähriger Erfahrung und Beobachtung ist diese Frage für mich eindeutig zugunsten des Führers entschieden. Man vergesse eben nicht: Erbanlage und Gewöhnung von Jugend an wiegen alle turnerische Gewandtheit und Technik auf. Woran das liegt, hat ein einfacher Urner in die treffenden Worte zusammengefasst: « Mir sind halt im Stotzige ufgwachse und händ scho frieh miesse schwär träge. » In diesen Worten liegt das Geheimnis der unglaublichen Gehsicherheit und Ausdauer dieser in hartem Ringen gestählten Gebirgsbewohner. Insbesondere das Tragen schwerer Lasten entwickelt in vortrefflicher Weise die Muskulatur der Beine sowie den Sinn für das Gleichgewicht beim Gehen. Wer je am Stotzigen Bord zum Beispiel « Wildheuburdinen » getragen hat, wird erstaunt sein, wie leicht und sicher er nachher auftritt. Dazu kommen die tiefe Verbundenheit mit der Natur, die unverbrauchten Nerven, die im entscheidenden Augenblick nicht versagen, und der natürliche Sinn und das Gefühl für den Weg aus schwierigen und gefährlichen Lagen. Das Gescheiteste, was wir tun können, ist deshalb, von diesen Leuten zu lernen, soviel wir nur können. Ja, selbst der Vater der Führerlosen, Paul Montandon, hat den Rat erteilt, ein Führerloser sollte jedes Jahr mit einem der besten Führer auf eine schwierige Tour gehen, nur um zu sehen, wie diese es machen und was sie können.

Dass wir für Klubtouren immer die Hilfe eines Führers in Anspruch nehmen, ist in jeder Beziehung, schon mit Rücksicht auf die Verantwortung des Tourenleiters, gegeben. Ich habe sogar den Eindruck, dass es oft zu wenig ist, nur einen Führer für zehn bis zwölf Touristen zu nehmen; denn letzten Endes trägt der Führer auch die Verantwortung für die ihm nachfolgenden Seilschaften, und unter diesen gibt es oft Leute, die den Touren nicht gewachsen sind. Man sei also in den Sektionen nicht kleinlich, sondern verteile die Verantwortung.

Eine Gefahr besteht für den Bergsteiger: dass er so nach und nach die Berge nicht als Mittel zum Zweck, sich zu erholen und Kräfte zu sammeln für die tägliche Berufsarbeit, betrachtet, sondern sie zum Selbstzweck erhebt, dass er nur noch für das Bergsteigen Interesse hat und sein Studium und seine Berufspflichten vernachlässigt. Das ist gefährlich. Ein solcher Bergsteiger wird dann leicht zum BergsimpeZ, an dem niemand mehr Freude hat. Sie werden auch solche gekannt haben oder noch kennen!

Nun muss ich in der Entwicklung zurückgreifen in die neunziger Jahre, da eine ganz neue Bewegung aufkam: das Skifahren. Wie mühsam es war, diese Bewegung in Gang zu bringen, kann man heute gar nicht mehr verstehen. Wie die Bewegung aufkam, lese man in den Jubiläumsschriften zum 50jährigen Bestehen der Skiklubs von Glarus, Bern und Zürich nach. Wäre es nicht gegeben gewesen, dass sich der SAC in erster Linie des Skiwesens angenommen hätte? Eröffneten doch die langen Bretter die Möglichkeit, auch im Winter in die Berge zu gehen und die winterliche Natur zu entdecken. Aber davon wollten die meisten Sektionsvorstände des SAC nichts wissen. Warum? Aus Unkenntnis und Bequemlichkeit, Versuche in Bern, eine Untersektion « Skifahrer » zu gründen, wurde abgelehnt und unterbunden. Einzig in den welschen Sektionen, zum Beispiel in Genf, gründeten sich innerhalb der Sektion kleine Skifahrergruppen. Eine besondere Ausnahme machte die Sektion Monte Rosa, die im Januar 1902 durch die Initiative von Dr. Hermann Seiler, Zermatt, einen Skikurs für Führer organisierte, und die Sektion Rhätia, die durch ihre Skikurse auf der Lenzerheide 1903 und 1904 wesentlich zur Förderung des Skifahrens in der Schweiz beigetragen hat. Die allgemeine Zurückhaltung des SAC führte naturgemäss zur Gründung von besonderen Skiklubs, der erste in Glarus 1893, der zweite in Bern 1900, der dritte in Zürich 1901; und heute sind es Hunderte von Klubs mit Tausenden von Mitgliedern. In Glarus wurde von Anfang an die Bedeutung des Skifahrens in dem Sinne anerkannt, dass man einen besonderen Skiklub zur Ausbildung im Skifahren gründete. Aber die Verbindung mit dem SAC wurde dadurch festgehalten, dass man in den Statuten bestimmte, dass nur Skiklubmitglied werden konnte, wer bereits Mitglied des SAC war.

Nachträglich besehen, war diese Trennung zwischen Bergsteigen und Skifahren wohl richtig, denn es handelte sich in erster Linie darum, sich mit dem Skifahren zu befassen, dieses zu erlernen und bekanntzumachen. Das konnte nur durch Veranstaltung der grossen Skirennen geschehen, wo man zum erstenmal in der Schweiz sehen und bewundern konnte, wie ein Mensch von der Sprungschanze in stolzem Flug durch die Luft sauste. Das hat die Massen begeistert. Aber es vergingen noch Jahre, bis die Zentralkomitees des SAC zur Einsicht kamen, das winterliche Bergsteigen sei eigentlich auch ihre Sache. Heute ist es glücklicherweise so, dass das Bergsteigerische vom SAC betreut und das Skitechnische dem Skiverband überlassen wird.

