Bergtage in der Civettagruppe (Ostdolomiten)
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Bergtage in der Civettagruppe (Ostdolomiten)

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Mit 2 Bildern.

Von Ernst Hirsch!

( Lissabon ).

Prolog.

Wenn du, lieber Wanderer, in Agordo aus dem Bähnchen steigst, das dich von Sedico-Bribano, an der Linie Padova-Belluno, durch das romantische Cordevoletal hinaufgebracht hat, so fühlst du dich mit einem Schlage im Reiche des Dolomit; denn in allen Richtungen thronen über saftigen Matten und tiefgrünem Nadelgehölz die scharfen Zacken und mächtigen Wände.Vor allem wirst du sehr überrascht sein, im Hintergrunde nördlich ganz gut die Gipfellinie der Marmolada zu unterscheiden, die mit einem feinen, weissen Schneestreifen gegen den blauen Horizont absticht. Gegen Westen überragt der Monte Agner ( 2872 m ), der seinen markanten Ostgrat bis tief hinab ins Tal schickt, rechts über Listolade folgt der Monte Alto di Pelsa mit seinem Steilabfall und näher hin der Framont. Über die Höhenzüge im Osten endlich gucken die Zacken der Tamergruppe. Nur schwer trennst du dich von dem schönen Flecken, der mit seinen massiven, niedrigen Bauten und Laubengängen, seinem säubern, baumgerahmten Dorfplatz etwas an die Schweiz erinnert.

Wir dürfen aber nicht länger säumen, müssen wir doch heute noch hinauf in die Vazzolerhütte, die uns für einige Tage als Stützpunkt dienen soll. Über Listolade gelangen wir hinein ins Val Corpassa; der Saumweg ist überraschend gut. Schwer drücken die Säcke in der heissen Augustsonne; wir haben für den Aufstieg die denkbar ungeeignetste Mittagsstunde auserlesen. Aber bald lässt das im Talgrunde sich bietende Panorama kleine Mühen vergessen, stolz schiesst die Cima di Busazza, an die sich, gerade vor uns, die Torre Trieste anlehnt, mit ihrer Steilwand in die Höhe. Unter ihrem Fusse durch führt uns der Weg zur Hütte.

Meine Gefährtin scheint den etwas schroffen Übergang vom Meere auf Quote 2000 zu empfinden; denn im Zickzackaufstieg, der in der Fallirne der Torre Trieste hinführt, schiebt sie mehrere Halte ein. Indessen haben wir auf der gegenüberliegenden Terrasse unser heutiges Ziel entdeckt und steigen langsam an, uns immer wieder an dem einzig schönen Bild weidend, das die beiden mittlerweise ins Blickfeld gerückten Südarme der Civetta, mit dem Venezia- zur Rechten und dem Triesteturm zur Linken, darbieten. Ein wildes Durcheinander von Zacken, Türmen und Wänden, welches die scheidende Abendsonne langsam mit einem Rosaschleier überzieht. Nie mehr in den folgenden Tagen bot sich dieses Schauspiel so ungestört und rein wie heute. Das Rifugio Vazzoler des Italienischen Alpenklubs liegt auf der Hochterrasse der Alpe di Pelsa und bietet 50 Personen bequem Unterkunft. Die lieblichen Weiden und Bergtannen, die es umgeben, die Türme, die über ihm wachen, machen es zu einem Kleinod, an dem nicht nur der Kletterer seine Freude hat, sondern auch die unzähligen Berggänger, die von Hütte zu Hütte pilgern.

