Blinde im Hochgebirge
Heinz Högger, Thun
Was veranlasst denn Blinde und Sehbehinderte überhaupt, auf Berggipfel zu steigen; was treibt sie dazu, den enormen Aufwand an Kräften und Strapazen auf sich zu nehmen? Bergsteigen an sich ist anstrengend; das gilt erst recht, wenn jeder Tritt erfühlt und ertastet werden muss, wenn Misstritte häufiger sind als bei sehenden Bergsteigern, die mit ihren Augen stets zwei, drei Schritte voraus den Boden nach Unebenheiten absuchen und so erkennen, aufweiche Steine sie treten und welche sie übergehen wollen.
Ausserdem abnehmenden Mond lässt sich am aufdämmernden Morgenhimmel nichts ausmachen - alles ist wolkenlos klar. Der noch junge Tag zeigt sich von seiner strahlendsten Seite. Ein leichter, frischer Wind streicht über die Berghänge aufwärts. Weit oben kitzelt die Sonne bereits den Gipfelhang, derweil das Tal noch in dunkeln Schatten harrt.
Die drei Seilschaften sind seit zwei Stunden in der morgendlichen Stille unterwegs. Gemächlich steigen sie die Schneeflanke hinauf, Schritt für Schritt dem Gipfel der Cima di Rosso ( 3366 m ) entgegen. Nichts scheint sie von all den andern Bergsteigern zu unterscheiden, die allsommerlich zu Tausenden die Alpengipfel erklimmen. Doch wer genauer hinschaut, bemerkt, wie einige der Bergsteiger gelegentlich neben der Spur gehen oder sich von ihrem Vordermann führen lassen. Denn die Bergsteiger, die da auf die Cima di Rosso steigen, sind sehbehindert oder blind.
Es sind Teilnehmer eines einwöchigen Ge-birgskursesfür Blinde und Sehbehinderte, wie ihn der Schweizerische Verband für Behindertensport ( svbs ) seit acht Jahren alljährlich an einem andern Ort der Schweiz durchführt. Nach der Schwarzwald- und Engstligenalp, der Gemmi, dem Rosegtal, der Göscheneralp, dem Steingletscher und dem Splügen lernen die Behinderten diesmal die Fornoregion oberhalb des Malojapasses näher kennen.
Eine Woche lang unternehmen sie von der Fornohütte aus Hoch- und vereinzelt sogar leichte Klettertouren. Denn selbst eine Sehbehinderung bedeutet keineswegs Verzicht auf Bergtouren.
Für Ruedi Ruchti, seit Geburt blind und mittlerweile zum fünften Mal am Gebirgskurs dabei, zählt in erster Linie das intensive Erlebnis. , erzählt er, während wir leicht unterhalb des Gipfels, windgeschützt auf einem warmen Granitstein sitzend, den Mittagslunch verzehren und den freudengetränkten Juchzern horchen, die von den Gipfeln rundum erschallen.
Pholos. Heinz Hoggi Blinde, Sehbehinderte und Begleiter im Aufstieg zur Fornohütte; eine fröhliche Schar, die sich kaum von irgendeiner anderen Tourengruppe unterscheidet Frühmorgendlicher Aufstieg zur Cima di Rosso; im Hintergrund die Torronegruppe
Alle brauchen eine Begleitperson Der grösste Nachteil für sehbehinderte und blinde Bergsteiger ist die Abhängigkeit. Kein Schritt von der Hütte fort kann ohne Begleiter unternommen werden. Nicht jedes Gelände bietet dabei gleiche Schwierigkeiten. Am besten kommen die Behinderten auf Schneefeldern und flachen, ungefährlichen Gletschern voran. Hier gehen sie am gestreckten Seil, frei oder orientieren sich mit dem Gehör an den Schritten ihrer Vordermänner respektive -frauen. Ist das Gelände steiler und stärker reliefiert, halten sie mit Skistöcken, Reepschnüren und Rucksackriemen Kontakt zu ihren Begleitpersonen.