Werfen wir noch einen Blick zurück auf die Anfänge des Skifahrens. Da war überhaupt alles neu und vom Abc an zu erlernen. Man kannte aus Nansens « Durch Nacht und Eis » und « Auf Schneeschuhen durch Grönland » wohl die Verwendbarkeit der Ski, aber wie machen? Das musste jeder selbst versuchen. Neben den beiden Brettern hatte man einen langen Stock als drittes Bein und Balance. Zuerst fuhr man auf den gebahnten Wegen in gespreizter Hocke und Bremsstellung. Doch die Schüttler reklamierten, und ein Strassenmeister gab den Rat: « Gaht doch mit eune Fueßschlitten ufs Fäld use! » Das versuchte man, und siehe, es ging sogar noch besser als auf der harten und glatten Strasse. In einem Obstgarten unterhalb des Hotels du Glacier in Grindelwald lernten zwei Buben das Umfahren der Bäume und mit Hilfe des Stockes Bogen nach links und rechts zu machen. Anleitung, wie man das machen sollte, konnte niemand geben, aber jugendlicher Erfindungsgeist und etwas körperliche Gewandtheit taten das ihrige. Am fünften Tage waren sie so weit, dass sie auf die Grosse Scheidegg gehen konnten, und am sechsten Tag, dem Silvester 1898, versuchten sie keck den Männlichen und kamen in anderthalb Stunden vom Hotel bis hinunter in den Grund. Das erregte in Grindelwald Aufsehen, obschon ein Lehrer, Jakob Stumpf, schon vorher die Abfahrt ungefähr in der gleichen Zeit gemacht hatte. Ein Kurgast in Grindelwald interessierte sich lebhaft um die von den beiden Jungen benötigten Marschzeiten; es war « Herr Major Bridler aus Winterthur », wie er sich vorstellte. Aus ihm ist später der Oberstkorpskommandant Bridler geworden, der sich um die Ausbildung und Förderung unserer Gebirgstruppen im ersten Weltkrieg besonders verdient gemacht hat.

Freundlich wurden die Skifahrer nirgends aufgenommen, geschweige denn unterstützt. Da es meist « Führerlose » waren, betrachtete sie die Führerschaft sehr skeptisch. In Grindelwald verhielten sich die grossen Führer Almer, Jossy, Kaufmann durchaus ablehnend. Für sie war das « Brättlilaufen », wie sie es spöttisch nannten, eine Spielerei und kein seriöses « mountaineering ».

Die Eisenbahnen waren dem neuen Verkehrsmittel sehr abhold. Als am 26. Dezember 1898 — also ungefähr vor 53 Jahren — der Schreibende in Interlaken-Ost mit seinem Vetter zwei Paar Ski in den Personenwagen mitnehmen wollte, gab es einen tüchtigen Krach mit dem Bahnpersonal: « Selig Gagliwaar cha me nid i d'Wäge näh », hiess es, und wir mussten die Bretter als Personenfrachtgut aufgeben und dafür bezahlen. Auch die SBB nahm den gleichen Standpunkt ein. Das kostete immer Geld, und man verlor viel Zeit, insbesondere, wenn man bei der Heimkunft in Bern am Frachtgutschalter warten musste, bis die aufgegebenen Ski hergebracht wurden. Aus Entgegenkommen und nachdem man sich besonders bei der Generaldirektion der SBB dafür verwendet hatte, wurde bei Anlass des ersten schweizerischen Skirennens in Bern 1902 und von da an allgemein gestattet, die Ski selbst in den Gepäckwagen zu bringen und dort abzuholen. Aber je mehr sich das Skifahren entwickelte, um so mehr gab das auf jeder Station ein Durcheinander sondergleichen. Einige Findige haben sich dadurch geholfen, dass sie ihre Ski bunt bemalten, damit sie diese im Haufen leicht erkannten und andere sich nicht daran vergriffen. Es kamen dann Vorschriften, die Ski müssten fest zusammengebunden und mit einer nicht abreissbaren grossen Adresse versehen sein. Wer erinnert sich nicht noch an den Kampf um seine Ski! Das hat sich alles geändert, und man sieht heute nichts Besonderes mehr darin, dass man die Ski in alle Personenwagen — auch der 2. Klasse — nehmen darf; ja, man hat sogar besondere Abteile für Skifahrer, und bei Sportzügen sogar Spezialwagen zum Skitransport, wo jeder seine Bretter leicht versorgen und abholen kann. Aber das musste alles erkämpft werden.

Zuerst die Skibindungen! Wie lange ging es, bis man von der primitiven Meerrohrbindung zur Baiatabindung überging, von dieser zur Huitfeldbindung und erst zu all den modernen heutigen Skibindungen. Mit den Stöcken war es dasselbe. Man fuhr mit einem starken und langen Stock, auf dem man « reiten » konnte. Den ersten « Zweistöcker » sah ich persönlich am ersten schweizerischen Skirennen am Gurten in Bern am 16. Februar 1902, es war Herr von Diskau aus Sachsen. Und erst die Schuhe und die Kleider! Es ging lange, bis man richtige Skischuhe bekam und Windjacken. Und schliesslich die Steigmittel zur Erleichterung des Aufstieges! Das Beste waren noch eine Schnurpackung oder unter die Ski gebundene Tannenzweige. Die Felle, die man auch erst 1902 zu sehen bekam, waren auf die Ski angenagelt und nicht abnehmbar. So kann man der heutigen Generation wohl zurufen: « Freu'dich, dass du ein Enkel bist! » ( Fortsetzung folgt )

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