Das Matterhorn
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Das Matterhorn

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Aus dem Nachlass von Heinz Pfister f

Ein Berg und die Entwicklung des Alpinismus ( Zürich ) An keinem anderen Berg unserer Alpen lässt sich die Entwicklung und Wandlung des Alpinismus von seiner Frühzeit bis heute so gut verfolgen wie am Matterhorn, der dunklen Riesenpyramide von Zermatt. Als vor 80 Jahren — im Juli 1865 — Edward Whymper mit seinen Begleitern zum erstenmal auf seiner Spitze stand, schien die äusserste Grenze dessen, was Menschen in den Bergen zu leisten vermöchten, erreicht. Bis dahin hatten selbst bekannte Bergsteiger jeden Gedanken an eine Besteigung des Matterhorns als unmöglich von sich gewiesen und Whymper nach seinen ersten Versuchen als Narren verlacht. Heute steigen jährlich Hunderte auf Whympers Weg über den als leicht taxierten Nordostgrat zur Spitze. Daneben sind nicht nur die anderen Grate sukzessive erstiegen worden; auch die schrecklich abweisenden Wände haben ihre Meister gefunden.

Wir können die kurze Geschichte des Alpinismus, der etwa mit 1787, dem Jahr der Ersteigung des Mont Blanc durch H. B. de Saussure, beginnt, in vier charakteristische Epochen einteilen.

Als Albrecht von Haller mit seinem Lehrgedicht « Die Alpen » das allgemeine Interesse an den Schönheiten des Berglandes geweckt hatte und Rousseau die gebildete Gesellschaft der Städte für die unverfälschte Natur der ländlichen Gebirgswelt zu begeistern vermochte, da folgten ihnen viele Freunde und Verehrer. Junge Dichter, Romantiker und Schöngeister reisten aus dem Tiefland, aus Deutschland und Frankreich in die Alpen; es war die .r,ftä Zeit jener berühmten Schweizer Reisen Goethes und anderer bekannter Dichter und Künstler. Gleichzeitig setzte das wissenschaftliche Interesse an der noch weitgehend unbekannten Alpenlandschaft ein. Geologen und Physiker, Botaniker und Zoologen zogen als erste über wenig bekannte Pässe und bestiegen einzelne Berge, um neues Material für ihre Studien zusammenzutragen. So finden wir diese Naturwissenschafter bald auch in Zermatt. Schon Saussure hat das Matterhorngebiet recht eigentlich erschlossen und in einem Buch bekannt gemacht. Bald folgten Kartographen, Historiker und speziell Gletscherforscher, wie der Zürcher Professor Ulrich, nach, dem zu Ehren dann später eine Spitze in der Kette der Mischabelhörner bei Zermatt Ulrichsspitze benannt wurde.

Hatte in dieser ersten Epoche des Alpinismus das naturwissenschaftliche Interesse im Vordergrund gestanden, so folgte nun um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Generation, die das Bergsteigen um seiner selbst willen betrieb. Die Wiege dieser neuen Bewegung ist in England zu suchen, wo sich 1857 die ersten Alpinisten zu einem Verband, dem Alpine Club, zusammengefunden hatten. Wenn auch manchem Vertreter dieser neuen Generation wissenschaftliche Interessen nicht ganz fern lagen, so war nun doch das Hauptaugenmerk auf die Eroberung der Gipfel gerichtet. In den folgenden Jahren fiel dann auch eine Spitze nach der anderen; so um Zermatt herum: 1861 das Weisshorn, 1864 das Zinalrothorn, 1865 das Obergabelhorn und am 16. Juli 1865 — als Krönung dieser ganzen Epoche — das Matterhorn. Whymper, dem dieser schöne Erfolg nach manchem Anlauf endlich gelang, war ein typischer Vertreter dieser neuen Richtung. Obwohl er das erstemal aus beruflichen Gründen, mit dem Auftrag, Gipfelzeichnungen anzufertigen — er war von Beruf Zeichner — in die Alpen gekommen war, so nahmen ihn doch die Berge so gefangen, dass sein ganzes Trachten in erster Linie darnach ging, die Gipfel zu besteigen. In wenigen Jahren hatte er sich zum furchtlosen und sicheren Alpinisten ausgebildet, so dass er mit voller Berechtigung um das Matterhorn werben konnte. Hier ist ein Wort über die Führer zu sagen, die die Eroberung der Gipfel in dieser zweiten Epoche des Alpinismus durch den vollen Einsatz ihres ganzen Könnens erst ermöglicht haben. Bei allen grossen Erstersteigungen dieser Zeit hatten die Führer immer entscheidenden Anteil am Gelingen des Unternehmens. Wir finden unter ihnen Gestalten, die an Initiative und Wagemut in keiner Weise hinter den grössten englischen Touristen zurückstanden; wir brauchen dabei nur an J. A. Carrel zu erinnern, der mit Whymper um das Matterhorn warb und von diesem nur um wenige Stunden geschlagen wurde, als er den Berg gleichzeitig von der italienischen Seite aus anging.