Civetta! Wie viele Namen, die Klang haben im internationalen Alpinismus, sind mit ihr verbunden. Seinen Ruf verdankt der Berg vor allem der Nordwestwand. Die deutsche Seilschaft Solleder-Lettenbauer durchstieg sie erstmals direkt, im Jahre 1925, und rächte dadurch ihren Landsmann Leo Maduschka, der wenige Jahre vorher darin den Erfrierungstod gefunden hatte. Die Engländer Phillimore und Raynor haben wohl schon um die Jahrhundertwende mit einheimischen Führern die « Via degli Inglesi » in die Wand traciert, welche Route aber wie auch die erste « Via degli Italiani » der Seilschaft Cozzi-Zanutti ( 1911 ) einen eigentlichen Zickzackaufstieg zur Kleinen Civetta darstellt.

Molazza.

Als Auftakt zu grösseren Taten hatten wir vorerst eine Ubungskletterei auf dem Moiazzagrat vor, und wollten gleichzeitig möglichst viel vom Wege für die morgige Civettatour sehen. Der Aufstieg gegen das Van delle Sasse ist steil und ziemlich lang. Der Pfad führt vorerst hart unter der Südwand der Torre Trieste durch und zeigt so recht den Vertikalabfall derselben. Auf Quote 2600 biegen wir rechts ab und steigen gegen die Einsattelung zwischen Moiazzagrat und Moiazzetta auf Geröllhalden und später auf Felsbändern an. Dicke Nebelschwaden haben sich inzwischen über die Gruppe gelagert und dämpfen rasch unsere Unternehmungslust. Vor der Lücke erreichen wir rechter Hand die Felsen, die sich in der Folge als leidige Schutthalden entpuppen, über die wir uns zum Grat emporschinden. Auf der vorgeschobenen Nordspitze des Moiazzagrates machen wir halt und kehren dort um, da an die Erreichung des Hauptgipfels bei dem zunehmend unsichtigen Wetter nicht zu denken ist. Auch verspricht der Grat alpinistisch nicht viel; grosse kletterische Genüsse bieten sich dabei jedenfalls nicht. Beim Aufstieg hatten wir am Morgen an der Abzweigung von der Van-delle-Sasse-Route gute 200 Schafe gezählt, die gegen dieses Hochplateau ziehen und dort tagelang frei weiden. Die eintönigen Rufe der Hirten begleiteten uns den ganzen Tag und machten die graue Einsamkeit noch dumpfer.

Civetta, 3218 Meter.

Etwas spät brechen wir am Morgen von der Hütte auf, dem gleichen Pfade von gestern folgend, um auf das Van delle Sasse zu gelangen. Der Horizont ist klar, aber bald schieben sich Wolkenbänke von Osten her über die Moiazzetta.

Das Van delle Sasse entpuppt sich als kahles Hochplateau, eingebettet zwischen der Moiazzetta und der eigentlichen Civettagruppe. Der Einstieg zur Tissiroute ( Via ferrata ), die durch die senkrechten Kamine hinauf zum Rifugio Torrani auf dem Pian delle Tende führt, ist auf dem Plateau vorerst noch markiert, und befindet sich zirka 50 Meter links des Winkels, der durch die Ostflanke der Gruppe sowie deren Ostausläufer gebildet wird. Eine gut sichtbare, tiefe Runse auf dem sich herabziehenden Schneefeld zeigt schon von weitem die genaue Einstiegsstelle an, die zudem durch einen grossen rotbraunen Flecken im Fels kenntlich ist.

Es klettert sich gut mit Hilfe der einzementeten grossen Nägel, teilweise wird die Sache recht luftig; je höher wir kommen, um so eindrucksvoller ist der Tiefblick. Kamine, Traversen, ausgesetzte Wandstellen wechseln ab, die Route kann, einmal angepackt, nicht verfehlt werden. Schwierigkeiten sind nicht vorhanden, einzig Zutrauen zu den Drahtseilen sowie den eisernen Tritten und Nägeln ist notwendig. Recht interessant ist die grosse Traverse hinüber zum Rechtskamin, die über einen Abgrund von mehreren hundert Metern führt. Weiter oben verflacht sich der Fels, die eisernen Griffe fehlen, bald erreichen wir das Schneefeld, das sich bis hinauf zum Pian delle Tende erstreckt. Gute anderthalb Stunden nach dem Einstieg öffnen wir mit den vom Vazzoler mitgebrachten Schlüsseln die Torranihütte, die von der Sektion CAI-Skiklub Mailand vor wenigen Jahren in Erinnerung der am Corvatsch in einer Lawine verunglückten Klubistin E. V. Torrani errichtet worden ist und die vor allem den Wandbezwingern als Schutz dienen soll. Dieses Jahr ist sie nicht bewartet; normalerweise bleibt aber der Hüttenwart von Mitte Juli bis Ende August oben.