Am meisten Probleme bereiten Geröllhalden, insbesondere den Vollblinden.
Gemeinschaftserlebnis in den Bergen Im Durchschnitt melden sich pro Jahr zehn bis fünfzehn Behinderte auf die Ausschreibung des Gebirgskurses, der in dieser Form einmalig ist. Die meisten sind seit Jahren dabei, einige kennen sich, seit es den Kurs gibt. Entstanden ist der Gebirgskurs vor acht Jahren aus den seit langem durchgeführten und bewährten Wanderlagern für Blinde und Sehbehinderte. Das Angebot eines Hochgebirgskurses kam damals einem Bedürfnis der Behinderten nach, die Berge nicht nur auf Voralpenwegen zu erwandern, sondern auch die Hochgebirgswelt kennenzulernen.
Gemeinsam mit Gleichgesinnten erleben die Kursteilnehmer eine Woche lang die alpine Bergwelt. Trotz ihrer Behinderung sind sie integriert und müssen nicht fortwährend um den Anschluss in der Gruppe kämpfen, wie dies die sehbehinderte Corinne Walser in einem normalen Wanderlager etwa erfahren musste. ( Es ist schön, dass die Begleiter immer Zeit haben ), schildert die jüngste Kursteilnehmerin.
Mit ihrem Vater hat sie zwar schon des öftern Wanderungen unternommen, ins Hochgebirge indes und über 3000 Meter Meereshöhe ist sie bislang noch nie vorgedrungen. Das grösste Erlebnis dieser Woche ist für sie die Besteigung des Piz Casnil ( 3189 m ). Behinderte und Begleiter ersteigen den Berg zwischen Forno- und Albignata| gemeinsam über den Südgrat, der eine abwechslungsreiche Kletterei im zweiten und stellenweise sogar im dritten Schwierigkeitsgrad bietet. ( Selbst wenn man auf fremde Hilfe angewiesen ist, habe ich gesehen, dass so etwas trotz der Sehbehinderung möglich ist ), erzählt sie, sichtlich zufrieden mit der vollbrachten Leistung in ihrem ersten Hochge-birgslager.
Die Tourenziele werden den Wünschen und der Konstitution der Teilnehmer angepasst. Beim täglichen Brainstorming haben Kursteilnehmer Gelegenheit, ihre Vorstellungen für den folgenden Tag einzubringen. In der Regel werden jeweils zwei Touren angeboten: eine leichtere und eine anspruchsvollere. Niemand soll sich gestresst oder zu einer Tour gezwungen, aber auch keiner unterfordert fühlen; alle sollen ganz einfach ihre Ferien geniessen können und eine Woche lang auf ihre Rechnung kommen.
Das schlägt sich denn auch in der ausgezeichneten Stimmung innerhalb der ganzen Gruppe nieder - sei es unterwegs am Berg, bei einem köstlichen Stück hausgemachtem Kuchen nach der Rückkehr zur Hütte oder beim gemütlichen Jass am Abend, an dem sich bei entsprechenden Spielkarten auch Blinde beteiligen können.
Praktische Grundausbildung ( Der Kurs soll die Behinderten ins Bergsteigen einführen, so dass sie zusammen mit einem Begleiter auch privat oder mit dem SAC Touren unternehmen können ), umreisst Kursleiter Christian Herter die Ziele. So stehen denn nicht nur Touren auf dem Programm. Nebst Knotentheorie und dem Üben im korrekten Steigeisengehen lernen die Behinderten unter anderm auch, wie sie selbst am Seil aus einem Gletscherspalt hochsteigen können oder sich mit dem Pickel bremsen müssen, sollten sie einmal auf einem Schneefeld ausrutschen. Oder es wird gezeigt, wie Klettersteige sicher erklommen werden.