In relativ kurzer Zeit, innerhalb von dreissig Jahren, wurden nun alle wesentlichen Gipfel der Alpen bestiegen, so dass sich die nachfolgende Generation nach neuen Zielen umsehen musste. So sehen wir in der Folgezeit, in der dritten Epoche des Alpinismus, die besten Bergsteiger entweder neue und schwerere Aufstiege auf schon bekannte Gipfel suchen, oder wir finden sie in aussereuropäischen Gebirgen, wo noch manche jungfräuliche Spitze lockte. Ein typischer Vertreter dieser dritten Generation war der Engländer A. S. Mummery, der zusammen mit dem grossen Walliser Bergführer Alexander Y>7^nDAS MATTERHORN Burgener die beiden anderen Grate des Matterhorns, den Zmuttgrat und den Furggengrat — diesen wenigstens in seinem unteren Teil — als erster bezwang. Mummery hat dann auch ausseralpine Besteigungen unternommen, wobei er im Jahre 1895 am Nanga Parbat im Himalaya spurlos verschwand. Die Bergsteiger dieser dritten Epoche zeichnen sich durch einen unerhörten Schneid und ein kühnes Draufgängertum aus, das in diesem Mass bei den überlegteren Alpinisten der älteren Generation noch nicht vorhanden gewesen war. So finden wir denn auch immer mehr Führerlose, die selbständig, in ihnen oft ganz fremden Gebieten, die schwersten Touren unternahmen. Unter diesen ist vor allem der Wiener Emil Zsygmondi zu nennen, dessen Buch über die Gefahren der Alpen zu einem eigentlichen Standardwerk geworden ist. Das wichtigste Charakteristikum dieser dritten Epoche aber ist die grosse Breitenentwicklung des Alpinismus, der immer weitere Bevölkerungskreise erfasste und damit zu einem wesentlichen Faktor der Freizeitgestaltung wurde.

Nach dem ersten Weltkrieg setzten sich die genannten Tendenzen fort: weitere Ausdehnung des Alpinismus in alle Volksschichten; neue und grössere ausseralpine Expeditionen; vor allem aber — immer extremere Klettereien, Künstliche Hilfsmittel, wie Mauerhaken und Seilzug, wurden immer mehr herangezogen und zur Überwindung von Wänden benutzt, die als absolut undurchsteigbar galten. Das Klettern wurde zu einem eigentlichen Sport, so dass wir berechtigt sind, von einer neuen, einer vierten Epoche des Alpinismus zu sprechen, in der die reine Sportkletterei vorherrschend ist. Ausgangspunkt dieser extremsten Richtung des Bergsteigens war München. Dien tatendurstigen deutschen Bergsteigern war nach dem Weltkrieg der Aufenthalt ausserhalb Deutschlands fast unmöglich geworden, so dass sie, auf die relativ engen Möglichkeiten der bayrischen Alpen beschränkt, eben dort an den letzten noch unerstiegenen Wänden nach neuen Wegen suchen mussten. Später kamen dann diese Münchner mit der neuen Felstechnik auch in die Schweiz, wo sie die Nordwände des Berner Oberlandes und Wallis zu durchklettern begannen. Wie einst die Ersteigung des Matterhorns durch Whymper zum Symbol des Alpinismus der Frühzeit, der 1860er Jahre, geworden war, so wurde nun die Durchsteigung der Matterhorn-Nordwand durch die Brüder Franz und Toni Schmid im Sommer 1931 zum Symbol der modernen Sportkletterei. Eine unverantwortliche, aber wundervolle Eroberung, nannte der Präsident des englischen Alpenklubs diese Fahrt, womit er bei aller Anerkennung des unerhörten Schneids dieser Kletterer doch seine Besorgnis über eine solche Entwicklung des Alpinismus ausdrücken wollte. Wie sehr das Klettern zum reinen Sport geworden ist, zeigt sich auch darin, dass die Brüder Schmid an der Olympiade in Los Angeles die Goldmedaille für die Matterhorn-Nordwand-Bezwingung erhielten 1 Unerschütterlich abet steht das Matterhorn über all diesem menschlichen Treiben. Vor 80 Jahren sind die ersten Menschen auf seiner Spitze gestanden; jetzt hängen etliche fixe Seile an seinen Graten, und in seinen Wänden rosten einige alte Mauerhaken. Was bedeutet das schon gegen die Ewigkeit, in der das « Hora », der Berg der Berge, über den weissen Gletschern und grünen Matten des Nikolaitales wacht?

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