Der restliche Aufstieg zum Gipfel rechtfertigt unseren gestrigen Moiazza-rückzug, bildet doch die Ostseite der Civetta einen Steilabhang, der besonders im obersten Stück mit garstigem, losem Gestein übersät ist. Schade, dass das Zoldotal nur teilweise aus den Nebellöchern auftaucht, auch der Pelmo kommt nur ganz sporadisch zum Vorschein. Aber wir wissen, dass die ganze Tour sich reichlich lohnt, falls das Cordevoletal frei ist; der Tief blick auf den Alleghesee soll einzigartig sein. Tatsächlich werden wir nicht enttäuscht; denn als wir den Grat erreichen und die letzten Meter zum Gipfel traversieren, bietet sich ein Panorama, das zwar zufolge der Nebelbänke etwas umgrenzt ist, doch zum Eindrucksvollsten gehört, was ein Bergsteigerauge je schauen durfte. Man blickt hinab auf Alleghe mit seinem wunderschönen Seelein, das sich vor mehr als 200 Jahren durch einen Bergsturz vom nahen Piz gebildet hat. Die Abrutschstelle ist von hier oben gut erkenntlich. Unter uns wissen wir die furchtbare Nordwestwand, während der Blick hinabgleitet durch die gähnende Leere von 3200 auf 900 Meter. Die lieblichen, weissgetünchten Häuschen scheinen Spielsachen, spiegeln sich im dunklen Wasser, über das Ruderboote feine Furchen ziehen. Im Westen und Norden ist die Atmosphäre ziemlich sichtig, imponent grüsst die Südwand der Marmolada hinüber; rechts davon erkennen wir die Sassolungogruppe, an die sich die Sellaberge anlehnen. Auch die Finger der Odle zeichnen sich deutlich ab. Mehr nördlich thront das Massiv der Tofane als grober Stock mit rotbraunem Gestein. Nicht endlose Bergketten wie in den Westalpen schaut das Auge, sondern voneinander getrennte Massive, die über Matten und Wäldern, über Tälern und Höhen dieses so schöne Stück Italien bewachen.

Im Süden und Osten wollen die Nebel nicht verschwinden; sie berauben uns eines guten Teiles der fabelhaften Rundsicht. Wir haben Musse, die Steilwand der kleinen Civetta eingehend zu studieren, durch welche die alte Engländerroute führt. Dieser Aufstieg gehörte bekanntlich zu den alpinistischen Glanztaten jener Epoche und stellt auch an die Kletterkatzen unserer Zeit recht hohe Ansprüche.

Nachdenklich steigen wir wieder zur Torranihütte ab, sind wir doch soeben auf einem der klassischen Kletterberge gestanden, der im italienischen und internationalen Alpinismus guten Klang besitzt. Phillimore, Raynor, Cozzi, Zanutti, Maduschka, Solleder, Lettenbauer, Comici, Gebrüder Schmid, sie alle liessen den Namen Civetta zu einem Inbegriff härtester Probe im Kampfe Mensch gegen Berg werden. Leider fehlt bis heute die Aktivität schweizerischer Bergsteiger als Eröffner neuer Wege in dieser Gruppe ganz.