In der Tat sind manche, die sich im Kurs ihr erstes bergsteigerisches Wissen aneignen, später auch privat wieder in den Bergen anzutreffen. Ruedi Ruchti ist einer von ihnen. Seinerzeit, völlig bergunerfahren, durch Kollegen auf den Kurs aufmerksam geworden, unternimmt er heute regelmässig Bergtouren. Zu seinen Gipfelbesteigungen zählen mittlerweile unter anderm das Sustenhorn oder das 4153 Meter hohe Bishorn im Wallis.
Das Gipfelpanorama kann Ruedi Ruchti zwar nicht sehen; die Rundsicht erklären lässt er sich trotzdem gerne. , erklärt er. deh kann mir dann vorstellen, wo wir sind und welche Berge sich rundherum befinden. ) Neid, wenn andere von der Schönheit der Landschaft schwärmen, empfindet er nicht.
Wollen sich Blinde und Sehbehinderte einer SAC-Sektionstour anschliessen, braucht es auch da nicht nur einen Begleiter, sondern ebenso das nötige Verständnis und ein hinreichendes Quantum Rücksichtnahme, wenn es um Routenvarianten und Marsch- tempo geht. Doch gerade im traditionsbe-hafteten Alpenclub ist ein solch offenes Denken noch nicht überall durchgedrungen. ( Blinde gehören nicht in die Berge ), lehnen einzelne Kreise innerhalb des SAC ab.
Im Gebirge selber sind solche Vorurteile indes rasch abgebaut. Treffen die Behinderten nämlich unterwegs auf andere Bergsteiger, fallen die Reaktionen in den weitaus meisten Fällen positiv aus. Der anfänglichen Verwunderung über blinde und sehbehinderte Bergsteiger folgt jeweils rasch einmal eine allgemeine Anerkennung. ( Die Leute in den Bergen reagieren erstaunlich offen ), bestätigt auch Ruedi Ruchti.
So beispielsweise die Angehörigen des in der Fornohütte stationierten Schweizer Militärs. Auch die Gebirgssoldaten haben nach anfänglichem Staunen bald erkannt, welche Leistung die Behinderten vollbringen, spontane Hilfe gehörte bald zu den Selbstverständlichkeiten.
Doch es sind nicht nur Bewunderung und Anerkennung für die vollbrachte Leistung. ( Jeder, der mit Blinden zusammen im Gebirge ist, kann viel von deren Optimismus und positiver Lebenseinstellung profitieren ), sagt Kursleiter Christian Herter. ( Da lernt man wieder, Prioritäten zu setzen. Und man merkt vor allem, dass nicht nur eine schwere Tour etwas zählt, sondern dass das gemeinsame Erlebnis ebenso schön ist. ) So wird denn manch einem Alpinisten bei der Begegnung mit sehbehinderten Bergsteigern wieder bewusst, dass das Naturerlebnis in der stillen Bergwelt ebenso wertvoll ist, wie das in den letzten Jahren forcierte Leistungsbergsteigen.
Morgenstimmung über dem Piz Casnil ( rechts ) und dem Bergeil Wer viel wandert kennt es: das erhebende Gefühl, wenn der Aufstieg beendet ist und die Weite des Tales zu Fussen liegt. Und wenn später beim Abstieg mit jedem Schritt der Komfort eines guten Trekking-Schuhs noch deutlicher spürbar wird. Aber erst wer lange weit hinauf und steil bergab unterwegs ist, wird den gesamten Komfort des neuen Salomon Trekking Konzeptes erleben: Das Salomon S-Fit System, das den Fuss umhüllt und festhält, ohne die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Weil die Freiheit grenzenlos erscheint, wenn Berg und Tal zu Fussen liegen.
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77 Claude Remy, Vers l' Eglise VD Erhard Loretan—ein ( Kleiner ) unter den Grossen 87 Chlaus Lötscher, Homer ( Alaska USA ) Alaskas Nationalpark-System Herausgeber Redaktion Schweizer Alpen-Club, Zentralkomitee; Helvetiaplatz 4, 3005 Bern, Telefon 031/433611, Telefax 031/446063.
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