Wie wir wieder in der Via ferrata absteigen, hat sich die Nebelwand auch von Osten her ganz über den Berg gelagert. Trotzdem kommen wir gut vorwärts, sputen uns besonders in den zwei steinschlaggefährdeten Kaminen, Die Alpen — 1942 — Les Alpes.18 ÉÈRGTAGÈ lisi DÉR CÎVËTTAGftUPPË.

so dass wir noch vor 18 Uhr wieder bei unsern Pickeln sitzen, die am Morgen beim Einstieg zurückgelassen wurden.

Dann wandern wir zurück über das Van delle Sasse, über seine vom Wasser zerspaltenen Bodenfelsen, hinab über den gletscherähnlichen Steilabfall gegen das Val Corpassa, pflücken bei der gestrigen Abzweigstelle noch herrliche Edelweiss, und erst das scheidende Tageslicht und nicht minder der einsetzende Regen mahnen erneut zum Aufbruch. Im Laufschritt bringen wir den Steilabhang hinter uns, kurz noch schauen wir uns an der Torre Trieste den Normalweg von der Busazza her an, der als vierten Grades gilt, dann erreichen wir bei einbrechender Nacht den vom Tale kommenden Hüttenweg und sind erst nach 9 Uhr abends im trauten Vazzolerhüttchen zurück.

Torre Venezia, 2337 Meter.

Nachdem wir am Mittwoch einen Ruhetag eingeschaltet, den wir allerdings gegen Abend dazu benutzten, den kühnen Turm etwas aus der Nähe zu besichtigen, verlassen wir nach 7 Uhr unser Heim. Wir kennen den Anstiegsweg hinauf zum Ostkanal, und rasch kommen wir deshalb höher. Die Route ist bis zu dessen Ausmündung gut markiert. In der grossen Krinne, die sich von der Forcella di Pelsa, zwischen der Torre Venezia und den Cantoni di Pelsa, hinunterzieht, kommen wir ohne Schwierigkeiten vorwärts, bis ein grosser Block den Weiterweg sperrt. Hier werden denn auch die Nagelschuhe mit den Kletterfinken vertauscht, und wir umgehen die Stelle auf der glatten, aber unschweren Rechtsseite. Wir wissen, dass nach Aussage von Kletterern, welche bereits am Montag die Route begingen, der Angriff der Ostwand, durch die unsere Aufstiegslinie führen soll, zirka 50 Meter unter besagter Forcella liegt und sind deshalb nicht wenig überrascht, bald über uns die Lücke zu sehen. Dichter Nebel erschwert leider die Orientierung, so dass wir vorläufig rasten. Die gegenüberliegenden Pelsatürme, deren Südseite uns zugekehrt ist, zeigen morsches, geradegeschichtetes Gestein. Von dieser Seite müsste ein Klettern wahrlich kein Vergnügen sein. Dagegen bietet die unmittelbar vorgelagerte Torre di Venezia in den steilen Wandstellen guten, haltbaren Dolomit, währenddem auf allen Vorsätzen und Bändern ebenfalls loses Wandwerk liegt.

Da die Nebel nicht weichen wollen, queren wir auf gut begehbarem Band in die Ostwand hinüber und sehen genug, um den Weiterweg zu beschliessen. Nahe des Cozzikamines, das sich über den mittleren Teil der Wand- hinzieht, entdecken wir gute 50 Meter über uns eine Terrasse, der wir uns mit einer Rechtsschwenkung und anschliessendem neuen Quergang nach links, der einige Aufmerksamkeit erfordert, nähern. Die folgenden Meter bieten schöne, exponierte Kletterei; dann sitzen wir auf dem grossen Felsvorsprung, der den Aufstieg im Steilkamin freigibt. Hatten wir bis dahin leichte Zweifel am Erfolge unseres Unternehmens gehegt, infolge Fehlens vorheriger Orientierungsmöglichkeit, so packen wir nun mit neuen Kräften den luftigen Weiterweg an. Das Kaminstück wird teils direkt innen, teils auf der rechten Rippe durchstiegen, verflacht sich bald und endet beim berüchtigten Über- hang, der als Schlüsselstelle der Begehung gilt. Wir befinden uns hier wieder nordseits, genau über der Forcella. Der Fels macht einen ekligen Buckel; nur rechts verspricht ein in spitzem Winkel herabkommendes Felsband einige Hilfe. Oben sehen wir schon, wie sich der Turm zur typischen Haube verengert; der Gipfel kann also nicht mehr weit sein. Als Seilerster packe ich an, komme aber mangels Griffen und Tritten nicht hoch. Noch bringen wir nicht heraus, wie das Felsband rechts helfen könnte. Ein zweiter Versuch gelingt kaum besser. Wäre nur die Stelle nicht so verdammt exponiert, oder hätten wir wenigstens einen Haken zum Sichern; aber wir hatten nicht mit dieser saftigen Überraschung gerechnet und deshalb keine Schlosserei mit. Schliesslich ermöglicht die Seilgefährtin einen guten Schulterstand; nun fasse ich endlich einen guten Griff. Langsam verstemme ich den Nacken in das Winkelband, die Finken halten glücklicherweise auf dem glatten Fels. Dann drücke ich mich in dieser Querlage aufwärts, greife wieder hinüber auf die Wand und stemme mit den Füssen gegen das Band. Nach 6—7 harten Metern legt sich die Wandstelle zurück, und nach einer weitern halben Seillänge lasse ich, auf einem Querband sitzend, die Seilgefährtin nachkommen, oder, besser gesagt, ich ziehe die kleine, leichte Person buchstäblich über den Überhang hoch. Mit Erleichterung stellen wir hier auch einen Abseilring fest; auf andere Weise als am Doppelseil wäre diese heikle Stelle im Abstieg kaum zu begehen. Noch wenige Schritte, dann stehen wir auf dem Rand des Hutes, den der Veneziaturm aufgesetzt hat, der restliche Aufstieg führt durch eine Geröllhalde auf der Westseite.

Es ist 13 Uhr, als wir oben stehen und uns freudig die Hände drücken. Rudatis bezeichnet unsere Route als dritten Grades, dieselbe stellt ohne Zweifel einige Anforderungen. Wir blättern im Gipfelbuch und finden u.a. die Eintragung des Königs der Belgier, Albert I., der um 1930 herum die Besteigung in Begleitung von Graf Aldo Bonacossa, Paola Wiesinger und dem Führer Steger aus Bolzano durchgeführt hat. Die Seilschaft kam allerdings über die « Via Castiglioni », die grösstenteils durch das grosse Kamin auf der Westseite führt und schwerer ist als die Normalroute. Dies Jahr waren vor uns fünf Partien oben, ein Zeichen der Kriegszeit, aber auch der Härte der Aufgabe, die einem dieser wuchtige Wächter des Val Cantoni stellt.

Die leichten, aus den Tälern aufsteigenden Nebel verlassen uns auch jetzt nicht, immerhin unterscheiden wir für Momente deutlich tief unten auf der Alp unser Hüttlein, rufen hinab und bald tönt die Antwort zurück. Es erscheinen Gestalten auf dem Vorplatz, die mit grossen weissen Tüchern heraufwinken. Am Abend wurde uns dann gesagt, dass wir als deutlich sichtbare Konturen über dem Nebel standen. Über uns brennt die Augustsonne, und wir lassen es uns wohl sein für eine gute Stunde, bevor wir wieder zum Abstieg rüsten. Derselbe beginnt bei der vorerwähnten Abseilstelle etwas luftig und bietet dann auf der bekannten Aufstiegsroute keine besondern Schwierigkeiten mehr. Auch die Steilstelle nach dem Plateau durchsteigen wir rasch und sicher, sind bald auf dem ersten Quergang und dann bei der Einstiegsstelle unter der Forcella. Mühsamer erscheint fast der Abstieg im geröllübersäten Kanal, aber auch das hat ein Ende; wir kommen wieder zu BERGTAGE IN DER CIVETTAGRUPPE.

unsern Nagelschuhen, lassen uns etwas Proviant munden und pilgern dann langsam zur Hütte hinunter, zufrieden mit unserem Schicksal, das uns heute einen so schönen Bergsieg vergönnt hat.

Die Torre Venezia ist besonders Westalpengängern, die als Neulinge in die Dolomiten kommen, als Prüfstein wärmstens zu empfehlen. Wer sich anschliessend noch härteren Aufgaben widmen will, dem stehen in den Führern Alleghes ausgezeichnete Kenner des Civettamassives zur Verfügung.

Ausklang.

Nur allzu rasch neigen unsere Ferientage dem Ende zu, müssen wir aus diesem grausigschönen Bergrevier der « Königin der Dolomiten », wie die Civetta genannt wurde, scheiden. Aber noch einmal nehmen wir an jenem Freitagmorgen die Parade all seiner Trabanten ab, die sich von der Torre Venezia am Südende bis hinunter zur Torre di Coldai im Norden zur mächtigsten Wand der Dolomiten zusammenschliessen. Das Promontoire über Colrean und Colnegro zur Coldaihütte darf zu den einzigartig schönsten alpinen Wanderungen gezählt werden.

Der Abschied von der Vazzolerhütte ist uns schwer geworden, wir hatten uns so sehr an ihre wohnlichen Räume, die heimeligen Abende am Kamin gewöhnt, wo uns ein ehemaliger Agordiner Richter, der nun seine Tätigkeit in Bologna ausübt, beim knisternden Feuer der brennenden Arvenzweige Jägerlatein aus der Umgebung zum besten gab. Es scheint jeweilen hier oben recht lärmig zuzugehen, wenn Ende September Hundegekläff, Horn-signale und Flintenschüsse in den schroffen Wänden des Cantonitales widerhallen und das Wildgeflügel, die Füchse und wohl auch einige Schneehasen aus ihrem beschaulichen Dasein aufstöbern.

Oben am Colrean drücken wir lieben Bekannten aus der Hütte die Hände in der bestimmten Hoffnung, uns in kommenden Jahren, zu ruhigeren Zeiten, wieder hier zusammenzufinden. Abschied nehmen wir auch von unserer Torre Venezia, die sich langsam in einen Nebelschleier hüllte, als wollte sie uns die Trennung erleichtern. Um die zweite Mittagsstunde nähern wir uns dem Zentralmassiv und schauen hinein in die grausige Nordwestwand der Civetta, nachdem uns wenige Minuten vorher ein kurzer, aber um so stärkerer Rieselregen überraschte. Aber die Sonne schafft sich schnell wieder Bahn durch die Wolken und gibt nun auch den Blick frei hinunter auf Alleghe und seinen ewiggrünen See.

Wenn man die Wand aus der Nähe beobachtet, wird einem so recht klar, welch heroische Leistung hier Solleder 1925 vollbracht hat. Der Fels wirkt vor allem direkt als Auffang der rohen Nord- und Westwinde und ist deshalb bei unsicherem Wetter innert weniger Stunden gänzlich veränderten Klimaverhältnissen unterworfen.

Am kleinen Bergsee Coldai vorbei steigen wir zur gleichnamigen Hütte auf der Ostseite ab, die das grüne Zoldotal von hoher Warte beherrscht, blicken hinüber zum Pelmomassiv, das sich auffallend aus flachgeschichtetem Dolomit aufbaut, und geniessen, « last but not least », die Spezialität der Hüttenwartin in Form einer wundervoll mundenden « Omeletta di marmellata ». Die scheidende Abendsonne findet uns auf dem Abstieg durchs steile Tälchen, benannt « Rua di Porta » nach seinem Naturbrückenbogen, der sich auf halber Höhe zwischen die Felswände hineinzwängt. In Alleghe hat unsere Bergwoche ihren Abschluss gefunden.

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